Verschwiegenheit

[526] Wenn die Liebste zum Erwidern

Blick' auf Liebesblicke beut,

Singt ein Dichter gern in Liedern,

Wie ein solches Glück erfreut!

Aber Schweigen bringet Fülle

Reicheren Vertrauns zurück;

Leise, leise! Stille, stille!

Das ist erst das wahre Glück.


Wenn den Krieger wild Getöse,

Tromml' und Pauken, aufgeregt,

Er den Feind in aller Blöße

Schmetternd über Länder schlägt,

Nimmt er wegen Siegsverheerung

Gern den Ruhm, den lauten, an,

Wenn verheimlichte Verehrung

Seiner Wohltat wohlgetan.


Heil uns! Wir verbundne Brüder

Wissen doch, was keiner weiß;

Ja, sogar bekannte Lieder

Hüllen sich in unsern Kreis.

Niemand soll und wird es schauen,

Was einander wir vertraut:

Denn auf Schweigen und Vertrauen

Ist der Tempel aufgebaut.
[526]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 526-527.
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