Zwölfter Auftritt.

[512] Gegend im Walde. Ein angefangener Holzstoß, Blöcke und Aeste liegen umher.

Fernando, nachher Miranda.


FERNANDO beschäftigt, den Holzstoß aufzubauen. Ihr guten Eltern! Eure Gedanken suchen mich in Portugall – Der Jubel meines Empfanges, und das Geprange der Vermählungsfeyer verweben sich in eure Traume – Wenn ihr mich in diesem Augenblicke sehen könntet! – euren Erstgebohrnen, euren Liebling! Wie würdet ihr mich beklagen! – Beklagt mich nicht! – Willkommener ist mir diese Sklavenarbeit, als die goldne Fessel, die eure Staatsklugheit mir bestimmte. An der Seite der stolzen Infantinn, hätte Langeweile aus mir geseufzt – Miranda lehrt mich die Seufzer der Liebe.

MIRANDA im Kommen. Strenge deine Kräfte nicht zu sehr an, Fernando! – Die abscheulichen Blöke![512] Warum hat sie nicht der Blitz diesen Morgen alle verzehrt? – Ruh ein wenig aus! hörst du?

FERNANDO. Miranda, die Sonne geht schon unter. Ich muß mein Tagewerk endigen.

MIRANDA. Erlaube mir, dich abzulösen!

FERNANDO. Himmlische Seele! Nein, ehe mögen meine Sehnen springen, als daß du dich dieser ungewohnten Arbeit unterziehest.

MIRANDA. Ach, du scheinst ihrer eben so wenig gewohnt zu seyn, als ich, und mir käme sie gewiß leichter an; denn ich thäte sie aus gutem Willen, und du thust sie aus Zwang.

FERNANDO. Aus Gehorsam gegen meinen Wohlthäter. Zu welcher Prüfung könnte Mirandens Vater mich verurtheilen, der ich mich nicht mit Freuden unterwürfe![513]

MIRANDA. Du bist nicht aufrichtig, Fernando. Sieh! es steigt kein Gedanke in meiner Seele auf, den ich dir zu verhehlen suchte. Vergilt mein Vertrauen durch das deinige.

FERNANDO schmachtend. Ach Miranda! wenn ich's wagen dürfte, dir mein Herz auszuschütten?

MIRANDA. Was hält dich zurück? Rede! Vielleicht zerstreuest du deinen Kummer.

FERNANDO.

Romanze mit Variationen.


Sanft und herrlich, gleich der Sonne

Meines Landes, fiel mein Loos;

Liebevoller Eltern Wonne,

Wuchs ich auf in ihrem Schoos.

Mir zum Erbtheil einst beschieden

War Neapels alter Thron;

Pracht und Ueberfluß und Frieden

Schwebten um den Königssohn.

Aus der Freuden Kreis gerissen,

Schmachtet jetzt der Königssohn,[514]

Alles, alles muß er missen –

Eltern, Vaterland und Thron.

Aber dich hat er gefunden

Reitzende Miranda, dich!

Und, von Schwermuth losgewunden,

Fühlt er neu gebohren sich.

Ihm ersetzen deine Blicke

Jedes Gut, das er verlohr,

Und, versöhnt mit dem Geschicke,

Hebt er stolz sein Haupt empor


Quelle:
Johann Friedrich Reichardt: Die Geisterinsel, in: Friedrich Wilhelm Gotter: Literarischer Nachlass, Gotha 1802, S. 419–564, S. 512-515.
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