1804

1472.*


1804, Mitte Januar.


Mit Heinrich Voß u.a

[Nach Erzählung der Vorlesung von J. H. Voßens Gedichten am ersten Abend, den H. Voß bei Goethe zubrachte, lautet die in Nr. 210 ausgelassene Stelle:]


Mir war es lieb, daß nun die Vorlesung bald abgebrochen ward. Er [Goethe] stand auf und ging in den Saal; ich folgte ihm. Ich trat weinend (laß mich's nur sagen) zu ihm, und er drückte mir beide Hände. »Sie haben einen edlen Vater!« Das war alles was er sagte .... Nun weißt Du [Abeken] es, daß ich fröhlich war, als wir uns bald drauf zum Abendessen[278] und zu scherzhafteren Unterhaltungen vereinigten. Es wurde bei Tische gescherzt, gelacht, am Ende sogar die bunte Reihe hindurch geküßt, und Goethe war fast am lustigsten. Nur ein klein Geschichtchen! Ich bat gegen das Ende der Mahlzeit den Hofmeister von Goethes August mir einen Schlag zu geben mit den Worten: Schick weiter! Ich gab ihn meiner Nachbarin Silie und diese ihrem Nachbar, und so ging's weiter bis zur Maaß, die neben Goethe saß. (Der zum Possen hatte ich den Spaß mit der Silie verabredet, und sieh! wie pfiffig ich bin: um nicht vor dem Riß zu stehn, bat ich meinen linken Nachbar, den Anfang zu machen.) Die Maaß stutzte ein wenig, doch entschloß sie sich endlich, Goethe einen tüchtigen Klaps zu geben. Goethe drehte sich zu ihr und küßt sie und drauf seine andre Nachbarin mit den Worten: schick's weiter! Die will durchaus nicht, wahrscheinlich weil ihr der Nachbar nicht anstand. »Nun,« sagt Goethe, »wenn's so nicht herum will, muß es retour gehn, läßt sich wieder küssen, küßt wieder die Maaß, und so geht's fort bis auf die kleine Silie, die mir den letzten Kuß gab. Nun denk Dir den armen Riemer, der neben mir saß und leer ausgehn mußte, weil bei mir die bunte Reihe aufhörte, und noch dazu belacht wurde, als Goethe den Urheber des Scherzes ausfragte und alle auf Riemer wiesen.«

– – – – – – – – – – – – – – – – –


[In demselben Briefe unterm 22. Februar erzählt Voß weiter:]


[279] In einem der letzten Tage sagte mir die Vulpius: »Sie hätten gar keine schönere Zeit zum Besuche wählen können; denn so fortdauernd heiter hat weder Professor Wolf noch Ihre Eltern den Geheimerath gefunden.« Und das muß ich noch in Jena bestätigen: war ich bei Goethe auf seinem Zimmer, oder fuhr ich mit ihm spazieren, dann war er beständig ernsthaft im Gespräche, aber bei Tische bald heiter ernsthaft, bald gränzenlos lustig. Es ist eine Wonne, ihn von seinen Reisen erzählen zu hören; da ist unsereins ganz Ohr und Auge. Einmal vor Verona wird Goethe, als er eine alte Ruine zeichnete, von Häschern angegriffen. »Da ward mir schwul,« sagte er, »aber ich erwog gleich das Beste: ich raffte mich zusammen, nahm alle Würde an und begann eine Rede. Ich entwickelte ihnen die Schönheit der Ruine, den Werth durch das Alter, ich griff ihren Stumpfsinn an und schalt sie für Klötze und Stöcke, lenkte aber bald ein, sie entschuldigend: Ihr könnt solche Schönheiten nicht fühlen, da Ihr sie täglich vor Augen seht und das Alltägliche keiner Aufmerksamkeit würdigt u.s.w. Die Häscher werden ganz erstaunt über die Unbefangenheit des Spions und sehen nur alle auf die Ruine, um auch die Schönheiten zu entdecken, und da sie doch nichts sehen können, werden sie ganz verdutzt.« Endlich zieht Goethe seinen Geldbeutel aus und läßt Münzen klingen. Nun verändert sich ihre Sprache. Der eine sagt zu den übrigen: Hab' ich's Euch nicht gleich anfangs gesagt, daß der Mann[280] ein Ehrenmann sei? Da seht Ihr's! – Als Goethe einige Tage darauf nach Verona kömmt und die Gefängnisse von außen betrachtet, »da,« sagte er, »dankte ich doch dem lieben Gott, daß er mich von diesem Unglück befreit hatte.«

Ein andermal bei Tische hielten wir Philistergespräche über Rindfleisch, Kartoffeln, Marzipan und Selleri, woran auch die Vulpius theilnahm. Ich dachte bei mir: hier würde sich Christian Schlosser geärgert haben – mich machte es recht vergnügt. Goethe sprach im Zorn über die Weimarischen Schlächter, dann kam er auf die Schneider, die es in Fahrlässigkeit den Schlächtern gleichthäten (imitatorum servum pecus) und endlich auf die Buchbinder. »Ich will die Lumpenhunde einmal alle zuhauf treiben,« sagte er »und ihnen eine Strafrede halten, ich will ihren Ehrgeiz erwecken u.s.w.« Dann kam er auf Kotzebue. Doch davon nachher in einem eigenen Abschnitte!

Einmal bei Tische wird die Vulpius abgerufen. Sie kömmt bald lachend zurück und ruft mich ab. In der Thüre begegnet mir die Mamsell Silie; auf der Treppe stehen Bode, Hain und der Schauspieler Oels. Ich kann das so wenig begreifen, als die Kuh das rothe Thor. »Was ist denn?« frag' ich. »Es gilt eine Reise nach Erfurt; bist du dabei?« »Ja,« sag' ich; »nur geschwind den Wagen bestellt. Wer ist sonst dabei?« »Die Silie und die Vulpius.« »Desto besser,« sag' ich und gehe wieder in's Zimmer zurück.[281] Aber da war es noch nicht abgethan; denn Goethe mußte erst die Erlaubniß geben. Die Vulpius stand... fidel in froher Erwartung vor Freude zitternd; die Silie saß schmeichelnd bei Goethe. Goethe ganz ernsthaft: »Lieben Kinder,« sagte er, »bringt mich nur erst ins Klare!« Aber das konnte keiner. Dann: »Liebe Kinder! der Weg ist schlecht; was habt Ihr für einen Zweck?« »Wir haben große Zwecke,« sagte die Silie. »Und welche denn?« »Wir wollen in's Schauspiel.« – »Nun, nun! Hm, hm! recht artig! Aber wir haben jetzt alle ein Glas Wein getrunken, und das Sprichwort sagt, daß feurige Entschlüsse mit nüchternem Muthe müssen erwogen werden.« – »Ja,« sagte die Silie, »wenn wir darauf warten wollten, so verfliegt die Zeit; es ist so schon zwei Uhr.« Und nun schmeichelte Sie von neuem. Und Goethe ließ sich auch nicht lange bitten, er sagte ja, und gab der Silie einen Kuß zur Bestätigung seines Wohlgefallens. Die Vulpius juchheite und versicherte, was ihr jedes glaubte, daß sie für heute keine größere Freude zu erdenken wüßte. Sie wurde von Goethe meiner Obhut anvertraut. »Nun« – sagte Goethe – »müssen wir noch eine Flasche Rheinwein haben.« Unterdessen ging ich auf mein Zimmer, einen Brief zu versiegeln. Als ich zurückkam, war der Wein da, und Goethe meinte, ich könnte heute wohl ein übriges thun, weil es kalt sei. Ich ließ mir's gefallen, die Damen entfernten sich, und ich blieb bei Goethe am Tische sitzen bis der Wagen[282] kam. Wir sprachen von den Hyperboräern, Greifen und Arimaspen. Es ging oft prestissimo, ich weiß nicht wie und warum? Böse Leute sagen vom Weine. Um drei Uhr kam der Wagen und Goethe wünschte uns glückliche Reise, lachte aber erst tüchtig über den Schimmel, auf dem Bode als Vorreiter paradirte.[283]


211.*


1804, 29. Januar (und später?).


Mit Friedrich Wilhelm Riemer


a.

»Die Weiber, auch die gebildetsten, haben mehr Appetit, als Geschmack. Sie möchten lieber alles ankosten, es zieht sie das Neue an. Sie unterscheiden nicht zwischen dem, was anzieht, was gefällt, was man billigt; sie werfen das alles in eine Masse. Was nur nicht gegen ihren conventionellen Geschmack anstößt, es mag noch so hohl, leer, seicht, schlecht sein: es gefällt. Es mißfällt ihnen aber oft etwas, was bloß gegen diese ihre Convention anstößt, sei es an sich noch so vortrefflich.«


b.

[264] »Es schrieb jemand eine Abhandlung, worin er zeigte, daß Sophokles ein Christ gewesen. Das ist keineswegs zu verwundern, aber merkwürdig, daß das ganze Christenthum nicht einen Sophokles hervorgebracht.«


c.

»Bloß die Naturwissenschaften lassen sich praktisch machen und dadurch wohlthätig für die Menschheit. Die abstracten der Philosophie und Philologie führen, wenn sie metaphysisch sind, ins Absurde der Möncherei und Scholastik, sind sie historisch, in das Revolutionäre der Welt- und Staatsverbesserung.«


d.

»Die Liebe ist eine Conservationsbrille, aber nur für den Gegenstand, den man damit betrachtet, nicht für uns.«[265]


209.*


1804, Januar und Februar.


Mit Anne Germaine de Staël-Holstein


a.

Endlich den 23. Januar kam es zu der längst gewünschten Unterredung.1 Sie fuhr früh in Begleitung ihres Freundes Constant zu ihm und brachte fast eine Stunde bei ihm zu, nachdem sie ihm schon den Tag vorher die Übersetzung von seinem »Geistesgruß« zugeschickt hatte. Der Gegenstand der Unterhaltung war vorzüglich der Unterschied zwischen der französischen und deutschen Poesie. Jene, sagte Goethe, sei Poesie[255] der Reflexion, diese der Situation; der Franzose schildere das Erscheinen, der Deutsche das Sein. Übrigens bemerkten beide bei dieser Unterredung, daß er sich sehr ungern etwas abfragen oder auf sich eindringen lasse, daß dann gleichsam seine Natur reculire und sich in sich zusammenziehe. Freilich schonte ihn Frau von Stael nicht immer. Sie sprach z.B. mit tiefem Bedauern von Herder und ging so weit, sehr freundschaftlich von mir [Böttiger] zu urtheilen und meinen Abgang von Weimar für einen Verlust zu erklären, ohngeachtet sie wohl wußte, wie ungern Goethe dies höre. Seine ganze Antwort auf alle diese Bemerkungen war: »Es ist einmal so: die Älteren müssen den Jüngeren Platz machen.«


[»C'est dans l'ordre: ce qui vieillit, fait place à la jeunesse« führt Bottiger die Worte im Brief an Rochlitz vom 4. Februar 1804 an.]


b.

Den 9. Februar bei ihr [der Baronin von Stael] zum Mittagsessen.

– – – – – – – – – – – – –

Viel über Goethe bei Tische. Er habe das meiste Originalgenie unter allen mitlebenden Dichtern, es werde aber wenig von ihm aus die Nachwelt kommen. Er habe ihr selbst, als sie ihn über »die natürliche Tochter« (welche sie einen noble ennui nannte) befragte, aufrichtig eingestanden, daß sie wie so viele andere seiner Arbeiten nur Künstlerversuch sei, der nach[256] einer Auflösung einer noch nie gelösten Aufgabe strebte. (Darum traute auch Goethe diesem Versuch so wenig, daß er in die erste Vorstellung dieser »Eugenie« gar nicht einmal kommen mochte.)


c.

Als Goethe sie zum ersten Male in ihrem Logis besuchte, regalirte sie ihn mit der Erzählung, wie sie Schiller's Bekanntschaft in den Zimmern der Herzogin gemacht habe. Beide waren zur regierenden Herzogin selbst geladen und fanden sich da, bevor die Herzogin selbst erschien, in ihrem Zimmer. »J'y entre, j'y vois un seul homme grand, maigre, pale, mais dans un uniforme avec des épaulettes, Je le prends pour le commandant des forces du duc de Weimar, et je me sens pénétré de respect pour le général. Il se tient à la cheminée dans un silence morne. En attendant je me promène dans la chambre. Puis vient la duchesse et me présente mon homme que j'avais qualifié de général sous le nom de Mr. Schiller. Me voilà toute interdite pour quelques instants. – ›Que penserez vous donc de moi,‹ repondit Mr. Goethe ›si vous me verrez dans le même costume?‹ (Es ist die Weimarische Hofuniform, die Goethe auch trägt, wenn er an den Hof geht.) ›Ah, je ne m'y tromperais point, et puis cela vous ira à merveille à cause de votre bonne et belle – avec un geste fort significatif – rotondité.‹«[257]


d.

Zuweilen scheine es ihr [der Stael], daß wir Deutsche sehr witzige Ausdrücke hätten, oder sehr neue, es sei aber nur Unkunde der französischen Sprache. So habe sie einmal einen Ausdruck von Goethe, der eine Idee von Schiller eine neuve et courageuse nannte, sehr bewundert, bis ihr endlich deutlich geworden, daß Goethe bloß aus Unkunde der Sprache courageuse statt hardie gesetzt habe.


e.

Den 24. Februar Abends bei der Herzogin. Frau v. Stael kam sehr zufrieden von einer Unterredung mit Goethe. Da sie anfänglich über den »Alarcos« mit ihm gesprochen und das Abgeschmackte desselben .... gezeigt hatte, war seine Stirn etwas bewölkt gewesen, und er hatte die ganze Erscheinung nur durch den Kunstversuch entschuldigt. Allein nun war er auf die parallele zwischen der Tragödie, als den obersten, den Indifferenzpunkt der Plastik gekommen und hatte hierüber sehr Scharfsinnige Bemerkungen gemacht. »La plastique mène au seuil de la vie.« Beim Abschied kündigte ihr Goethe auf morgen einen Besuch von seinem Sohn an, der ihr sein Stammbuch präsentiren würde.


f.

Frau v. Stael hatte in ihrer metrischen Übersetzung von Goethes »Fischer« in den Worten »was lockst du[258] meine Brut hinauf in Todesgluth?« das letzte durch air brulant übersetzt; allein Goethe, als sie ihm ihre Übersetzung vorlas, berichtigte sie und sagte, es sei dies die Kohlengluth in der Küche, an welcher die Fische gebraten würden. Das fand nun Frau von Stael äußerst maussade und geschmacklos, sich aus ihrer schönen Begeisterung so auf einmal in die Küche verwiesen zu sehen. Dies Sei es eben, woran es unsern Dichtern fehle, das prôton, das seine Gefühl des Schicklichen. Hier also war sie ganz Französin.


[Das Wortspiel, welches Vehse (»Geschichte der Höfe des Hauses Sachsen« I, 203) von Goethe erzählt, daß er auf einem Maskenball der Stael gesagt habe – »Madame, on vous reconnait par votre pied-de-stal« – kann nicht in Reihe und Glied eingestellt werden, ebensowenig Goethes von Robinson mitgetheilte, aber auch von diesem selbst bezweifelte Abweisung des Tadels der »Natürlichen Tochter« seitens der Stael durch die Worte: »Madame, ich bin über 60 Jahr alt.«]


1 Doch waren Goethe und die Stael vorher schon mehrmals zusammengekommen.[259]


210.*


1804, 12. Februar.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.


a.

Ich bin zehn Tage bei Goethe gewesen, eine himmlische Zeit, die mir noch wie ein Traum vor der Seele steht. Ich mußte mich produciren und Goethe bot mir Quartier und, was mehr galt, seinen freundschaftlichen Rath und den für mich kostbarsten Umgang an. Gott![259] wie lieb' ich den Mann, den ich in so herzlichen Augenblicken gesehn und genossen habe. Gleich die erste Aufnahme war so herzlich wie möglich. Ich faßte auf der Stelle das tiefste Zutrauen; ich habe mit Offenherzigkeit zu ihm geredet, ihm mein Herr, meine Denkweise, kurz alles, was ich hatte und habe (wahrlich! ich bin reicher von ihm gegangen, als ich ankam; denn ich liebe einen Mann, gegen den ich sonst nur Ehrfurcht kannte), das alles habe ich ihm entfaltet und zur Musterung vorgelegt. Er ist mit mir zufrieden; ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er mich der Stelle [eines Gymnasiallehrers zu Weimar] würdig erkennt, – daß er Zutrauen zu mir hat, daß er mich liebgewonnen.


[Es folgt eine Schilderung des erstens Abends, der in geselligem Kreise zugebracht wurde. – Siehe Nr. 1472]


.... Am folgenden Morgen stand ich um sechs Uhr auf, um einige Übersetzungen aus dem Horaz in's reine zu schreiben und einige Arbeiten durchzusehn, die ich für Goethe mitgebracht hatte. Ich war um zehn Uhr fertig und da kam auch der Bediente, der mich zu dem Herrn in's Studirzimmer bringen sollte. Ich überreichte Goethe die Arbeiten; er las gleich eine Horazübersetzung durch und schien zufrieden damit. Wir kamen unvermerkt auf meine Lieblingsbeschäftigung, – alte Geographie und Mythologie – und das waren auch in den folgenden Tagen unsere hauptsächlichen Gespräche. Ich war so glücklich, von allem Rechenschaft geben zu können, wonach Goethe mich in dieser Wissenschaft[260] fragte, und besonders zufrieden war er, als ich ihm die Wanderungen der Jo und den Argonautenzug in der vierten Pythischen Ode Pindar's erklärte. Dieses Gespräch hat ihn in die »Mythologischen Briefe« meines Vaters geführt, die er noch denselben Tag mit großer Lebhaftigkeit zu lesen anfing und den folgenden Tag endigte. Er sagte mir: nun wolle er sich ein Exemplar mit Papier durchschießen lassen, um auch in seinem Studium der alten Kunst auf diese Weise meinem Vater in seinem Studium zu begegnen. Und mich encouragirte er zu mehreren Arbeiten, die ich, wenn ich erst in seiner Nähe lebte, theils durch eigenen Fleiß, theils durch Unterstützung von ihm und meinem Vater ausführen sollte. Goethe hat überall die hellesten Blicke. Diese »Mythologischen Briefe« hatte er sich in Einem Tage mit solcher Klarheit in der Phantasie versinnlicht, daß ich über die Größe der menschlichen Fassungskraft erfreut bin. Kein Mensch dringt so auf Klarheit der Vorstellung, wie Goethe.

– – – – – – – – – – – – –

Am Abend dieses Tags nach Tisch mußte ich Goethen meine Übersetzung von Horazens sechster Epistel im ersten Buche vorlesen: Nil admirari u.s.w. Dies gab zu einem sehr schönen Gespräch Anlaß, das aber Goethe beinah allein und bald ganz allein führte. Er redete über den Platonischen Ausspruch, daß die Verwunderung die Mutter alles Schönen und Guten sei. »Der ist ein Tölpel,« sagte er, »der sich nicht verwundern[261] kann, auf den nicht die ewigen Naturgesetze in großen und kleinen Gegenständen – gleich viel, wie groß oder klein – einen mächtigen Eindruck machen.« Das Resultat seiner Rede war, daß der Weise mit dem Nichtbewundern aufhöre. Und so kam er auf den »edlen Horaz« zurück. Er sprach über eine Stunde mit feuriger Miene, mit der lebendigsten Action, aber immer mit solcher Besonnenheit, daß er die Wahrheit seines Themas recht eigentlich durch die That bewährte. Zuletzt redete er über die Empfänglichkeit des Gefühls, wie ein lebendiger Geist in der ganzen Gotteswelt nichts als Wunder erblicke und heilige Gottesoffenbarung. Ich kann das nicht, wie es geschehen sollte, wiedererzählen; nimm mit bloßen Andeutungen vorlieb. Als er ausgesprochen hatte, nahm er sein Licht und ging fort ohne ein Wort zu sagen – Riemer und ich saßen wie Stumme gegeneinander. Ob Goethe uns in Verwunderung hat setzen wollen, das weiß und glaube ich nicht, aber daß er es that, das weiß ich; denn wohl keiner hat einen Vermittler zwischen Gott und den Menschen mit solcher Ehrfurcht betrachtet, als wir diesen Mann in diesem Augenblicke.


b.

[An Boie machte H. Voß ähnliche Mittheilungen, welche die vorstehenden wie folgt ergänzen.]


Äußerst merkwürdig und angenehm ist es, Goethe in seinen Sonntagsgesellschaften als Präceptor im Vorlesen[262] und Declamiren zu sehen. Da sitzt die ganze Gesellschaft um einen langen Tisch (Goethe in der Mitte) und liest abwechselnd. Es traf sich, daß beidemal, als ich zugegen war, aus der »Luise« gelesen wurde. An Goethe kam die Stelle von der Trauung, die er mit dem tiefsten Gefühle las. Aber seine Stimme ward kleinlaut, er weinte und gab das Buch seinem Nachbar. »Eine heilige Stelle!« rief er aus mit einer Innigkeit, die uns alle erschütterte.

Nachher traf ihn die Stelle: »den Gesang, den unser Voß in Eutin uns dichtete.« Aus dem Pathos, mit welchem er diese Worte vortrug, hätte ich schon seine Liebe zu meinem Vater abnehmen können, wenn mir jenes Gefühl bei Goethe unbekannt gewesen wäre. So sah ich Goethe schon am ersten Tage meiner Ankunft, und von dem Augenblicke an hatte er auch mein ganzes Zutrauen.

Madame Stael-Holstein geht Montag aus Weimar. Drollig ist's, Goethe über sie reden zu hören. »Ich treibe sie in die Enge,« sagte er, »wenn sie raisonnirt. Erst vermaure ich sie auf dieser Seite, dann auf jener« (und dies zeigte er mit dem Finger auf der Serviette). »Dann will sie entfliehen und kann nicht vor- noch rückwärts. Sie giebt sich einen effort, schwingt sich in die Höhe und macht's wie der Flußgott Achelaus: Sie entflieht in einer fremden Gestalt.« Sie hat die »Luise« gelesen und ebenso stark dabei geweint, als bei Kotzebue's »Bayard« und den »Hussiten«. Die Tabakspfeife[263] war ihr anstößig; der Herzog erinnerte sie an die Schweine im Homer. »Auch die,« sagt sie, »dürfen nicht in honette Gesellschaft kommen.« Goethe will ihr nun den Bandwurm aus Delille's L'homme des champs zu Gemüthe führen, der sich durch zwei Alexandriner hindurchschlängelt; dann wird sie verdutzt und – entflieht in einer fremden Gestalt.[264]


1789.*


1804, 12. Februar.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.


a.

Mir hat das Herz gepocht, als ich vor seinem Hause stillhielt, als ich die Treppe hinaufging, als sich die Stubenthür öffnete. Der Mann war mir so furchtbar majestätisch. Aber wie ganz anders war mir zumuthe, als er mich freundlich anblickte und ich Durchgefrorner seinen warmen Händedruck fühlte. Er sing auch gar nicht aufderstelle ein ernsthaftes Gespräch an; er fragte mich mit herzlicher Stimme nach meiner Gesundheit, die ich zumerstenmal einem so strengen Winter- und Windtage ausgesetzt hatte, ließ mich nahe an den Ofen rücken, wollte mir Kaffee, Wein, kurz alles Mögliche zum Frühstück auftischen. Der Ton, in dem er mit mir redete, war wie der eines Vaters, und da ward es mir nicht schwer, so viel Zutrauen zu ihm zu fassen und den Muth in seiner Gegenwart zu behaupten, was er so gerne an jungen Leuten wahrzunehmen scheint.

Wir kamen unvermerkt in das erste Gespräch über Schulunterricht hinein, das denn über eine Stunde dauerte, bis wir zu Tische gerufen wurden. Bei Tische ward Goethe aufgeweckt und munter und erzählte viel[208] von seinen Reisen, besonders von Venedig. Nach dem Essen entließ er mich und ging auf sein Zimmer; um fünf Uhr beschied er mich wieder zu sich. Er ist mit mir zufrieden; ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er mich der Stelle würdig erkennt, daß er Zutrauen zu mir hat, daß er mich liebgewonnen.


b.

Es ist eine Wonne, ihn von seinen Reisen erzählen zu hören .... Einmal vor Verona wird Goethe, als er eine alte Ruine zeichnete, von Häschern angegriffen. »Da ward mir schwul,« sagte er, »aber ich erwog gleich das Beste. Ich raffte mich zusammen, nahm alle Würde an und begann eine Rede. Ich entwickelte ihnen die Schönheit der Ruinen, den Werth durch das Alter; ich griff ihren Stumpfsinn an und schalt sie für Stöcke und Klötze, lenkte aber bald ein, sie entschuldigend: Ihr könnt solche Schönheiten nicht fühlen, da Ihr sie täglich vor Augen seht und das Alltägliche keiner Aufmerksamkeit würdigt u.s.w.« Die Häscher werden ganz erstaunt über die Unbefangenheit des Spions und sehen nun alle auf die Ruine, um auch die Schönheiten zu entdecken, und da sie doch nichts sehen können, werden sie ganz verdutzt. Endlich zieht Goethe seinen Geldbeutel aus und läßt Münzen klingen. Nun verändert sich ihre Sprache. Der Eine sagt zu den übrigen: Hab' ich's Euch nicht gleich anfangs gesagt, daß der Mann ein Ehrenmann sei? Da seht Ihr's! Als[209] Goethe einige Tage darauf nach Verona kommt und die Gefängnisse vonaußen betrachtet, »da« – sagte er – »dankte ich doch dem lieben Gott, daß er mich von diesem Unglück befreit hatte.«[210]


1473.*


1804, 15. Februar.


Über »Die Hussiten von Naumburg«

von Kotzebue

Heute will ich [H. Voß] Dich [Abeken] vom Kotzebue unterhalten. Denkt Euch, Solger und Abeken, »Die Hussiten« (lacrymosa poëmata Puppi) sind in Weimar aufgeführt .... Goethe saß derweile ruhig in seinem Zimmer. Seinen Geist (so heißt der Bediente) schickte er in's Theater, und der arme Schelm mußte bei jedem Act zu Hause laufen und das Gesehene erzählen... Goethe hat gegen seinen Sohn ein Kopfstück verloren über die Stelle: »dicke Pfaffen knistern in den Flammen,« von der er behauptete, sie könnte nicht darin stehen. – Goethe sagte, wenn die »Hussiten« die Auslage abverdient hätten, dann sollte der »Herodes vor Bethlehem« [von Mahlmann] gegeben werden. Sonst darf sich Kotzebue nicht beschweren; denn man hat viel Geld ausgegeben für die Sterbekleider und die Hussitenpanzer.[283]


212.*


1804, Ende Februar.


Mit Friedrich Wilhelm Gubitz

Nur vier Tage wollte ich in Weimar rasten; vorhabende Arbeiten, hier wenig gefördert, bedrängten mich, und ich bereute schon, nicht mit den Empfehlungsbriefen mein Heil bei Goethe Versucht zu haben. Bereits packte[265] ich mein Bischen Habe, .... da kam Abends nach sieben Herr v. Lynker in einem Domino, ließ auch mir einen darreichen von seinem mitgebrachten Diener mit den Worten: »Im Theatersaal ist Probe von einem Maskenspiel, Goethe muß dabei sein; ich habe vermittelt, daß sie als Fremder Zuschauer sein können; beeilen wir uns!« Bebend zog ich das Beste an, was ich hatte, ein hellblauer Seidenmantel wurde mir übergeworfen, eine Maske sollte ich dort empfangen – was sich jedoch nicht erfüllte. Bald stand ich in einem mäßig großen Saal und drückte mich neben einem Gewirr von Menschen, nur zum Theil maskirt, an die Seite ..... »Wenn er da ist, erfahren sie es im Moment.« Mit diesem Zuruf beruhigte mich mein Beherrscher, der irgendwo beschäftigt sein mußte ..... Etwa sehr lange anderthalb Stunden waren vergangen, bevor es hieß: »Da ist er! Dort steht er!« und es bedurfte mancher Windung, um mir bis zur angedeuteten Stelle zu helfen. Endlich kam ich näher; ich hörte seine starke klangvolle Stimme. O weh! Goethe, der seinen Seidenmantel, rosenfarb oder gelb – bei dem Lichtschimmer konnte ich mir die Farbe nicht genau bestimmen – hin- und herwerfend behandelte, sprach so heftig mit einem andern, – mit dem Theater-Intendanten [vielmehr: Mitglied der Theatercommission] Kirms, was ich nachher entdeckte – daß ich noch ängstlicher wurde. Aus dem lauten Gespräch ging hervor: bei einer Abendprobe im Theater war Goethe über[266] einen Schauspieler – sein Name lautete, wenn ich dessen mich richtig entsinne, Zimmermann – so bitterböse geworden, daß er sich höchst unglimpflich äußerte über Anmaßungen der Komödianten. Mir flog der Athem ; in mir rief es: jetzt oder nie! Meine Zaghaftigkeit gipfelte, wurde unwillkürlich im Wagemuth, und ohne Überlegung hatte ich mich in den Eifer gegen Komödianten gemischt. Was mir erst in der Zukunft als Erfahrung reifte – wie raschbereit der Aufgebrachte, wenn ihm einer recht giebt, sich zu diesem wendet, das bewährte sich hier. Ich hatte den Erfolg, daß Goethe auf mich einredete, unterhielt seinen Zorn so gut oder schlecht meine sich nicht zurechtfindende Stimmung dies vermochte, habe keine Spur mehr von dem Gemengsel, was ich schwatzte, bis er hell auflachte, dann aber, wie in Haft zur Hoheit gleichsam umgeschaffen, mit wahrhaft erschütterndem Gebieterton fragte: »Aber mit wem spreche ich? Wer sind Sie?« Meine Empfehlungsbriefe von Mahlmann und Rochtitz hatte ich im Widerstande gegen mein Zittern in der Tasche fast krampfhaft festgehalten; sie schnell hervorziehend, nannte ich, nun bis zu Thränen erschreckt, meinen Namen, demüthig scheu hinzufügend: »Ihnen diese Briefe zu überreichen, suchte ich in den wenigen Tagen hiesigen Aufenthalts vergeblich Gelegenheit, die Gunst des Augenblicks verlieh sie mir, und frevelhaft habe ich sie ergriffen.« – »Wer sind Sie? Doch nicht der Gubitz, der sich in der Holzschneidekunst auszeichnete?« so fiel Goethe fragend ein, wie selber[267] betroffen, und nach meiner Entgegnung: »Ob auch von Ihrer gütigen Meinung beschämt, habe ich freilich zu antworten: der bin ich.« – Ohne etwas darauf zu erwiedern, erfaßte er mich beim Arm, schob mich an einen Pfeiler, sagte: »Hier bleiben Sie stehen! Hier will ich Sie treffen, jetzt hab' ich zu thun.« Dann verschwand er, und ich stand nochmals da in zweifelsüchtiger Hoffnung, die indeß der Geduld nicht lange bedurfte. Zurückkehrend rief Goethe mich an: »Aber, mein Gott! sind Sie's denn wirklich? wie alt sind Sie?« – »Im achtzehnten Jahr,« antwortete ich und er entgegnete: »Man möcht's nicht glauben! wie lange bleiben Sie hier?« – Ich sagte ihm, daß ich nur gezögert habe, Weimar zu verlassen, um ihm genähert zu sein; der kommende Morgen treibe mich nach Jena, dort meine Universitätszeit mit dem Examen zu enden. Überrascht fragte er weiter, und ich gab nun schüchtern Bescheid, bis er dringlich einfiel: »Von der Abreise sei einstweilen nicht die Rede! Heut noch zeige ich Ihnen meine Wohnung, erwarte sie dort morgen Vormittag um Zehn;« und auf meine Bemerkung, daß ich schon vor seinem Hause gewesen sei, erwiderte er mir die Hand reichend: »Also, morgen früh!« in flüchtiger Weise; denn eben wurde nach ihm gesandt.

Noch zwei Tage blieb ich in Weimar, stundenlang in Goethes Zimmern, wo ich, zwischeninne oft ohne seine Anwesenheit, die musterhaft geordneten Sammlungen von Zeichnungen und Kupferstichen beschauen,[268] mich zugleich noch mancher Beweise seiner Zuthulichkeit erfreuen konnte. In bester Laune erwähnte er, daß er als Student in Leipzig sich im Breitkopf'schen Hause auch mit dem Holzschnitt beschäftigt habe, also wohl wisse, was mir gelungen, und ich vernahm dabei aufmunternde Äußerungen; dennoch hielt mich sein Benehmen in Scheu. Meinem Hang zum Dorfpastor war er nicht gleichgesinnt, obwohl er »das schließlich Anhaltsame in dieser Entzweiheit« gelten ließ, und als ich erzählte, wegen meiner Bemühung im Holzschnitt sei ich bereits von drei Kupferstechern öffentlich besehdet, sagte er aufgeregt und mir unvergeßlich: »es steckt etwas Verruchtes in solcher steten Negation, die immer bei der Hand ist; man muß sich nicht daran kehren, doch das Rechte thun, sonst ist nichts zu heben.«[269]


1474.*


1804, Anfang (?).


Über Tiecks Dichtungen

Ich [Voß] fragte Goethe unter anderm einmal, was die mystischen Figuren in Tieck's Minneliedern bedeuteten und erhielt zur Antwort: das ließe sich nur durch ein tiefes Studiren ausmitteln. Das hätte er nicht von den »klaren Gestalten Raphael's« gesagt, die er so oft und so gern nennt.[284]


1475.*


1804, Anfang (?).


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Die Religion soll jetzt in Halle sehr Mode sein und, wie Goethe sagt, wie die Pest anstecken. – Goethe fürchtet, daß sie einem gewissen Manne in G...1 (den ich nicht nennen will) auch noch zu dem vielen Hauskreuze ins Haus kommen möchte.

Bei dieser Gelegenheit eine Bitte, die Du [Abeken] auf's gewissenhafteste halten mußt: laß diesen Brief außer Solgern keinem Menschen lesen. Ich fürchte so sehr, daß Urtheile von Goethe durch mich in Umlauf kommen, und wäre das, so verziehe es mir Goethe nimmer.


1 Giebichenstein[284]


213.*


1804, 2. (?) März.


Mit Henry Crabb Robinson

In March 1804 1 had a reintroduction, and not a mere formal one, at the first was, to Goethe. He was sitting in his arm-chair, in the front row of the pit. I had repeatedly taken a seat near enough to him to have an occasional glimpse of his countenance, but I never presented myself to his notice. On the evening of which I write, I was[269] immediately behind him. Benjamin. Constant came in with him, and after shaking hands with me, whispered my name to Goethe, who immediately turned round, and with a smile as ingratiating as his ordinary expression was cold and forbidding, said: »Wissen Sie, Herr Robinson, dass Sie mich beleidigt haben?« -»How is that possible, Herr Geheimerath?« – »Why, you have visited every one at Weimar excepting me.« I felt that I blushed, as I said, »You may imagine anycause, Herr Geheimerath, but want of reverence.« He smiled and said, »I shall be happy to see you at any time.« I left my card, of course, the next morning, and the next day came an invitation to dinner; and I dined with him several times before I left the neighbourhood of Weimar.

It was, I believe, on the very evening on which he spoke to me in the theatre, that I asked him whether he was acquainted with our »Venice Preserved« [by Otway]. »Oh, very well! The comic scenes are particularly good.« I actually started at so strange a judgement. »Indeed! in England those scenes are considered so very bad, that they are never acted.« »I can understand that; and yet, on reflection, you will perceive that those scenes are quite essential to the piece. It is they alone which account for, and go near to justify, the conspiracy; for we see in them how utterly unfit for government[270] the Senate had become.« I recognized at once the truth of the criticism, and felt ashamed of myself for not having thought of it before. In all his conversation he spoke in the most simple and unpretending manner, but there was in it remarkable significance, – a quiet strength, a power without effort, reminding me of what I read of a painting, in which a man was wrestling with an angel. An ignorant man abused the picture, on the ground that in the angel there was no sign of effort – no muscle was strained. But this was designed to show the angelic nature. It is the same in the Greek sculpture of the gods.[271]


1624.*


1804, Anfang März.


Mit Friedrich Haide

Als Haide vor der ersten Aufführung des »Tell« von dem, ihm begegnenden Goethe gefragt wurde, wie ihm seine Rolle [des Tell] gefalle, die er fleißig studiren möge, gab er, bei aller Anerkennung der bedeutenden und dankbaren Rolle doch der einschränkenden Bemerkung Raum, daß bei seiner eigentlich sehr sporadischen, nur in kurzen Scenen auftretenden Rolle für den Darsteller keine rechte Gelegenheit, sich zu zeigen, geboten sei; sozusagen kein dankbarer scenischer Abgang; dieß sei für den Schauspieler doch wichtig. Goethe hat diesen Bemerkungen aufmerksam zugehört. Allen Vermuthungen nach ist aber diese Unterredung zu Schiller's Kenntniß gekommen und insofern gewürdigt worden, als einige Tage darauf ein verlängerter Monolog »Durch diese hohle Gasse muß er kommen etc.« Haide zugekommen.[37]


1476.*


1804, Anfang März (?).


Beim Theaterdecorationsmaler

Die erste Darstellung von Schiller's »Wilhelm Tell« sollte in Weimar unter Goethes persönlicher Leitung stattfinden. Der letztere ließ auch die Decorationen dazu größtentheils neu anfertigen. Eines Tages nahm er die schon fertig gewordenen Hintergründe in Augenschein, unter welchen sich auch der, zu der Scene ›Vor Stauffacher's Haus‹ befand. Bei Betrachtung desselben schüttelte Goethe mißbilligend den Kopf und bat den Maler freundlich, ihm einen recht dicken Pinsel zu geben. Ohne ein weiteres Wort tauchte er denselben dann in die Farbe und begann zum Schrecken des Künstlers durch die schöne Schweizerlandschaft mit ihren Höhenperspectiven kräftige Striche zu ziehen. Aber siehe da! bald entwickelten sich statt der fernen kleinen Gipfel unter Goethes Händen gewaltige, ganz nahe Berge und Felsmassen. »Wir dürfen nicht vor der Schweiz stehen,« rief er dabei; »wir wohnen mitten drin.« Der Maler erkannte das als zutreffend und verbesserte seinen Fehler gern im Sinne des Dichters.[285]


1625.*


1804, Anfang März.


Über Theatermalerei

Die erste Darstellung von Schiller's »Wilhelm Tell« sollte in Weimar unter Goethe's persönlicher Leitung stattfinden. Der letztere ließ auch die Decorationen dazu größtentheils neu anfertigen. Eines Tages nahm er die schon fertig gewordenen Hintergründe in Augenschein, unter welchen sich auch der zu der Scene »Vor Stauffacher's Haus« befand. Bei Betrachtung desselben schüttelte Goethe mißbilligend den Kopf und bat den Maler freundlich, ihm einen recht dicken Pinsel zu geben. Ohne ein weiteres Wort tauchte er denselben dann in die Farbe und begann zum Schrecken des Künstlers durch die schöne Schweizerlandschaft mit ihren Höhenperspectiven kräftige Striche zu ziehen. Aber siehe da! Bald entwickelten sich statt der fernen kleinen Gipfel unter Goethe's Händen gewaltige, ganz nahe Berge und Felsmassen. »Wir dürfen nicht vor der Schweiz stehen,« rief er dabei, »wir wohnen mitten drin.«[38]


214.*


1804, Ende März und Anfang April.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.


a.

Ich bin abermals in Weimar gewesen bei dem Herrlichen und diesmal als Stubengenoß und Vicehofmeister seines August. wenn ich Ihnen [Boie] den Inbegriff dieser zehn Tage andeuten will, so muß ich sagen: ich bin sehr heiter und froh gewesen. Meine Hauptangelegenheit ist zu einem schönen Ende gefördert, und ich habe Goethe diesmal noch mehr genossen als das vorige Mal. Seine Aufnahme war so herzlich,[271] und was er mir in dieser Zeit Liebes erzeigt hat, kann ich nicht beschreiben. Er hat wie ein zärtlicher Vater für mich gesorgt; er sinnt recht darauf, mir einen angenehmen Aufenthalt zu verschaffen. Ich bin auch jetzt schon ganz eingewohnt daselbst; ich habe mir schätzenswerthe Bekanntschaften erworben und habe die Versicherung von Goethe und Schiller, daß mir ihr Haus jederzeit mit herzlicher Liebe offen stehen soll ....

Denken Sie! Ich bin Doctor philosophiae geworden und Gott weiß! was sonst noch ..... Wir saßen zu Mittage und hatten eben das letzte verzehrt, als Goethe einen Kuchen beorderte, »weil der Voß noch so hungrig aussähe«. Ich entschuldigte mich, aber es half nichts: der kleine August mußte hinausgehen und kam gleich daraus mit einer großen Schüssel wieder, die er mir auf den Kopf setzte mit dem abgedrungenen Versprechen, daß ich davon essen müßte. Ich versprach es und die Schüssel stand vor mir mit dem Doctordiplom. Mir ward von Vater und Sohn recht herzlich Glück gewünscht; darauf stellte sich bei Goethe die gute Laune ein, und er fing an zu scherzen. »Bis morgen Abend sei Er der Herr Doctor,« sagte er; »dann wollen wir Seine Gesundheit trinken und Ihm den Titel wieder abnehmen, damit Er wieder der gute Voß sei.« Nun bestellte Er zu meiner Doctorfeier eine Flasche von seinem besten Champagner, die ich mit ihm bis zum letzten Tropfen (fast zum Schwindlichtwerden) ausleerte. Nachher gingen wir einige Stunden im Park spazieren, und[272] da war Goethe ganz allerliebst munter. Es ist kein Gegenstand, der seiner Aufmerksamkeit entgeht; in alles bringt er Geist und Leben, und wenn er auch von entlegenen Dingen redet, so nimmt er doch die um ihn her liegenden und wechselnden Gegenstände zu Hülfe, um seine Gedanken in sie einzukleiden. Nie braucht er je ein anderes Gleichniß, als daß von Dingen hergenommen ist, die er gerade vor sich sieht, und man wundert sich oft, wie er aus einem erbärmlichen Stoffe etwas so Herrliches und Herzerhebendes zu bilden wußte. Wenn er dann in Feuer geräth, so wird sein Schritt hastiger, oder wenn er gewisse Gegenstände fixirt, um sie tief zu ergründen, dann steht er auch wohl gar stille und stemmt einen Fuß vor den andern, den Körper rückwärts gebogen. Ihm bei Tische gerade entgegen zu sitzen und in sein feuriges tiefes Auge zu blicken, ist eine wahre Wonne. (Goethe sagt selbst einmal was ähnliches in seinem »Götz«.) Es drückt sich in seinen Zügen bei aller Majestät so viel Güte und Wohlwollen aus. Nie aber ist er angenehmer und liebenswürdiger, als des Abends in seinem Zimmer, wenn er ausgezogen ist und entweder mit dem Rücken gegen den Ofen steht, oder auf dem Sopha sitzt. Ja, da wird es unmöglich, sich ihm nicht hinzugeben. Ob es die Ruhe macht, die abendliche Stille, das Gefühl der Erholung von oft schweren Arbeiten, oder was es ist: dann ist er am heitersten und gesprächigsten, am offensten und herzlichsten. Ja, Goethe kann die Herzlichkeit[273] selbst sein. Dann hat sein manchmal furchterregender Blick auch als Schreckhafte verloren.

Sobald ich in Weimar etwas eingerichtet bin, will er eine Gesellschaft junger Leute um sich versammeln, von solchen, die Lust haben, vorwärts zu schreiten. Da sollen Schriften aus mehreren Fächern und Sprachen gemeinschaftlich gelesen und besprochen werden. Ich weiß schon aus der Erfahrung, wie mit Liebe er so was unternimmt und betreibt. Die Früchte dieser Conversationen sollen denn zugleich auch aus die »Literaturzeitung« verbreitet werden, und wahrlich! das ist ein glücklicher Gedanke; denn Goethe, der zum eigentlichen Recensenten nicht geschaffen ist, giebt doch oft im Gespräche die herrlichsten und treffendsten Urtheile, die durchaus nicht verloren gehen dürfen. Und welche Ubung wird es für uns sein, Winke und umhergestreute Ideen der Art aus Goethes Geiste auffassen zu lernen, und in Aufsätze oder Recensionen sie zu fixieren! Weiß man doch das erst am deutlichsten und klarsten, was man selbst andern mitzutheilen genöthigt wird!

Was sagen Sie zu seiner Recension von meines Vaters Gedichten? Welch ein schöner Gedanke, des Dichters poetisches Leben aus seinen Gedichten zu entwickeln, und welch ein tiefes Studium der Gedichte in dieser Entwickelung! Ein wahres lebendiges Votivgemälde. Fast jedes Wort könnte als Citat ein Lied bekommen. Ungemein schön ist der Übergang von den Herbstliedern zu den religiösen. Ich habe diese Recension[274] recht von Grund aus entstehen sehen. Gewöhnlich des Abends von 8 -10 las ich Goethen die Gedichte vor. Als ich das »Herbstlied« anfangen wollte: »Die Bäume stehn der Frucht entladen«, nahm er mir das Buch aus der Hand und sagte: »Das will ich selber lesen.« Er las es, und gleich darauf »Trost am Grabe«. Die Worte in der Recension, mit denen er diese Lieder bezeichnet, mögen Ihnen die gerührte Stimmung aussprechen, womit er sie las. Einige Stellen habe ich ausgearbeitet, nämlich die über die höheren Stände und den letzten Theil über Sprache, Rhythmik und Mythologie. Versteht sich, daß Goethe nachher revidirte, um den Stil mit dem seinigen gleichförmig zu machen, wo es mir nicht gelungen war.

Sonnabend [7. April] hatten wir den »Macbeth«; er ward meisterhaft gegeben, obgleich in seiner ganzen blutigen Gräßlichkeit. Die Hexen waren junge Mädchen, schön von Wuchs und recht artig gekleidet, die Eine sogar zierlich. Es war ein kühner Gedanke von Goethe, das Schreckliche dieser Wesen mehr in die Wirkung, als in die Gestalt zu setzen, und sie that so auch bei weitem größere Wirkung, so wie der Teufel in schöner Gestalt gräßlicher ist (für mich wenigstens), als in der teuflischen. Die Todtenstille unter den Zuschauern war mir manchmal ebenso schrecklich, als das Stück selbst; dann war es, als stünde das ganze Geisterreich geöffnet. Goethe war den Abend außerordentlich fröhlich, (wir saßen noch um halb 12 auf) daß die Vorstellung[275] so geglückt sei; auch Schiller, mit dem ich nach der Vorstellung noch einen Augenblick nach Hause ging.

.... Goethes Zutrauen und seine Liebe zu verlieren, wäre das Schrecklichste, was mir in Weimar begegnen könnte, aber so lange ich bleibe was ich bin und fortfahre zu werden, was ich werden kann, so lange werde ich sein »lieber Sohn« bleiben, wie er mich mehrere Male genannt hat.


b.

Ich muß Dir [Börm] noch ein Stückchen erzählen, das mir den Goethe so unendlich lieb gemacht hat. Als ich zum zweiten Mal bei Goethe war, wurde gerade mein Doctordiplom ausgefertigt und Goethen von Jena aus für mich zugeschickt. Mir verschwieg er's. August mußte nach Belvedere hingehen, um Lorbeer- und Zitronenzweige zu holen. Bei Tisch wußte ich noch nichts davon. Nach dem Essen sagte Goethe zur Vulpius: »Mein Kind! der Voß sieht mir noch so hungrig aus; man sollte doch das Gastrecht nicht verletzen und seinen Freunden wenigstens satt zu essen geben.« Ich entschuldigte mich in demselben lustigen Ton und versicherte, ich sei voll satt. Es half nichts; August mußte hinausgehen und den Nachtisch holen. Er kam wieder mit einer großen Schüssel, die er mir auf den Kopf setzte. Nun mußte ich versprechen, wenigstens noch einen Bissen zu essen, und vor mich hin wurde das Gericht gestellt. Denke Dir mein Erstaunen![276] Ich sah Goethe an und wußte nichts zu sagen. Nun wurde mir sehr herzlich von Goethe, August und der Vulpius zu meiner neuen Würde gratulirt, Goethe Schloß mich in seine Arme und nannte mich zum ersten Mal seinen »lieben Sohn«, ein schmeichelndes Wort, welches er nachher oft wiederholt hat. Gleich darauf stellte sich seine fröhliche Laune ein. »Es ist gerathen,« sagte er zur Vulpius, »daß wir des neuen Doctors Gesundheit in Champagner trinken.« Sie mußte in den Keller und brachte den Göttertrank; wir hatten schon anderthalb Flaschen getrunken, aber dieser Nektar mußte doch noch hinzu. Wir haben die Flaschen bis auf den letzten Tropfen geleert. Während dieser Operation wurde ich immer Doctor genannt; ich protestirte dagegen. »Nein,« Sagte Goethe, »heut bleibt Er's und morgen auch aus Strafe, daß Er Doctor geworden ist. Morgen Abend haben wir eine kleine Gesellschaft, wo auch der neue Doctor Bode sein wird; da soll der beiden Herren ehrenfeste Gesundheit getrunken und Euch der Doctor wieder abgenommen werden.« Dann drückte er mir freundlich die Hand und sagte: »für uns sollen Sie der gute Voß bleiben.« Unterdeß wirkte der Champagner. Ich ward nicht bloß selig, sondern überselig. Ich habe Goethen nie nach Wunsche danken können, ich hatte es auch nie versucht; jetzt konnte ich's. Als wir aufstanden, war mir der Kopf ein bischen schwerer, als gewöhnlich, vielleicht Goethen auch; denn er war über[277] die Maßen lustig. wir gingen noch ein paar Stunden spazieren und im Park hielt mir Goethe ein Vorlesung über die Naturgeschichte.[278]


1626.*


1804, März.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Eines Morgens, als ich gerade seinen August im Griechischen unterrichtete, kam Goethe zu uns herauf;[38] er hatte eben die Stelle [in der Recension der Gedichte von Johann Heinrich Voß] niedergeschrieben, wo wir den Dichter im Kampfe gegen ausschließende Meinungen, Macht- und Bannsprüche erblicken, und das Blatt war noch feucht. Mitten im Zimmer blieb er stehen, den rechten Fuß ein wenig vorausgestemmt, und fing an in seinem melodisch kräftigen Baß zu lesen, gegen das Ende immer feuriger und gediegener, und mit dem Worte »Teufel« senkte er das Blatt, guckte mich mit starrem, aber freundlichem Auge an, als wollte er sagen: Hab' ich's recht gemacht?[39]


1790.*


1804, zwischen 29. März und 8. April.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.


a.

Einmal sprach er von Gott und Unsterblichkeit und war dabei in einer Bewegung, die ich.. nicht beschreiben kann. Aber wol steht mir noch vor Augen, wie er mit dem Leibe rückwärts sich lehnte und sein unbeweglicher, nur auf den Gegenstand, der seine Seele füllte, fixirter Blick von dem Irdischen weggewandt, das Höhere und Unnennbare suchte. Dann ist er mehr als ein Mensch, ein wahrhaft überirdisches Wesen.


b.

Ich habe.. schon die Schauspielergesellschaft erwähnt, die Goethe dann und wann bei sich versammelt und im Declamiren übt. Er liest mit ihnen die ausgesuchtesten Sachen, weil er zugleich die Absicht hat, auf ihre Sittlichkeit zu wirken. Er sagte einmal: »Wenn das wahrhaft Schöne und Gute Eingang gefunden hat, so ist das Schlechte auf ewig verbannt.« Sobald ich in Weimar etwas eingerichtet bin, will[210] Goethe eine ähnliche Gesellschaft junger Leute um sich versammeln, von solchen, die Lust haben, vorwärts zu schreiten. Da sollen Schriften aus mehreren Fächern und Sprachen gemeinschaftlich gelesen und besprochen werden. Ich weiß schon aus Erfahrung, wie mit Liebe er sowas unternimmt und betreibt. Welche Übung wird es für uns sein, Winke und umhergestreute Ideen aus Goethe's Geiste auffassen zu lernen und in Aufsätze oder Recensionen sie zu fixiren! Weiß man doch das erst am deutlichsten und klarsten, was man selbst andern mitzutheilen genöthigt wird. Ich sagte Goethe einmal auf einem Spaziergange: er möchte mir erlauben, daß ich manchmal Gespräche von ihm, die doch billig dem Publicum wie dem Einzelnen zugehören sollten, in Aufsätze oder Recensionen verarbeiten dürfte. Dieß hatte ihm die erste Veranlassung zu jener Idee gegeben. Das schließe ich daraus, weil er, als er mit Lebhaftigkeit von dieser Gesellschaft sprach, damit schloß, daß auch die Allgemeine Literaturzeitung durch diese Conversation gewinnen müßte.[211]


1477.*


1804, April (?).


Bei Caroline von Wolzogen

... bei der Wolzogen. Das ist Dir [Abeken] ein liebenswürdiges Weib. Neulich war ich [H. Voß] dort eingeladen;[285] die Schiller fand ich schon da, dann kam Frau von Stein und Amalia von Imhoff (jetzt Helvig). Gegen acht Uhr kam Schiller und unvermuthet auch Goethe. Was das für eine Freude erregte, glaubst Du nicht. Wir blieben bis 11 Uhr zusammen. Das war ein seliger Abend, und haben wir gelacht bei Tische, wo Schiller aus der »Tausend und einen Nacht« erzählte und Goethe dazu die allerernstesten und zugleich komischsten Anmerkungen machte .... Die Vulpius erzählte mir, daß es Goethe immer so viel Freude machte, wenn er hörte, dieser oder jener habe mich recht lieb.[286]


1478.*


1804, Anfang April (?).


Über Lüdens »Charlotte Corday«

Goethe ist nicht mit der Einlage zufrieden .... Er findet die Corday geistlos, matt und nullenartig, auch die Ausarbeitung, nämlich Sprache und Diction, Versbau und Rhythmik etc. äußerst nothdürftig. Er lächelte über die Gutmüthigteit des Verfassers und hat mir obiges Urtheil mit Ruhe und Wohlwollen gegen den Verfasser als Mensch gesagt, sowie er denn nie hastig urtheilt. – Aber Du siehst wohl, daß an keine Aufführung zu denken ist. Ob Goethe ihm antwortet, weiß ich nicht, ich zweifle aber daran; denn dieser Fall ist ihm schon unzählig oft vorgekommen, und Goethe hat sich endlich über Ceremonie und dergleichen weggesetzt.[286] Wenn er eine Spur von Talent in ihm gefunden, so antwortet er gewiß, aber die scheint er nicht gefunden zu haben.[287]


1479.*


1804, April (?).


Über Johann Heinrich Voß d. J.

Mein Name, ›der alte Ehrwürdige‹, hat mich auch hierher begleitet und wird mir wohl bleiben, bis ich alt und ehrwürdig werde. Goethe hat, wie mir Riemer sagte, neulich bei Tische gesagt: er käme mir so recht eigentlich nicht zu; denn bei aller Ehrenhaftigkeit trüge ich doch einen nicht geringen Schalk im Hintergrunde.[287]


215.*


1804, Ende April.


Mittag bei Goethe

When Madame de Stael returned from Berlin, and brought A. W. Schlegel in her train, I [Robinson] dined at Goethe's with Schlegel, Tieck the sculptor, and Riemer. No one else but Madame Goethe was present. I was struck by the contrast between Schlegel and Goethe. Nothing could exceed the repose of Goethe, whereas on Schlegel's part there was an evident striving after pun and point. Of these I recollect nothing but that Böttiger was his butt, whom he compared to Bardolph. From Goethe I remember a word or two of deep significance. He said to Schlegel: »I am glad to hear that your brother means to translate the ›Sakontala‹. I shall rejoice to see that poem as it is, instead of as it is represented by the moral Englishman« [Wilson]. And there was a sarcastic emphasis on the word »moralischen«. He then went on: »Eigentlich aber hasse ich alles Orientalische.« By which, probably, he meant rather that be infinitely preferred the Greek to the Oriental mind. He continued:[278] »I am glad there is something that I hate; for, otherwise, one is in danger of falling in the dull habit of literally finding all things good in their place, – and that is destructive of all true feeling.«[279]


1471.*


1804, Frühjahr.


Mit Benjamin Constant de Rebecque

[Cogswell schreibt 1817 von Göttingen aus einem Freunde:]


When Benjamin Constant, the French littérateur, during his stay at the court of Weimar called upon[277] Goethe, he began in the style of a true Frenchman... to load him with flattery, saying that the world was wondering at the stupendous productions of his genius, that he had secured to himself immortal fame &c. Then Goethe is reported to have turned his large, fiery eyes upon Constant, and to have replied: »I know it, I know all that, I know too that the world regards me as a carpenter, who has built a ship of war, of the first rate, upon a mountain, thousand of miles from the ocean – but the water will rise, my ship will float, ant bear her builder in triumph where human genius never reached before.«[278]


216.*


1804, 1. Mai.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Goethe schickte zu mir: ich solle doch ein wenig zu ihm kommen und den ganzen Abend bei ihm zubringen. Wie fand ich ihn da heiter und liebenswürdig! Er war eben vom Hofe gekommen, hatte aber schon die Staatsuniform abgethan und saß wieder in seinem blauen Überrocke. Ich fand ihn seine Medaillen und Münzen durchmusternd. Ich setzte mich zu ihm und hörte aufmerksam seiner lehrreichen Erklärung. Er besitzt eine treffliche Sammlung, die besonders dann Werth erhält, wenn man sie von ihm beschreiben und dem Gehalt und Inhalt nach entwickeln hört. Goethe war dabei überaus launig und witzig. Einmal sagte er mit halb scherzhaftem, aber doch ernstlich gemeintem Ausdrucke: »Was sind wir doch gegen die Künstler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts? Wahre Taugenichtse! Was ist unser Jahrhundert gegen dieses kraftvolle!« – Er kam hierauf zu reden von der Peterskirche; sein Gespräch war erhaben wie der Gegenstand. Wie blitzen dem Manne die Augen, wenn ihm ein solcher Gegenstand die Seele[279] füllt! Er erzählte mir die ganze Entstehung derselben; wie man die alte. Basilica Neroni's einzureißen angefangen, der erste kühne Gedanke zu diesem Bau; dann wie sich die Künstler geweigert und gezagt, den Grund zum neuen Gebäude zu legen, bis endlich Michel Angelo es unternommen; dann wie der Bau nachher oft unterbrochen und erst unter fünfzig Baumeistern vollendet werden.


[Nach der fast gleichlautenden Erzählung in Voßens Brief an Solger vom 15. Mai lautete obiger Ausbruch Goethe: »Was sind wir doch gegen jene Künstler dieses kraftvollen Jahrhunderts? Wahre Schufte! wahre Taugenichtse!«][280]


217.*


1804, Mai (?).


Mit Henry Crabb Robinson

I called on Goethe to see whether I could induce him to act as an mediator between the Duke and the students in the quarrel that threatened an Auszug, or withdrawal, of the best young men of the University. Having listened to my representations, he coolly said: »So is it in these matters of police, in which both parties are right. The students, seeing the matter from their point of view, are perfectly in the right. But then the Duke is equally in the right; he has his own mode of looking at things from his point of view as sovereign.«[280]


218.*


1804, Ende Mai (?).


Bei Falks »Prinzessin mit dem Schweinsrüssel«

Falk .... verfaßte... [für Geiselbrecht's Marionetten] das Lustspiel »Die Prinzessin mit dem Schweinsrüssel«, in welchem die Zunft der Schauspieler und deren Arroganz scharf gegeißelt wurden und hatte die Genugthuung, daß das Publikum das Stück mit allgemeinem Jubel aufnahm; denn es hatten damals die Schauspieler sich eben nicht beliebt zu machen verstanden. Geiselbrecht wollte diese Stimmung benutzen und kündigte die Wiederholung des Stückes .... auf den folgenden Tag an ..... Die Weimarischen Schauspieler, welche sämmtlich der Vorstellung beigewohnt hatten, spieen Feuer und Flammen und ernannten eine Deputation, welche bei der Theaterdirection auf Genugthuung wegen des erlittenen Schimpfes und auf Bestrafung des Übelthäters antragen sollte. Die Deputation verfügte sich noch an demselben Abend zu dem Geheimen Rath v. Goethe, entledigte sich des Auftrags, brachte aber Goethe dadurch in Verlegenheit; denn obwohl er den Schauspielern nicht unrecht geben konnte, sah er doch ein, daß es schwer halten werde, ihnen Genugthuung zu verschaffen. Er versuchte die Klagenden zuerst zu beruhigen, indem er ihnen vorstellte, was aus dem Theater gesprochen werde, dürfe nicht so genau[281] genommen werden; sie wüßten ja selbst, wie Juristen, Ärzte und andere Personen in den Lustspielen dem allgemeinen Gespötte preisgegeben würden und wie es noch niemand eingefallen, darüber Beschwerde zu führen, von Persönlichkeiten aber scheine in der »Prinzessin« nichts vorgekommen zu sein. Die Deputation wollte sich hierbei nicht beruhigen, sondern erwiederte: es sei aber doch der ganze Stand der Schauspieler angegriffen und beschimpft worden, und wie soeben das Theaterpublikum seine große Freude über die Tendenz der Posse laut ausgesprochen, so werde es den folgenden Tag bei der Wiederholung in noch höherem Grade geschehen, und darum wollten sie bitten, daß wenigstens die Wiederholung nicht stattfinde. Goethe entließ die Deputation mit der Versicherung: er wolle überlegen, was sich in der Sache thun lasse, und am folgenden Tage kündigte Geiselbrecht – ein anderes Stück mit der Bemerkung an, daß die Wiederholung der »Prinzessin« untersagt sei.[282]


1627.*


1804, 12. Juli.


Mit Charlotte von Stein

Er [Goethe] kam und blieb zwei Stunden, aber Charlotte war wieder gegen ihn verstimmt. ›Ich fühle, daß es ihm unheimlich ist,‹ schreibt sie an Fritz, und unsre Denkarten sind so auseinandergegangen, daß, ohne es zu wollen, ich ihm alle Augenblicke einmal wehthue. Zum Unglück wurde mir eben »Der Freimüthige« gebracht. Er erwähnte der »Dummheit des Publicums«, das eine solche Schrift lese. Da hatte ich also auch mein Theil. Er wollte es gar nicht sehen, und ich mußte es verdecken.[39]


1791.*


1804, Mitte Juli.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Neulich fuhr ich mit Goethe und Riemer einmal nach Tiefurt. Da war er unterwegs überaus herzlich. Er sprach von verschiedenen Arbeiten, die er noch vornehmen[211] wolle. »In meinem Alter,« sagte er »kommt man denn doch allmählig auf den Gedanken, daß es mal zu Ende gehen könne.« Sieh, daran hat Goethe früher niemals gedacht; das sieht ihm recht ähnlich. Einandermal sprach er von einem Quidam, der schon sehr bejahrt sei, dessen Mutter aber noch lebte. Da meinte er: das sei gar schön; der Mann müsse sich so viele Jahre, als seine Mutter Vorsprung habe, noch recht sicher vorkommen.[212]


219.*


1804, August (?).


Mit Johann Heinrich Voß d. J. u.a.

Wie war Goethe fröhlich, als ich meine Sachen aus dem Examen so gut beendet hatte, und wie war ich fröhlich, daß er einen solchen Antheil an mir nahm. Dem Mann verdanke ich ja fast ebenso viel, als meinen[282] Eltern: er hat mir ja Muth und Selbstvertrauen in die Seele geflößt und weiß mir durch sein Beispiel immer die Bescheidenheit und ein edles Mißtrauen nahe zu erhalten. – Ich lese jetzt griechisch mit ihm. Neulich lasen wir zusammen drei Stunden nach der Reihe, und Goethe ist jetzt außerordentlich warm für diese Sprache, besonders für den Sophokles. Sobald die ersten Schneeflocken fallen, errichten wir einen literarischen Club, wo Goethe der Meister ist. Goethe sagte mir neulich: »Nur zu hitzig wollen wir nicht beginnen; es ist eine Schande, bei so etwas nicht Tempo halten zu können. Lieber nachher im Eifer gestiegen, als erkaltet.« – Wenn wir jungen Leute um Goethe sind, so gefällt mir das so besonders an ihm, daß er nie wie ein Meister zu den Jüngern, sondern wie ein Freund zum Freunde spricht – eine Humanität, die seine Jünger nur um so fester an ihn kettet, indem er es nicht merken läßt, daß wir Jünger sein sollen.[283]


1628.*


1804, 5. oder 6. September.


Mit Christian Gottlob von Voigt

Nach des Herrn Geheimen Raths v. Goethe Zurückkunft habe ich über die Beilage umständlich conferirt. Unsere gemeinsame Meinung war diese: Es ist nicht gerathen, die Allgemeine Literaturzeitung eine entschiedene Meinung in der Politik ergreifen zu lassen, am wenigsten wenn der Fall ist, die schwächere Partei zu ergreifen. Daher ist des Herrn Gentz Plan, der französischen Eitelkeit, Intrigue, Übergewalt etc. durch das Vehicul öffentlicher Blätter entgegenarbeiten zu wollen, für ein gelehrtes Blatt unanwendbar, welches durch Unbefangenheit und Neutralität allein bestehen kann. Meine specielle Meinung war, jenen Gedanken vorausgesetzt, doch etwa erst, wenn man des Herrn Gentz Recension lesen könne, sich zu determiniren.[40]


220.*


1804, Ende September (?).


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Goethe und Schiller pflichten meinem Urtheile [wegen Richtannahme des Rufs an die Universität Würzburg] vollkommen sei. Ich habe sehr ernsthaft mit beiden die Sache erwogen. Beide sahen, während sie rathgaben, väterlich auf mein Bestes. Goethe sagte[283] am Ende: »Ich wollte Sie gerne auch gegen meine Steigung ziehen lassen, wenn es wahrhaft ein Glück für sie wäre. Jetzt rathe ich Ihnen als Vater und Freund, Ihrer Neigung, die ich anerkenne und heilig achte, zu folgen und hier zu bleiben.«[284]


221.*


1804, 2. October.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Vor acht Tagen habe ich Goethe einige Arbeiten von mir vorgelesen. Er sagte mir manchen einzelnen Einwand. Mehrere Einwendungen habe ich zurückgewiesen, manche mit Dank angenommen und in seiner Anwesenheit geändert, wo er selbst mir z. Th. die Änderung angab. Goethe ist mit einer Recension besonders zufrieden, wie er an Schiller und z. Th. auch mir selber gesagt hat. Großes Vergnügen machte ihm eine Anmerkung: »Bravo!« sagte er, als ich sie vorgelesen hatte, und klopfte mich freundlich auf die Schultern, recht als wenn er im Herzen dachte, ich hätte Dir so viel poetischen Scharfsinn nicht zugetraut; »Bravo!« sagte er also, »wenn die G .... aus ihrem Theeclub kommen, dann wissen sie freilich nicht, daß ein Sturm auch das Meer beruhigen kann.«.[284]


1480.*


1804, 10. October.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Ich werde viel recensiren und es wird mir leicht werden, da ich in vielen Recensionen, z.B. in den mythologischen, Goethes Beistand habe. Noch heute Morgen sagte er zu mir: »Nun kommen die traulichen Winterabende, da wollen wir zusammen lesen und brav recensiren.«[287]


222.*


1804, October (?).


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Ich bin gewöhnlich bei Goethe, wenn seine Familie mal verreist ist. Nun war Riemer mit August und der Vulpius nach Oberweimar gefahren, um dort einer Fête beizuwohnen. Goethe schickte also um 5 Uhr zu mir, ob ich nicht zu ihm kommen und den Brunckischen Sophokles mitbringen wollte. Als ich zu ihm kam, fand ich's gar behaglich bei ihm. Er hatte eingeheizt, hatte sich ausgezogen bis auf ein wollen Wämmschen, worin der Mann sich gar prächtig ausnimmt. Nun bot er mir freundlich und liebreich die Hand und schüttelte sie recht treuherzig. »Ja,« sagte er, »die Jugend ist verreist und springt in der Welt herum, nun wollen wir Alten zusammen sein.« (Er weiß nämlich, daß ich der alte Ehrwürdige heiße.) Bis gegen 7 Uhr hin sprachen wir; dann kam Licht und nun fingen wir an griechisch zu lesen. Ich übersetzte ihm erst den langen Chor aus der »Elektra«. Und dann fingen wir an, den »König Ödipus« zu lesen. Ich hatte Deine [Solger's] Übersetzung mitgebracht; daraus hat Goethe mit inniger Freude bis zum ersten Chor mit lauter Stimme declamirt. »Der versteht's!« sagte er einmal, »aber er ist noch glücklicher Anfänger in der Kunst.« Noch dröhnt mir in den Ohren, wie prächtig er den Vers [23 f.][285]


vorzutauchen strebt bereits

Umsonst ihr Haupt aus Tiefen blut'gen Wogenschwalls


declamirte, da wünschte ich, daß Dir die Ohren klingen möchten, und wer weiß, ob's nicht geschehen ist... Solche frohe Tage soll ich noch oft erleben. Ich sagt' es ihm selbst einmal, wie es mich glücklich macht, daß er nicht gleichgültig gegen mich ist, und erhielt ein treuherziges »Gutes Kind!« mit Kuß und Händedruck dafür zur Antwort. Ja, er behandelt mich wie einen zärtlich geliebten Sohn. Schon seit lange darf ich unangemeldet zu jeder Tageszeit, so oft ich will, zu ihm auf's Zimmer kommen, was wahrhaftig bei Goethe nichts Geringes ist. Heute Morgen war ich schon vor 7 Uhr bei ihm.

– – – – – – – – – – – – –

Goethe ist jetzt mit der neuen Ausgabe seiner gesammten Werke beschäftigt. Daß er den »Götz von Berlichingen« umgearbeitet hat, wird Dir bekannt sein; er ist jetzt so angeschwollen, daß die Aufführung sechs Stunden währt. Das erste Mal kamen wir halb 12 Uhr aus dem Theater; jetzt wird die Aufführung getheilt: das erste Mal giebt man drei Acte und dann vierzehn Tage darauf die beiden andern. Das zweite Mal indeß wird des Zusammenhangs wegen der dritte Act repetirt, so daß wir diesen in Zukunft am öftersten sehen werden. Wie ist der gute Papa jetzt fröhlich über dieses Stück! Er sagte mir neulich: »Die Narren« (vielleicht auch auf Babo hindeutend) »haben es sich[286] recht angelegen sein lassen, die regellose Form meines alten ›Götz‹ nachzuahmen, als ob ich die mit Bedacht gewählt hätte! Damals verstand ich's nicht besser und schrieb hin, was mir in den Sinn kam.« – Denke Dir, Solger! Wir haben bei dieser Gelegenheit Hoffnung, daß der ganze »Faust« erscheint; Goethe wird ihn jetzt schwerlich als Fragment drucken lassen, besonders da er so manchmal die Empfindung im Herzen nährt, daß man jetzt eilen müsse, bevor die ewige Nacht eintritt.[287]


1792.*


1804, October.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Die Recension von der »Eugenie« [von Delbrück] ist sehr brav und hat Goethe Freude gemacht. Er sagte mir: »Nur an einigen Stellen hätte der Recensent den Bohrer noch einpaarmal umdrehen müssen, aber er bohrte doch wenigstens jedes Mal in der geraden Richtung.« – Goethe sagte: »Es thut mir wohl, doch jetzt in einem Zeitalter zu leben, wo man gerade das versteht, was ich haben wollte.« Dann fügte er hinzu: »Wenn ich doch eine so gründliche Beurtheilung vor fünfundzwanzig Jahren an meinem ›Götz von Berlichingen‹ und meinem ›Werther‹ erlebt hätte!« Er fand nicht daran Wohlgefallen, daß er war gelobt worden, sondern daß er war gründlich verstanden worden. Dann setzte er aber hinzu: »Wenn nun ein[212] Fremder verstanden hat und zugleich billigt, so ist das natürlich eine doppelte Freude.«[213]


1481.*


1804, November.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Manchmal geht es auch (dente Theonino) recht über Böttiger her, oder über Ast's »Crösus«, und da werden denn die guten Leutchen nicht bloß bei den Haaren, sondern auch bei dem Felle gezaust. Dem Böttiger ist er so gram, daß er ihm auch nicht Ein gesundes Haar läßt. Sonst ist Goethe mild und schonend, nur gegen das Capitel Schlecht ist er streng und unerbittlich, recht um zum Ersatze gegen das Gute recht vom Grunde gerecht sein zu können. Du wirst bald in der Literaturzeitung eine heftige Drohung gegen mich vom Dr. Ast lesen für die Recension seines Sophokles. Ich hatte sehr schneidend geantwortet – und gewiß auch treffend; als ich es aber Goethen vorlas, schüttelte er bedächtig den Kopf und sagte: »Ich muß es Ihnen nur gerade heraussagen, Sie sind ein Hitzkopf. Wollen Sie denn mit Gewalt eine Feindschaft fortsetzen, die Ihnen über kurz und lang selbst den Sophokles verleiden wird?« Endlich sagte er: »Überlassen Sie mir die Antwort! Einen Stoß sollen Sie ihm wieder versetzen, aber nicht durch Leidenschaft, sondern durch Ruhe. Glauben Sie mir« – fuhr er fort – »er wird sich mehr ärgern, wenn Sie sich durch Ruhe eine Superiorität über ihn beilegen, als wenn Sie mit gleicher Leidenschaftlichkeit erwiedern.[288] Dieses erwartet er, jenes wird ihn stutzig machen. Dazu« – sagte er endlich – »sind wir Alten ja da, daß wir die Jugend vor Unbesonnenheiten warnen; als wir jung waren, machten wir es selbst nicht besser, aber es hat uns Verdrießlichkeiten zugezogen in zahlloser Menge.« Nun, lieber Abeken, sollst Du dich freuen, wie Goethe den Ast in meinem Namen abgefertigt hat.1

Ast will bald in einem philosophischen Gespräche beweisen, daß noch kein Mensch es verstanden habe, die Alten zu übersetzen; er will der neue Messias werden und meinen Vater zum Johannes machen. Über den ungenannten Übersetzer des »Ödipus« soll Ast sehr aufgebracht sein, vermuthlich weil er ihn fürchtet. Da mag sich Solger ein wenig durch Goethes Beifall trösten; denn Goethe sagte neulich, daß er in diesem trotz aller Härten und Unbiegsamkeit, die den beginnenden charakterisirt, doch einen schönen Übersetzer des Sophokles vorausahndete. »Die rauhen Ecken werden sich schon abschleifen, und dann,« sagte er, »haben wir einen Sophokles.«

Ich habe in der vorigen Woche Goethen einen Act aus »Richard III.« metrisch übersetzt gebracht, der ihm viel Freude gemacht hat. Nun hat er mich gebeten den »Othello« für die Bühne zu bearbeiten, wobei er mir helfen will.


1 Darnach bestätigt sich meine Vermuthung, – »Goethes Briefe an Eichstädt« S. 267 f. – daß die »Antwort des Recensenten« im »Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« von 1804, Nr. 141 von Goethe verfaßt ist.[289]


1622.*


1804 (?).


Mit Ludwig Robert

Als ich einst, ich glaube im Jahr 1804, bei Goethe zu Tisch war, kamen Almanache, der Chamisso-Varnhagensche war auch darunter, und Goethe nahm einen nach dem andern, hielt sie an seine und seiner Frau Ohren und fragte: »Hörst Du was? Ich höre nichts. Nun, wir wollen die Kupfer betrachten, das ist doch das Beste.« Und so legte man die Almanache beiseite.[35]


1623.*


1804.


Allgemeines über Goethes Gespräche

Wenn ich [Voß] sagte, daß Goethe's Gesprächen so viel Allgemeines zugrunde läge, so ist das nicht so zu verstehen, als ob er abstractes Zeug, wie im Athenäum, in Sentenzen spräche; ich meine nur das Ideenreiche[35] dieses so geistreichen Mannes, das aus jeder Hülle und Einkleidung so klar hervorleuchtet. Ich möchte Goethen den populärsten Philosophen nennen, der uns auch bei den geringfügigsten Gegenständen wahre Weisheit in die Seele redet. Seine Weise, die Menschen zu betrachten, ist ganz die eines contemplativen Naturforschers im edleren Sinne des Worts. Kein Mensch ärgert ihn, wenn er einen bestimmten Charakter hat, selbst ein Kotzebue, sogar ein – – [Böttiger?] nicht. Er denkt: so hat ihn einmal der liebe Gott, der von allen Arten etwas giebt, geschaffen, und ist er nicht positiv, so ist er doch negativ zum allgemeinen Heile nothwendig. Freilich, wenn er zum Wohle des Allgemeinen wirken soll, so hat diese Toleranz auch bei ihm ihre Gränzen; wenn ein Klotz im Wege steht, da wird er beiseite geschafft, damit die Bahn frei werde, und je hartnäckiger der Widerstand, je heftiger die Gewalt, ihn fortzuschaffen. Ich habe ihn zornig gesehen über Eseleien und Teufeleien, aber es war der Zorn des Gerechten, ein schneidender, kraftvoller Unwille, nicht zügellose Leidenschaft und Ereiferung. Nie sind Goethe's Forderungen an die einzelnen Menschen unbillig, sie richten sich nach der Fähigkeit jedes Subjectes, aber was einer leisten kann, das fordert er ganz und ungetheilt. So ehrt und schätzt er jedes Talent, jede noch so kleine mechanische Fertigkeit. Aber kein Charakterloser fand. Gnade vor seinen Augen. Die Losung: es ist doch ein guter Mensch! ist ihm unausstehlich. Und wehe dem, der[36] seine Erwartungen und sein Zutrauen durch träges, hartnäckiges Stillstehen, durch Schlaffheit oder gar Scheinsucht statt des reellen Werthes zu täuschen anfängt. Anfangs ist er noch milde und sucht schonend zum Guten zurückzulenken; hilft es nichts, so wird er zornig und wendet sein Antlitz auf ewig.[37]


223.*


1804.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Äschylus und Sophokles führen den Pylades nur stumm ein; Orest und Pylades sind ja Freunde, Eine Seele in zwei Leibern, also was der eine denkt und sagt, thut der andere auch.« –

»Die alte Tragödie bei Äschylus hat Ähnlichkeit mit den alten tragischen Balladen, besonders den schottischen. Vielleicht ließen sich diese auf alte Weise zu Dramen machen.«[287]


224.*


1804 (?).


Über einen Vers in »Hermann und Dorothea«

Einen prosodischen Fehler, einen Vers mit überzähligem Halbfuß, nämlich


[287] Ungerecht bleiben die Männer und die Zeiten der Liebe vergehen


rügt das Morgenblatt von 1808, Nr. 123, mit Bedauern, daß der Vers unverbessert geblieben, aber – setzen wir hinzu – mit Bewußtsein und Absicht in die letzten Ausgaben mit eingewandert. Ich [Riemer] hatte Goethen bereits aufmerksam darauf gemacht; weit aber der Vers ohne sein proverbialisches Ahnsehn zu verlieren und eine gewisse grata negligentia einzubüßen nicht wohl zu ändern war, ich mich auch erinnerte, daß F. A. Wolf, einmal von diesem Verse sprechend, ihn nicht nur entschuldigt, sondern auch durch Homerische Beispiele erläutert habe, so ließen wir ihn stehen oder hingehen. Nun machte später auch H. Voß, der Sohn, auf ihn aufmerksam, und Goethe soll, wie jener erzählt, gesagt haben: die siebenfüßige Bestie möge als Wahrzeichen stehen bleiben.


1629.*


Vor 1805.


Mit Carl Ludwig von Knebel

In den Mittheilungen des Herrn Dr. Vulpius: »Über das Stammbuch von August v. Goethe« (Deutsche Rundschau, 1891, Bd. LXVIII, S. 244) heißt es: »Die Großmutter selbst hat es verstanden, durch einen der sinnigsten Einträge das Stammbuch zu schmücken (S. 164):


[40] Tritten des Wanderers über den Schnee sei ähnlich Dein Leben,

Es bezeichne die Spur, aber beflecke sie nicht.«


Da hieraus dem Wortlaute nach leicht der irrthümliche Schluß gezogen werden könnte, das Distichon stamme von Frau Rath selbst, sei daran erinnert, daß Karl Ludwig von Knebel der Verfasser ist. Es steht mit sehr geringer Veränderung in seinem literarischen Nachlaß Band I, S. 95, unter: »Lebensblüthen in Distichen«, und heißt dort:


»Tritten des Wand'rers über den Schnee sei ähnlich mein Leben,

Es bezeichne die Spur, aber beflecke sie nicht.«


Seine Entstehung verdankt es einem heiteren Beisammensein Goethe's, Knebel's und einiger anderer Jenenser Freunde im Hause des botanischen Gartens zu Jena. Während eine lebhafte Unterhaltung die Geister völlig in Anspruch genommen hatte, war draußen der erste Schnee gefallen. Plötzlich bemerkte Goethe das überraschend veränderte Bild, und von dessen Schönheit mächtig ergriffen, schlug er vor, Jeder solle ein Gedicht darauf machen. Knebel trat an das Fenster, blickte eine Zeit lang sinnend hinaus über den Garten, das Thal, zu den Bergen – überall dieselbe blendend weiße, weiche Hülle von frisch gefallenem Schnee. Er nahm ein Blatt Papier zur Hand und schrieb das erwähnte Distichon nieder, und Goethe, der Andere so[41] gern anerkannte, war so entzückt davon, daß er ausrief: »Knebel, für dieses Distichon gäb' ich einen Band meiner Werke hin!«


Die Enkelin Knebel's, der wir das Obige verdanken, schreibt uns dazu: »Diese kleine Episode aus dem Leben meines Großvaters habe ich in meiner Jugend oft und immer genau in derselben Weise erzählen hören, sowohl von meinem Vater als auch besonders anschaulich und lebendig von dem verstorbenen Dr. Theophilus Bayer in Jena, der als Hauslehrer des jüngsten Sohnes K. L. v. Knebel's Jahre lang in dessen Hause lebte und bis zu seinem Tode ein Freund der Familie blieb. Ich kann deshalb für die Wahrheit des Mitgetheilten einstehen.«[42]


1793.*


1804 oder 1805.


Über die katholischen Sacramente

Goethe's »Leben« (den zweiten Theil) habe ich [H. Voß] bis zur Hälfte gelesen und mit großem Vergnügen bis auf die Sacramente, in deren allegorischer Darstellung er offenbar dem Zeitgeiste huldigt. Lieber Gott, wie ganz anders habe ich darüber Goethe reden gehört.[213]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 40-44,213-214.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon