Dritter Gesang

[461] Nun war Hinze, der Kater, ein Stückchen Weges gegangen;

Einen Martinsvogel erblickt' er von weitem, da rief er:

»Edler Vogel! Glück auf! o wende die Flügel und fliege

Her zu meiner Rechten!« Es flog der Vogel und setzte

Sich zur Linken des Katers, auf einem Baume zu singen.

Hinze betrübte sich sehr, er glaubte sein Unglück zu hören,

Doch er machte nun selber sich Mut, wie mehrere pflegen.

Immer wandert' er fort nach Malepartus, da fand er

Vor dem Hause Reineken sitzen, er grüßt' ihn und sagte:

»Gott, der reiche, der gute, bescher Euch glücklichen Abend!

Euer Leben bedrohet der König, wofern Ihr Euch weigert,

Mit nach Hofe zu kommen; und ferner läßt er Euch sagen:

Stehet den Klägern zu Recht, sonst werden's die Eurigen büßen.«

Reineke sprach: »Willkommen dahier, geliebtester Neffe!

Möget Ihr Segen von Gott nach meinem Wunsche genießen.«

Aber er dachte nicht so in seinem verrätrischen Herzen;

Neue Tücke sann er sich aus, er wollte den Boten

Wieder geschändet nach Hofe senden. Er nannte den Kater

Immer seinen Neffen und sagte: »Neffe, was setzt man

Euch für Speise nur vor? Man schläft gesättiget besser;

Einmal bin ich der Wirt, wir gingen dann morgen am Tage

Beide nach Hofe: so dünkt es mich gut. Von meinen Verwandten

Ist mir keiner bekannt, auf den ich mich lieber verließe.

Denn der gefräßige Bär war trotzig zu mir gekommen.

Er ist grimmig und stark, daß ich um vieles nicht hätte

Ihm zur Seite die Reise gewagt. Nun aber versteht sich's,

Gerne geh ich mit Euch. Wir machen uns frühe des Morgens

Auf den Weg: so scheinet es mir das beste geraten.«[461]

Hinze versetzte darauf: »Es wäre besser, wir machten

Gleich uns fort nach Hofe, so wie wir gehen und stehen.

Auf der Heide scheinet der Mond, die Wege sind trocken.«

Reineke sprach: »Ich finde bei Nacht das Reisen gefährlich.

Mancher grüßet uns freundlich bei Tage, doch käm er im Finstern

Uns in den Weg, es möchte wohl kaum zum besten geraten.«

Aber Hinze versetzte: »So laßt mich wissen, mein Neffe,

Bleib ich hier, was sollen wir essen?« Und Reineke sagte:

Ȁrmlich behelfen wir uns; doch wenn Ihr bleibet, so bring ich

Frische Honigscheiben hervor, ich wähle die klärsten.«

»Niemals eß ich dergleichen«, versetzte murrend der Kater.

»Fehlet Euch alles im Hause, so gebt eine Maus her! Mit dieser

Bin ich am besten versorgt, und sparet das Honig für andre.«

»Eßt Ihr Mäuse so gern?« sprach Reineke. »Redet mir ernstlich;

Damit kann ich Euch dienen. Es hat mein Nachbar, der Pfaffe,

Eine Scheun im Hofe, darin sind Mäuse, man führe

Sie auf keinem Wagen hinweg; ich höre den Pfaffen

Klagen, daß sie bei Nacht und Tag ihm lästiger werden.«

Unbedächtig sagte der Kater: »Tut mir die Liebe,

Bringet mich hin zu den Mäusen! denn über Wildbret und alles

Lob ich mir Mäuse, die schmecken am besten.« Und Reineke sagte:

»Nun wahrhaftig, Ihr sollt mir ein herrliches Gastmahl genießen.

Da mir bekannt ist, womit ich Euch diene, so laßt uns nicht zaudern.«


Hinze glaubt' ihm und folgte; sie kamen zur Scheune des Pfaffen,

Zu der lehmernen Wand. Die hatte Reineke gestern

Klug durchgraben und hatte durchs Loch dem schlafenden Pfaffen

Seiner Hähne den besten entwendet. Das wollte Martinchen

Rächen, des geistlichen Herrn geliebtes Söhnchen; er knüpfte

Klug vor die Öffnung den Strick mit einer Schlinge; so hofft' er

Seinen Hahn zu rächen am wiederkehrenden Diebe.

Reineke wußt und merkte sich das und sagte: »Geliebter

Neffe, kriechet hinein gerade zur Öffnung: ich halte

Wache davor, indessen Ihr mauset; Ihr werdet zu Haufen

Sie im Dunkeln erhaschen. Oh! höret, wie munter sie pfeifen![462]

Seid Ihr satt, so kommt nur zurück, Ihr findet mich wieder.

Trennen dürfen wir nicht uns diesen Abend, denn morgen

Gehen wir früh und kürzen den Weg mit muntern Gesprächen.«

»Glaubt Ihr«, sagte der Kater, »es sei hier sicher zu kriechen?

Denn es haben mitunter die Pfaffen auch Böses im Sinne.«

Da versetzte der Fuchs, der Schelm: »Wer konnte das wissen!

Seid Ihr so blöde? Wir gehen zurück; es soll Euch mein Weibchen

Gut und mit Ehren empfangen, ein schmackhaft Essen bereiten;

Wenn es auch Mäuse nicht sind, so laßt es uns fröhlich verzehren.«

Aber Hinze, der Kater, sprang in die Öffnung, er schämte

Sich vor Reinekens spottenden Worten und fiel in die Schlingen.

Also empfanden Reinekens Gäste die böse Bewirtung.


Da nun Hinze den Strick an seinem Halse verspürte,

Fuhr er ängstlich zusammen und übereilte sich furchtsam,

Denn er sprang mit Gewalt: da zog der Strick sich zusammen.

Kläglich rief er Reineken zu, der außer dem Loche

Horchte, sich hämisch erfreute und so zur Öffnung hineinsprach:

»Hinze, wie schmecken die Mäuse? Ihr findet sie, glaub ich, gemästet.

Wüßte Martinchen doch nur, daß Ihr sein Wildbret verzehret;

Sicher brächt er Euch Senf: er ist ein höflicher Knabe.

Singet man so bei Hofe zum Essen? Es klingt mir bedenklich.

Wüßt ich Isegrim nur in diesem Loche, so wie ich

Euch zu Falle gebracht; er sollte mir alles bezahlen,

Was er mir Übels getan!« Und so ging Reineke weiter.

Aber er ging nicht allein, um Diebereien zu üben;

Ehbruch, Rauben und Mord und Verrat, er hielt es nicht sündlich.

Und er hatte sich eben was ausgesonnen. Die schöne

Gieremund wollt er besuchen in doppelter Absicht: fürs erste

Hofft' er von ihr zu erfahren, was eigentlich Isegrim klagte;

Zweitens wollte der Schalk die alten Sünden erneuern.

Isegrim war nach Hofe gegangen, das wollt er benutzen.

Denn wer zweifelt daran, es hatte die Neigung der Wölfin

Zu dem schändlichen Fuchse den Zorn des Wolfes entzündet.

Reineke trat in die Wohnung der Frauen und fand sie nicht heimisch.[463]

»Grüß Euch Gott! Stiefkinderchen!« sagt' er, nicht mehr und nicht minder.

Nickte freundlich den Kleinen und eilte nach seinem Gewerbe.

Als Frau Gieremund kam des Morgens, wie es nur tagte,

Sprach sie: »Ist niemand kommen, nach mir zu fragen?« – »Soeben

Geht Herr Pate Reineke fort, er wünscht' Euch zu sprechen.

Alle, wie wir hier sind, hat er Stiefkinder geheißen.«

Da rief Gieremund aus: »Er soll es bezahlen!« und eilte,

Diesen Frevel zu rächen zur selben Stunde. Sie wußte,

Wo er pflegte zu gehn sie erreicht' ihn, zornig begann sie:

»Was für Worte sind das? Und was für schimpfliche Reden

Habt Ihr ohne Gewissen vor meinen Kindern gesprochen?

Büßen sollt Ihr dafür!« So sprach sie zornig und zeigt' ihm

Ein ergrimmtes Gesicht; sie faßt' ihn am Barte, da fühlt' er

Ihrer Zähne Gewalt und lief und wollt ihr entweichen;

Sie behend strich hinter ihm drein. Da gab es Geschichten –

Ein verfallenes Schloß war in der Nähe gelegen,

Hastig liefen die beiden hinein; es hatte sich aber

Altershalben die Mauer an einem Turme gespalten.

Reineke schlupfte hindurch; allein er mußte sich zwängen,

Denn die Spalte war eng; und eilig steckte die Wölfin,

Groß und stark, wie sie war, den Kopf in die Spalte; sie drängte,

Schob und brach und zog und wollte folgen, und immer

Klemmte sie tiefer sich ein und konnte nicht vorwärts noch rückwärts.

Da das Reineke sah, lief er zur anderen Seite

Krummen Weges herein und kam und macht' ihr zu schaffen.

Aber sie ließ es an Worten nicht fehlen, sie schalt ihn: »Du handelst

Als ein Schelm! ein Dieb!« Und Reineke sagte dagegen:

»Ist es noch niemals geschehn, so mag es jetzo geschehen.«


Wenig Ehre verschafft es, sein Weib mit andern zu sparen,

Wie nun Reineke tat. Gleichviel war alles dem Bösen.

Da nun endlich die Wölfin sich aus der Spalte gerettet,

War schon Reineke weg und seine Straße gegangen.

Und so dachte die Frau, sich selber Recht zu verschaffen,

Ihrer Ehre zu wahren, und doppelt war sie verloren.[464]

Lasset uns aber zurück nach Hinzen sehen. Der Arme,

Da er gefangen sich fühlte, beklagte nach Weise der Kater

Sich erbärmlich: das hörte Martinchen und sprang aus dem Bette.

»Gott sei Dank! Ich habe den Strick zur glücklichen Stunde

Vor die Öffnung geknüpft; der Dieb ist gefangen! Ich denke,

Wohl bezahlen soll er den Hahn!« so jauchzte Martinchen,

Zündete hurtig ein Licht an (im Hause schliefen die Leute);

Weckte Vater und Mutter darauf und alles Gesinde;

Rief: »Der Fuchs ist gefangen! wir wollen ihm dienen.« Sie kamen

Alle, groß und klein, ja selbst der Pater erhub sich.

Warf ein Mäntelchen um; es lief mit doppelten Lichtern

Seine Köchin voran, und eilig hatte Martinchen

Einen Knüttel gefaßt und machte sich über den Kater,

Traf ihm Haut und Haupt und schlug ihm grimmig ein Aug aus.

Alle schlugen auf ihn; es kam mit zackiger Gabel

Hastig der Pater herbei und glaubte den Räuber zu fällen.

Hinze dachte zu sterben; da sprang er wütend entschlossen

Zwischen die Schenkel des Pfaffen und biß und kratzte gefährlich,

Schändete grimmig den Mann und rächte grausam das Auge.

Schreiend stürzte der Pater und fiel ohnmächtig zur Erden.

Unbedachtsam schimpfte die Köchin, es habe der Teufel

Ihr zum Possen das Spiel selbst angerichtet. Und doppelt,

Dreifach schwur sie: wie gern verlöre sie, wäre das Unglück

Nicht dem Herren begegnet, ihr bißchen Habe zusammen.

Ja, sie schwur: ein Schatz von Golde, wenn sie ihn hätte,

Sollte sie wahrlich nicht reuen, sie wollt ihn missen. So jammert'

Sie die Schande des Herrn und seine schwere Verwundung.

Endlich brachten sie ihn mit vielen Klagen zu Bette,

Ließen Hinzen am Strick und hatten seiner vergessen.


Als nun Hinze, der Kater, in seiner Not sich allein sah,

Schmerzlich geschlagen und übel verwundet, so nahe dem Tode,

Faßt' er aus Liebe zum Leben den Strick und nagt' ihn behende.

Sollt ich mich etwa erlösen vom großen Übel? so dacht er.

Und es gelang ihm, der Strick zerriß. Wie fand er sich glücklich!

Eilte, dem Ort zu entfliehn, wo er so vieles erduldet,[465]

Hastig sprang er zum Loche heraus und eilte die Straße

Nach des Königes Hof, den er des Morgens erreichte.

Ärgerlich schalt er sich selbst: So mußte dennoch der Teufel

Dich durch Reinekens List, des bösen Verräters, bezwingen!

Kommst du doch mit Schande zurück, am Auge geblendet

Und mit Schlägen schmerzlich beladen, wie mußt du dich schämen!


Aber des Königes Zorn entbrannte heftig, er dräute

Dem Verräter den Tod ohn alle Gnade. Da ließ er

Seine Räte versammeln; es kamen seine Baronen,

Seine Weisen zu ihm, er fragte: Wie man den Frevler

Endlich brächte zu Recht, der schon so vieles verschuldet?

Als nun viele Beschwerden sich über Reineken häuften,

Redete Grimbart, der Dachs: »Es mögen in diesem Gerichte

Viele Herren auch sein, die Reineken Übels gedenken,

Doch wird niemand die Rechte des freien Mannes verletzen.

Nun zum drittenmal muß man ihn fordern. Ist dieses geschehen,

Kommt er dann nicht, so möge das Recht ihn schuldig erkennen.«

Da versetzte der König: »Ich fürchte, keiner von allen

Ginge, dem tückischen Manne die dritte Ladung zu bringen.

Wer hat ein Auge zuviel? Wer mag verwegen genug sein,

Leib und Leben zu wagen um diesen bösen Verräter?

Seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen und dennoch am Ende

Reineken nicht zu stellen? Ich denke, niemand versucht es.«


Überlaut versetzte der Dachs: »Herr König, begehret

Ihr es von mir, so will ich sogleich die Botschaft verrichten,

Sei es, wie es auch sei. Wollt Ihr mich öffentlich senden,

Oder geh ich, als käm ich von selber? Ihr dürft nur befehlen.«

Da beschied ihn der König: »So geht dann! Alle die Klagen

Habt Ihr sämtlich gehört, und geht nur weislich zu Werke:

Denn es ist ein gefährlicher Mann.« Und Grimbart versetzte:

»Einmal muß ich es wagen und hoff ihn dennoch zu bringen.«

So betrat er den Weg nach Malepartus, der Feste;

Reineken fand er daselbst mit Weib und Kindern und sagte:

»Oheim Reineke, seid mir gegrüßt! Ihr seid ein gelehrter,[466]

Weiser, kluger Mann, wir müssen uns alle verwundern,

Wie Ihr des Königs Ladung verachtet, ich sage, verspottet.

Deucht Euch nicht, es wäre nun Zeit? Es mehren sich immer

Klagen und böse Gerüchte von allen Seiten. Ich rat Euch,

Kommt nach Hofe mit mir, es hilft kein längeres Zaudern.

Viele, viele Beschwerden sind vor den König gekommen,

Heute werdet Ihr nun zum dritten Male geladen;

Stellt Ihr Euch nicht, so seid Ihr verurteilt. Dann führet der König

Seine Vasallen hieher, Euch einzuschließen, in dieser

Feste Malepartus Euch zu belagern; so gehet

Ihr mit Weib und Kindern und Gut und Leben zugrunde.

Ihr entfliehet dem Könige nicht; drum ist es am besten,

Kommt nach Hofe mit mir! Es wird an listiger Wendung

Euch nicht fehlen, Ihr habt sie bereit und werdet Euch retten;

Denn Ihr habt ja wohl oft, auch an gerichtlichen Tagen,

Abenteuer bestanden, weit größer als dieses, und immer

Kamt Ihr glücklich davon und Eure Gegner in Schande.«


Grimbart hatte gesprochen, und Reineke sagte dagegen:

»Oheim, Ihr ratet mir wohl, daß ich zu Hofe mich stelle,

Meines Rechtes selber zu wahren. Ich hoffe, der König

Wird mir Gnade gewähren; er weiß, wie sehr ich ihm nütze;

Aber er weiß auch, wie sehr ich deshalb den andern verhaßt bin.

Ohne mich kann der Hof nicht bestehn. Und hätt ich noch zehnmal

Mehr verbrochen, so weiß ich es schon, sobald mir's gelinget,

Ihm in die Augen zu sehen und ihn zu sprechen, so fühlt er

Seinen Zorn im Busen bezwungen. Denn freilich begleiten

Viele den König und kommen in seinem Rate zu sitzen;

Aber es geht ihm niemal zu Herzen; sie finden zusammen

Weder Rat noch Sinn. Doch bleibet an jeglichem Hofe,

Wo ich immer auch sei, der Ratschluß meinem Verstande.

Denn versammeln sich König und Herren, in kitzlichen Sachen

Klugen Rat zu ersinnen, so muß ihn Reineke finden.

Das mißgönnen mir viele. Die hab ich leider zu fürchten,

Denn sie haben den Tod mir geschworen, und grade die Schlimmsten[467]

Sind am Hofe versammelt, das macht mich eben bekümmert.

Über zehen und Mächtige sind's, wie kann ich alleine

Vielen widerstehn? Drum hab ich immer gezaudert.

Gleichwohl find ich es besser, mit Euch nach Hofe zu wandeln,

Meine Sache zu wahren; das soll mehr Ehre mir bringen,

Als durch Zaudern mein Weib und meine Kinder in Ängsten

Und Gefahren zu stürzen; wir wären alle verloren.

Denn der König ist mir zu mächtig, und was es auch wäre,

Müßt ich tun, sobald er's befiehlt. Wir können versuchen,

Gute Verträge vielleicht mit unsern Feinden zu schließen.«


Reineke sagte darnach: »Frau Ermelyn, nehmet der Kinder

(Ich empfehl es Euch) wahr, vor allen andern des jüngsten,

Reinharts; es stehn ihm die Zähne so artig ums Mäulchen, ich hoff, er

Wird der leibhaftige Vater; und hier ist Rossel, das Schelmchen,

Der mir ebenso lieb ist. Oh! tut den Kindern zusammen

Etwas zugut, indes ich weg bin! Ich will's Euch gedenken,

Kehr ich glücklich zurück und Ihr gehorchet den Worten.«

Also schied er von dannen mit Grimbart, seinem Begleiter,

Ließ Frau Ermelyn dort mit beiden Söhnen und eilte;

Unberaten ließ er sein Haus; das schmerzte die Füchsin.


Beide waren noch nicht ein Stündchen Weges gegangen,

Als zu Grimbart Reineke sprach: »Mein teuerster Oheim,

Wertester Freund, ich muß Euch gestehn, ich bebe vor Sorgen.

Ich entschlage mich nicht des ängstlichen, bangen Gedankens,

Daß ich wirklich dem Tod entgegengehe. Da seh ich

Meine Sünden vor mir, soviel ich deren begangen.

Ach! ihr glaubet mir nicht die Unruh, die ich empfinde.

Laßt mich beichten! höret mich an! kein anderer Pater

Ist in der Nähe zu finden; und hab ich alles vom Herzen,

Werd ich nicht schlimmer darum vor meinem Könige stehen.«

Grimbart sagte: »Verredet zuerst das Rauben und Stehlen,

Allen bösen Verrat und andre gewöhnliche Tücken,

Sonst kann Euch die Beichte nicht helfen.« – »Ich weiß es«, versetzte

Reineke, »darum laßt mich beginnen und höret bedächtig.[468]

Confiteor tibi, pater et mater, daß ich der Otter,

Daß ich dem Kater und manchen gar manche Tücke versetzte,

Ich bekenn es und lasse mir gern die Buße gefallen.«

»Redet deutsch«, versetzte der Dachs, »damit ich's verstehe.«

Reineke sagte: »Ich habe mich freilich, wie sollt ich es leugnen!

Gegen alle Tiere, die jetzo leben, versündigt.

Meinen Oheim, den Bären, den hielt ich im Baume gefangen;

Blutig ward ihm sein Haupt, und viele Prügel ertrug er.

Hinzen fahrt ich nach Mäusen; allein am Stricke gehalten,

Mußt er vieles erdulden und hat sein Auge verloren.

Und so klaget auch Henning mit Recht, ich raubt ihm die Kinder,

Groß' und kleine, wie ich sie fand, und ließ sie mir schmecken.

Selbst verschont ich des Königes nicht, und mancherlei Tücken


Übt ich kühnlich an ihm und an der Königin selber;

Spät verwindet sie's nur. Und weiter muß ich bekennen:

Isegrim hab ich, den Wolf, mit allem Fleiße geschändet;

Alles zu sagen, fänd ich nicht Zeit. So hab ich ihn immer

Scherzend Oheim genannt, und wir sind keine Verwandte.

Einmal, es werden nun bald sechs Jahre, kam er nach Elkmar

Zu mir ins Kloster, ich wohnte daselbst, und bat mich um Beistand,

Weil er eben ein Mönch zu werden gedächte. Das, meint' er,

Wär ein Handwerk für ihn, und zog die Glocke. Das Läuten

Freut' ihn so sehr! Ich band ihm darauf die vorderen Füße

Mit dem Seile zusammen, er war es zufrieden und stand so,

Zog und erlustigte sich und schien das Läuten zu lernen.

Doch es sollt ihm die Kunst zu schlechter Ehre gedeihen,

Denn er läutete zu wie toll und törig. Die Leute

Liefen eilig bestürzt aus allen Straßen zusammen,

Denn sie glaubten, es sei ein großes Unglück begegnet;

Kamen und fanden ihn da, und eh er sich eben erklärte,

Daß er den geistlichen Stand ergreifen wolle, so war er

Von der dringenden Menge beinah zu Tode geschlagen.

Dennoch beharrte der Tor auf seinem Vorsatz und bat mich,

Daß ich ihm sollte mit Ehren zu einer Platte verhelfen;

Und ich ließ ihm das Haar auf seinem Scheitel versengen,

Daß die Schwarte davon zusammenschrumpfte. So hab ich
[469]

Oft ihm Prügel und Stöße mit vieler Schande bereitet.

Fische lehrt ich ihn fangen, sie sind ihm übel bekommen.

Einsmal folgt' er mir auch im Jülicher Lande, wir schlichen

Zu der Wohnung des Pfaffen, des reichsten in dortiger Gegend.

Einen Speicher hatte der Mann mit köstlichen Schinken,

Lange Seiten des zartesten Specks verwahrt' er daneben,

Und ein frisch gesalzenes Fleisch befand sich im Troge.

Durch die steinerne Mauer gelang es Isegrim endlich,

Eine Spalte zu kratzen, die ihn gemächlich hindurchließ,

Und ich trieb ihn dazu, es trieb ihn seine Begierde.

Aber da konnt er sich nicht im Überflusse bezwingen,

Übermäßig füllt' er sich an; da hemmte gewaltig

Den geschwollenen Leib und seine Rückkehr die Spalte.

Ach, wie klagt' er sie an, die ungetreue, sie ließ ihn

Hungrig hinein und wollte dem Satten die Rückkehr verwehren.

Und ich machte darauf ein großes Lärmen im Dorfe,

Daß ich die Menschen erregte, die Spuren des Wolfes zu finden.

Denn ich lief in die Wohnung des Pfaffen und traf ihn beim Essen,

Und ein fetter Kapaun ward eben vor ihn getragen,

Wohl gebraten; ich schnappte darnach und trug ihn von dannen.

Hastig wollte der Pfaffe mir nach und lärmte, da stieß er

Über den Haufen den Tisch mit Speisen und allem Getränke.

›Schlaget, werfet, fanget und stechet!‹ so rief der ergrimmte

Pater und fiel und kühlte den Zorn (er hatte die Pfütze

Nicht gesehen) und lag. Und alle kamen und schrien:

›Schlagt!‹ Ich rannte davon und hinter mir alle zusammen,

Die mir das Schlimmste gedachten. Am meisten lärmte der Pfaffe:

›Welch ein verwegener Dieb! Er nahm das Huhn mir vom Tische!‹

Und so lief ich voraus, bis zu dem Speicher, da ließ ich

Wider Willen das Huhn zur Erde fallen, es ward mir

Endlich leider zu schwer; und so verlor mich die Menge.

Aber sie fanden das Huhn, und da der Pater es aufhub,

Ward er des Wolfes im Speicher gewahr, es sah ihn der Haufen.

Allen rief der Pater nun zu: ›Hierher nur! und trefft ihn!

Uns ist ein anderer Dieb, ein Wolf, in die Hände gefallen,

Käm er davon, wir wären beschimpft; es lachte wahrhaftig[470]

Alles auf unsre Kosten im ganzen Jülicher Lande.‹

Was er nur konnte, dachte der Wolf. Da regnet' es Schläge

Hierher und dorther ihm über den Leib und schmerzliche Wunden.

Alle schrien, so laut sie konnten; die übrigen Bauern

Liefen zusammen und streckten für tot ihn zur Erde darnieder.

Größeres Weh geschah ihm noch nie, solang er auch lebte.

Malt' es einer auf Leinwand, es wäre seltsam zu sehen,

Wie er dem Pfaffen den Speck und seine Schinken bezahlte.

Auf die Straße warfen sie ihn und schleppten ihn eilig

Über Stock und Stein; es war kein Leben zu spüren.

Und er hatte sich unrein gemacht, da warf man mit Abscheu

Vor das Dorf ihn hinaus; er lag in schlammiger Grube,

Denn sie glaubten ihn tot. In solcher schmählichen Ohnmacht

Blieb er, ich weiß nicht wie lange, bevor er sein Elend gewahr ward.

Wie er noch endlich entkommen, das hab ich niemals erfahren.

Und doch schwur er hernach (es kann ein Jahr sein), mir immer

Treu und gewärtig zu bleiben; nur hat es nicht lange gedauert.

Denn warum er mir schwur, das konnt ich leichtlich begreifen:

Gerne hätt er einmal sich satt an Hühnern gegessen.

Und damit ich ihn tüchtig betröge, beschrieb ich ihm ernstlich

Einen Balken, auf dem sich ein Hahn des Abends gewöhnlich

Neben sieben Hühnern zu setzen pflegte. Da führt ich

Ihn im stillen bei Nacht, es hatte zwölfe geschlagen,

Und der Laden des Fensters, mit leichter Latte gestützet,

Stand (ich wußt es) noch offen. Ich tat, als wollt ich hineingehn;

Aber ich schmiegte mich an und ließ dem Oheim den Vortritt.

›Gehet frei nur hinein‹, so sagt ich; ›wollt Ihr gewinnen,

Seid geschäftig, es gilt! Ihr findet gemästete Hennen.‹

Gar bedächtig kroch er hinein und tastete leise

Hier- und dahin und sagte zuletzt mit zornigen Worten:

›O wie führt Ihr mich schlecht! ich finde wahrlich von Hühnern

Keine Feder.‹ Ich sprach: ›Die vorne pflegten zu sitzen,

Hab ich selber geholt, die andern sitzen dahinten.

Geht nur unverdrossen voran und tretet behutsam.‹

Freilich der Balken war schmal, auf dem wir gingen. Ich ließ ihn

Immer voraus und hielt mich zurück und drückte mich rückwärts[471]

Wieder zum Fenster hinaus und zog am Holze; der Laden

Schlug und klappte, das fuhr dem Wolf in die Glieder und schreckt' ihn;

Zitternd plumpt' er hinab vom schmalen Balken zur Erde.

Und erschrocken erwachten die Leute, sie schliefen am Feuer.

›Sagt, was fiel zum Fenster herein?‹ so riefen sie alle,

Rafften behende sich auf, und eilig brannte die Lampe.

In der Ecke fanden sie ihn und schlugen und gerbten

Ihm gewaltig das Fell; mich wundert, wie er entkommen.


Weiter bekenn ich vor Euch, daß ich Frau Gieremund heimlich

Öfters besucht und öffentlich auch. Das hätte nun freilich

Unterbleiben sollen, o wär es niemals geschehen!

Denn, solange sie lebt, verwindet sie schwerlich die Schande.


Alles hab ich Euch jetzt gebeichtet, dessen ich irgend

Mich zu erinnern vermag, was meine Seele beschweret.

Sprechet mich los! ich bitte darum; ich werde mit Demut

Jede Buße vollbringen, die schwerste, die Ihr mir auflegt.«


Grimbart wußte sich schon in solchen Fällen zu nehmen,


Brach ein Reischen am Wege, dann sprach er: »Oheim, nun schlagt Euch

Dreimal über den Rücken mit diesem Reischen, und legt es,

Wie ich's Euch zeige, zur Erde, und springet dreimal darüber;

Dann mit Sanftmut küsset das Reis, und zeigt Euch gehorsam.

Solche Buße legt ich Euch auf und spreche von allen

Sünden und allen Strafen Euch los und ledig, vergeb Euch

Alles im Namen des Herrn, soviel Ihr immer begangen.«


Und als Reineke nun die Buße willig vollendet,

Sagte Grimbart: »Lasset an guten Werken; mein Oheim,

Eure Besserung spüren, und leset Psalmen, besuchet

Fleißig die Kirchen, und fastet an rechten gebotenen Tagen;

Wer Euch fraget, dem weiset den Weg, und gebet den Armen

Gern, und schwöret mir zu, das böse Leben zu lassen,

Alles Rauben und Stehlen, Verrat und böse Verführung,

Und so ist es gewiß, daß Ihr zu Gnaden gelanget.«

Reineke sprach: »So will ich es tun, so sei es geschworen!«[472]

Und so war die Beichte vollendet. Da gingen sie weiter

Nach des Königes Hof. Der fromme Grimbart und jener

Kamen durch schwärzliche fette Gebreite; sie sahen ein Kloster

Rechter Hand des Weges, es dienten geistliche Frauen

Spat und früh dem Herren daselbst und nährten im Hofe

Viele Hühner und Hähne, mit manchem schönen Kapaune,

Welche nach Futter zuweilen sich außer der Mauer zerstreuten.

Reineke pflegte sie oft zu besuchen. Da sagt' er zu Grimbart:

»Unser kürzester Weg geht an der Mauer vorüber«;

Aber er meinte die Hühner, wie sie im Freien spazierten.

Seinen Beichtiger führt' er dahin, sie nahten den Hühnern;

Da verdrehte der Schalk die gierigen Augen im Kopfe.

Ja, vor allen gefiel ihm ein Hahn, der jung und gemästet

Hinter den andern spazierte, den faßt' er treulich ins Auge,

Hastig sprang er hinter ihm drein; es stoben die Federn.


Aber Grimbart, entrüstet, verwies ihm den schändlichen Rückfall.

»Handelt Ihr so? unseliger Oheim, und wollt Ihr schon wieder

Um ein Huhn in Sünde geraten, nachdem Ihr gebeichtet?

Schöne Reue heiß ich mir das!« Und Reineke sagte:

»Hab ich es doch in Gedanken getan! O teuerster Oheim,

Bittet zu Gott, er möge die Sünde mir gnädig vergeben.

Nimmer tu ich es wieder und laß es gerne.« Sie kamen

Um das Kloster herum in ihre Straße, sie mußten

Über ein schmales Brückchen hinüber, und Reineke blickte

Wieder nach den Hühnern zurück; er zwang sich vergebens.

Hätte jemand das Haupt ihm abgeschlagen, es wäre

Nach den Hühnern geflogen; so heftig war die Begierde.


Grimbart sah es und rief: »Wo laßt Ihr, Neffe, die Augen

Wieder spazieren? Fürwahr, Ihr seid ein häßlicher Vielfraß!«

Reineke sagte darauf: »Das macht Ihr übel, Herr Oheim!

Übereilet Euch nicht, und stört nicht meine Gebete;

Laßt ein Paternoster mich sprechen. Die Seelen der Hühner

Und der Gänse bedürfen es wohl, so viel ich den Nonnen,

Diesen heiligen Frauen, durch meine Klugheit entrissen.«[473]

Grimbart schwieg, und Reineke Fuchs verwandte das Haupt nicht

Von den Hühnern, solang er sie sah. Doch endlich gelangten

Sie zur rechten Straße zurück und nahten dem Hofe.

Und als Reineke nun die Burg des Königs erblick te,

Ward er innig betrübt; denn heftig war er beschuldigt.
[474]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 461-475.
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