1786

54.*


1786, Mai (?).


Mit Friedrich August Wolf

Den Verfasser überraschte... dies Ölgemälde [von Franck], das den alternden Dichter ihm fast in derselben Gestalt wieder darstellte, wie er ihn seit dem Frühjahre von 1786 außer sich nicht gesehen hatte. In jenem Jahre war es, wo der Verfasser, selbst im siebenundzwanzigsten Jahre, ihn, der in der schönsten männlichen Kraft strahlte, zu Jena kennen lernte auf der Büttnerschen Bibliothek, wo sich bald ein langes Gespräch über die Ausstellung der unlängst angekommenen Bücher und über Bücherwesen und Unwesen überhaupt anknüpfte, ein Gespräch, woraus ihm noch manche geistvolle Ansichten gegenwärtig blieben bis auf die neueste Zeit, wo er die Jenaischen und Weimarschen Bibliotheken nach gleichen Grundsätzen geordnet und gewissermaßen vereinigt sah.[77]


1447.*


1786, nach Mitte Juni.


Mit Prinz August von Sachsen-Gotha u.a.

Wir haben in Schnepfenthal und Reinhardsbrunn einen recht schönen, heitern und fröhlichen Tag zugebracht. Nach der Tafel las er [Goethe] uns auf einem steinernen Tische, der vermuthlich noch von den guten Reinhardsbrunnischen Benedictinern herrühret, zwar keine Epistel Pauli an die Römer oder Galater, aber doch eine Epistel V. Cl. Weikhardi ad V. Cl. Zimmermannum homiletisch vor, die nicht leicht eine andere an feinem attischen Salze und an römischer Urbanität übertreffen wird. An eben den Orten, wo vormals die dicken Mönche aus natürlichem Hange zur Naturkenntniß den Fungum apocalypticam hypostaticum gesucht hatten, fanden wir den Fungum iambicum trimetrum catalecticum hendecasyllabum (der vom Fungo alcaico iambico .... wohl zu unterscheiden ist) zu unserem unaussprechlichen Vergnügen und Erstaunen und dankten den Göttern und Göttinnen, daß sie für uns diese Schwämme zu fernerer Verehrung ihrer Weisheit vor unsern Füßen hatten aufwachsen lassen.[248]


55.*


1786, 27. Juni.


Mit Johann Justin Bertuch

Ich war am Dienstage bei Goethe und sprach mit ihm über seine Erklärung. »Sie haben die Schraube sehr scharf angezogen,« sagte ich ihm; »Göschen wird zucken, indessen wir wollen sehen, was er darauf sagt; einige Milderung werden Sie ihm auf alle Fälle accordiren müssen.« – »Es ist wahr,« sagte er, »ich habe meine Forderung etwas gesteigert, meine gedruckten und ungedruckten Werke in Eine Brühe geworfen und eine Summe überhaupt gefordert, 1) weil ihm beide wegen der neuen Bearbeitung gleich und so gut wie ganz neu sind; 2) um uns nicht wegen der diversen Bogenberechnung zu geniren; 3) weil ich, da Göschen nicht changirt, sondern bloß coulant handelt, auf eine 2. Auflage so gut als nicht rechne und also alles, was ich hoffen kann, von dieser erwarten muß. Hingegen will ich ihn wegen der Stärke der Auflage gar nicht einschränken und für die gute Auflage in gr. 8ve auch nichts verlangen, auch die Subscription auf alle Art durch meine Freunde unterstützen helfen etc.« Dies war ohngefähr seine Meinung und ich merke, daß er von den 2000 Thalern wohl nicht abgehen wird, allein eine Milderung auf 1 1/2 Ldr. pr. Bogen einer zweiten Auflage und der 80 Freiexemplare vielleicht auf 40,[78] näml. 25 ordin. und 15 in gr. 8ve wird er sich gewiß gefallen lassen. – Da er nun kommende Woche ins Karlsbad geht und doch noch gern die Ankündigung entworfen sehen wollte, so setzte er mir gestern den verabredeten Briefextract dazu auf, und ich habe sie, insoweit als ich sie ohne Ihren Calcul machen konnte, entworfen.. Hier ist sie. Er hat sie gelesen und ist damit zufrieden. Gehen Sie sie nun auch genau durch, füllen Sie die Preise aus, (wenn Sie zuvor die Verlagskosten genau berechnet haben) und fügen Sie noch hinzu, was Sie theils wegen der guten Edition, theils sonst noch überhaupt für nöthig finden. Schicken Sie mir sie dann auf den Montag zurück und melden mir, wie viel tausend ich davon soll drucken lassen. Ich rechne, daß sie 2 Octavblätter Median mit Petit giebt und dächte, 20000 wären nicht zu viel, weil wir sie durchaus bei etl. der gangbaren Zeitungen, sowohl gelehrte als politische, mit beischlagen lassen müssen. Goethe allein will 1000 Stück ins Karlsbad zum Vertheilen haben.[79]


56.*


1786, 24. Juli.


Mit Siegismund Gottfried Dietmar

Als ich – noch Candidat – im Jahre 1786 vom Hofrath Wieland dem damaligen Herzog Carl August im Stern – so heißt ein Theil des herzoglichen[79] Gartens – vorgestellt wurde, sah ich unter den ihn umgebenden Gelehrten auch Goethe. Er unterhielt sich eben mit einem Offizier und ich hatte nicht Gelegenheit, mich ihm zu nähern.

Nach meiner Rückkunft von Schnepfenthal stattete ich, an demselben Orte im erwähnten Garten, den Bericht über das Erziehungsinstitut dem Herzog von Weimar ab, wie er es verlangt hatte, und beim Abtreten äußerte ich mein Bedauern gegen Musäus, den berühmten Goethe nicht gesprochen zu haben.

»Das können Sie noch verbessern,« meinte Musäus. »Wenn Sie jetzt Nachmittags gegen sechs Uhr zu ihm gehen, will ich Sie begleiten.« Dieses Anerbieten nahm ich dankend an. »Melden Sie sich nur als der Studiosus, den er im Stern, vor acht Tagen, zuerst auf der Linde1 gesehen hätte, dann nimmt er Sie gewiß an. Wir haben Ihre damalige Standeserhöhung herzlich belacht.« Unter der von Musäus angerathenen Adresse ließ ich mich bei Goethe anmelden. »Sie kommen von Ihrer Schnepfenthaler Reise zurück?« fragte mich der damals noch in der Blüthe seines männlichen Alters stehende Goethe (er war erst siebenunddreißig Jahr alt). »Haben Sie Ihre Wißbegierde befriedigt?« – Ich erzählte ihm alles, was mich von dem Salzmannschen Erziehungs-Institut interessirt hatte. Mein Vorschlag, den ich dem Professor Salzmann gethan,[80] die Naturgeschichte den Kindern in den Abendstunden mittels einer Laterna magica zu lehren, gefiel ihm besonders. »Er hat einen Bruder in Erfurt,« erwähnte Goethe, »der ein geschickter Thiermaler ist, der ihm die unvernünftige Welt zu diesem Behuf auf Glasmalen könnte. So wahr und gut es wäre,« fuhr Goethe fort, »den Kindern frühzeitig Geographie zu lehren, so bin ich doch der Meinung, daß man mit den nächsten Umgebungen der bilbenden Natur zuerst anfangen müßte. Alles, was auf ihre Augen und Ohren Eindruck macht, erregt ihre Aufmerksamkeit. Sonne, Mond und Sterne, Feuer, Wasser, Schnee, Eis, Wasser, Gewitter, Thiere, Pflanzen und Steine sind die besonders wirksamsten Eindrücke auf das kindliche Gemüth. Kinder haben Mühe, die von Menschen gebildeten Formen von den natürlichen Gestalten zu unterscheiden, und es wäre nicht zu verwundern, wenn sie den Vater fragen: wie machst du die Bäume?«

»Haben Sie auch die Merkwürdigkeiten in Erfurt beachtet?« fragte Goethe. – »Ich war im Dom, in welchem man mich auf das Gewölbe des Chors aufmerksam machte, das auf keinem Pfeiler ruht, und auf ein schlechtes Gemälde, den großen Christoph in kolossaler Größe vorstellend. Auf dem Glockenthurme nahm ich noch die große Glocke in Augenschein, die 275 Centner schwer sein soll, und im Jahre 1497 von Gerhard de Campis gegossen ist.« – »Sie brummt einen tiefen, ernsten Baß,« meinte Goethe, »und läßt[81] sich nur an hohen Festtagen hören. Die Kirche ist alt und zur Zeit des Bonifacius erbaut. Die kleinen Glocken sind, wie ich gehört habe, fast zweihundert Jahr älter. Nichts von Luther?« »Ich habe den kleinen Hügel Steiger besucht, auf welchem Luther's Jugendfreund, Alexis, an seiner Seite vom Blitz getödtet ward.«

»Dieser Blitz hat in Deutschland ein großes Licht verbreitet, indem er den jungen Luther, der die Rechte studiren wollte, ins Kloster trieb, und dann zur Erkenntniß eines Funkens der Wahrheit brachte. Sahen Sie seine Zelle, die er in Erfurt bewohnte?«

»Ich habe mich in dem beschränkten Raum umgesehen und von der weißen Bretterwand mir Luthers Lebensgeschichte, mit rothen Buchstaben geschrieben, copirt. Auf einer runden Tafel über der Thür stand die lateinische Inschrift:


Cellula

divino magnoque habitata Luthero, salve etc.«


»Ich kenne sie. Die Augustiner Kirche, in welcher der Mönch Luther gepredigt hat, ist seit Kurzem renovirt worden.«

»Haben Sie auch Lavater gesehen in Gotha?« –

»Ich habe ihn gesprochen.« – »Er ist kein großer Freund von mir. Es ist lächerlich, wie er über mich denkt. Er hat dem Versucher Christi in der Wüste, wie man sagt, im Kupferstiche meine Physiognomie geben lassen. Das gehört zu seinen Phantasieen, die ihn oft zu übertriebenen Vorstellungen verleiten. Unser[82] Musäus hat ihn ziemlich gut beleuchtet. – Was haben Sie von meinen Schriften gelesen?« – »Werther's Leiden.« – »Welchen Eindruck machte seine Leidenschaftsgeschichte auf Sie?« – »Ich fand seine Empfindungen für Lotte so rein menschlich, daß ich ihm Alles verzeihen konnte, was er fühlte, sprach und that.« – »Haben Sie auch geliebt?« – »Ich kann es nicht leugnen. In einem Alter von einundzwanzig Jahren kam ich in die Nähe einer schönen Wittwe für die sich alle Gefühle in mir regten, – aber Verhältnisse hinderten mich, in jeder Rücksicht ihr meine Zuneigung zu gestehen. Ich verehrte Sie, und nur in ihrer Gegenwart befand ich mich wohl; aber ich sah die Unmöglichkeit ihr die Unruhe meines Herzens zu offenbaren.« »War sie schön?« – »So fand ich sie, und man sagte mir, daß sie in ihrem unverheiratheten Stande das schönste Mädchen in der ganzen Umgebung gewesen wäre.«

– »Wissen Sie wohl, daß das Herz Geheimnisse hat, wovon der Verstand nichts weiß?« – »Das habe ich schon öfters eingesehen, aber nicht mit Worten auszudrücken verstanden.«

»Wissen Sie: le paradis est pour les ames tendres, et condamnés sont ceux qui n'aiment rien.«

»Davon bin ich überzeugt, aber so glücklich die Liebe macht, so viel Leiden und Schmerzen führt sie auch mit sich. Ich habe die schöne Stelle memorirt, welche mir in Ihrem ›Werther‹ gefiel.«

[83] »Und welche war es?«

»Wer hebt den ersten Stein gegen das Mädchen, das in einer wonnevollen Stunde sich in den unaufhaltsamen Freuden der Liebe verliert? Unsere Gesetze selbst, diese kaltblütigen Pedanten, lassen sich rühren, und halten ihre Strafe zurück.«

»Die ganze Theorie des Anstandes läßt sich auf den unsichern Grund des Vorurtheils zurückführen. Es giebt allerdings Situationen des Lebens, in welchen das Herz beredt und der Mund verschwiegen ist. Ja das erstere ist sogar in Furcht, seine kleinen, aber heftigen Bewegungen zu verrathen, und, um nicht in Gefahr zu kommen, wählt das furchtsame Herz die Verschwiegenheit, oder sucht die Unterhaltung auf gleichgiltige, fremde Dinge zu leiten.«

»Ich habe mich noch nie,« sagte Goethe, »mit einem jungen Manne, der eben die Universität verlassen, so ernsthaft unterhalten.«

»Verzeihen Sie, ich bin schon siebenundzwanzig Jahr alt, und spät auf Universitäten nach Halle gegangen.«

»Oft quälen mich Durchreisende mit langweiligen Besuchen, und da ich mich jetzt mit Osteologie beschäftige,« fuhr Goethe fort, »so lege ich ihnen zuweilen meine vorhandenen Knochen vor, das erregt den Besuchenden Langeweile – und sie empfehlen sich. – Ich habe diese Vorlage bei Ihnen vergessen.«


1 Dietmar hatte sich anfangs verborgen, um ungesehen den Herzog und seine Umgebung betrachten zu können.[84]


57.*


1786 Ende oder 1787 Anfang.


Mit Adalbert Gyrowetz

Einstweilen blieb Goethe für einige Zeit in Rom und es bot sich dem Gyrowetz die erwünschte Gelegenheit dar, dessen nähere Bekanntschaft zu machen. So geschah es, daß Gyrowetz in Goethes Gesellschaft die Merkwürdigkeiten und Alterthümer Roms besah, manche alte Ruine selbst mit Gefahr bestieg und auf diese Art die meiste Zeit in Durchschauung und Durchkriechung verfallener Denkmäler und in Bewunderung so mancher künstlerischer Schätze zubrachte. Die Bäder des Caracalla wurden durchsucht, wo man auf lauter Mosaikbruchstücken herumwandelt und noch die Säle zu sehen sind, worin die Gladiatoren ihre Spiele übten. Auch fand man unter diesen Ruinen zuweilen einige Bruchstücke von alten musikalischen Instrumenten, welches dann Gelegenheit gab, über alte und neue Musik und deren Ausübung und Zustand manches zu sprechen und zu bemerken, worin auch Goethe bewies, daß er einen richtigen Begriff von gründlicher und wohlgeordneter Musik besaß und nicht mit denen gleicher Meinung war, welche jede Musik, geordnet oder ungeordnet, für classisch halten, wenn selbe durch bizarre, ungeregelte Ideen, durch Getöse und Lärm, oder durch verwirrte Modulationen dem Ohre fremd klingt, und so etwas[85] in der Musik für neu halten, weil es eben durch seine Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit ihrem Ohre als ungewöhnlich erscheint, und womit sich manche selbst verständig scheinende Musiker gröblich täuschen lassen.[86]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 1, S. 78-87.
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