Vierter Auftritt.

[463] Miranda. Vorige.


MIRANDA die von ferne gelauscht hat. Darf ich näher kommen Vater?

PROSPERO. Du darfst.

MIRANDA schüchtern. Willkommen, lieber Fremdling!

FERNANDO fällt auf die Knie. Ich danke dir, holdselige Nymphe!

MIRANDA freudig zu Prospero. Er spricht, wie wir!

PROSERO winkt Fernando aufzustehn. Mache meine Tochter nicht eitel!

MIRANDA halb laut zu Prospero. Ach, Vater! welch ein schöner, schöner Mann![463]

PROSPERO halb laut zu ihr. Du findest ihn schön, weil du ihrer nicht mehr kennst, als zwey.

MIRANDA. Zwey? Wen kenn' ich außer Euch?

PROSPERO. Caliban.

MIRANDA verächtlich. Rechnet ihr den auch mit?

PROSPERO auf Fernando zeigend. Gegen eine Anzahl von Männern ist er nur ein Caliban.

MIRANDA. Ich verlange nie einen schönern zu sehen.

FERNANDO für sich. Welche bezaubernde Gestalt! welche unaussprechliche Anmuth!

PROSPERO für sich. Ihre Augen begegnen sich schon.

MIRANDA zu Fernando. Sey doch nicht so stumm, lieber Fremdling![464]

FERNANDO. Entzücken fesselt meine Zunge. Ich wähne in Elysium zu seyn.

MIRANDA. Ich verstehe dich nicht.

PROSPERO. Diese Ueberspannung deiner Fantasie, Fremdling, ist die Folge der Wunder, die du heute erfahren hast. Bald genug werden aufwachende Bedürfnisse dich erinnern, daß du noch auf der Welt bist. – Geh Miranda, und sorge für seine Erquickung!

MIRANDA. Wollen wir nicht lieber zusammen gehen, Vater?

PROSPERO. Wir kommen nach.

MIRANDA. Nachkommen? – Aber verweilt auch nicht zu lange! Meine Anstalten sollen bald gemacht seyn. Will ab, kehrt wieder um, und kömmt zurück.[465]

PROSPERO. Was willst du?

MIRANDA. Ihn nur noch einmahl ansehen.

FERNANDO lächelnd für sich. Allerliebste Unschuld!

PROSPERO. Geh, du weißt nicht, was du redest, noch was du thust.

MIRANDA. Lieber, guter Fremdling! du gefällst mir gar zu wohl. O, es wird dir auch bey uns gefallen! dafür ist mir nicht bange. Ich habe zwar noch nie einen Gast zu bewirthen gehabt; aber das kann ja keine Kunst seyn.

Rondo.


Froher Sinn und Herzlichkeit

Lehren uns Erfindsamkeit,

Einen Gast zu pflegen.

Frohsinn kürzet ihm die Zeit,

Zwanglos eilet Herzlichkeit

Seinem Wunsch entgegen.

Früchte will ich dir zum Mahl[466]

Frisch vom Baume pflücken;

Will mit Blumen ohne Zahl

Unsre Zelle schmücken;

Kräuter dir zum Lager streun,

Wenn der Abend sinket;

Mit Gesange dich erfreun,

Bis der Schlaf dir winket.

Froher Sinn etc.

Wenn der Schöpfung stille Pracht

Deinen Blick erheitert;

Wenn der Freundschaft sanften Macht

Sich dein Herz erweitert;

Wirst du reichen Maaßes hier

Trost und Freude finden;

Werden schnell, wie Träume, dir

Deine Tage schwinden.

Froher Sinn etc.


Ab.
[467]


Quelle:
Johann Friedrich Reichardt: Die Geisterinsel, in: Friedrich Wilhelm Gotter: Literarischer Nachlass, Gotha 1802, S. 419–564, S. 463-468.
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