Dritter Auftritt


[105] Tasso. Antonio.


TASSO.

Sei mir willkommen, den ich gleichsam jetzt

Zum erstenmal erblicke! Schöner ward

Kein Mann mir angekündigt. Sei willkommen!

Dich kenn ich nun und deinen ganzen Wert,

Dir biet ich ohne Zögern Herz und Hand[105]

Und hoffe, daß auch du mich nicht verschmähst.

ANTONIO.

Freigebig bietest du mir schöne Gaben,

Und ihren Wert erkenn ich wie ich soll,

Drum laß mich zögern eh ich sie ergreife.

Weiß ich doch nicht, ob ich dir auch dagegen

Ein Gleiches geben kann. Ich möchte gern

Nicht übereilt und nicht undankbar scheinen:

Laß mich für beide klug und sorgsam sein.

TASSO.

Wer wird die Klugheit tadeln? Jeder Schritt

Des Lebens zeigt wie sehr sie nötig sei;

Doch schöner ist's, wenn uns die Seele sagt

Wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen.

ANTONIO.

Darüber frage jeder sein Gemüt,

Weil er den Fehler selbst zu büßen hat.

TASSO.

So sei's! Ich habe meine Pflicht getan,

Der Fürstin Wort, die uns zu Freunden wünscht,

Hab ich verehrt und mich dir vorgestellt.

Rückhalten durft ich nicht, Antonio; doch gewiß

Zudringen will ich nicht. Es mag denn sein.

Zeit und Bekanntschaft heißen dich vielleicht

Die Gabe wärmer fordern, die du jetzt

So kalt bei Seite lehnst und fast verschmähst.

ANTONIO.

Der Mäßige wird öfters kalt genannt

Von Menschen, die sich warm vor andern glauben,

Weil sie die Hitze fliegend überfällt.

TASSO.

Du tadelst was ich tadle, was ich meide.

Auch ich verstehe wohl, so jung ich bin,

Der Heftigkeit die Dauer vorzuziehn.

ANTONIO.

Sehr weislich! Bleibe stets auf diesem Sinne

TASSO.

Du bist berechtigt mir zu raten, mich

Zu warnen, denn es steht Erfahrung dir

Als lang erprobte Freundin an der Seite.

Doch glaube nur, es horcht ein stilles Herz

Auf jedes Tages, jeder Stunde Warnung,

Und übt sich ingeheim an jedem Guten,

Das deine Strenge neu zu lehren glaubt.

ANTONIO.

Es ist wohl angenehm, sich mit sich selbst

Beschäftgen, wenn es nur so nützlich wäre.

Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes[106]

Erkennen. Denn er mißt nach eignem Maß

Sich bald zu klein und leider oft zu groß.

Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur

Das Leben lehret jedem was er sei.

TASSO.

Mit Beifall und Verehrung hör ich dich.

ANTONIO.

Und dennoch denkst du wohl bei diesen Worten

Ganz etwas anders, als ich sagen will.

TASSO.

Auf diese Weise rücken wir nicht näher.

Es ist nicht klug, es ist nicht wohl getan,

Vorsätzlich einen Menschen zu verkennen,

Er sei auch wer er sei. Der Fürstin Wort

Bedurft es kaum, leicht hab ich dich erkannt:

Ich weiß, daß du das Gute willst und schaffst.

Dein eigen Schicksal läßt dich unbesorgt,

An andre denkst du, andern stehst du bei,

Und auf des Lebens leicht bewegter Woge

Bleibt dir ein stetes Herz. So seh ich dich.

Und was wär ich, ging ich dir nicht entgegen?

Sucht ich begierig nicht auch einen Teil

An dem verschloßnen Schatz, den du bewahrst?

Ich weiß, es reut dich nicht, wenn du dich öffnest;

Ich weiß, du bist mein Freund, wenn du mich kennst:

Und eines solchen Freunds bedurft ich lange.

Ich schäme mich der Unerfahrenheit

Und meiner Jugend nicht. Still ruhet noch

Der Zukunft goldne Wolke mir ums Haupt.

O nimm mich, edler Mann, an deine Brust

Und weihe mich, den Raschen, Unerfahrnen,

Zum mäßigen Gebrauch des Lebens ein.

ANTONIO.

In einem Augenblicke forderst du,

Was wohlbedächtig nur die Zeit gewährt.

TASSO.

In einem Augenblick gewährt die Liebe,

Was Mühe kaum in langer Zeit erreicht.

Ich bitt es nicht von dir, ich darf es fordern.

Dich ruf ich in der Tugend Namen auf,

Die gute Menschen zu verbinden eifert.

Und soll ich dir noch einen Namen nennen?

Die Fürstin hofft's, sie will's – Eleonore,

Sie will mich zu dir führen, dich zu mir.[107]

O laß uns ihrem Wunsch entgegen gehn!

Laß uns verbunden vor die Göttin treten,

Ihr unsern Dienst, die ganze Seele bieten,

Vereint für sie das Würdigste zu tun.

Noch einmal! – Hier ist meine Hand! Schlag ein!

Tritt nicht zurück und weigre dich nicht länger,

O edler Mann, und gönne mir die Wollust,

Die schönste guter Menschen, sich dem Bessern

Vertrauend ohne Rückhalt hinzugeben!

ANTONIO.

Du gehst mit vollen Segeln! Scheint es doch

Du bist gewohnt zu siegen, überall

Die Wege breit, die Pforten weit zu finden.

Ich gönne jeden Wert und jedes Glück

Dir gern, allein ich sehe nur zu sehr,

Wir stehn zu weit noch von einander ab.

TASSO.

Es sei an Jahren, an geprüftem Wert:

An frohem Mut und Willen weich ich keinem.

ANTONIO.

Der Wille lockt die Taten nicht herbei;

Der Mut stellt sich die Wege kürzer vor.

Wer angelangt am Ziel ist, wird gekrönt,

Und oft entbehrt ein Würdger eine Krone.

Doch gibt es leichte Kränze, Kränze gibt es

Von sehr verschiedner Art, sie lassen sich

Oft im Spazierengehn bequem erreichen.

TASSO.

Was eine Gottheit diesem frei gewährt

Und jenem streng versagt, ein solches Gut

Erreicht nicht jeder wie er will und mag.

ANTONIO.

Schreib es dem Glück vor andern Göttern zu,

So hör ich's gern, denn seine Wahl ist blind.

TASSO.

Auch die Gerechtigkeit trägt eine Binde

Und schließt die Augen jedem Blendwerk zu.

ANTONIO.

Das Glück erhebe billig der Beglückte!

Er dicht ihm hundert Augen fürs Verdienst

Und kluge Wahl und strenge Sorgfalt an,

Nenn es Minerva, nenn es wie er will,

Er halte gnädiges Geschenk für Lohn,

Zufälligen Putz für wohlverdienten Schmuck.

TASSO.

Du brauchst nicht deutlicher zu sein. Es ist genug!

Ich blicke tief dir in das Herz und kenne[108]

Fürs ganze Leben dich. O kennte so

Dich meine Fürstin auch! Verschwende nicht

Die Pfeile deiner Augen, deiner Zunge!

Du richtest sie vergebens nach dem Kranze,

Dem unverwelklichen, auf meinem Haupt.

Sei erst so groß, mir ihn nicht zu beneiden!

Dann darfst du mir vielleicht ihn streitig machen.

Ich acht ihn heilig und das höchste Gut:

Doch zeige mir den Mann, der das erreicht,

Wornach ich strebe, zeige mir den Helden,

Von dem mir die Geschichten nur erzählten;

Den Dichter stell mir vor, der sich Homeren,

Virgilen sich vergleichen darf, ja, was

Noch mehr gesagt ist, zeige mir den Mann,

Der dreifach diesen Lohn verdiente, den

Die schöne Krone dreifach mehr als mich

Beschämte: dann sollst du mich kniend sehn

Vor jener Gottheit, die mich so begabte;

Nicht eher stünd ich auf, bis sie die Zierde

Von meinem Haupt auf seins hinüber drückte.

ANTONIO.

Bis dahin bleibst du freilich ihrer wert.

TASSO.

Man wäge mich, das will ich nicht vermeiden,

Allein Verachtung hab ich nicht verdient.

Die Krone, der mein Fürst mich würdig achtete,

Die meiner Fürstin Hand für mich gewunden,

Soll keiner mir bezweifeln noch begrinsen!

ANTONIO.

Es ziemt der hohe Ton, die rasche Glut

Nicht dir zu mir, noch dir an diesem Orte.

TASSO.

Was du dir hier erlaubst, das ziemt auch mir.

Und ist die Wahrheit wohl von hier verbannt?

Ist im Palast der freie Geist gekerkert?

Hat hier ein edler Mensch nur Druck zu dulden?

Mich dünkt hier ist die Hoheit erst an ihrem Platz.

Der Seele Hoheit! Darf sie sich der Nähe

Der Großen dieser Erde nicht erfreun?

Sie darf's und soll's. Wir nahen uns dem Fürsten

Durch Adel nur, der uns von Vätern kam;

Warum nicht durchs Gemüt, das die Natur

Nicht jedem groß verlieh, wie sie nicht jedem[109]

Die Reihe großer Ahnherrn geben konnte.

Nur Kleinheit sollte hier sich ängstlich fühlen,

Der Neid, der sich zu seiner Schande zeigt:

Wie keiner Spinne schmutziges Gewebe

An diesen Marmorwänden haften soll.

ANTONIO.

Du zeigst mir selbst mein Recht dich zu verschmähn!

Der übereilte Knabe will des Manns

Vertraun und Freundschaft mit Gewalt ertrotzen?

Unsittlich wie du bist hältst du dich gut?

TASSO.

Viel lieber was ihr euch unsittlich nennt,

Als was ich mir unedel nennen müßte.

ANTONIO.

Du bist noch jung genug, daß gute Zucht

Dich eines bessern Wegs belehren kann.

TASSO.

Nicht jung genug, vor Götzen mich zu neigen,

Und Trotz mit Trotz zu bändgen, alt genug.

ANTONIO.

Wo Lippenspiel und Saitenspiel entscheiden,

Ziehst du als Held und Sieger wohl davon.

TASSO.

Verwegen wär es meine Faust zu rühmen,

Denn sie hat nichts getan, doch ich vertrau ihr.

ANTONIO.

Du traust auf Schonung, die dich nur zu sehr

Im frechen Laufe deines Glücks verzog.

TASSO.

Daß ich erwachsen bin, das fühl ich nun!

Mit dir am wenigsten hätt ich gewünscht

Das Wagespiel der Waffen zu versuchen:

Allein du schürest Glut auf Glut, es kocht

Das innre Mark, die schmerzliche Begier

Der Rache siedet schäumend in der Brust.

Bist du der Mann der du dich rühmst, so steh mir.

ANTONIO.

Du weißt so wenig wer, als wo du bist.

TASSO.

Kein Heiligtum heißt uns den Schimpf ertragen

Du lästerst, du entweihest diesen Ort,

Nicht ich, der ich Vertraun, Verehrung, Liebe,

Das schönste Opfer, dir entgegen trug.

Dein Geist verunreint dieses Paradies

Und deine Worte diesen reinen Saal,

Nicht meines Herzens schwellendes Gefühl,

Das braust, den kleinsten Flecken nicht zu leiden.

ANTONIO.

Welch hoher Geist in einer engen Brust![110]

TASSO.

Hier ist noch Raum dem Busen Luft zu machen.

ANTONIO.

Es macht das Volk sich auch mit Worten Luft.

TASSO.

Bist du ein Edelmann wie ich, so zeig es.

ANTONIO.

Ich bin es wohl, doch weiß ich wo ich bin.

TASSO.

Komm mit herab, wo unsre Waffen gelten.

ANTONIO.

Wie du nicht fordern solltest, folg ich nicht.

TASSO.

Der Feigheit ist solch Hindernis willkommen.

ANTONIO.

Der Feige droht nur, wo er sicher ist.

TASSO.

Mit Freuden kann ich diesem Schutz entsagen.

ANTONIO.

Vergib dir nur, dem Ort vergibst du nichts.

TASSO.

Verzeihe mir der Ort daß ich es litt.


Er zieht den Degen.


Zieh oder folge! Wenn ich nicht auf ewig,

Wie ich dich hasse, dich verachten soll.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 105-111.
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