1611.*
1797, zwischen 2. und 6. Januar.
Bei einem seiner [des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau] Besuchen [bei Johann Friedrich August Tischbein] brachte er auch einmal Goethe mit, der auf kurze Zeit nach Dessau gekommen war, obwol der Fürst dessen Abneigung gegen den Vater [Tischbein] kannte. Der Fürst hatte aber geäußert, trotz seines Eigensinnes solle Goethe den Vater besuchen. An der Mutter fand Goethe viel Gefallen und hatte nachher geäußert, die Tischbein sei eine höchst angenehme Gegenwart.[28]
141.*
1797, 27. (?) Mai.
»Jeder Mensch hat einen chien à tondre, wie es die Franzosen nennen,« sagte Goethe Schleusnern, der sich Reinhardt's [Reichardt's?] annahm. »Man hat ja wohl selbst etwas der Art, aber man spricht nicht gern davon.« – Die Geschichte mit den Sachsenhäusern, die über den Exstudenten herfielen, der auf der Gasse wetzte, ihn aber herzlich bedauerten, als sie hörten, er sei voll süßen Weins.[188]
142.*
1797, Anfang Juni.
Was Du [Körner] über »Die Braut von Korinth« schreibst, ist im Ganzen unser aller Meinung, und Du nimmst das Gedicht noch ästhetischer, als es vielleicht gemeint war. Imgrunde war's nur ein Spaß von Goethe, einmal etwas zu dichten, was außer seiner Neigung und Natur liegt.[188]
1612.*
1797, 1. bis 6. September.
Sie [Wolzogen] haben mich schon längst aufgefordert, Ihnen Nachricht über des Herrn Geheimen Raths[28] v. Goethe Aufenthalt in Stuttgart zu geben. Was soll ich Ihnen sagen? Sie kennen seine ungeheure Kunstkenntniß, seine Liebe zum Großen, Vollendeten, Charakteristischen, Schönen. O, ich bin äußerst glücklich, einige schöne Meinungen, die mir nun Gesetze bleiben, von ihm gelernt zu haben; ja, was er mir sagte, war in mir zwar wie ein Nebel schon ehe er zu mir kam, aber daß ich's nicht ausdrücken konnte; nun wüßte ich's gleich zu Tausenden anzuwenden. Das ist gewiß, daß ich in meinem Leben nichts mehr ausführen werde, das nicht sozusagen in sich eine Welt ausmacht. Täglich waren wir beisammen, und er machte mir ein Compliment, daß ich für groß halte, indem er mir sagte: »nun habe ich Tage hier verlebt, wie ich sie in Rom lebte ..... Meinem Schwager [Rapp] und seiner Frau, meinem lieben Weibchen und mir las er eines Abends seine Elegie [›Hermann und Dorothea‹] vor.«[29]
143.*
1797, Spätherbst.
So wurden einst auf dem Landsitze der verwittweten Herzogin Amalie zu Tiefurt »Die Ritter« des Aristophanes durch Wieland, der sie für sein »Athenäum« übersetzt, vorgelesen. Es war im Spätherbst und Egidi vorbei. Nun traf es sich, daß den regierenden Herzog, der eben von der Jagd zurückkehrte, sein Weg durch Tiefurt führte. Er kam, als die Vorlesung bereits angegangen war. Wegen der vorgerückten Jahreszeit waren die Zimmer geheizt. Der Herzog, der aus freier Luft kam und dem es in der Stube zu heiß wurde, öffnete die Flügel eines Fensters. Einige Damen, die leichtbekleideten Achseln in seidne Tücher gehüllt, die diesen Fenstern zunächst saßen, beklagten sich kaum über den Luftzug, als auch schon Goethe mit bedachtsamen Schritten, um die Vorlesung auf keine Weise zu stören, sich dem Orte näherte, woher der Zug kam, und die Fenster leise wieder zuschloß. Des Herzogs Gesicht, der indeß auf der andern Seite des Saales gewesen war, verfinsterte sich plötzlich, als er wieder zurückkehrte und sah, daß man eigenmächtig seinen Befehlen zuwiderhandelte. »Wer hat die Fenster, die ich vorhin eröffnet, hier wieder zugemacht?« fragte er die Bedienten des Hauses, deren keiner jedoch auch nur einen Seitenblick[189] auf Goethe zu thun wagte. Dieser aber trat sogleich mit jenem ehrerbietig schalkhaften Ernste, wie er ihm eigen ist, und dem oft die feinste Ironie zugrunde liegt, vor seinen Herrn und Freund und sagte: »Ew. Durchlaucht haben das Recht über Leben und Tod der sämmtlichen Unterthanen: über mich ergehe Urtheil und Spruch!« Der Herzog lächelte und die Fenster wurden nicht wieder geöffnet.[190]
1613.*
1797, December. (?)
Als ich Goethen zuerst meine Übersetzung [von Shakespeare's »Romeo und Julie«] noch in der Handschrift mittheilte, hatte er große Lust das Stück auf die Bühne zu bringen; doch unternahm er es nicht,[29] weil kurz zuvor eine junge liebenswürdige Schauspielerin1 gestorben war, der er damals einzig einen vollkommenen Erfolg zutraute.
1 Christiane Becker geb. Neumann.[30]
144.*
1797, 28. oder 29. December.
Bei der Betrachtung der trefflichen Copie der Madonna della seggiola in Goethes Hause glaubte Wieland, so eine weibliche Gestalt wie die Madonna sei nirgends in Deutschland anzutreffen. Meyer behauptete, wir fänden sie überall. Goethe setzte die Erklärung hinzu: »Die Künstler sind wie die Sonntagskinder; nur sie sehen Gespenster. Wenn sie aber ihre Erscheinung erzählt haben, so sieht sie jedermann.«[190]
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