120.*
1795, Anfang (?).
Er [Goethe] hat hier [in Jena] einem Menschen selbst gestanden, daß er nicht mehr fähig wäre, sich seiner ersten Jugendeindrücke so lebhaft zu erinnern,[168] als er es im Wilhelm gethan hat; denn die Lebhaftigkeit des Gedächtnisses, mit welcher er den »Meister« vor fünfzehn Jahren entworfen habe, sei ihm nun bei der Ausfeilung ganz fremd geworden.[169]
121.*
1795, 11. – 23. Januar (?).
Goethe nennt dieses vierte Stück [der »Horen«] den Centaur, weil seine Elegien einen seltsamen Contrast mit meiner Philosophie machen werden.[169]
1456.*
1795, Frühjahr (?).
»Die zwei scheinbarsten Widersprüche ließen sich a) aus dem Glauben ableiten, daß Homer sich der Errungenschaft und des Eigenthums vieler Sänger vor ihm bemächtigt und so auf dieser Basis solche Epopöen erbaut hätte, wie wir sie noch haben; dann fiele die[263] psychologische Unmöglichkeit doch ganz weg: aus so vielen und so oft schon bearbeiteten Sujets ließe sich ja wohl noch eine Ilias und Odyssee von einem Homer zusammensetzen; b) aus der Tradition, daß die schon geordneten und von Homer in wahren Zusammenhang gestellten Rhapsodien durch die Ungeschicklichkeit der späteren Rhapsodien auseinandergerissen und erst von Solon wieder zusammengefügt worden wären. Viel von Wolf's Behauptung würde auch bei dieser Hypothese sehr wohl bestehen können.
Den meisten Beifall hat sich Wolf von den neuern Theologen zu versprechen, die kein geringes Triumphlied darüber anstimmen werden, daß nun auch dieser heidnische Moses entthront ist.
Ich als Dichter habe ein ganz anderes Interesse, als das der Kritiker hat. Mein Beruf ist zusammenfügen, verbinden, ungleichartige Theile in ein Ganzes zu vereinigen; des Kritikers Beruf ist, aufzulösen, trennen, das gleichartigste Ganze in Theile zu zerlegen. Als Dichter habe ich also eine unübersteigliche Scheidewand zwischen mir und dem heillosen Beginnen des Kritikers gezogen; aber ich kann nun doch des Kritikers in hundert Fällen nicht entbehren. Ich lese meinen Homer mit Bewunderung, stoße aber aufeinmal auf Scenen und einzelne Stellen, die allen Eindruck stören und mich auf's Unangenehmste situiren. Hier weiß ich dem Kritiker unendlichen Dank, wenn er mir sagt: ja, gerade diese Stelle ist unächt.
[264] Wolf würde, wenn er nicht öffentlicher Lehrer wäre, diese Idee schwerlich so fein ausgesponnen haben. Der Drang und die Begeisterung öffentlicher Mittheilung bewirken Wunder!
Wenn nach Wolf's Andeutung die Odyssee hundert Jahre später und unter einem ganz andern Himmel, als der Ionische, gesungen ist, so dürfte man wohl auf Sicilien rathen.
Wolf's unbegränzte Mittheilungsfertigkeit und Bereitwilligkeit steht mit seiner Belesenheit und Wissenschaft im vollkommensten Ebenmaß.«[265]
1455.*
1795, 28. Mai.
Bei Goethe. Zuerst über Lessing. Er war bloß zum Literator geboren, aber ein sehr schlechter Bibliothekar. Plan, nur bis 1740 bei der Wolfenbütteler Bibliothek complett zu sein. Große Unordnung. Seine eignen Schriften auf der Bibliothek zerschnitt er, um sie abdrucken zu lassen. Seine Neigung zur Orthodoxie[255] empfing er in Berlin, wo er weder Spalding noch die andern Aufklärer ausstehen konnte. Langer, sein Nachfolger, wohnte den vornehmsten Auctionen auf seinen Reisen bei und erstand überall kostbare Bücher, die er aber so lange stehn ließ, bis er in Wolfenbüttel sedem fixam bekam, wo er alles zusammen kommen ließ. Er arbeitete sehr gründliche Recensionen in der »Allgemeinen Deutschen Bibliothek«; so hat er unter andern des Erlanger Beyer Versuch über den Theokrit sehr scharf recensirt.
Wir besahen Goethes Gemmensammlung. Bemerkung über eine Stelle im Bion, die ich [Böttiger] nirgends finde. »Bei den alten Theatern,« sagt Goethe, »war weit mehr etikettenmäßige Convention, als bei den unsrigen, da wir das, was der inneren Energie an Überredungskunst abgeht, durch...1 der Äußerlichkeiten und Scenerie zu ersetzen suchen. Die Alten hatten in ihren Masken, Decorationen, Maschinen und Theaterkostum unendlich mehr, was durch allgemein angenommene Convention niemand mehr beleidigte, uns aber unendlich lächerlich vorkommen würde, eine reiche Fundgrube für die Parodie und Travestirung der Komiker. So bin ich überzeugt, daß das Theater gleichsam in gewisse Regionen getheilt gewesen sein muß, und daß die Lustregion, in der die obere Maschinerie, die dii ex machina (Volken, Vögel u.s.w. im Aristophones) schwebten, und die Wasser- und[256] Orcusregion übereinander rangirten, ohngefähr so, wie in den Gemälden und Reliefs des Alterthums eine Reihe Figuren auf den Köpfen der untern Reihe steht. Dies war unwandelbar und stets vor den Augen der Zuschauer, auch dann, wenn im ganzen Stück das Bedürfniß der einen Region nicht ein einziges Mal eintrat. Etwas anders war es mit den exostris und ekkyklêsesi des Innern des Hauses und der Veränderung gewisser Gassen, wie dies auch Palladio beim Theater zu Vicenza sehr artig angebracht hat. Diese stehenden Decorationen machen es auch allein begreiflich, wie mehrere, oft acht Stücke, in einem Tage gleich nach einander ohne Störung und Embarras aufgeführt wer den konnten.« Wolf bemerkte hierbei, daß er vollkommen überzeugt sei, daß mehrere Tetralogien gleich nacheinander aufgeführt worden wären, nur daß die Stelle in Aristoteles Poetik, wo von hundert Stücken die Rede sei, zu unglaublich sei, um nicht den Verdacht einer Verfälschung gegen sich zu erregen.
Hierauf erzählte Goethe, wie die Advocaten in den großen Sälen des Gerichtshofes von Venedig ihre Sachen plaidiren. Den Richtern gegenüber, sodaß die Sachwalter im Rücken sind, sitzt ein Segretario, der Stunden- oder Halbestundensanduhren vor sich stehen hat und diese während der Advocat spricht, auslaufen läßt. Der Advocat läßt oft Instrumente, Zeugnisse, Gesetze vorlesen, das durch einen besondern Schreiber geschieht. So lange dies dauert, wird das Stundenglas[257] umgelegt, weil dies Ablesen nicht zugerechnet wird. Der Advocat, dem alles daran liegen muß, zu seinem Vortheil Zeit zu erobern, spricht oft nur einpaar Worte drein, als: »Hört! Bemerkt vorzüglich dies Zeugniß!« Augenblicklich stellt der Secretär wieder das Stundenglas, welches oft sehr schnelle Vibrationen veranlaßt. Der Gegner hat ebenso viel Zeit zugemessen. Es plaidiren in wichtigen Sachen gewöhnlich zwei Advocaten für den Kläger und zwei für den Angeklagten. Die ersten reden mehr statarisch und gemäßigt und haben nur die ruhige Auseinandersetzung der Thatsachen, die zwei letzten aber wirken auf die Leidenschaften und wenden alle Redekünste an. Hier entstehen auch wirkliche concertationes und altercationes, indem der Gegner den Redenden oft ins Wort fällt, der Redende aber über diese Unterbrechungen laute Klage führt. Der Fall, den Goethe plaidiren hörte, betraf die Abläugnung eines Fideicommisses von 6000 Scudi, wo die Procuratoren der pia causa die Kläger waren. Da bediente sich der Redner für den Beklagten aller Kniffe, um das Mitleid der Richter zu bewegen. Der Beklagte war ein alter Siebzigjähriger Mann. »Bedenkt!« sagte sein Sachwalter, »daß es hier nicht eigentlich auf die Summe von 6000 Scudi, sondern auf Ehre und bürgerliche Existenz [eines] Bürgers abgesehen ist, und daß der so viele Jahre lang gesparte und vermehrte Schatz von Bürgertugend durch euer Verdammungsurtheil aufeinmal verloren gehen würde.«[258] Beide Parteien, für welche die Redner sprechen, sitzen einander gegenüber und sind gegenwärtig. Sie beobachten nicht allein die größte Demuth mit niedergeschlagenen Augen und gesenktem Haupte, sondern der Beklagte ist auch wirklich nach seinem Anzuge in luctu et squalore. Die Documente und Instrumente, worauf es auf beiden Seiten ankommt, und die von dem Schreiber abgelesen werden, sind schon gedruckt und die Richter haben sie in den Händen; nach beendigter Ballotage der Richter können sie auch die umstehenden Zuhörer zu kaufen kriegen, vorher aber nicht. Goethe hatte die in groß Quart sehr splendid gedruckten Documente beider Parteien in zwei Cahiers bei dem erwähnten Handel gekauft und zeigte sie uns noch vor. Auch hatte er den einen Advocaten im größten Affect des Haranguirens auf's Papier gezeichnet und wies ihn der Gesellschaft vor. Er macht mit vorliegendem Körper mit der rechten Hand einen besondern Gestus, [durch Aufsetzen der Spitze des Zeigefingers auf die Spitze des ausgestreckten Daumens] welcher eigentlich das Wiegen mit der Waage, oder das Senken der Sonde anzeigt und eine besondere Genauigkeit ausdrückt (pensitato rem agitare). Die ganze Zahl der Richter theilt sich in quarantario's, öfter nach zwanzig, sechzehn, ja nur Dekaden, die zusammen in verschiedenen Theilen des ungeheuren Saales (also wie in den basilicis zu Rom die judicia centumviralia) zu gleicher Zeit Processe abhören. Die corona populi[259] steht gierig horchend herum und ermüdet mehrere Stunden nicht. Neben Goethe stand ein Knabe von zehn Jahren, der vier Stunden lang mit nimmersatter Spannung alles auffing. Die Redner haben eigentlich kleine Kanzeln oder suggestes, in welchen sie sprechen sollten; aber sie stellen sich gewöhnlich davor und haranguiren mit ganz freistehendem Körper. Wolf bemerkte, daß sich zu dieser Sitte alle Belege theils aus den Römern, theils aus den Griechen finden ließen. Die neuern Reisebeschreiber erzählen fast gar nichts davon; einige unvollständige Winke giebt Mayer in seinen »Darstellungen aus Italien«.
Bei der Betrachtung einiger altsicilischen Münzen von vorzüglich schöner Arbeit wurde die Hypothese sehr wahrscheinlich gefunden, daß die Griechen in Sicilien ihre eigene selbstwachsene Kunst und Literatur lange vor den Athenern und Pisistratiden gehabt hätten.
Über Declamation des Hexameters nach der Quantität und dem Accent. Wenn ihn Voß feierlich liest, so ist es wahrer Gesang und Intonation. Die Sylbe, wo der Accent steht, wird etwas gehoben und geschärft, z.B. hómmi, homínibus, etwa wie die Engländer den Consonanten in der Aussprache verdoppeln, der den Accent hat. Aber der Accent giebt auch eine gewisse Erhöhung des Tons, der ganz verschieden von der Länge und Kürze der Sylbe ist. Jeder Hexameter hat 24, also jeder pes 4 Zeiten, von welchen in den alten Scholien oft die Rede ist.
[260] Es wurde ein Versuch mit dem Anfang der Ilias gemacht. Gleich das erste Wort mênin gab zu der Bemerkung Gelegenheit, daß man hier eigentlich meenin aussprechen müsse; denn das ê sei doch nur ein doppeltes ee und sei auch, sowie alle Diphthongen der Griechen, getrennt, schnell ausgesprochen worden. Daraus sei auch aus allen langen Vocalen der Circumflex zu erklären, der eigentlich nichts, als ein acutus und gravis – ´` – sei, aus welchen später die sonderbare geschlängelte Form entsprang. Man müsse sich also mênin so geschrieben und accentuirt vorstellen: meenin. Die Griechen haben eigentlich nur Einen Accent, den accutus; der gravis zeigt bloß absentiam accuti und der Circumflex den accutus neben dem gravis an. – Die Ungarn haben in ihrer Sprache das Meiste von dem, was die Alten Accent nannten. Sie begriffen auch in Wolf's Vorlesungen alles sogleich, da die übrigen Zuhörer große Mühe hatten. So sprach ein Ungar Wolfen um den Chestérfield an, und als ihn Wolf tadelte, bewies er, daß er recht gesprochen habe. Auch die Lateiner accentuirten so gut, als die Griechen, nur daß sie die Accente nicht schrieben. Wolf recitirte zugleich den ersten Vers der Eclogen [Vergil's] und zeigte, wie ihn die Römer ausgesprochen haben müßten:
Tityre ty patylai rekybans syb tegmine phagei
Es sei allerdings möglich, die alte Aussprache der Römer ganz aufzufinden und wieder herzustellen, aber ihren lebendigen Ton hätte man darum nicht.[261]
Wolf erklärte sich sehr lebhaft gegen Wieland's Verdeutschung des ph in f. F war ein barbarischer, den Griechen ganz unbehülflicher und unaussprechlicher Buchstabe, daher Cicero einmal gegen einen Graeculus das Argument braucht: er könne nicht einmal den Namen Fundanius aussprechen. Die eigentliche Aussprache der Griechen sei p-h, Phi. gewesen. Wieland horchte hierbei sehr auf.
Die unnachahmliche Naivität des Magister Hederich in seinem Mythologischen Lexicon: die Töchter des Asklepios.
Goethe läßt auf einem Friese eines seiner Zimmer die Metamorphose der Tyrrhener in Delphine aus der Laterne des Demosthenes zu Athen abcopiren. Sonderbare Behandlung dieses Sujets aus diesem Kunstwerke nach einem ältern mythos – Eine kleinere Bronze, ein Priap ohne Hoden, vielleicht ein Archigallus, obgleich mit einem Barte, das vielleicht klimatisch zu erklären sein dürfte.
Wärmezusammenfassende Kraft der wollenen Kleidung, erkältende der Leinewand. Vorzug des Alterthums in Kleidung und accubitus.
Die Reime sind barbarischer Abkunft. »Nur ein Wieland,« sagte Goethe, »sollte reimen.« »Gleim thut's ohne Freibrief,« sagt Wieland. Der Reim paßt eigentlich nur für kürzere canzoni; sobald er zu den Stanzengedichten in Ariost, Tasso u.s.w. übergeht, verirrt er aus den Jamben in Anapästen, als:[262] armî pîêtôse [in La Gerusalemme liberata]. Wer mag ihn eingeführt haben?
Als Goethe von Palermo nach Girgenti reiste, sah er vom Wirthshause, wo er Mittags hielt, mehrere reisende Sicilianer die Distelköpfe, die in unzähliger Menge auf einer verwilderten Wiese emporragten und eben noch im Schossen und Aufblühen waren, abhauen, schälen und essen. Er probirte es nun selbst und fand die so geschälte Sprosse zart und süßlich, sodaß sie nach unserer Salatzurichtung dem Spargel sehr ähnlich gewesen wäre. Der Vetturino raufte Puffbohnen und vertheilte sie als große Delicatesse; er selbst verzehrte einen rohen Kohlrabi, wie wir einen Apfel verzehren würden.
Über Träume. Wolf erinnert sich nie, geträumt zu haben, auch kann er schlafen, wann und wie lange er will. Den traumlosen Schlaf erklärt auch Goethe für den erquickendsten. Goethe erzählt einen sehr scharfsinnigen, philosophischen Traum, den er in verflossener Nacht gehabt habe.
1 Unleserlich. Liest sich wie: »Schonung«, das aber keinen Sinn giebt.[263]
122.*
1795, Ende Mai.
Deine [Körner's] Ergießungen über »Meister« habe ich Goethe, der wieder hier ist, vorgelesen und ihm Freude darüber gemacht. Auf die Komödie will er aber nicht entriren; denn er meint, daß wir kein gesellschaftliches Leben hätten.
Er hat bei der Revision seines Manuscripts für die Fortsetzung des »W. Meisters« eine interessante Materie über den Unterschied zwischen Roman und Drama unter die Feder bekommen, worin mir die[169] Hauptidee sehr gefällt. Der Roman, sagt er, fordert Gesinnungen und Begebenheiten, das Drama Charakter und That. Im Roman darf der Zufall mithandeln, aber der Mensch muß dem Zufall eine Form zu geben suchen. Im Drama muß das Schicksal herrschen und dem Menschen widerstreben u.s.f. Die Ausführung dieser Ideen, wovon er mir ausführlicher gesprochen, giebt ihnen sehr viel Wahres.[170]
1603.*
1795, Anfang Juni.
Gegen Mittag kam Goethe zu mir und bedauerte sehr, Sie nicht mehr zu finden. Er ist Ihnen [F. A. Wolf] äußerst gut geworden und trägt mir viele herzliche Empfehlungen an Sie auf. Die Prolegomena beschäftigen ihn sehr ernstlich, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie zufrieden er damit ist. Zwar ist er noch weit entfernt, sich überhaupt für eine Meinung entschieden zu haben; Sie kennen seine weise Bedachtsamkeit. Allein die Methode und der Gang der Untersuchung machen ihm vorzügliche Freude, und er hat mir namentlich gesagt, daß in dieser Rücksicht schon jede Seite lehrreich sei.
– – – – – – – – – – – – –
Außer einigem an meinen metris ist seit Ihrer Abwesenheit nicht viel bei mir geschehen. Indeß ist doch die Anzeige Ihrer Odyssee fertig, und Sie müssen nicht schelten, wenn ich sie beilege ..... Der letzte Grund, warum ich schicke, ist, daß es doch, wie Goethe immer sagt, hübsch ist, auch Kleinigkeiten gemeinschaftlich zu machen.[23]
123.*
1795, 2. Juni.
Die »Claudine« ist bis auf das... äußerst gute Orchester und bis auf die Gruppirungen äußerst miserabel gelungen und gespielt worden. Der Rugantino singt wie ich [Veit] und spielt vollkommen die Rolle wie ein lüderlicher Barbiergeselle. Goethe hat das Stück in Prosa gesetzt und verkürzt; dabei ist aber gar nichts Merkwürdiges. Die Stelle »Wer dichtet nicht, dem diese Sonne« u.s.w. ist geblieben und unser Rugantino hat sie mit einer Art von dummem Hohngelächter mit Spaß vermischt hergeplärrt. Auf Goethes Frage an Latrobe: »Nun, wie hat es Ihnen denn gefallen?« und Latrobe's Antwort: »Ihr Orchester ist äußerst brav«, erwiederte Goethe: »Ja, sehen Sie! es ist gewiß im Einzelnen recht schlecht gegangen; – denn[170] niemand war in der Rolle – indessen geben sie uns doch hier das Äußerste, was sie haben, und wenn man das sieht, hat man immer Vergnügen. Ganz verhunzen können sie es nicht und mich hat der fünfte Act überrascht; ich habe gar nicht geglaubt, daß er so viel Zusammenhang und so viel Theatralisches hat, und Benda... singt doch wenigstens.«[171]
1604.*
1795, Ende Juni.
Dieser [Goethe] empfing ihn mit jener sonnenhellen Milde und Fülle, womit die Götter ihren Liebling. als der auszeichnenden Eigenthümlichkeit, begabt zu haben scheinen. Ihr Gespräch kam auf das wahrhaftige Leben von Individuen, so in poetischer als historischer Darstellung, und zum ersten Mal sprach Woltmann darüber aus ganz freier Brust und so, daß ihm dieses tiefste Geheimniß aller darstellenden Kunst durch das Gespräch lichter wurde.[24]
1457.*
1795, Juli.
Die letzte Zeit meines Aufenthalts in Karlsbad ward mir höchst lehrreich und zuletzt lieb durch meine Bekanntschaft mit Goethen. Wir sahen uns täglich erst mit Neugier, dann mit Interesse, dann schieden wir von einander mit Wohlwollen. Mir erschien er als eins der seltensten Exemplare der Menschheit, in voller Kraft eines unbeugsamen Willens und hohen Geistes; ihm war es vielleicht neu, ein Weib zu sehen, die ruhig und ungeblendet ihn beobachtete. So blieben wir eine Weile einander gegenüber, aber dann öffnete er sich mir mit edler Offenheit, fühlend,[265] daß ich sein besseres Selbst suchte – und ich entdeckte in ihm einen Schatz der Wahrheit, Billigkeit und häuslichen1 Güte, die verbunden mit dem, was der Schöpfer des ›Tasso‹ und der ›Iphigenie‹ und des ›Egmont‹ zu geben vermag, mir ihn unvergeßlich machen. Lassen Sie [Ch. H. Pfaff] mich immer stolz darauf sein, mich mit Goethe auf diesem Wege gefunden zu haben und denken Sie auf mein Wortgut von Goethen, dem Menschen, man sage, was man wolle .... Die Kinder sind brav. Goethe war in beide vernarrt, zumal in Lotte; »die jungen Dinger sind gar liebe Narren!« sagte er, und sie hingen an ihm wie Trauben. Lotte lehrte er richtig lesen, Karl unterrichtete er über Mineralogie. Seit fünfzehn Jahren ist Naturgeschichte, zumal Mineralogie und Physik, Goethes ausschließendes Studium. Alle seine neueren Schriften sind lange fertig im Pulte gewesen.
1605.*
1795, Juli.
Adieu, guter Goethe! (Den Geheimen Rath habe ich mir sehr gern von Ihnen wegraisonniren lassen.)[24]
126.*
1795, 11. (?) August.
Er [Goethe] redete mich auf dem Balle von selbst sehr freundschaftlich an, fragte in der Geschwindigkeit nach den Örtern, die ich passirt hätte; ich nannte Teplitz und Sie [Rahel Levin] und sagte ihm, wiewohl ganz flüchtig, daß ich Sie schon sehr lange kennte und Ihretwegen nach Teplitz gereist wäre. Nicht um zu urtheilen, sondern um unwillkürlich mit seinen Empfindungen auszubrechen, sagte er: »Sie haben sehr recht gethan. O! die Levin hat sehr viel gedacht, hat Empfindungen und Verstand; es ist was Seltenes, das muß ich sagen – wo find't man das? Wir haben auch so vertraut zusammen gelebt, wir waren beständig zusammen. Ja, das ist gewiß! Nun, wenn Sie sie lange nicht gesehen hatten, ja freilich!« u.s.w. Und dabei lauter freundliche Gesichter, und beständig entourirt, im Geschrei sagte er mir das immer weiter. Wir gingen auseinander ..... Während des dicksten Tanzes war Goethe eine Zeitlang frei ..... Ich ging zu ihm hin und redete ihn mit den Worten an: »Sie wer den wohl noch einige Zeit hier [in Jena] bleiben, Herr Geheimerath?« G. »Länger, als ich dachte – o, setzen[172] Sie sich! – So lange es hübsch ist. Ich habe so viele Freunde hier, man macht so hübsche Bekanntschaften, und so weiß ich nicht, wann ich abgehe; aber dann komme ich wieder nach Jena und arbeite.« Darauf kamen wir in ein Gespräch über seine anatomischen Arbeiten, von denen er sagte, er hätte sie schon zehnmal zum Druck fertig gehabt und ebenso oft unterdrückt; es wäre unendlich schwer auszuführen. »Wir befinden uns in einem Chaos von Kenntnissen und keiner ordnet es; die Masse liegt da und man schüttet zu, aber ich möchte es machen, daß man wie mit Einem Griff hineingriffe und alles klar würde. Es ist nun nicht mein Fach; ich treibe es aus Begierde, aus Leidenschaft; ich will gerne zeigen, daß alles auch hier einfach ist, wie in den Pflanzen, daß aus Knochen alles deducirt werden kann, aber noch sehe ich das Ende nicht; vor jedem neuen Buch erschrecke ich; denn es ist den Versuchen nicht zu trauen. Achten muß man darauf, und in einem Menschenleben macht man nicht alle nach. Es ist überhaupt mein Grundsatz, den umgekehrten Weg einzuschlagen. Man hat bisher so viel Hypothesen in der Naturlehre gemacht: das ist falsch; denn für meine Meinung finde ich immer Gründe in dem Unendlichen der Natur. Die Kräfte sind so mannigfaltig, daß ich immer einige derselben unter Einen Gesichtspunkt bringen kann, wenn er auch unrichtig ist; hier muß man viel Versuche machen, um nicht zu irren. In der Naturgeschichte hingegen hat man immer[173] classificirt und neben einander gestellt ohne zu raisonniren; hier kann man Hypothesen wagen; denn die Fehler sind leicht zu finden: jeder Knochen, jede Pflanze, die mir in die Hände fällt, widerlegt mich.«
Über diese Materie haben wir noch lange gesprochen und nun kommt Ihr Triumph, meine liebe Rahel! eine Sache, die Sie kaum glauben werden, die ich so unglücklich bin, Ihnen schreiben zu müssen. Hören Sie! Ich sprach mit ihm über den »Literarischen Sansculottismus« (»Horen«, fünftes Stück) und sagte ihm geradezu: »Herr Geheimerath, Sie werden es vielleicht für Arroganz, für Unbescheidenheit halten, aber es ist wirklich keins von beiden; ich muß Ihnen sagen, daß mir Ihr ›Literarischer Sansculottismus‹ eine große Freude war. Wenn man selbst jung ist, so kann man nichts lieber hören, als wenn ein Mann wie Sie mit einer solchen Deutlichkeit an seine Jugend denkt und so warm sich für die jetzigen größeren Fortschritte interessirt,« u.s.w. Goethe. »Unbescheidenheit? warum? Es ist mir sehr lieb, daß Sie mir das sagen, sehr lieb. Sagen Sie, warum soll man dabei still sein? Ich habe dem ganzen Gang so mit zugesehen; ich, und wenn ich auch nicht gewirkt habe, so glaube ich doch, daß ich nicht ohne Wirkung gewesen bin, und nun kommt einer und sagt: es ist nichts, und wir haben nichts! Daß ich so immer den Gang mit weiter mache und mich daran vergnüge, das muß ich ja thun; das, was mir entgegenwächst, entgegen kommt, was aufsproßt,[174] – anderer Leute Kinder oder meine, hier einerlei, – das ist ja das Leben. Was erinnert mich sonst, daß ich bin und wie ich bin? Ich sehe ja, daß man weiter kommt, und man will mich überreden, daß man zurückgehe?« u.s.w. Wir haben über eine Stunde miteinander gesprochen, ich nicht weniger als er. Diese Hauptsachen habe ich Ihnen schreiben können. Was sonst noch passirt ist, ist größtentheils unbedeutend und soll der Inhalt künftiger Briefe sein.
Den zweiten Tag nach unserer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen mit den Worten: »Nun, wie geht's Ihnen denn, lieber Herr Veit? Sie haben Sich hieher gemacht: sehr recht! Wo kommen Sie denn jetzt her?« u.s.w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte und ihm sagte, daß ich in Teplitz acht Tage gewesen und hingereist wäre, um Sie [Rahel L.] zu sprechen, »Ja, da haben Sie wohl recht gethan,« versetzte er, »wenn Sie sie in langer Zeit nicht gesehen hatten; freilich! Ja, es ist ein Mädchen von außerordentlichem Verstand, die immer denkt, und von Empfindungen – wo findet man das? Es ist etwas Seltenes. O! wir waren auch beständig zusammen, wir haben sehr freundschaftlich und vertraulich miteinander gelebt.« Zu Horn, der sich ihm von selbst präsentirte, hat er gesagt, Sie hätten stärkere Empfindungen, als er je beobachtet hätte, und dabei die Kraft, sie in jedem Augenblick[175] zu unterdrücken, und noch mehr. (Ich war nicht zugegen.) .....
Während des Tanzes saß er einmal allein. Ich ging zu ihm hin und habe über viel Sachen mit ihm gesprochen; mit mehr Wärme und zugleich mit mehr Achtung für mich habe ich ihn noch nicht mit mir sprechen hören. Ich fragte ihn nach seinen anatomischen Plänen und seinen Arbeiten überhaupt. Was er mir hierüber gesagt hat und was besonders neu war, läßt sich in kurzem darauf zurückführen: »Man sollte in der Naturgeschichte mehr raisonniren; denn das Raisonnement kann sehr viel helfen und nie schaden, da jeder Naturkörper, jede Pflanze, jeder Knochen mich widerlegt, wenn ich gefehlt habe, und in der Naturlehre mehr Versuche machen, da man nicht leicht eine Hypothese aufstellen kann, für die sich nicht Erscheinungen finden bei der Unendlichkeit der Natur und den unzuberechnenden Modificationen der Kräfte.« Aber nun die Hauptsache! Nachdem wir ein Langes und Breites darüber und über die vielen unzuverlässigen Bücher gesprochen hatten, sagte ich ihm, daß mir sein »Literarischer Sansculottismus« ein erstaunliches Vergnügen gemacht hätte, und er möchte es nicht für Unbescheidenheit nehmen, daß ich es ihm sagte. »Wenn man selbst jung ist, Herr Geheimerath, so muß es einen wohl freuen, wenn man sieht, daß ein Mann wie Sie sich der Jugend und der jetzigen Zeit so sehr annimmt.« »Warum für Unbescheidenheit? Mir ist das sehr lieb. Ja, warum[176] soll ich mich überreden lassen, daß wir zurückgehen, wenn wir offenbar vorwärts kommen? Und warum sollt' ich mich nicht um alles bekümmern? Das was heranwächst, was mir entgegensproßt, – anderer Leute Kinder oder meine, hier einerlei – das ist ja das Leben Nicht wahr, das ist das Leben?« So sprachen wir noch lange und gingen durch Zufall auseinander. Er hat mich seitdem oft angeredet, und wenn auch nur von albernem Zeug, Ortentfernungen, Reisen, doch immer einige Worte mit mir gesprochen.[177]
127.*
1795, zweite Hälfte August (?).
Auf einem.. Balle, wo Polinnen tanzten, sagte ich ihm einmal, gegen die Polen wären wir Deutsche doch nur eine Art Holländer, und wie die Menschen mit Grazie tanzten! »Kein Wunder!« versetzte Goethe, »die Grazie ist ihnen eingeboren.«[177]
124.*
1795, Sommer (?).
Sie [Schiller und Buchhändler Michaelis] passen einmal nicht zusammen, und so etwas muß sich ja, wie Goethe sagt, scheiden.[171]
125.*
1795, Sommer (?).
Goethe gesprochen. Er war die Artigkeit, die Freude mich zu sehen, die Freundschaft selbst; er bezeugte mir ungemeine Achtung. Wir sprachen Philosophie, von Geschäften kein Wort. »Er hoffe, wenn wir einander in der Nähe blieben aus diesen, den philosophischen Dingen noch sehr viel mit mir zu sprechen« sagte er etliche Male, ohne daß ich es zu bemerken schien.[171]
128.*
1795, zwischen 6. und 9. November.
Goethe ist seit dem 5. hier und bleibt diese Tage noch hier, um meinen Geburtstag mit zu begehen. Wir sitzen von Abend um 5 Uhr bis Nachts 12, auch 1 Uhr[177] beisammen und schwatzen. Über Baukunst, die er jetzt als Vorbereitung auf seine italienische Reise treibt, hat er manches Interessante gesagt, was ich mir habe zueignen können. Sie [Humboldt] kennen seine solide Manier, immer von dem Object das Gesetz zu empfangen und aus der Natur der Sache heraus ihre Regeln abzuleiten. So versucht er es auch hier, und aus den drei ursprünglichen Begriffen – der Base, der Säule (Wand, Mauer und dergleichen) und dem Dach, nimmt er alle Bestimmungen her, die hier vorkommen. Die Absurditäten in der Baukunst sind ihm nichts als Widersprüche mit diesen ursprünglichen Bestimmungen der Theile. Von der schönen Architektur nimmt er an, daß sie nur Idee sei, mit der jedes einzelne Architekturwerk mehr oder weniger streite. Der schöne Architekt arbeitet wie der Dichter für den Ideal-Menschen, der in keinem bestimmten, folglich auch keinem bedürftigen Zustand sich befindet, also sind alle architektonische Werke nur Annäherung zu diesem Zwecke, und in der Wirklichkeit läßt sich höchstens nur bei öffentlichen Gebäuden etwas Ähnliches erreichen, weil hier auch jede einschränkende Determination wegfällt und von den besondern Bedürfnissen der einzelnen abstrahirt wird. Sie können wohl denken, daß ich ihn bei dieser Idee, die so sehr mit unseren [Schiller-Humboldtischen] Begriffen zusammenstimmt, festgehalten und weiter damit zu kommen gesucht habe. Ich glaube, man kann den Zweck der Baukunst als schöner Kunst objectiv ganz füglich[178] so angeben, daß Sie in jedem besonderen Gebäude den Gattungsbegriff des Gebäudes überhaupt gegen den Ortbegriff zu behaupten sucht, wodurch sie dann subjectiv den Menschen aus einem beschränkten Zustand zu einem unbeschränkten (der doch wieder durchaus auf Gesetze gegründet ist) führt und ihn folglich ästhetisch rührt.
Goethe verlangt von einem schönen Gebäude, daß es nicht bloß auf das Auge berechnet sei, sondern auch einem Menschen, der mit verbundenen Augen hindurchgeführt würde, noch empfindbar sein und ihm gefallen müsse.
Daß von seiner Optik und seinen naturhistorischen Sachen auch viel die Rede sei, können Sie leicht denken. Da er letztere gerne vor seiner italienischen Reise (die er im August 1796 anzutreten wünscht) von der Hand schlagen möchte, so habe ich ihm gerathen, sie in einzelnen Aufsätzen in seiner darstellenden Manier zu den »Horen« zu geben. Ohnehin ist sonst nicht viel von ihm für das folgende Jahr zu hoffen.
Wir haben dieser Tage auch viel über griechische Literatur und Kunst gesprochen.
– – –
Ihren Brief an Hellfeld [wegen Überlassung von Humboldt's Wohnung an Goethe] habe ich noch nicht abgegeben. Goethe will sich erst noch besinnen; denn er hat einen neuen Bedienten, der ihn noch nicht recht zu besorgen weiß, und trennt sich deswegen nicht gern[179] vom Schloß, wo ihn Trapizius, der Schloßvoigt bedient. Die Ilgen, die er neulich sah, gefiel ihm sehr wohl, wie es schien, und ich merkte wohl, daß er nachher mehr Lust zu Ihrem Logis hatte; wie er aber hörte, daß sie in Ihren Namen und in Ihre Tugend verliebt sei, so wurde vom Logis nicht mehr gesprochen.[180]
129.*
1795, November.
Da hat sich neuerlich ein gewisser Herr Richter in Hof hervorgethan; ..... der Mensch ist mehr als Herder und Schiller. Er hat eine Allübersicht wie Shakespeare. Goethe urtheilt von ihm: man müsse sich mit diesem Menschen inachtnehmen und ihn weder zu viel, noch zu wenig loben – ein sehr alltäglicher Orakelspruch.[180]
1606.*
1795, Ende November.
Als sie [die Stein] neulich Goethe gesagt, sie sei auf das Ende seiner Personen in »Wilhelm Meister«[24] neugierig, habe er erwiedert: im Leben brauche man nicht consequent zu sein, aber freilich in einem Roman verlange man es.[25]
119.*
1795 (?).
Auch die Kleinigkeiten dieser Lieferung [des »Musenalmanachs für das Jahr 1796«] haben meinen [Humoldt's] vollkommenen Beifall. Die beiden an Fichte haben uns viel zu lachen gegeben. Ob er sich wohl erkennen wird?
Herr Lappe wird sich doch durch dies und das erste Stück wieder einigermaßen bei Goethe rechtfertigen, der, wie Sie [Schiller] sich noch erinnern, sich sehr über ihn lustig machte.[168]
130.*
1795 (?).
Er [Schreyvogel] rief mir [Grillparzer] schon von weitem zu: »Wie steht's mit der Ahnfrau?« Ich aber antwortete ihm ganz trübselig: »Es geht nicht.« .... [Da] erwiderte Schreyvogel: »Dieselbe Antwort habe[180] ich einst Goethe gegeben, als er mich zur literarischen Thätigkeit aufmunterte; Goethe aber meinte: ›Man muß nur in die Hand blasen, dann geht's schon.‹«[181]
131.*
1795 (?).
Herder rüstete sich um eben jene Zeit zum Kampfe gegen die Kantische Philosophie ..... Während dessen hatte Goethe zufolge seiner gewohnten objectiven Ansicht der Dinge und seiner größeren, eben hieraus entspringenden Ruhe sein besonderes Interesse daran, vornehmlich in Beziehung auf Naturwissenschaft und Kunst, und erklärte: »Wir sehen diese Philosophie als ein Phänomen an, dem man auch seine Zeit lassen muß, weil alles seine Zeit hat.«[181]
132.*
1795 (?).
Da schloß sich Goethe enger an Schiller, Herder an Wieland an ..... Kein Wunder, wenn unter solchen Verhältnissen jetzt auch zwischen Wieland und Goethe eine Spannung entstand, die aber der letztere bald hob, da er durch einen schönen Zug Wielanden[181] innigst erfreute. Eben um jene Zeit war nämlich dieser mit Ausfeilung seines »Oberon« beschäftigt. Da nun Goethe urtheilte, daß Wieland bei der neuesten Ausgabe seiner Werke sich der Feile bisweilen ein wenig über die Gebühr bedient habe, so kam er zu ihm und bat, daß nicht auch dem »Oberon« also geschehen möchte. Er erbot sich, seine Bemerkungen und Ansichten Wielanden mitzutheilen und zu diesem Behufe den »Oberon« gemeinschaftlich mit ihm zu lesen. Endlich kommen beide darin überein, daß Wieland seine Umänderungen jedesmal Goethe mittheilen solle, und daß sie dann darüber sich berathen wollten. So geschah es denn auch, und Wieland befolgte Goethes Rath an mehreren Stellen unbedingt, nur an Einer wollte er nicht nachgeben. »Nachher,« sagte er, »habe ich wohl gesehen, daß Goethe auch da recht hatte, und eigentlich in allen Stücken; allein ich wollte doch auch einmal recht haben.«[182]
133.*
1795 (?).
Goethe, der Paulus [in Jena] oft besuchte, manchmal zum Abendessen bei ihm war, pflegte von der jungen Frau unseres Gottesgelehrten zu sagen: »Die Natur kann wieder eine Weile operiren, bis sie ein so neckisches Wesen zum zweitenmale zusammenbringt.«[182]
134.*
1795 (?).
»Beim erneuten Studium Homers empfinde ich [Goethe] erst ganz, welches unnennbare Unheil der jüdische Praß uns zugefügt hat. Hätten wir die Sodomitoreien und ägyptisch-babylonischen Grillen nie kennen lernen, und wäre Homer unsere Bibel geblieben, welch' eine ganz andere Gestalt würde die Menschheit dadurch gewonnen haben!«
Physiologische Bemerkung. Gewisse Configurationen im menschlichen Körperbau tragen noch die letzte Spur der veredelten Thierheit zum prototypon der organischen Schöpfung, zum Menschen, sehr deutlich an sich, z.B. das os coccygis den Rest des thierischen Schwanzes, die Milz und das Überzwerg-Schleudern der Hände, wenn man geht. (Nachahmung des vierfüßigen übereck schreitenden Thieres). »Ich« – sagte Goethe – »lasse meine beiden Hände schleudern, wenn ich über's Feld allein gehe; denn so geh' ich naturgemäßer.« Nie geht er mit einem Stock – daher auch diese Spur der Thierheit in der feinen Welt für unanständig gehalten wird. Zu was nützen die papillae an der[183] Brust des Mannes? Schon Sterne in seinem »Koran« findet dies unerklärlich. Man muß annehmen, es sei gleichsam ein allgemeiner Typus in der Natur für die menschliche Organisation. Hier sind beim Manne wenigstens noch die Spuren der Brüste, die sich beim homo lar nur auf zwei herauf vermindert haben. Die Natur hat gewisse Generalformen, die sich auch da abdrücken, wo sie kein unmittelbares Bedürfniß erfüllen; z.B. bei allen unsern Rohrgewächsen liegt am untern Schilfblatt ein Auge, das sich nie entwickelt.[184]
1458.*
1795 (?).
Einen.. Abend demonstrirte der Freund in heftigster Weise seine Ansichten über Verschiedenes dem stillhorchenden Goethe vor, und als er keine Gegenrede erhielt und betroffen darüber vor Goethe stehen blieb, erwiederte dieser ganz behaglich: »Ach, sag doch noch mehr so was Dummes!«[266]
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