Zweiter Gesang

[452] Also wandelte Braun auf seinem Weg zum Gebirge

Stolzen Mutes dahin, durch eine Wüste, die groß war,

Lang und sandig und breit; und als er sie endlich durchzogen,

Kam er gegen die Berge, wo Reineke pflegte zu jagen;

Selbst noch Tages zuvor hatt er sich dorten erlustigt.

Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte

Reineke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen,

Deren ihm viele gehörten, war Malepartus die beste.

Reineke wohnte daselbst, sobald er Übels besorgte.

Braun erreichte das Schloß und fand die gewöhnliche Pforte

Fest verschlossen. Da trat er davor und besann sich ein wenig;

Endlich rief er und sprach: »Herr Oheim, seid Ihr zu Hause?

Braun, der Bär, ist gekommen, des Königs gerichtlicher Bote.

Denn es hat der König geschworen, Ihr sollet bei Hofe

Vor Gericht Euch stellen, ich soll Euch holen, damit Ihr

Recht zu nehmen und Recht zu geben keinem verweigert,

Oder es soll Euch das Leben kosten; denn bleibt Ihr dahinten,

Ist mit Galgen und Rad Euch gedroht. Drum wählet das Beste,

Kommt und folget mir nach, sonst möcht es Euch übel bekommen.«


Reineke hörte genau vom Anfang zum Ende die Rede,

Lag und lauerte still und dachte: Wenn es gelänge,

Daß ich dem plumpen Kompan die stolzen Worte bezahlte?

Laßt uns die Sache bedenken. Er ging in die Tiefe der Wohnung

In die Winkel des Schlosses, denn künstlich war es gebauet:

Löcher fanden sich hier und Höhlen mit vielerlei Gängen,

Eng und lang, und mancherlei Türen zum Öffnen und Schließen,

Wie es Zeit war und Not. Erfuhr er, daß man ihn suchte[452]

Wegen schelmischer Tat, da fand er die beste Beschirmung.

Auch aus Einfalt hatten sich oft in diesen Mäandern

Arme Tiere gefangen, willkommene Beute dem Räuber.

Reineke hatte die Worte gehört, doch fürchtet' er klüglich,

Andre möchten noch neben dem Boten im Hinterhalt liegen.


Als er sich aber versichert, der Bär sei einzeln gekommen,

Ging er listig hinaus und sagte: »Wertester Oheim,

Seid willkommen! Verzeiht mir! ich habe Vesper gelesen,

Darum ließ ich Euch warten. Ich dank Euch, daß Ihr gekommen,

Denn es nutzt mir gewiß bei Hofe, so darf ich es hoffen.

Seid zu jeglicher Stunde, mein Oheim, willkommen! Indessen

Bleibt der Tadel für den, der Euch die Reise befohlen,

Denn sie ist weit und beschwerlich. O Himmel! wie Ihr erhitzt seid!

Eure Haare sind naß und Euer Odem beklommen.

Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden

Als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet?

Aber so sollt es wohl sein zu meinem Vorteil; ich bitte,

Helft mir am Hofe des Königs, allwo man mich übel verleumdet.

Morgen, setzt ich mir vor, trotz meiner mißlichen Lage,

Frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk ich noch immer;

Nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen.

Leider hab ich zuviel von einer Speise gegessen,

Die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe.«

Braun versetzte darauf: »Was war es, Oheim?« Der andre

Sagte dagegen: »Was könnt es Euch helfen, und wenn ich's erzählte.

Kümmerlich frist ich mein Leben; ich leid es aber geduldig,

Ist ein armer Mann doch kein Graf! und findet zuweilen

Sich für uns und die Unsern nichts Besseres, müssen wir freilich

Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben.

Doch ich esse sie nur aus Not; nun bin ich geschwollen.

Wider Willen schluckt ich das Zeug, wie sollt es gedeihen?

Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir's ferne vom Gaumen.«


»Ei! was hab ich gehört!« versetzte der Braune, »Herr Oheim!

Ei! verschmähet Ihr so den Honig, den mancher begehret?

Honig, muß ich Euch sagen, geht über alle Gerichte,[453]

Wenigstens mir; o schafft mir davon, es soll Euch nicht reuen!

Dienen werd ich Euch wieder.« – »Ihr spottet«, sagte der andre.

»Nein, wahrhaftig!« verschwur sich der Bär, »es ist ernstlich gesprochen.«

»Ist dem also«, versetzte der Rote, »da kann ich Euch dienen,

Denn der Bauer Rüsteviel wohnt am Fuße des Berges.

Honig hat er! Gewiß, mit allem Eurem Geschlechte

Saht Ihr niemal so viel beisammen.« Da lüstet' es Braunen

Übermäßig nach dieser geliebten Speise. »O führt mich«,

Rief er, »eilig dahin! Herr Oheim, ich will es gedenken,

Schafft mir Honig, und wenn ich auch nicht gesättiget werde.«

»Gehen wir«, sagte der Fuchs, »es soll an Honig nicht fehlen,

Heute bin ich zwar schlecht zu Fuße, doch soll mir die Liebe,

Die ich Euch lange gewidmet, die sauern Tritte versüßen.

Denn ich kenne niemand von allen meinen Verwandten,

Den ich verehrte wie Euch! Doch kommt! Ihr werdet dagegen

An des Königes Hof am Herrentage mir dienen,

Daß ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme.

Honigsatt mach ich Euch heute, soviel Ihr immer nur tragen

Möget.« – Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern.


Reineke lief ihm zuvor, und blindlings folgte der Braune.

Will mir's gelingen, so dachte der Fuchs, ich bringe dich heute

Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zuteil wird.

Und sie kamen zu Rüsteviels Hofe; das freute den Bären,

Aber vergebens, wie Toren sich oft mit Hoffnung betrügen.


Abend war es geworden, und Reineke wußte, gewöhnlich

Liege Rüsteviel nun in seiner Kammer zu Bette,

Der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe

Lag ein eichener Stamm; er hatte, diesen zu trennen,

Schon zwei tüchtige Keile hineingetrieben, und oben

Klaffte gespalten der Baum fast ellenweit. Reineke merkt' es,

Und er sagte: »Mein Oheim, in diesem Baume befindet

Sich des Honiges mehr, als Ihr vermutet, nun stecket

Eure Schnauze hinein, so tief Ihr möget. Nur rat ich,[454]

Nehmet nicht gierig zuviel, es möcht Euch übel bekommen.«

»Meint Ihr«, sagte der Bär, »ich sei ein Vielfraß? Mitnichten!

Maß ist überall gut, bei allen Dingen.« Und also

Ließ der Bär sich betören und steckte den Kopf in die Spalte

Bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füße.

Reineke machte sich dran, mit vielem Ziehen und Zerren

Bracht er die Keile heraus; nun war der Braune gefangen,

Haupt und Füße geklemmt; es half kein Schelten noch Schmeicheln.

Vollauf hatte der Braune zu tun, so stark er und kühn war,

Und so hielt der Neffe mit List den Oheim gefangen.

Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füßen

Scharrt' er grimmig und lärmte so sehr, daß Rüsteviel aufsprang.

Was es wäre? dachte der Meister und brachte sein Beil mit,

Daß man bewaffnet ihn fände, wenn jemand zu schaden gedächte.


Braun befand sich indes in großen Ängsten; die Spalte

Klemmt' ihn gewaltig, er zog und zerrte, brüllend vor Schmerzen.

Aber mit alle der Pein war nichts gewonnen; er glaubte

Nimmer von dannen zu kommen; so meint' auch Reineke freudig.

Als er Rüsteviel sah von ferne schreiten, da rief er:

»Braun, wie steht es? Mäßiget Euch und schonet des Honigs!

Sagt, wie schmeckt es? Rüsteviel kommt und will Euch bewirten!

Nach der Mahlzeit bringt er ein Schlückchen, es mag Euch bekommen!«

Da ging Reineke wieder nach Malepartus, der Feste.

Aber Rüsteviel kam, und als er den Bären erblickte,

Lief er, die Bauern zu rufen, die noch in der Schenke beisammen

Schmauseten. »Kommt!« so rief er. »In meinem Hofe gefangen

Hat sich ein Bär, ich sage die Wahrheit.« Sie folgten und liefen,

Jeder bewehrte sich eilig, so gut er konnte. Der eine

Nahm die Gabel zur Hand und seinen Rechen der andre,

Und der dritte, der vierte, mit Spieß und Hacke bewaffnet,

Kamen gesprungen, der fünfte mit einem Pfahle gerüstet.

Ja, der Pfarrer und Küster, sie kamen mit ihrem Geräte.

Auch die Köchin des Pfaffen (sie hieß Frau Jutte, sie konnte

Grütze bereiten und kochen wie keine) blieb nicht dahinten,

Kam mit dem Rocken gelaufen, bei dem sie am Tage gesessen,[455]

Dem unglücklichen Bären den Pelz zu waschen. Der Braune

Hörte den wachsenden Lärm in seinen schrecklichen Nöten,

Und er riß mit Gewalt das Haupt aus der Spalte; da blieb ihm

Haut und Haar des Gesichts bis zu den Ohren im Baume.

Nein! kein kläglicher Tier hat jemand gesehen! Es rieselt'

Über die Ohren das Blut. Was half ihm, das Haupt zu befreien?

Denn es blieben die Pfoten im Baume stecken; da riß er

Hastig sie ruckend heraus; er raste sinnlos, die Klauen

Und von den Füßen das Fell blieb in der klemmenden Spalte.

Leider schmeckte dies nicht nach süßem Honig, wozu ihm

Reineke Hoffnung gemacht; die Reise war übel geraten,

Eine sorgliche Fahrt war Braunen geworden. Es blutet'

Ihm der Bart und die Füße dazu, er konnte nicht stehen,

Konnte nicht kriechen noch gehn. Und Rüsteviel eilte, zu schlagen

Alle fielen ihn an, die mit dem Meister gekommen;

Ihn zu töten war ihr Begehr. Es führte der Pater

Einen langen Stab in der Hand und schlug ihn von ferne.

Kümmerlich wandt er sich hin und her, es drängt' ihn der Haufen,

Einige hier mit Spießen, dort andre mit Beilen, es brachte

Hammer und Zange der Schmied, es kamen andre mit Schaufeln

Andre mit Spaten, sie schlugen drauflos und riefen und schlugen,

Daß er vor schmerzlicher Angst in eignem Unflat sich wälzte.

Alle setzten ihm zu, es blieb auch keiner dahinten;

Der krummbeinige Schloppe mit dem breitnasigen Ludolf

Waren die Schlimmsten, und Gerold bewegte den hölzernen Flegel

Zwischen den krummen Fingern; ihm stand sein Schwager zur Seite,

Kückelrei war es, der Dicke, die beiden schlugen am meisten.

Abel Quack und Frau Jutte dazu, sie ließen's nicht fehlen;

Talke Lorden Quacks traf mit der Butte den Armen.

Und nicht diese Genannten allein, denn Männer und Weiber,

Alle liefen herzu und wollten das Leben des Bären.

Kückelrei machte das meiste Geschrei, er dünkte sich vornehm:

Denn Frau Willigetrud am hinteren Tore (man wußt es)

War die Mutter, bekannt war nie sein Vater geworden.

Doch es meinten die Bauern, der Stoppelmäher, der schwarze

Sander, sagten sie, möcht es wohl sein, ein stolzer Geselle,[456]

Wenn er allein war. Es kamen auch Steine gewaltig geflogen,

Die den verzweifelten Braunen von allen Seiten bedrängten.

Nun sprang Rüsteviels Bruder hervor und schlug mit dem langen,

Dicken Knüttel den Bären aufs Haupt, daß Hören und Sehen

Ihm verging, doch fuhr er empor vom mächtigen Schlage.

Rasend fuhr er unter die Weiber, die untereinander

Taumelten, fielen und schrien, und einige stürzten ins Wasser,

Und das Wasser war tief. Da rief der Pater und sagte:

»Sehet, da unten schwimmt Frau Jutte, die Köchin, im Pelze,

Und der Rocken ist hier! O helft, ihr Männer! Ich gebe

Bier zwei Tonnen zum Lohn und großen Ablaß und Gnade.«

Alle ließen für tot den Bären liegen und eilten

Nach den Weibern ans Wasser, man zog aufs Trockne die fünfe.

Da indessen die Männer am Ufer beschäftiget waren,

Kroch der Bär ins Wasser vor großem Elend und brummte

Vor entsetzlichem Weh. Er wollte sich lieber ersäufen,

Als die Schläge so schändlich erdulden. Er hatte zu schwimmen

Nie versucht und hoffte sogleich das Leben zu enden.

Wider Vermuten fühlt' er sich schwimmen, und glücklich getragen

Ward er vom Wasser hinab, es sahen ihn alle die Bauern,

Riefen: »Das wird uns gewiß zur ewigen Schande gereichen!«

Und sie waren verdrießlich und schalten über die Weiber:

»Besser blieben sie doch zu Hause! Da seht nun, er schwimmet

Seiner Wege.« Sie traten herzu, den Block zu besehen,

Und sie fanden darin noch Haut und Haare vom Kopfe

Und von den Fußen und lachten darob und riefen: »Du kommst uns

Sicher wieder, behalten wir doch die Ohren zum Pfande!«

So verhöhnten sie ihn noch über den Schaden, doch war er

Froh, daß er nur dem Übel entging. Er fluchte den Bauern,

Die ihn geschlagen, und klagte den Schmerz der Ohren und Füße;

Fluchte Reineken, der ihn verriet. Mit solchen Gebeten

Schwamm er weiter, es trieb ihn der Strom, der reißend und groß war,

Binnen weniger Zeit fast eine Meile hinunter,

Und da kroch er ans Land am selbigen Ufer und keichte.

Kein bedrängteres Tier hat je die Sonne gesehen!

Und er dachte den Morgen nicht zu erleben, er glaubte[457]

Plötzlich zu sterben und rief: »O Reineke, falscher Verräter!

Loses Geschöpf!« Er dachte dabei der schlagenden Bauern,

Und er dachte des Baums und fluchte Reinekens Listen.


Aber Reineke Fuchs, nachdem er mit gutem Bedachte

Seinen Oheim zu Markte geführt, ihm Honig zu schaffen,

Lief er nach Hühnern, er wußte den Ort und schnappte sich eines,

Lief und schleppte die Beute behend am Flusse hinunter.

Dann verzehrt' er sie gleich und eilte nach andern Geschäften

Immer am Flusse dahin und trank des Wassers und dachte:

O wie bin ich so froh, daß ich den tölpischen Bären

So zu Hofe gebracht! Ich wette, Rüsteviel hat ihm

Wohl das Beil zu kosten gegeben. Es zeigte der Bär sich

Stets mir feindlich gesinnt, ich hab es ihm wieder vergolten.

Oheim hab ich ihn immer genannt, nun ist er am Baume

Tot geblieben, des will ich mich freun, solang ich nur lebe.

Klagen und schaden wird er nicht mehr! – Und wie er so wandelt,

Schaut er am Ufer hinab und sieht den Bären sich wälzen.

Das verdroß ihn im Herzen, daß Braun lebendig entkommen.

»Rüsteviel«, rief er, »du lässiger Wicht! du grober Geselle!

Solche Speise verschmähst du? die fett und guten Geschmacks ist,

Die manch ehrlicher Mann sich wünscht und die so gemächlich

Dir zuhanden gekommen. Doch hat für deine Bewirtung

Dir der redliche Braun ein Pfand gelassen!« So dacht er,

Als er den Braunen betrübt, ermattet und blutig erblickte.

Endlid, rief er ihn an: »Herr Oheim, find ich Euch wieder?

Habt Ihr etwas vergessen bei Rüsteviel? sagt mir, ich laß ihm

Wissen, wo Ihr geblieben. Doch soll ich sagen, ich glaube,

Vieles Honig habt Ihr gewiß dem Manne gestohlen,

Oder habt Ihr ihn redlich bezahlt? wie ist es geschehen?

Ei! wie seid Ihr gemalt? Das ist ein schmähliches Wesen!

War der Honig nicht guten Geschmacks? Zu selbigem Preise

Steht noch manches zu Kauf! Doch, Oheim, saget mir eilig,

Welchem Orden habt Ihr Euch wohl so kürzlich gewidmet,

Daß Ihr ein rotes Barett auf Eurem Haupte zu tragen

Anfangt? Seid Ihr ein Abt? Es hat der Bader gewißlich,[458]

Der die Platte Euch schor, nach Euren Ohren geschnappet.

Ihr verloret den Schopf, wie ich sehe, das Fell von den Wangen

Und die Handschuh' dabei. Wo habt Ihr sie hängengelassen?«

Und so mußte der Braune die vielen spöttischen Worte

Hintereinander vernehmen und konnte vor Schmerzen nicht reden,

Sich nicht raten noch helfen. Und um nicht weiter zu hören,

Kroch er ins Wasser zurück und trieb mit dem reißenden Strome

Nieder und landete drauf am flachen Ufer. Da lag er

Krank und elend und jammerte laut und sprach zu sich selber:

Schlüge nur einer mich tot! Ich kann nicht gehen und sollte

Nach des Königes Hof die Reise vollenden und bleibe

So geschändet zurück von Reinekens bösem Verrate.

Bring ich mein Leben davon, gewiß, dich soll es gereuen!

Doch er raffte sich auf und schleppte mit gräßlichen Schmerzen

Durch vier Tage sich fort, und endlich kam er zu Hofe.


Als der König den Bären in seinem Elend erblickte,

Rief er: »Gnädiger Gott! Erkenn ich Braunen? Wie kommt er

So geschändet?« Und Braun versetzte: »Leider erbärmlich

Ist das Ungemach, das Ihr erblickt; so hat mich der Frevler

Reineke schändlich verraten!« Da sprach der König entrüstet:

»Rächen will ich gewiß ohn alle Gnade den Frevel.

Solch einen Herrn wie Braun, den sollte Reineke schänden?

Ja, bei meiner Ehre, bei meiner Krone! das schwör ich,

Alles soll Reineke büßen, was Braun zu Rechte begehret.

Halt ich mein Wort nicht, so trag ich kein Schwert mehr, ich will es geloben!«


Und der König gebot, es solle der Rat sich versammeln,

Überlegen und gleich der Frevel Strafe bestimmen.

Alle rieten darauf, wofern es dem König beliebte,

Solle man Reineken abermals fordern, er solle sich stellen,

Gegen Anspruch und Klage sein Recht zu wahren. Es könne

Hinze, der Kater, sogleich die Botschaft Reineken bringen,

Weil er klug und gewandt sei. So rieten sie alle zusammen.[459]

Und es vereinigte sich der König mit seinen Genossen,

Sprach zu Hinzen: »Merket mir recht die Meinung der Herren!

Ließ' er sich aber zum drittenmal fordern, so soll es ihm selbst und

Seinem ganzen Geschlecht zum ewigen Schaden gereichen;

Ist er klug, so komm er in Zeiten. Ihr schärft ihm die Lehre;

Andre verachtet er nur, doch Eurem Rate gehorcht er.«


Aber Hinze versetzte: »Zum Schaden oder zum Frommen

Mag es gereichen, komm ich zu ihm, wie soll ich's beginnen?

Meinetwegen tut oder laßt es, aber ich dächte,

Jeden andern zu schicken ist besser, da ich so klein bin.

Braun, der Bär, ist so groß und stark und konnt ihn nicht zwingen,

Welcher Weise soll ich es enden? Oh! habt mich entschuldigt.«


»Du beredest mich nicht«, versetzte der König. »Man findet

Manchen kleinen Mann voll List und Weisheit, die manchem

Großen fremd ist. Seid Ihr auch gleich kein Riese gewachsen,

Seid Ihr doch klug und gelehrt.« Da gehorchte der Kater und sagte:

»Euer Wille geschehe! und kann ich ein Zeichen erblicken

Rechter Hand am Wege, so wird die Reise gelingen.«
[460]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 452-461.
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