Vierter Auftritt


[280] Eugenie. Hofmeisterin.


EUGENIE.

In deiner Hand, ich weiß es, ruht mein Heil,

So wie mein Elend. Laß dich überreden!

Laß dich erweichen! Schiffe mich nicht ein!

HOFMEISTERIN.

Du lenkest nun, was uns begegnen soll,

Du hast zu wählen! Ich gehorche nur

Der starken Hand, sie stößt mich vor sich hin.

EUGENIE.

Und nennst du Wahl, wenn Unvermeidliches

Unmöglichem sich gegenüber stellt?

HOFMEISTERIN.

Der Bund ist möglich, wie der Bann vermeidlich.

EUGENIE.

Unmöglich ist, was Edle nicht vermögen.

HOFMEISTERIN.

Für diesen biedern Mann vermagst du viel.

EUGENIE.

In beßre Lagen führe mich zurück,

Und sein Erbieten lohn' ich grenzenlos.

HOFMEISTERIN.

Ihm lohne gleich, was ihn allein belohnt:

Zu hohen Stufen heb' ihn deine Hand!

Wenn Tugend, wenn Verdienst den Tüchtigen

Nur langsam fördern, wenn er still entsagend

Und kaum bemerkt sich andern widmend strebt,

So führt ein edles Weib ihn leicht ans Ziel.

Hinunter soll kein Mann die Blicke wenden,

Hinauf zur höchsten Frauen kehr' er sich!

Gelingt es ihm, sie zu erwerben, schnell

Geebnet zeigt des Lebens Pfad sich ihm.

EUGENIE.

Verwirrender, verfälschter Worte Sinn

Entwickl' ich wohl aus deinen falschen Reden.

Das Gegenteil erkenn' ich nur zu klar:

Der Gatte zieht sein Weib unwiderstehlich

In seines Kreises abgeschloßne Bahn.

Dorthin ist sie gebannt, sie kann sich nicht

Aus eigner Kraft besondre Wege wählen:

Aus niedrem Zustand führt er sie hervor,

Aus höhern Sphären lockt er sie hernieder.

Verschwunden ist die frühere Gestalt,

Verloschen jede Spur vergangner Tage.[280]

Was sie gewann, wer will es ihr entreißen?

Was sie verlor, wer gibt es ihr zurück?

HOFMEISTERIN.

So brichst du grausam dir und mir den Stab.

EUGENIE.

Noch forscht mein Blick nach Rettung hoffnungsvoll.

HOFMEISTERIN.

Der Liebende verzweifelt – kannst du hoffen?

EUGENIE.

Ein kalter Mann verlieh' uns bessern Rat.

HOFMEISTERIN.

Von Rat und Wahl ist keine Rede mehr;

Du stürzest mich ins Elend, folge mir!

EUGENIE.

O daß ich dich noch einmal freundlich hold

Vor meinen Augen sähe, wie du stets

Von früher Zeit herauf mich angeblickt!

Der Sonne Glanz, die alles Leben regt,

Des klaren Monds erquicklich leiser Schein

Begegneten mir holder nicht als du.

Was konnt' ich wünschen? Vorbereitet war's.

Was durft' ich fürchten? Abgelehnt war alles!

Und zog sich ins Verborgne meine Mutter

Vor ihres Kindes Blicken früh zurück,

So reichtest du ein überfließend Maß

Besorgter Mutterliebe mir entgegen.

Bist du denn ganz verwandelt? Äußerlich

Erscheinst du mir die Vielgeliebte selber;

Doch ausgewechselt ist, so scheint's, dein Herz –

Du bist es noch, die ich um Klein- und Großes

So oft gebeten, die mir nichts verweigert.

Gewohnter Ehrfurcht kindliches Gefühl,

Es lehrt mich nun, das Höchste zu erbitten.

Und könnt' es mich erniedrigen, dich nun

An Vaters, Königs, dich an Gottes Statt

Gebognen Knies um Rettung anzuflehen?


Sie kniet.


HOFMEISTERIN.

In dieser Lage scheinst du meiner nur

Verstellt zu spotten. Falschheit rührt mich nicht.


Hebt Eugenien mit Heftigkeit auf.


EUGENIE.

So hartes Wort, so widriges Betragen,

Erfahr' ich das, erleb' ich das von dir?

Und mit Gewalt verscheuchst du meinen Traum.

Im klaren Lichte seh' ich mein Geschick![281]

Nicht meine Schuld, nicht jener Großen Zwist,

Des Bruders Tücke hat mich hergestoßen,

Und mitverschworen hältst du mich gebannt.

HOFMEISTERIN.

Dein Irrtum schwankt nach allen Seiten hin.

Was will der Bruder gegen dich beginnen?

Den bösen Willen hat er, nicht die Macht.

EUGENIE.

Sei's, wie ihm wolle! Noch verschmacht' ich nicht

In ferner Wüste hoffnungslosen Räumen.

Ein lebend Volk bewegt sich um mich her,

Ein liebend Volk, das auch den Vaternamen

Entzückt aus seines Kindes Mund vernimmt.

Die fordr' ich auf. Aus roher Menge kündet

Ein mächt'ger Ruf mir meine Freiheit an.

HOFMEISTERIN.

Die rohe Menge hast du nie gekannt,

Sie starrt und staunt und zaudert, läßt geschehn;

Und regt sie sich, so endet ohne Glück,

Was ohne Plan zufällig sie begonnen.

EUGENIE.

Den Glauben wirst du mir mit kaltem Wort

Nicht, wie mein Glück mit frecher Tat, zerstören.

Dort unten hoff' ich Leben, aus dem Leben,

Dort, wo die Masse tätig strömend wogt,

Wo jedes Herz, mit wenigem befriedigt,

Für holdes Mitleid gern sich öffnen mag.

Du hältst mich nicht zurück! Ich rufe laut,

Wie furchtbar mich Gefahr und Not bedrängen,

Ins wühlende Gemisch mich stürzend, aus.

Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 280-282.
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