Erster Auftritt


[73] Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert. Vorn an der Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost. Prinzessin. Leonore.


PRINZESSIN.

Du siehst mich lächelnd an, Eleonore,

Und siehst dich selber an und lächelst wieder.

Was hast du? Laß es eine Freundin wissen!

Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt.

LEONORE.

Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh ich

Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt.

Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen

Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt.

Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen,

Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand,

Du hast mit höherm Sinn und größrem Herzen

Den zarten schlanken Lorbeer dir gewählt.

PRINZESSIN.

Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,

Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden,

Ich setze sie Virgilen dankbar auf.


Sie kränzt die Herme Virgils.
[73]

LEONORE.

So drück ich meinen vollen frohen Kranz

Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne –


Sie kränzt Ariostens Herme.


Er, dessen Scherze nie verblühen, habe

Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil.

PRINZESSIN.

Mein Bruder ist gefällig, daß er uns

In diesen Tagen schon aufs Land gebracht,

Wir können unser sein und stundenlang

Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.

Ich liebe Belriguardo, denn ich habe

Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,

Und dieses neue Grün und diese Sonne

Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.

LEONORE.

Ja es umgibt uns eine neue Welt!

Der Schatten dieser immergrünen Bäume

Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder

Das Rauschen dieser Brunnen, schwankend wiegen

Im Morgenwinde sich die jungen Zweige.

Die Blumen von den Beeten schauen uns

Mit ihren Kinderaugen freundlich an.

Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus

Schon der Zitronen und Orangen ab,

Der blaue Himmel ruhet über uns

Und an dem Horizonte löst der Schnee

Der fernen Berge sich in leisen Duft.

PRINZESSIN.

Es wäre mir der Frühling sehr willkommen

Wenn er nicht meine Freundin mir entführte.

LEONORE.

Erinnre mich in diesen holden Stunden,

O Fürstin, nicht wie bald ich scheiden soll.

PRINZESSIN.

Was du verlassen magst, das findest du

In jener großen Stadt gedoppelt wieder.

LEONORE.

Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich

Zu dem Gemahl der mich so lang entbehrt.

Ich bring ihm seinen Sohn, der dieses Jahr

So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet,

Und teile seine väterliche Freude.

Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert

Von allen seinen aufgehäuften Schätzen

Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.[74]

Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,

Ferrara ward durch seine Fürsten groß.

PRINZESSIN.

Mehr durch die guten Menschen, die sich hier

Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.

LEONORE.

Sehr leicht zerstreut der Zufall was er sammelt

Ein edler Mensch zieht edle Menschen an

Und weiß sie fest zu halten, wie ihr tut.

Um deinen Bruder und um dich verbinden

Gemüter sich, die eurer würdig sind,

Und ihr seid eurer großen Väter wert.

Hier zündete sich froh das schöne Licht

Der Wissenschaft, des freien Denkens an,

Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung

Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind

Der Name Herkules von Este schon,

Schon Hyppolit von Este voll ins Ohr.

Ferrara ward mit Rom und mit Florenz

Von meinem Vater viel gepriesen! Oft

Hab ich mich hingesehnt; nun bin ich da.

Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt,

Und Ariost fand seine Muster hier.

Italien nennt keinen großen Namen,

Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.

Und es ist vorteilhaft den Genius

Bewirten: gibst du ihm ein Gastgeschenk,

So läßt er dir ein schöneres zurück.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,

Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt

Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.

PRINZESSIN.

Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.

Gar oft beneid ich dich um dieses Glück.

LEONORE.

Das du, wie wenig andre, still und rein

Genießest. Drängt mich doch das volle Herz

Sogleich zu sagen was ich lebhaft fühle,

Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst.

Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks,

Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei

Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr:

Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack,[75]

Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil groß

Am Großen, das du wie dich selbst erkennst.

PRINZESSIN.

Du solltest dieser höchsten Schmeichelei

Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen.

LEONORE.

Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein

Den ganzen Umfang deines Werts erkennen.

Und laß mich der Gelegenheit, dem Glück

Auch seinen Teil an deiner Bildung geben,

Du hast sie doch, und bist's am Ende doch,

Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt

Vor allen großen Frauen eurer Zeit.

PRINZESSIN.

Mich kann das, Leonore, wenig rühren,

Wenn ich bedenke wie man wenig ist,

Und was man ist, das blieb man andern schuldig.

Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten,

Was uns die Vorwelt ließ, dank ich der Mutter;

Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn

Ihr keine beider Töchter jemals gleich;

Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen,

So hat Lucretia gewiß das Recht.

Auch kann ich dir versichern hab ich nie

Als Rang und als Besitz betrachtet, was

Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.

Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,

Daß ich verstehen kann wie sie es meinen.

Es sei ein Urteil über einen Mann

Der alten Zeit und seiner Taten Wert;

Es sei von einer Wissenschaft die Rede,

Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,

Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt;

Wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt,

Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.

Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,

Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust

So freundlich und so fürchterlich bewegen,

Mit Grazie die Rednerlippe spielt;

Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms,

Des ausgebreiteten Besitzes Stoff

Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit,[76]

Von einem klugen Manne zart entwickelt,

Statt uns zu hintergehen uns belehrt.

LEONORE.

Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung

Ruht unser Ohr und unser innrer Sinn

Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus,

Der uns die letzten lieblichsten Gefühle

Mit holden Tönen in die Seele flößt.

Dein hoher Geist umfaßt ein weites Reich,

Ich halte mich am liebsten auf der Insel

Der Poesie in Lorbeerhainen auf.

PRINZESSIN.

In diesem schönen Lande, hat man mir

Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen

Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich

Gar viele sind, so sucht man unter ihnen

Sich seltner eine Freundin und Gespielin,

Als man dem Dichter gern begegnen mag,

Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint,

Etwas zu suchen scheint das wir nicht kennen,

Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt.

Da wär es denn ganz artig, wenn er uns

Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt

Uns für den Schatz erkennte, den er lang

Vergebens in der weiten Welt gesucht.

LEONORE.

Ich muß mir deinen Scherz gefallen lassen,

Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief.

Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst

Und ich bin gegen Tasso nur gerecht.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;

Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;

Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,

Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:

Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,

Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.

Oft adelt er was uns gemein erschien,

Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.

In diesem eignen Zauberkreise wandelt

Der wunderbare Mann und zieht uns an

Mit ihm zu wandeln, teil an ihm zu nehmen:

Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;[77]

Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen

An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

PRINZESSIN.

Du hast den Dichter fein und zart geschildert

Der in den Reichen süßer Träume schwebt.

Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche

Gewaltsam anzuziehn und fest zu halten.

Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen

Wir hin und wieder angeheftet finden,

Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien

Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle

Für holde Früchte einer wahren Liebe?

LEONORE.

Ich freue mich der schönen Blätter auch.

Mit mannigfaltgem Geist verherrlicht er

Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.

Bald hebt er es in lichter Glorie

Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend

Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;

Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach

Und jede Blume windet er zum Kranz.

Entfernt sich die Verehrte, heiligt er

Den Pfad, den leis ihr schöner Fuß betrat.

Versteckt im Busche gleich der Nachtigall

Füllt er aus einem liebekranken Busen

Mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:

Sein reizend Leid, die selge Schwermut lockt

Ein jedes Ohr und jedes Herz muß nach –

PRINZESSIN.

Und wenn er seinen Gegenstand benennt

So gibt er ihm den Namen Leonore.

LEONORE.

Es ist dein Name wie es meiner ist.

Ich nähm es übel wenn's ein andrer wäre.

Mich freut es daß er sein Gefühl für dich

In diesem Doppelsinn verbergen kann.

Ich bin zufrieden daß er meiner auch

Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt.

Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,

Die sich des Gegenstands bemeistern will,

Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig

Den Anblick jedem andern wehren möchte.

Wenn er in seliger Betrachtung sich[78]

Mit deinem Wert beschäftigt, mag er auch

An meinem leichtern Wesen sich erfreun.

Uns liebt er nicht, – verzeih daß ich es sage! –

Aus allen Sphären trägt er was er liebt

Auf einen Namen nieder den wir führen,

Und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen

Den Mann zu lieben, und wir lieben nur

Mit ihm das Höchste was wir lieben können.

PRINZESSIN.

Du hast dich sehr in diese Wissenschaft

Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge,

Die mir beinahe nur das Ohr berühren

Und in die Seele kaum noch übergehn.

LEONORE.

Du? Schülerin des Plato! nicht begreifen?

Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt.

Es müßte sein daß ich zu sehr mich irrte,

Doch irr ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.

Die Liebe zeigt in dieser holden Schule

Sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:

Es ist der Jüngling der mit Psychen sich

Vermählte, der im Rat der Götter Sitz

Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft

Von einer Brust zur andern hin und her;

Er heftet sich an Schönheit und Gestalt

Nicht gleich mit süßem Irrtum fest, und büßet

Nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruß.

PRINZESSIN.

Da kommt mein Bruder, laß uns nicht verraten

Wohin sich wieder das Gespräch gelenkt.

Wir würden seinen Scherz zu tragen haben,

Wie unsre Kleidung seinen Spott erfuhr.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 73-79.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Torquato Tasso
Goethes Werke: Band III. Götz von Berlichingen. Egmont. Clavigo. Stella. Die Geschwister. Iphigenie auf Tauris. Torquato Tasso. Die natürliche Tochter
Torquato Tasso (Dodo Press)
Torquato Tasso: Studienausgabe
Torquato Tasso: Leipzig 1790
Egmont / Torquato Tasso: Dramen (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon