Wanderlied

[521] Von dem Berge zu den Hügeln,

Niederab das Tal entlang,

Da erklingt es wie von Flügeln,

Da bewegt sich's wie Gesang;

Und dem unbedingten Triebe

Folget Freude, folget Rat;

Und dein Streben, sei's in Liebe,

Und dein Leben sei die Tat!


Denn die Bande sind zerrissen,

Das Vertrauen ist verletzt;

Kann ich sagen, kann ich wissen,

Welchem Zufall ausgesetzt

Ich nun scheiden, ich nun wandern,

Wie die Witwe, trauervoll,

Statt dem einen, mit dem andern

Fort und fort mich wenden soll!


Bleibe nicht am Boden heften,

Frisch gewagt und frisch hinaus!

Kopf und Arm mit heitern Kräften,

Überall sind sie zu Haus;

Wo wir uns der Sonne freuen,

Sind wir jede Sorge los;

Daß wir uns in ihr zerstreuen,

Darum ist die Welt so groß.
[521]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 521-523.
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