Zu den römischen Elegien

[82] 1

Mehr, als ich ahndete, schön, das Glück, es ist mir geworden:

Amor führte mich klug allen Palästen vorbei.

Ihm ist es lange bekannt, auch hab ich es selbst wohl erfahren,

Was ein goldnes Gemach hinter Tapeten verbirgt.

Nennet blind ihn und Knaben und ungezogen: ich kenne,

Kluger Amor, dich wohl, nimmer bestechlicher Gott!

Uns verführten sie nicht, die majestät'schen Fassaden,

Nicht der galante Balkon, weder das ernste Cortil.

Eilig ging es vorbei, und niedre, zierliche Pforte

Nahm den Führer zugleich, nahm den Verlangenden auf.

Alles verschafft er mir da, hilft alles und alles erhalten,

Streuet jeglichen Tag frischere Rosen mir auf.

Hab ich den Himmel nicht hier? – Was gibst du, schöne Borghese,

Nipotina, was gibst deinem Geliebten du mehr?

Tafel, Gesellschaft und Cors und Spiel und Oper und Bälle,

Amorn rauben sie nur oft die gelegenste Zeit.

Ekel bleibt mir Gezier und Putz, und hebet am Ende

Sich ein brokatener Rock nicht wie ein wollener auf?[82]

Oder will sie bequem den Freund im Busen verbergen,

Wünscht er von alle dem Schmuck nicht schon behend sie befreit?

Müssen nicht jene Juwelen und Spitzen, Polster und Fischbein

Alle zusammen herab, eh er die Liebliche fühlt?

Näher haben wir das! Schon fällt dein wollenes Kleidchen,

So wie der Freund es gelöst, faltig zum Boden hinab.

Eilig trägt er das Kind in leichter, linnener Hülle,

Wie es der Amme geziemt, scherzend aufs Lager hinan.

Ohne das seidne Gehäng und ohne gestickte Matratzen

Stehet es, zweien bequem, frei in dem weiten Gemach.

Nehme dann Jupiter mehr von seiner Juno, es lasse

Wohler sich, wenn er es kann, irgendein Sterblicher sein:

Uns ergötzen die Freuden des echten, nacketen Amors

Und des geschaukelten Betts lieblicher, knarrender Ton.


2

Zwei gefährliche Schlangen, vom Chore der Dichter gescholten,

Grausend nennt sie die Welt Jahre die Tausende schon:

Python, dich, und dich, Lernäischer Drache! Doch seid ihr

Durch die rüstige Hand tätiger Götter gefällt.

Ihr zerstöret nicht mehr mit feurigem Atem und Geifer

Herde, Wiesen und Wald, goldene Saaten nicht mehr.

Doch welch ein feindlicher Gott hat uns im Zorne die neue

Ungeheure Geburt giftigen Schlammes gesandt?

Überall schleicht er sich ein, und in den lieblichsten Gärtchen

Lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an.

Sei mir, Hesperischer Drache, gegrüßt: du zeigtest dich mutig,

Du verteidigtest kühn goldener Äpfel Besitz!

Aber dieser verteidiget nichts – und wo er sich findet

Sind die Gärten, die Frucht keiner Verteidigung wert.

Heimlich krümmet er sich im Busche, besudelt die Quellen,

Geifert, wandelt in Gift Amors belebenden Tau.

O wie glücklich warst du, Lukrez! du konntest der Liebe

Ganz entsagen und dich jeglichem Körper vertraun.[83]

Selig warst du, Properz! dir holte der Sklave die Dirnen

Vom Aventinus herab, aus dem Tarpeischen Hain

Und wenn Cynthia dich aus jenen Umarmungen schreckte,

Untreu fand sie dich zwar, aber sie fand dich gesund.

Jetzt wer hütet sich nicht, langweilige Treue zu brechen!

Wen die Liebe nicht hält, hält die Besorglichkeit auf.

Und auch da, wer weiß! gewagt ist jegliche Freude,

Nirgend legt man das Haupt ruhig dem Weib in den Schoß.

Sicher ist nicht das Ehbett mehr, nicht sicher der Ehbruch;

Gatte, Gattin und Freund: eins ist im andern verletzt.

O der goldenen Zeit, da Jupiter noch vom Olympus

Sich zu Semele bald, bald zu Callisto begab!

Ihm lag selber daran, die Schwelle des heiligen Tempels

Rein zu finden, den er liebend und mächtig betrat.

O wie hätte Juno getobt, wenn im Streite der Liebe

Gegen sie der Gemahl giftige Waffen gekehrt.

Doch wir sind nicht so ganz, wir alte Heiden, verlassen,

Immer schwebet ein Gott über der Erde noch hin,

Eilig und geschäftig, ihr kennt ihn alle, verehrt ihn,

Ihn, den Boten des Zeus, Hermes, den heilenden Gott.

Fielen des Vaters Tempel zu Grund, bezeichnen die Säulen

Paarweis kaum noch den Platz alter, verehrender Pracht,

Wird des Sohnes Tempel doch stehn, und ewige Zeiten

Wechselt der Bittende stets dort mit dem Dankenden ab.

Eins nur fleh ich im stillen, an euch, ihr Grazien, wend ich

Dieses heiße Gebet tief aus dem Busen herauf:

Schützet immer mein kleines, mein artiges Gärtchen, entfernet

Jegliches Übel von mir; reichet mir Amor die Hand,

O so gebet mir stets, sobald ich dem Schelmen vertraue,

Ohne Sorgen und Furcht, ohne Gefahr den Genuß.


3

Hier ist mein Garten bestellt, hier wart ich die Blumen der Liebe,

Wie sie die Muse gewählt, weislich in Beete verteilt.[84]

Früchtebringenden Zweig, die goldenen Früchte des Lebens,

Glücklich pflanzt ich sie an, warte mit Freuden sie nun.

Stehe du hier an der Seite, Priap! ich habe von Dieben

Nichts zu befürchten, und frei pflück und genieße, wer mag.

Nur bemerke die Heuchler, entnervte, verschämte Verbrecher;

Nahet sich einer und blinzt über den zierlichen Raum,

Ekelt an Früchten der reinen Natur, so straf ihn von hinten

Mit dem Pfahle, der dir rot von den Hüften entspringt.


4

Hinten im Winkel des Gartens, da stand ich, der letzte der Götter,

Roh gebildet, und schlimm hatte die Zeit mich verletzt.

Kürbisranken schmiegten sich auf am veralteten Stamme,

Und schon krachte das Glied unter den Lasten der Frucht.

Dürres Gereisig neben mir an, dem Winter gewidmet,

Den ich hasse, denn er schickt mir die Raben aufs Haupt,

Schändlich mich zu besudeln; der Sommer sendet die Knechte,

Die, sich entladende, frech zeigen das rohe Gesäß.

Unflat oben und unten! ich mußte fürchten, ein Unflat

Selber zu werden, ein Schwamm, faules, verlorenes Holz.

Nun durch deine Bemühung, o redlicher Künstler, gewinn ich

Unter Göttern den Platz, der mir und andern gebührt.

Wer hat Jupiters Thron, den schlechterworbnen, befestigt?

Farb und Elfenbein, Marmor und Erz und Gedicht.

Gern erblicken mich nun verständige Männer, und denken

Mag sich jeder so gern, wie es der Künstler gedacht.

Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir und nicht die Matrone,

Häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur stark.

Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute

Strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut,

Soll das Glied nicht ermüden, als bis ihr die Dutzend Figuren

Durchgenossen, wie sie künstlich Philänis erfand.
[85]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960 ff, S. 82-86.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
(Gedichte. Nachlese)
Die Leiden des jungen Werther: Reclam XL - Text und Kontext
Faust: Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust
Faust Eine Tragödie: Erster und zweiter Teil
Die Leiden des jungen Werther (insel taschenbuch)
Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation zu Goethe. Die Leiden des jungen Werther. Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon