Zur Logenfeier

des 3. Septembers 1825

[529] Einleitung


Einmal nur in unserm Leben,

Was auch sonst begegnen mag,

Ist das höchste Glück gegeben,

Einmal feiert solchen Tag!


Einen Tag, der froh erglänzend

Bunten Schmucks der Nacht entsteigt,

Sich gesellig nun begrenzend

Segensvoll zum Berge neigt.


Darum öffnet eure Pforten,

Laßt Vertrauteste herein;

Heute soll an allen Orten

Liebe nah der Liebe sein!


Zwischengesang


Laßt fahren hin das allzu Flüchtige!

Ihr sucht bei ihm vergebens Rat;

In dem Vergangnen lebt das Tüchtige,

Verewigt sich in schöner Tat.


Und so gewinnt sich das Lebendige

Durch Folg aus Folge neue Kraft,
[529]

Denn die Gesinnung, die beständige,

Sie macht allein den Menschen dauerhaft.


So löst sich jene große Frage

Nach unserm zweiten Vaterland;

Denn das Beständige der ird'schen Tage

Verbürgt uns ewigen Bestand.


Schlußgesang


Nun auf und laßt verlauten,

Ihr brüderlich Vertrauten!

Wie ihr geheim verehret,

Nach außen sei's gekehret!

Nicht mehr in Sälen

Verhalle der Sang.


Und jubelnd übermaßen

Durchziehet neue Straßen!

Wo wir ins Leere schauten,

Erscheinen edle Bauten

Und Kranz an Kränzen

Die Reihen entlang.


So äußeres Gebäude

Verkündet innre Freude;

Der Schule Raum erheitert,

Zu lichtem Saal erweitert;

Die Kinder scheuen

Nicht Moder noch Zwang.


Nun in die luft'gen Räume!

Wer pflanzte diese Bäume,

Ihr kinderfrohen Gatten?

Er pflegte diese Schatten,[530]

Und Wälder umgrünen

Die Hügel entlang.


Die Plage zu vergessen,

Das Gute zu ermessen,

So aufgeregt als treulich,

So treusam wie erfreulich

Stimmet zusammen

In herzlichem Sang!


Wie viel er ausgespendet,

Auch weit und breit vollendet,

Die Unzahl sich verbündet,

Unsäglich Glück gegründet,

Das wiederholet

Das Leben entlang.[531]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 529-533.
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