Die Bilderhalle.

[234] Ein Brautfest legt, das ist euch kund,

Zu einem andern oft den Grund.

So war's in Karke jenes Mal

Ergangen: in dem Hochzeitsaal

War ein Baron, Herr Bonifas,

Beim Reigen plötzlich ohne Maß

Von eines Fräuleins Reiz entbrannt.

Bald flog die Ladung durch das Land:

Da machten sie sich auf den Ritt,

Der Herzog, Frau Karsie mit,

Herr Kaedin, das muntre Blut,

Auch Frau Isolde, mit wehem Muth,

Die Wittwe, die ihrer Gespielin traut

Den Segen sollte thun, der Braut.

Ihr Bruder ritt nicht weit von ihr.

Sie sprengte dahin mit großer Zier,

Lichtgrün und freundlich angethan:

Wer sieht es einer Frauen an,

Wenn sie in Festgewanden prangt,

Wie ihr oft drunter das Herze bangt?

Da kam aus einem Bronnen

Ein Wässerlein geronnen,[234]

Und standen bei der Quelle

Und schienen licht und helle

Gelbe Blumen und grünes Gras.


Nun sagt ein Buch, in dem ich las,

Es sei ein Vöglein, flink und keck,

Auf Isoldens Schulter, ihr zum Schreck,

Geflogen und habe sie geküßt.

Wann hatte ein Vogel solch Gelüst?

Das müßten gar zahme Vögelein

Dazumalen gewesen sein.

Wenn's aber abgerichtet war,

Kam's ihr nicht neu, noch wunderbar.

Die schöne Märe decke du

Mit keinem Feigenblatte zu,

Mein Lied! Es war kein Vogel, nein,

Es war ein keckes Wässerlein,

Und was es that, sag's frei heraus:

Isolde wollte sich einen Strauß,

Ein Kränzlein von den Blumen pflücken,

Ihr seidnes Gebände damit zu schmücken.

Und wie sie dem Brunnen näher ritt,

Da that ihr Zelter einen Tritt

Ins Wasser, das nahm einen Schuß

Und sprang der Schönen empor am Fuß.

Doch wollt ihr wissen, wohin es sprang,

Das mögt ihr ohne Müh und Drang

Bei Heinrich oder Ulrich lesen:

Die sind noch anders dran gewesen,

Da war die Sprache ein lieblich Kind,

Muthwillig auch, wie Kinder sind,

Im Unschuldsreiz; doch diese nun,

Mit ihren Runzeln, muß ehrbar thun.


Genug, die erschrockene Schöne schrie,

Und dann mit Lachen sagte sie:

»Wässerlein, du bist kühn fürwahr,

Kühner, denn je Herr Tristan war,« –

Und sonst noch manches, was eine Magd

Bei weitem besser denkt, als sagt.

Auf dies verrätherische Wort

War Kaedin sogleich am Ort:

»Wie, Schwester!« rief er, wild verstört:

»Was sagst du? hab ich recht gehört?

Tristan verschmäht dich? Süße, sprich!« –

Isolde begann herzinniglich

Zu weinen, wie er sprach Verschmähn:

Sie schwieg und ließ die Zügel gehn

Und deckte die Augen beide

Vor Scham und auch vor Leide.

»Ich weiß genug!« rief Kaedin:

»Reitet ihr nur zum Feste hin:

Ich will derweile fasten,

Ich kann nicht ruhn noch rasten,

Bis ich ihn gezüchtigt habe.

Wähnt er, so köstliche Gabe

Die sei ihm dazu bloß geschenkt,

Daß er sie durch Verschmähen kränkt

Und schändet Vater, Mutter, mich?

Gebiete mir, Schwester, ich räche dich.« –

Und eh sie ein Wort noch konnte sagen,

Sah sie ihn quer durchs Feld hin jagen.


Indeß nun er, die Schmach zu wenden,

Den Schwager sucht an allen Enden,

Wollen auch wir nach Tristan gehn;

Vielleicht daß wir ihn noch vor ihm sehn.

Der hat inzwischen in den Landen

Gar manche Fährlichkeit bestanden,

Zuletzt noch einen Riesen gar.


Hör auf! das kommt zu wunderbar!

Mit Riesen und Drachen ist's genug,

Seit er den Serpant und Urganen schlug. –

Die Drachen nun, die schenk ich euch,

Lebt gleich noch manche Vogelscheuch,

Die giftig von Neid und Hasse brennt,

Die man Drach oder Sadrach nennt.

Doch Riesen gab's zu jeder Frist. –

Riesen? – Nun ja, ein Riese ist

Um einen Fuß oder einen Kopf

Größer als mancher andre Tropf.

Ich selbst bin, wie ich sagen kann,

Ein großer, das heißt, ein langer Mann:

Am Pfosten, dran sich in Jahresfrist

Einmal die wachsende Sippschaft mißt,

Prangt, wie sie sich dehnen und strecken länglich,

Meine Kerbe hoch und unzugänglich;

Doch darf ich mich eines Freundes rühmen,

Der nähert sich fast den Ungethümen

Und hat (versteht das doppelt hier!)

Einen ganzen Kopf voraus vor mir.

So ward ein Gerippe, wie ich las,

Das seine neun Fuß vollkommen maß,[235]

Erst ganz vor Kurzem ausgegraben.

Nun denkt man sich gern besondre Gaben

In solchen Menschenthurm gegossen,

Kraft, Weisheit, Zauber drein verschlossen. –

Zauber? Auch Zaubrer? – Wißt ihr's nicht?

Saht ihr noch Keinen bei glühem Licht

Kessel schmieden und Räder fügen,

Das Roß um seine Kraft betrügen?

Keinen, der Wundergläser schliff,

Womit er nach den Sternen griff?

Hat euch nicht ein geheimes Bangen

Bei solchem Anblick jäh befangen,

Daß er, der nur sich selbst gehört,

Die müßige Neugier, die ihn stört,

Ansprühe, zauberisch umspanne,

Ja gar in eine Flasche banne?

Saht ihr noch Keinen, der in Bildern

Die Sonne zwang das All zu schildern?

Noch Keinen, der aus farbigen Klexen

Gestalten konnte zusammen hexen

Und eine Wand voll Leben log?


Ein Solcher war denn Beliagog,

Der zauberkundige Riesenmann.

Die Aventüre nennt Morgan,

Morold und Urgan seine Brüder

Und meint vermuthlich Waffenbrüder,

Die in der Jugend grünen Tagen

Zum Bunde Hand in Hand geschlagen,

Wie auch auf Schulen hinterm Glas

Manch Kleeblatt schon zusammensaß,

Um unter sich mit vollen Händen

Vorläufige Kronen zu verspenden;

Da sieht denn einer den andern Mann

Für einen Drachentödter an,

Der sich nur noch zu machen habe,

Der noch die Welt mit Thaten labe

Und stelle sie gar unverhohlen

Erst auf den Kopf, dann auf die Sohlen.

Das End vom Lied ist meistentheils

Im Leben, daß solch ein Mann des Heils

Der einst als Riese sich aufgetrumpft,

Zum Mittelmaß zusammenschrumpft

Und seinen Frieden wohlbedacht

Mit dem Kaiser oder dem Pabste macht.

Das war bei diesen nicht der Fall:

Morgan stieg auf dem raschen Ball

Des Glücks, ward Herzog, nahm und gab,

Bis ihn der Stärkere warf ins Grab.

Morold war Irlands rechter Arm,

Sein Herz schlug für die Seinen warm;

Der Krone Schirmer, kühn und groß,

Bot er die Brust manch derbem Stoß

(Ob das Recht immer seinen Degen

Begleitet, ist ein Für und Gegen,

Das die Historienschreiber nährt)

Und fiel, ein Held, vom Heldenschwert.

Urgan, der war und blieb Filu

Und brachte sein Leben ruhmlos zu

Mit Rauben auf dem Meeresstrand.

Der Vierte, Beliagog genannt,

War einer von den subtilen Geistern,

Die Gott und Welt am Webstuhl meistern.

Er saß auf seinem Zauberschloß,

Sann, schnitzte, malte, braute, goß,

Machte Risse, mit Zahlen dran,

Und sah nicht auf, ein stiller Mann,

Nur wenn's in der Nähe Lärmen gab,

Da ward er böse, kam herab,

Ueber die Störung zornesroth,

Und schlug den Ruhestörer todt.


Das wußte Tristan aus dem Grund,

Gewarnt von seines Schwähers Mund,

Und eben darum kam er her,

Denn nach dem Riesen stand sein Begehr.

Er stieß mit aller Macht ins Horn:

Gleich kam der Riese, roth vor Zorn.

»Wer da?« – »Tristan.« – »Deine Stunde schlug.« –

»Vielleicht noch nicht.« – Der Riese trug

Ein Rohr, das hub er zornig auf,

Rannte daher in vollem Lauf,

Da sprang aus dem Rohr mit Blitz und Knall

Gegen den Helden ein Feuerball,

Zeichnete eine lange Furch

Und fuhr ihm unterm Arme durch.

Dem konnte kein Feuer verderblich sein,

Er war ja gehärtet in Feuerspein.

Doch schien er nicht erbaut gar sehr

Ueber die neu erfundne Wehr:

»Nah,« dachte er, »ist hie baß gethan[236]

Denn ferne,« – lief den Riesen an

Und zückte – doch genug hievon,

Ihr kennt ja Tristans Hiebe schon –

Die Märe sagt, er habe traun

Ihm einen Fuß vom Leib gehaun,

Vielleicht den Fuß (so rett' ich ihn,)

Um den er sich größer als Andre schien:

Der hagre Lange fand sein Maß,

Als er vor Tristan fiel ins Gras,

Das heißt, er fand den Sieger heute

Und kam sich vor wie andre Leute.

Nach dieser Niederlage

Kam's alsbald zum Vertrage.

Tristan sprach: »Schaff mir dies und das!«

Der Riese that es ohne Haß:

Er war mit Eisen weich geschlagen;

Gold hätt's gethan in unsern Tagen.

In Kurzem war das Werk vollbracht

(Doch glaubt nur nicht, in Einer Nacht):

Kunstsinnige Geister haben flink,

Sagt uns die Märe, auf seinen Wink

Geschafft, gerichtet und gebaut,

Doch Keiner den Andern je geschaut,

Noch Der gewußt, was Jener thu.

Natürlich, so ging's immer zu,

Seit diese Welt gegründet ist:

Sie schaffen und wirken zu jeder Frist,

Fragt Keiner nach dem Andern viel,

Meint Jeder, er habe sein eigen Ziel,

Und ist doch alles zu Einem Bau.


Tristan ritt täglich auf die Schau,

Wobei ihm am Sattel die Armbrust hing,

Als ob es nur aufs Birschen ging.

Der Schwager, abgewiesen oft,

Wenn er mit ihm zu gehn gehofft,

Eifersüchtig nach Jugendart,

Hatte dies Treiben längst gewahrt

Und Acht gegeben lauersam,

Wohin er ging, woher er kam:

So, als dort Tristan ritt vom Wald,

Kam Kaedin herangeprallt.


»Ich liebte dich!« rief er ihm zu:

»Mein Leitstern und mein Held warst du.

Mit dir, Tristan, dir nach zu leben,

War meines Lebens höchstes Streben.

Dir zu gehören durch das Blut,

Das war mein Stolz, mein einzig Gut.

Doch glaub nicht, daß wir dir zu Ehren

Der eignen Ehre so leicht entbehren.

Glaub nicht, wir seien schwache Binsen,

Die feige deinem Hochmuth zinsen.

Nein, Kaedin kriecht nicht vor dir:

Eh wasche Blut die Schmach von mir!

Mit unsrem Huldigen, unsrem Lieben

Hast du nur kalten Hohn getrieben.

Weß uns dein guter Arm verpflichtet,

Das hat dein schlechtes Her vernichtet.

Du hast dein Weib beschimpft, entehrt,

Meineidiger! War sie dir nichts werth,

Was nahmst du sie? Zu spät! zu spät!

Sie ist betrogen, ist verschmäht!

Doch wenn auch alles verloren ist,

Zu Einem bleibt noch immer Frist:

Dir den verdienten Lohn zu geben.

Verräther, zieh! es gilt dein Leben.«


Wehmüthig sah den Fant Tristan

Und doch mit Wohlgefallen an;

Erst, als er kam auf ihn gerannt,

Erhob er bedräuend seine Hand,

Und Kaedin, zum Halt gebracht

Von dieser Augen Uebermacht,

Blieb still, gefesselt, zwischen Groll

Und alter Ehrfurcht zweifelvoll.

»Du schiltst mich,« sprach Tristan, »mit Recht

Und auch mit Unrecht: war ich schlecht,

So ist die Schuld von gestern nicht.

Mein Herz hat eine ältre Pflicht

Und heiliger als solch Eheband.

Daß ich davon mich abgewandt,

Das ist mein Trug, das mein Vergehn,

Und o – du kannst mich nicht verstehn,

Mein Kaedin. So komm mit mir.

Auf meinen Hochmuth scheltet ihr,

Auch du, mein Bruder: nun sollst du schaun,

Ob ich noch mag, wie sonst, vertraun;

Lern, eh uns Todesschatten trennen,

Mein altes Herz noch einmal kennen.

Ich hab ein Geheimniß seltner Art,

Ein Kleinod, tief im Wald verwahrt:

Es ist mein Anker, ist mein Trost,[237]

Wenn Jammer, Wahnsinn mich umtost.

Komm mit und schau. All meinen Schmerz

Leg ich dir an dein Freundesherz,

Dein junges Herz, das immer klar

Und meinem immer nahe war:

Dann magst du mir das Urtheil sprechen,

Und willst du deine Schwester rächen,

So biet ich dir den Nacken gern

Und folge meinem finstern Stern.

Doch kämpfen werden ich nie mit dir:

Du kennst meine Klinge. Folge mir.«


Er wandte sein Roß und ritt dahin.

Verwundert folgt' ihm Kaedin

(Gewohnt des Folgens, wenn einmal

Kurz ab und rasch Tristan befahl),

Indeß in seinem Innern stritten

Neugier und Zorn. Die Beiden ritten

Tiefschweigend nach dem Walde dort

Und stundenlang im Walde fort

Auf graden und auf krummen Wegen

Dem unbekannten Ziel entgegen.


Da that sich's auf, ein grünes Thor,

Und aus dem Walde stieg empor

Ein Bau von wundersamer Art,

Wie keinen noch die Welt gewahrt:

Er war von keiner Herrlichkeit

Der alten noch der neuen Zeit,

Von nichts Gewesenem eingetauscht,

War der Natur selbst abgelauscht,

Wie sie in heimlicher Bergeshaft

Bauwerke von Krystallen schafft

Und eine Baukunst dran verschwendet,

Die, lernend, des Menschen Witz vollendet.

Wie an Kristall Krystall anschießt,

Sich ordnet und zusammenschließt,

So schloß bei dieses Baues Plan

Sich Stein an Stein krystallisch an;

Da waltete die Meßkunst nur,

Die eingeborne, der Natur.

Kein Stockwerk, das mit querem Schritt

Entzwei das schöne Wachsthum schnitt!

Gewaltig, doch mit Maß und Ruh,

Ununterbrochen nach oben zu

Strebte und wuchs der stolze Bau

Vom Wald bis in des Himmels Blau.

Der runde Bogen, der unstet kreist,

Die wandernden Blicke mit sich reißt,

War hier krystallenhaft gebrochen,

Das Aug an ihm zur Ruh gesprochen,

Doch innen der Einsatz mannigfaltig,

Kleinere Bogen vielgestaltig,

Spitzbogen, und was man je erfand

Zur Füllung eines Fensters, stand

Vom runden Bogen hier umfaßt,

Einträchtig einander angepaßt.

Und von der Steinwelt eingeschlossen,

Die todt um Todes angeschossen,

War die lebendige Pflanzenwelt,

Erst Bäume, in Säulen dargestellt

Von jeder Ordnung und Gestalt,

Die Zeiten frei, ob neu ob alt,

Nur vom Verhältniß unter sich

Bestimmt, daß keins dem andern glich

Und doch Ein Werk, Ein Wachsthum hieß;

Und dann, wo Stein zu Steine stieß

Und in Krystallform haften blieb,

Da quoll der kleinere Pflanzentrieb

Hervor als üppig Ornament.

Willkürlich nichts gefügt, getrennt,

War alles wie gewachsen nur

Nach Maß und Ordnung der Natur,

Ein neues Werk von eignem Wesen,

Das, nicht entlehnt, nicht ausgelesen,

Lebendig schließend, wie Sehnenbänder

Am Leib, die Baukunst aller Länder

Und aller Zeiten in sich trug.

Ihr denkt, der Worte sei genug;

Auch lassen's Worte nicht verstehn:

Ihr müßt's mit eignen Augen sehn.

Es ist nicht mein. Ihr, die ihr staunt,

Vernehmt, es ward mir zugeraunt.

Des Riesen Riß ist nicht verloren,

Ich sah ihn hinter geheimen Thoren.

Vielleicht, daß ihn bald dies Jahrhundert

(Es ist der schaffenden eins!) bewundert

Und Bauten in die Lüfte ragen,

Gerecht und eigen unsern Tagen.


Der Schluß der wunderbaren Halle,

Der Kulm, lief aus in zwölf Krystalle,

Die waren im Gleichmaß aufgesetzt[238]

Und trugen – ahnt euch etwas jetzt? –

Aus Einem Karfunkel eine Schale,

Gebildet wie zum Trinkpokale,

Daraus das Licht, hold eingesogen,

Den Wald durchschlang mit farbigen Bogen.


»Weß mag dies Wundergebäude sein?«

Rief Kaedin verzaubert. – »Mein,«

Sprach Tristan: »folge mir hinan,«

Stieg ab, band seinen Renner an

Und schritt alsbald auf die Halle dar,

Obgleich kein Thor zu sehen war.

Sie barg sich an den Ecken

In dunklen Waldverstecken.

Tristan erschloß durch Gebüsch und Hag

Sich einen Pfad. Da, siehe, lag

Ein Drach und ein Eber friedsamlich

Und hielten ein Erzschild zwischen sich.

Der Held schlug mit des Schwertes Knauf

Den Drachen, da sprang der Eber auf,

Das Schild treu zu bewahren;

Der Drache ließ es fahren.

Der Eber hielt es hoch empor

Gewendet, da war's ein offen Thor,

Das führte zu einem dunklen Gang.

Der Held trat ein, und gar nicht bang

Folgt' ihm sein Kläger, wohl bewußt

Der Ehren und Treuen in Tristans Brust.

Allmählich auf gewundner Bahn,

Doch ohne Stufen, stets hinan

Trug sie der Steig. Ein Schlag, da sprang

Mit einem hellen Glockenklang

Vor ihnen auf ein zweites Thor.

Sie traten aus der Nacht hervor,

Und was bei gedämpfter Lichter Spiel

Dem Jüngling zuerst ins Auge fiel,

Das war ein selig ruhend Kind.

Er sah, und sah sich beinahe blind

An diesem Engelknaben;

Der schaute so erhaben,

So löwenhaft und doch so mild, –

Bis er entdeckte, es sei ein Bild.

Nun sah er sich um, nun ward's ihm klar:

Er stand in einem Saal, der war

Ein Zwölfeck, nach der Art des Baus,

Das füllten rings Gemälde aus

Voll herrlichen Farbenscheines,

In einem Feld je eines.


Mit Staunen wandte Kaedin

Sich wieder zu dem Kinde hin,

Deß anmuthvolle Mienen

Ihm süß bekannt erschienen.

Recht wie ein Edelstein im Schild,

So war es mitten hier im Bild.

Nackt lags auf blauen Polstern da,

Woran man Stickereien sah,

Enthüllend Schmerzgeschicke,

Vergangene, dem Blicke.

Hier lag ein Mann, zum Tode wund,

Auf blutigem Bett, und vor ihm stund,

In Thränen glühend, ein hohes Weib,

Das löste den weichen, weißen Leib

Aus grauer Tücher Hülle

In warmer Lebensfülle.

Aus Tode Leben! Ihr wißt ja wohl,

Was dies Bild bei dem Kinde soll;

Es ruhte auf dunklen Loosen,

Umflochten mit weißen Rosen.

Rings eine Halle hoch und weit,

Verloren in Waldes Einsamkeit,

Daß fast wie eine Pflanz im Traum

Das Kind lag zwischen Säul und Baum.

Es lag noch eben in holdem Schlaf,

Bis jener lichte Strahl es traf,

Der wie ein Mutterkuß es weckt,

Daß, lächelnd halb und halb erschreckt,

Es in den bewegten Glorienschein

Mit seinen Händchen greift hinein

Und staunend mit großen Augen sieht

Dem Strahle nach, der langsam zieht

Mit immer schwächerem Gefunkel

Hin nach des Waldes tiefem Dunkel

Und durch der Aeste dicht Gewimmel,

Zum Duft verschwebend, sucht den Himmel

Von dem er kam. Nun schaut ihm nach!

Was wölbt sich über dem Gemach?


Ein riesenhaftes Deckenstück

Zeigt euch des Lebens höchstes Glück.

In grünen Sammt gehüllt ein Mann,

Ein Weib, mit Lilien angethan,

Von rosigen Schleiern die Gestalt,[239]

Als wie von Wolken, überwallt,

Schiffen, versenkt in süßes Weh,

Hin durch die tobende wilde See,

Die Barke fast in Schaum gehüllt.

Sie achten nicht, wie der Sturmwind brüllt,

Sie hören nicht, wie die Woge rauscht.

Ihr Herz, das seinem Gott nur lauscht,

Quillt aus den Augen, fromm und groß,

Die tauschen hier ein ewig Loos.

Zwo Hände, fest verschlungen, sind

Zum Knie herabgesunken lind,

Die beiden andern hoch erhoben,

Als wär's zum Schwur, und scheinen droben

In dem durchbrochnen Dach die Schale

Zu halten, die mit eignem Strahle

Als Sonne diesen Räumen scheint

Und alles zu Einer Welt vereint;

Denn vom Karfunkel schwebet mild

Ein Zauberlicht von Bild zu Bild,

Tiefinnig, um all die Gestalten

In Eines Schicksals Ring zu halten.

Die Bilder seht ihr unter sich

Verknüpft und getrennt verschiedentlich

Mit bunten Randgebilden,

Drachen und Riesen, wilden,

Mit weißen und rothen Rosen,

Mit Engeln, die sich kosen,

Mit Bäumen, Blumen, Pflanzen,

Mit Ketten, Schwertern, Lanzen,

Mit Kämpfern, die ihre Klingen

Zu Schimpf oder Ernste schwingen,

Mit allem, was nur in sich hält

Die Ritter- und die Frauenwelt,

Je nach der Bilder Sinne:

Jagd, Abenteuer, Minne.


Die Königliche, Holde

Im blonden Lockengolde

Schaut ihren Freund verloren an;

Ihr Auge spricht: »Das ist mein Mann!

Sein ist die Rose, die mir im Herzen

Aufbrach mit wundersüßen Schmerzen.

Das er mit Gottes Hauch erfüllt,

Mein Ich, ihm, ihm nur bleibt's enthüllt.

Er, dem ich mein Kleinod gebe,

Lehrt mich, daß ich nun lebe.« –

Dies und das ganze Mysterium

Der Liebe, vor dem auch der Dichter stumm

Und dürftig steht, das war hier, schaut,

Den treuen Farben anvertraut.

Das sprachen des Mannes Augen auch,

Verklärt vom gleichen Gotteshauch:

Er sah so kühn, als wollt er's wagen,

Das Glück und Leid einer Welt zu tragen,

Und doch so fromm, so ganz mit Beben

Dem hohen Verhängniß hingegeben.

Wohl kannt ihn Kaedin. Er sah

Ihn nicht zum ersten Male da,

Und sah ihn doch erst recht. Die Kunst,

Mit irdischer nicht, mit Himmelsgunst,

Hat aus des Lebens wirrem Schein

Sein Bild gerettet, wahr und rein.

Scheu blieb der Jüngling, schweigend stehn:

Er glaubte Götter hier zu sehn;

Gebeugt vor einer höhern Macht,

Versank sein Rachegroll zur Nacht.

Da gab sich in seines Herzens Grund

Ein stilles, sanftes Sausen kund,

Gleich jenem, das die Halle

Durchdrang mit dumpfem Schalle,

Ein Orgeldröhnen, süß und bang,

Das mächtig, aber ferne klang.

Längst hatte es ihm ans Ohr geschlagen,

Doch wagte er nicht, woher? zu fragen.


Nun sah er zu dem Kinde nieder:

Es war das gleiche Antlitz wieder,

Nur in der Knospe verschlossen noch.

Es waren dieselben Augen doch,

Die großen braunen Wunderaugen;

Wer hat erforscht, wo sie entsaugen

Ihr dunkles Leuchten, welchem Schacht,

Wo über Edelgestein die Nacht

Brütet stumm und geheimnißvoll?

Aus welchem Reich des Todes quoll

Das Unnennbare, Unbekannte,

Das jeden Blick, der dran entbrannte,

Erfüllt mit süßem Schauer

Und trunken macht vor Trauer?

Aus Kindesaugen spricht's zumeist,

Noch unvermischt, ein fremder Geist,

Und schaut in die Welt der Lust und Pein[240]

Mit wilder Traurigkeit hinein.

So dieses Kind. Es sieht, halbwach,

Dem seltsam fliehenden Lichte nach.

Träumt's von des Mannes Hochgeschick

Vielleicht, von der Liebe Silberblick,

Die einst verklären wird sein Leben

Und ihm den Kelch des Todes geben? –

Doch hat's noch eine weite Bahn

Bis hin zu jenem Ocean

Durch blumenvolle Auen

Und auch durch Nacht und Grauen.

Auch liegt's nicht ohne Schirmershand,

Nicht einsam an des Lebens Strand:

Im Park, dort hinter der Säule, seht,

Umkreist von einem Falken, steht

Ein edler Mann am Gartenpfad

Und biegt ein junges Bäumchen grad.

Er schaut so treulich auf das Kind,

Und hinter ihm, wie hold und lind!

Lauscht eine Frau und lächelt traut –

Kaum daß ihr die Beiden im Schatten schaut –

Wie nur eine Mutter auf ihr Kind.

Ob das wohl seine Eltern sind?

Sie tragen froh die holde Pflicht:

Doch haben sie seine Augen nicht.


Daneben seht ihr ein andres Bild:

Gebirge rauh, Felsklippen wild;

Ein Knabe, nah der Jünglingszeit,

Kommt traurig durch die Einsamkeit

Hoch vom Gebirg herabgestiegen.

Seht, wie die braunen Locken fliegen

Im Wind, der über die Klippen streicht.

Sie sind das Einzige, was ihm weicht:

Der Wald, der neben dem Knaben starrt,

Ist ohne Blätter, hilflos harrt

Und streckt er seine dürren, langen,

Gespenstigen Arme mit Verlangen

Dem Lenz entgegen, der das Thal

Schon küßt mit lebenswarmem Strahl.

Zur andern Seite, riesengroß,

Felsklippen grau, mit dunklem Moos;

Der Boden Geröll, Schlingpflanzen drauf

Mit kümmerlichem Grün, den Lauf

Des Wandrers hemmend. Er selbst, der Knab,

Ein Lenz, erstanden vom Wintergrab,

Belebt die graue Wildniß hold,

Sein Mäntelein, leicht aufgerollt

Und über die Schulter geworfen, sein

Geschürzter Rock gibt ringsum Schein,

Grün wie die Hoffnung und der Mai;

Die Börtchen, der Hermelin dabei

Deuten auf einen hohen Stand.

Doch scheint's ein Findling, arm, verbannt;

Er weiß nicht, woher, und nicht, wohin,

Unstet sein Auge, verstört sein Sinn,

Im blühenden Gesichte, roth

Vom Wandern, herbergt Schreck und Noth.

Er ist kein Fremder für Kaedin:

An seinen Augen erkennt er ihn.

Das Kind, das auf dem ersten Bild

Sein Stern umfriedigte so mild,

Ist aus dem Paradies gestoßen

Und nähert sich des Mannes Loosen,

Ein Gast am kargen Lebenstisch;

Doch blickt sein großes Auge frisch,

Wie ein verirrter Frühling fast,

Der sich hervorgewagt in Hast

Und muß nun mit dem Winterriesen,

Dem neu erstarkten, Stillstand schließen;

Indeß sich die jungen Glieder dehnen,

Kämpft er noch zwischen Zorn und Thränen.

Doch ist dem Wandrer in seiner Noth

Die Welt nicht gänzlich leer und todt:

Dort aus dem Thale zieht ein Weg

Sanftsteigend hinter dem Walde weg,

Darauf zween Waller gehen,

Gottselig anzusehen,

Betaget und bejahret,

Bebartet und behaaret,

In grauen Linnengewanden,

Pilgerstäbe in Handen;

Man glaubt, man sehe sie schreiten,

Einander so zur Seiten,

Barfuß den Weg hergehend,

Mit geistlichen Palmen wehend.

Dort säumt das frischbegraste Thal

Ein Wald, worin mit grünem Strahl

Das Laub schon aus den Bäumen springt;

Und durch das junge Dickicht dringt

Ein Spießer, der erschrocken zagt:

Er scheint zu fliehen vor einer Jagd[241]

Und bei den Wallern Schutz zu flehn.

Du armes Thierlein, bleibe stehn,

Dir gilt's noch nicht. Als Edelhirsch

Bist du erst reif zur heißen Birsch

Und wirst bei heller Hörner Schallen

Als Held im Trauerspiele fallen.

Zuletzt, ganz hinterm Wald versteckt,

Durch eine Lichtung sichtbar, streckt

Ein Schloß – der Knabe sieht es nicht –

Die Zinnen auf ins Abendlicht.

Wie ruht so voll der Zauberschein

Auf diesen Mauern! Was mag dort sein?

Noch ahnt er nichts. Dahin, dahin!

Dort wartet sein Geschick auf ihn.


Ein Frühlingsbild, warm, sonnig ganz:

Ein Garten in des Maien Glanz,

Mit Blüthen und mit Grün geschmückt,

Mit farbigen Lichtern fast erdrückt;

Darin ein reiches Hofgewimmel,

Wie die Erde bunt, hell wie der Himmel;

Und, abgesondert vom Ingesind,

Gelagert auf Blumenpolstern lind,

Ein Mann von königlicher Art,

In Fürstentracht, mit weißem Bart;

Ihm gegenüber der Knabe wieder,

Der sendet seelenvolle Lieder

Aus Mund und Saiten allzugleich;

Sein Instrument von Golde reich,

Ruhend in Händen, klein und schlank,

Weich, lind und wie Hermelin so blank,

Ein schön gebogener Delphin.

Der König schauet mild auf ihn

Und scheint nicht karg, ihm Huld zu spenden;

Ihr seht, er ist in guten Händen.

Die Andern lauschen, Alt und Jung,

Voll Lust und voll Bewunderung,

Mit edlen und mit gemeinen Mienen,

Dem jungen Zaubrer, der hie erschienen.

Der holde Fant singt ohne Zagen,

Die Augen gen Himmel aufgeschlagen;

Er glaubt wohl, seine Himmelsgluth

Sei heimisch in Jedem und Jeder gut.

Eins fehlt dem Bild, so reich und warm:

Es hat keine Frauen, drum bleibt es arm;

Im ganzen Schwarm hat nur der Knabe

Den Schein so holder Gottesgabe.

Was glänzt dort hoch in der Lüfte Blau?

Zwo Schwalben ziehen vorüber, schau,

Und wie sie über das Bild hinschweifen,

Schwebt hinter ihnen ein goldner Streifen,

Der leuchtet! (Und wozu noch der? –

Es ist ein Lichtchen im Bilde mehr.

Daß uns die Schwalben hergehören,

Den Meister wird's im Grab nicht stören.)


Ein bewegtes Bild. Wo fang ich an?

Im Vordergrund der hohe Mann,

Der auf dem ersten Bilde, seht,

Dort hinter dem Säulenschafte steht;

Doch anders: sein Anzug schlecht, gemein,

Ohne Mantel ein graues Leibröcklein,

Kurz, schäbig und verschlissen

Und hie und da zerrissen,

Verworren an Bart und Haupt das Haar,

Halbnackt die Beine, die Füße bar,

Das Antlitz fahl und wetterfarb,

Ein Bettler, der ganz und gar verdarb;

Und stattlich doch! nicht jung noch alt,

Eine gewaltige Gestalt,

Von Gliedern groß und kühne,

Gewachsen wie ein Hüne;

Schön, ob von Lumpen auch umgeben,

Ein Herr, gewöhnt, mit Herrn zu leben.

Halb vom Beschauer abgewandt,

Kühn schreitend, hält er die eine Hand,

Die rechte, wie zum Schwur erhaben,

Die andre deutet auf den Knaben –

Halt ein, das ist kein Knabe mehr!

Es ist ein Jüngling, hoch und hehr,

Doch hold wie sonst, im Knappenkleide

Von weißem Atlaß, blau mit Seide

Geschlitzt; die Haare von lichtem Braun,

Gar schön geringelt anzuschaun.

Zwischen den Beiden, nach hinten mehr,

Der König vom vorigen Bilde her;

Das Vließ verräth sein hohes Amt,

Der Königsmantel von braunem Sammt,

Mit schwanenweißem Pelz verbrämt.

Er schaut mitleidig und wie beschämt,

Doch zärtlich, ganz voll Vatersinn,

Mit verlangenden Armen zum Knaben hin.[242]

Der eilt mit Blicken, liebeswarmen,

Dem Bettler zu, ihn zu umarmen,

Und lacht und weint zugleich. Ein Nu,

So schließen sich sechs Arme zu.

Noch aber schaut der fremde Mann,

Auf den Knaben deutend, den König an;

Aus den treuen Falkenaugen spricht

Stolz, Rührung, freudige Zuversicht.

Im Hintergrund erst Pagen, reich

Gekleidet, ganz dem Jüngling gleich,

Hofleute, die Farben vom lichten Duft

Zum Dunkel allmählich abgestuft.

Gewaltig schließt ein Münsterbau

Das Bild mit dunklem Braun und Grau.

Man sieht, die Versammlung kam heraus:

Noch drängt sich aus dem Gotteshaus

Das Volk, und hinten wogt's wie Wellen,

Indeß die Vordern fest sich stellen:

Die, um zu jubeln, Die, zu staunen,

Die, sich die Märe zuzuraunen.

Am Thor des Münsters sehet ihr

Zwischen der wunderleichten Zier

Durchbrochner Gewebe, Feld an Feld,

Josephs Geschichte dargestellt,

Wie ihn die ägyptischen Handelsleute

Entführen als leicht erworbne Beute,

Und so fort bis zum Wiederschauen

Des Vaters, schön in Stein gehauen.


Nun führt das nächste Bild im Reihn

Euch ins Innre des Münsters ein.

Der Jüngling empfängt vor Hof und Land

Schwert und Schild aus des Königs Hand.

Der milde Greis spricht ernste Lehren

Von Manneszucht und Ritterehren,

Wobei des Jünglings Auge sprüht,

Indeß erröthend sein Antlitz glüht:

Bei ihm die jungen Schwertgesellen,

Hinfort sein eigen in Sturm und Wellen.

Zunächst am König der Bettler, schau,

Fürstlich gehüllt in Gold und Blau.

Die Großen des Landes, stolze Gestalten,

Frauen, die Kleider in herrlichen Falten;

In blauen Mänteln die Sänger im Kreis,

Auf breiter Stirne das Lorbeerreis,

Die Harfe zur Hand, des Jünglings Ruhm

Voraus bedenkend, sein Heldenthum;

Auch die sich im Leben herb entzweit,

Eint, siegend über Haß und Zeit,

In heiligem Frieden die Kunst nunmehr.

Ein groß Gemälde, reich und schwer:

So liebt's ein Volk in seinen Hallen,

Das seine Geschichte ehrt vor allen.


Seht, nicht zum Spiele ward das Schwert

Dem flüggen Rittersmann beschert.

Der ernste Holmgang zeigt ihn hier

Vom Haupt zu Fuß in Waffenzier,

Vor ihm der schwer erlegte Feind.

Links in dem Schiffe klagt und weint

Ein Volk, eins jauchzt am Strande rechts.

Ihr seht das Ende des Gefechts:

Stolz steht vor dem halbtodten Krieger,

In Silber leuchtend, der junge Sieger,

Den Fuß fest eingewühlt im Grund,

Als wollt er wurzeln drin zur Stund;

Das große braune Aug weit offen,

Als spräch es: das ging über Hoffen!

Doch wild umdunkelt, wie vom Tod.

Die Hüfte zeigt euch seine Noth:

Der reiche Waffenrock zerfetzt,

Zerschellt der Panzer, schwer verletzt

Blinkt draus der zarte Leib hervor.

Noch trotzt der Sieger, hoch empor,

Den Schmerzen, die ihn mit Nacht umketten:

Bald wird er sich zum Feinde betten.

Nun ist er ein Held, mit Blut getauft,

Hat seine Mannheit hoch erkauft.

Er stützt sich auf des Schildes Rund,

Aus dessen spiegelhellem Grund

Ein schwarzer Eber schaut, von Hieben

Des Feindes kaum noch kenntlich blieben.

Von dem krystallnen Helme winkt

Ein Pfeil, der goldgetrieben blinkt.

Die Rechte hält das Schwert noch matt,

Das eine große Scharte hat;

Man weiß nicht, ob sie's fiebernd fassen

Zum Schlage will, ob finken lassen.

Nun seht den sterbenden Gegner an.

Euch sagt's Ein Blick: das war ein Mann!

Die wuchtigen Glieder eng umschmiegt

Von dunkler Eisenrüstung, liegt[243]

Er wie ein nackter Riese da,

Ein Held, der seine Tage sah:

Wer den zu Boden schlug, der hält

In seiner Siegerfaust die Welt.

Er weiß es und streckt, halb Fluch halb Segen,

Sterbend die Hand dem Feind entgegen.

Die andre deckt der Schild am Grund,

Der ehrne mit dem Flammenrund.

Nacht ruht auf dem strengen Angesicht;

Sein wildes Heldenauge bricht,

Sein großes Haupt, des Helmes bar,

Zeigt zwischen dem schwarzen krausen Haar,

Weitklaffend, einen Todesspalt,

Von Blute dunkel überwallt;

Drin etwas Blinkendes, ein Schein,

Wie Silberadern im Felsgestein;

Drauf weilt ein eigen seltsam Licht.

Die Luft ist schwül, die Hitze sticht

Versengend auf das matte Grün

Der Insel, zerwühlt von den Kämpen kühn.

Das Meer liegt still; ein Kahn am Strande,

Der Einen tragen soll zum Lande.

Links aber ballen sich zu Hauf

Gewitterwolken am Himmel auf;

Ein flüchtiger Strahl, gleich einem Blitze,

Bricht röthlich, wie mit Pfeilesspitze,

Recht aus dem schwarzen Wolkenkerne

Und zuckt nach unbekannter Ferne.

Das Schwert, erbarmungslos und wild,

Herrscht hier auch, auf dem nächsten Bild;

Doch anders ist's damit bewandt:

Es schwebt in einer Jungfrau Hand,

Die schlank und voll, großartig schön,

Wie eine Walkyre aus Himmelshöhn,

Dem Sieger, der noch eben todt

Den Gegner schlug, mit dem Tode droht.

Sie hat im Bad ihn überrascht,

Wo eher der Mann die Jungfrau hascht;

Doch scheinet ihr verstörter Sinn

Den schönen nackten Leib da drin

Zu übersehn, die gewölbte Brust,

An der sich's doch ruhen muß mit Lust,

Der Arme Kraft, der Schultern Glanz:

Dem Drachenkopf und Drachenschwanz,

Worin die Badegondel endet,

Scheint mehr ihr Auge zugewendet.

Ihr Blick zerbrach am seinen wohl:

Er schaut so fest, vertrauensvoll,

So still und eigen auf zu ihr,

Als dächt er: »Süß ist der Tod von dir.«

Auch ist wohl die Gefahr nicht groß,

Die Feindin nicht so fessellos;

Denn hinter ihr, zum Halt bereit,

In dunkel violettem Kleid

Kommt eine Greisin hergeschritten,

Die Züge vom Alter scharf geschnitten,

Und doch wie schön das bleiche Gesicht!

Die Welt kennt solche Mienen nicht.

Im Aug wohnt Weisheit, Huld und Würde,

Das greise Haupt erträgt die Bürde

Des goldnen Reifes anmuthvoll:

Den Mund, aus dem das Halt erscholl,

Umspielet Ruhe friedenswarm;

Nicht eilt ihr ausgestreckter Arm:

Sie traut dem frommen Weibesmuth,

Der hemmend auf der Jungfrau ruht.

Doch kämpft der Haß mit ihm. Seht ihr

Den Reiz der Rachegöttin hier?

Der Mund, geschaffen für den Kuß,

Ist fest gepreßt; ein starrer Guß

Das Antlitz, das mit holdem Flehn

Der Anmuth Engel doch umwehn.

Sie bitten: der du gleichest, schau,

Schau auf die schöne alte Frau,

Daß es auch dir einst sei beschieden,

Zu ruhen in so reinem Frieden. –

Wie wird das enden? Wuthberückt

Hält sie auf ihn sein Schwert gezückt,

Sein eigen Schwert: die Scharte macht

Es kenntlich, und in Silberpracht

Lehnt blankgeputzt seine Rüstung dort.

Sie nahm es vom Gewaffen fort,

Die Scheide liegt am Boden noch.

Sie schwingt es über ihm, und doch

Vorüber schon ist die Gefahr:

In sich gebrochen ganz und gar

Die herrliche Gestalt, das Gold

Der blonden Locken herabgerollt,

Das Diadem, das drauf geruht,

Mitreißend in der goldnen Fluth,

Das schwarz und dunkelrothe Kleid

Bedeckend, wie Barmherzigkeit[244]

Die Rache; das erhobne Schwert,

Mir bangt, es werde, rückgekehrt,

Verletzend auf sie selber fallen;

Doch in den Augen, seht, vor allen,

Da steht der Zwiespalt, in den feuchten,

Da weht ein irres Wetterleuchten

Aus schwüler Herzensbangigkeit,

Und zweier Lichter Widerstreit,

Daran der Racheblitz zerbrach,

Der erst aus diesen Augen sprach:

Das erste ist des Jünglings Blick,

Unabwendbar wie das Geschick;

Das zweite, das von oben strahlt,

Ihr kennt es wohl, ist nicht gemalt,

Es ist ein dunkelglühend Licht,

Das voll aus jener Schale bricht

Und (sicher nach Farb und Ort bestellt)

In die schönen zaudernden Augen fällt,

Daß sie davon geblendet scheinen;

Ein Weilchen, und sie werden weinen.

Um abzunehmen dieses Joch

Des Zweifels, fehlt nur Jemand noch,

Der, was den Gekränkten nicht gebührt,

Den Hohen, das Wort der Güte führt.

Der Maler wußte, was hier frommt:

Sieh, zwischen den beiden Frauen kommt

Ein Fräulein im Hintergrunde,

Leise mit lächelndem Munde,

Stattlich im engen Kleide

Von Sammt und brauner Seide,

Schön und wohl aufgestrichen

Zur Thür herein geschlichen.

Dies kluge liebe Antlitz schau,

Frisch wie gewaschen im Morgenthau.

Sie legt den Finger an den Mund;

Das heißt: ich kann schweigen zu rechter Stund

Und kann auch reden zur guten Frist,

Wo am Platz ein gutes Wörtchen ist.

Gleichmäßig mit der Königin

Schreitet sie gegen die Schöne hin.

Ihr seht: das Schwert, so voll Beschwer,

Sie darf's nicht lange halten mehr;

Die Stund ist keine von den bösen,

Dies wirre Wesen wird sich lösen.

Auch scheint's gelöst im nächsten Feld:

Ein Auftritt ist hier dargestellt,

Der von Gestalten überquillt,

Groß, reich, wie jenes Münsterbild.

Es sieht einem ernsten Scheiden gleich:

Die Jungfrau wird vor Hof und Reich

Dem Jüngling, ihrem einstigen Feind,

Gegeben. Sind sie nun vereint

Mit Banden, die der Tod nur trennt?

Sie sind einander werth. Doch brennt

Die Jungfrau nicht: in trüber Ruh

Und zögernd schreitet sie ihm zu,

Nicht wie eine Braut, halb abgewandt;

Den Mantel hält die eine Hand,

Die andre ruht in zweien Händen,

Die ihr den Abschiedssegen spenden.

Das sind wohl ihre Eltern: schau,

Vom vorigen Bild die gekrönte Frau,

Dabei ein Mann im Hermelin,

Die Königskrone schmücket ihn.

Dem Jüngling fehlt der goldne Reifen:

Darf er der Fürstin Hand ergreifen?

Auch beut er schüchtern nur den Arm,

Nicht wie ein Gatte kühn und warm,

Nur ehrerbietig naht er ihr.

Er steht wohl nur als Gesandter hier

Und führt das Weib so minniglich,

Die Fürstin heim, ach, nicht für sich.

Das Fräulein, hinter ihr, gewandt

Zum Mitgehn, trägt mit sachter Hand

Etwas, in Tücher eingehüllt.

Den Hintergrund zur Seite füllt

Geschäftig Volk, das Geräthe trägt

Und nieder zum Hafen sich bewegt.

Dort liegt ein Schiff: das prangt in Gluthen!

Steigt eine Sonne aus den Fluthen?

Und auch das Meer, das leuchtet ganz

In rosenrothem Wunderglanz.

Und wie? das Schiff ist dasselbe, seht,

Das oben so hoch auf den Wellen geht,

Und die Liebenden auch mit der Zauberschale,

Die alles besonnt mit dem rothen Strahle!

Die sich hier unten ferne stehn,

Dort sind sie vereint. Was ist geschehn?

Welch Wunder hat sich da begeben?

Wohl mag dies Schiff dort oben schweben

Am Himmel, der sich zum Meere neigt,

Im Meere, das auf zum Himmel steigt:[245]

Soll sich Getrenntes fassen und halten,

Soll Jugend siegen und nimmer alten,

So müssen die Elemente rein,

So darf ihr Reich nicht auf Erden sein.


Umrahmt von einer offnen Thür,

Tritt hier ein Schlafgemach herfür,

Ein Bett mit Kron und Wappenschild,

Und drei Gestalten in dem Bild.

Der Jüngling und die Fürstin wieder:

Was zog sie zu der Erde nieder?

Und eine Dritte: ihr Gesicht

Ist abgewandt, man kennt sie nicht.

Sie ringt die Hände in tiefem Gram.

Wie sie in der Fürstin Kleider kam,

Ins weiße Gewand, zum Diadem?

Er führte sie zum Bette – Wem?

Er rückt ihr das Krönlein, das hernieder

Gestreifte, zurecht in die Locken wieder.

Auf seinem Gesichte sind im Streit

Mitleid, Scham, Kummer, Dankbarkeit;

Halb von der Seite ist's zu sehn.

Vorn, links, die Fürstin, gewandt zum Gehn;

Die Lichter stehn erloschen hie,

Das einzig brennende trägt sie

Und ist allein vom Strahl erhellt,

Der dunkler auf die Andern fällt.

Ihr Haupt ist des goldnen Schmuckes bar;

Nach hinten fliegt ihr blondes Haar;

Sie faßt, ihn fortzuziehn, den Mann

Am Arm, doch blickt sie ihn nicht an.

Wie sie herwärts schreitet, der Thüre zu,

Hastig, als hätte sie keine Ruh,

Entschlossen, trotzig, beinahe wild,

Doch schön! Ein kaum verständlich Bild.

Dort, rechts von der mit Myrtenkränzen

Reich überhängten Pforte, glänzen

Tief hinten überm Hofe, sieh,

Fackeln auf einer Galerie.

Wer kommt dort in dem Flackerlicht?

Er ist zu fern, man erkennt ihn nicht.

Er schreitet zwischen Dienern still:

Ein alter Mann, der zur Ruhe will.


Ein Nachtstück wieder. Ein Garten, seht,

In dem ein breiter Oelbaum steht.

Der Mond ging hinter den Bergen auf

Und zieht mit leisem Friedenslauf,

Gestaltet als ein goldner Kahn,

Hin durch den blauen Ocean.

Er säumt die grünen Blätter dicht

Mit unnennbarem Zauberlicht

Und läßt die schlummernden Blumen leuchten

In Farben, die fremd dem Tage deuchten.

Dort hinterm Baum, im Schatten ganz,

Erschimmert lichter Marmorglanz:

Es ist, gar zierlich ausgesonnen,

Ein Steinbild und zugleich ein Bronnen.

Da hat nun der Riese still und sacht

All seine Schalkheit angebracht:

Kaum sieht man's; wenn ihr scharf hinschaut,

So ist's Frau Minne, die hold und traut

Ihren Knaben im Arme hält,

Den Wildfang, der da beherrscht die Welt.

Sie droht ihm mit dem Finger sehr;

An ihre Kniee schmiegt sich er,

Umschlingend mit dem einen Arm,

Den andern hebt er sonder Harm,

Drückt sich mit arger Schelmenlist

Den Finger auf den Mund und – pßt!

Vom Baume herwärts fließt der Quell,

Lebendig perlend, frisch und hell;

Ihn rühmt das frischere dunkle Grün,

Die Blumen, die hier goldner blühn;

Und o, wie spielt das Licht in hellen,

In seligen Streifen auf den Wellen!

Sie fließen nach einer Halle hin,

Als wollten sie ein Geheimniß drin

Erzählen. Wilde Rosen haben

Die lichte Wand in Grün begraben,

Die seitwärts blinkt, das Bild begrenzend.

In dieser Landschaft, zaubrisch glänzend,

Was braucht's belebender Menschen noch?

Und Menschengestalten sind hier doch,

Vielleicht mehr, als das Bild euch zeigt.

In der prächtigen Nacht, wo alles schweigt,

Schleicht sich ein Paar zum Olivenbaum,

Zu feiern einen Wonnetraum,

Die Beiden wieder, das hohe Paar:

Das Mondlicht zeigt ihre Züge klar,

Doch nicht verklärt: sie blicken trübe,

Als ob was Fremdes sich erhübe

Und stünde scheidend zwischen ihnen.[246]

Er weilt mit räthselhaften Mienen

Am Baum; von der Halle her kommt sie

Und steht im Nachtgewande hie

Zaudernd, recht in des Bildes Mitte;

Ihr Gang stockt mitten in dem Schritte,

Als bangte sie vor dem eignen Schatten,

Der leise mitschleicht auf den Matten.

Doch nein, sie blickt den Liebsten an,

Stumm fragend, was hab ich dir gethan,

Daß du mir nicht entgegen fliegst,

Nicht längst mir in den Armen liegst?

Ruft diese Stunde nicht zum Lieben?

Wo ist dein altes Herz geblieben?

Wie scheint der Liebenden Freund so licht!

Du stehst? du schweigst? was sprichst du nicht? –

Was mag er haben? sein Arm ruht schief,

Sieh, über der Brust, im Schatten tief;

Den Rücken gegen Mond und Baum

Gekehrt, streckt er – man sieht es kaum –

Mit einer seltsamen Geberde

Den Finger neben sich zur Erde.

Wo deutet er hin? Was soll das sein?

Zeigt er auf seinen Schatten? nein,

Seht besser hin: es sind ja drei,

Drei Schatten und nur Ein Mann dabei.

Der seine, der fällt neben ihn

Schief herwärts, scharf und deutlich hin,

Und neben seinen eignen fallen

Noch zween, wie aus des Baumes Hallen,

Ein großer und ein kleiner;

Mit langem Arm weist einer

Grad auf die Frau, die dorther geht.

Nun wißt ihr, warum er so stille steht,

Der Jüngling, und nicht von Lust berauscht

Entgegen fliegt. Sie sind belauscht.

Gehören sie denn einander nicht

Bei Nacht und im freien Sonnenlicht?

Und was bedeuten die Drachen und Schlangen,

Die züngelnd halten dies Bild umfangen?


Und doch! das nächste Feld zeigt sie

In freier Sonne beisammen hie.

Nun folgten sie endlich der Minne Ruf

Und liegen nackt, wie Gott sie schuf,

Zwo Rosen gleich in süßem Glühn,

Schlummernd, weiß nicht nach welchen Mühn,

Auf einem Ruhebett im Grünen.

Es beugt sich auf die Holden, Kühnen.

Ein Zweig roth glühender Granaten,

Die sich im Sonnenkuß aufthaten,

Wetteifernd mit ihres Schlummers Gluth.

Hier fehlt mir nun so Wort als Muth,

Dies sonnenwarme Bild zu malen:

Treu reden nur der Farbe Strahlen

Von der geheimnißvollen Pracht

Des Menschenleibs, den Gott gemacht.

Wer gäbe sie in Worten wieder,

Die zarte Keuschheit nackter Glieder?

Wer schildert, Leib an Leib geschlossen,

Dies Wunder, wie aus Erz gegossen,

Und doch so weich! Wem wär's beschieden,

Zu reden von der Lichter Frieden:

Wie Fleisch und Blut und das Gewühl

Der Farben auf dem schönen Pfühl,

Der Blumen bunter Glanz vereint

So innig in einander scheint?

Dem Schönsten, was die Erde hat,

Entblüht auf dieser Lagerstatt

Der Schöpfung Krone, das Menschenbild,

So schön, daß trunken niederquillt

Das Licht darauf und kann nicht scheiden.

Doch sah ein Andrer noch die Beiden:

Dort im Gebüsch, von Haaren weiß,

Seht ihr den König, den milden Greis,

Der den Jüngling zum Ritter schlug,

Von dem er Huld und Ehre trug –

Ihr kennt ihn noch vom Münster her:

Doch steht er halbgewendet, er

Will gehen – Welch ein Kummer spricht

Aus diesem gesenkten Angesicht,

Das man kaum halb erblickt? Er hat

Den Arm erhoben und läßt ihn matt

In tiefem Grame sinken wieder.

Was beugt ihn so zur Erde nieder?

Droht seinem Liebling ernstes Leid

Mitten im Traum der Seligkeit?

Rechts in dem Randgemäld am Bild,

Da weint ein Engel traurig mild;

Ein grinsender Gnom am linken Rand

Hat eine Viper in der Hand,

Als wär's ein Bogen, und schießt zu den Drein

Eine kleine Otter als Pfeil hinein.
[247]

Das zwölfte Feld, das den Kreis beschloß,

Zwischen dem Kind und dem Wonneloos

Des Mannes, war noch leer zur Stund,

Nur aufgetragen ein dunkler Grund,

Auf dem sich sollt aus des Helden Leben

Das letzte Bild, das letzte! heben.

Mit ernstem Sinnen sah Tristan

Das Werk, das unvollendet, an;

Lang stand er vor der dunkeln Wand,

Dann nahm er Kaedinens Hand,

Ihn aus der Halle zu geleiten.

Noch einmal sah nach allen Seiten

Der Jüngling, dem das Herze schlug,

Und folgte mit tiefem Athemzug.

Aus mattem Gold getrieben, war

Inmitten des Saales ein Altar,

Fast ähnlicher einem Grabmal noch,

Länger als breit, geräumig, hoch,

Wie man es über Grüften mag

In Kirchenhallen sehn. Nur lag

Kein Bild drauf. Jede Seite bot

Embleme vom Leben und vom Tod.

Die Ecken stützten der Riesen vier,

Die massigen Leiber beugend. Hier

War nun der Eingang von zuvor.

Sie gingen durch dies einz'ge Thor,

Das Einlaß in die Halle gab,

Und schritten ins Dunkel, doch nicht bergab:

Nach kurzer Frist trug sie der Gang

Ins Freie, auf einen Klippenhang,

Um dessen Fuß mit Tosen her

Schäumte und brandete das Meer.

Das war der Klang, der in der Halle

Sich brach zu tiefem Orgelschalle.


Tristan saß auf ein Felsenstück

Und wandte fragend sein Aug zurück

Auf Kaedin. Der wußte kaum,

Wie ihm geschehen. Halb im Traum

Fragt' er: »Und lebt sie denn?« – und wandte

Sein Antlitz ab, das glühend brannte.

Wehmüthig nickte Tristan Ja. –

»Nicht ganz versteh ich, was ich sah,

Doch Eines hab ich wohl begriffen,« –

Hier brach er ab, und auf den Riffen,

Die unter ihm zerrissen klafften,

Ließ er sein Auge schmerzlich haften.

»Setz dich hier zu mir,« sprach Tristan:

»Höre mir zu.« Und er begann.


Euch ist Tristans Geschichte kund:

Ihr hörtet sie von einem Mund,

Dem sich kein andrer in der Welt

An Süßigkeit zur Seite stellt.

Auch Tristan trug ein Dichterherz

Und sprach nicht kalt von seinem Schmerz,

Indeß ein wildes Lied von Weh

Zu seinen Füßen sang die See.

»Ich bin,« sprach er, als er geendet,

»Mit Leib und Leben Ihr verpfändet;

Ich habe kein Recht mehr an mein Leben:

Hab ich ihr Gut hinweggegeben,

So hat der Käufer gestohlen Gut,

Worauf ja nimmer Segen ruht.

Die Möve, die dort hinüber streicht,

Verklagt mich, daß ich wog so leicht:

Sie zieht nach Kornwall. Ach, dorthin

Zieht Wind und Wolke, Herz und Sinn.

Nein, keine Andre kann ich lieben!

Was hat mich zu der Schuld getrieben,

Was zu dem Wahnsinn ohne Gleichen?

Sie dort, in ihren öden Reichen,

Schaut einsam klagend nach mir her.

Und ich – o stürze, Fels, ins Meer!

Von meiner Wurzel abgerissen,

Muß ich Licht, Luft und Seele missen,

Und was sich schlingen will um mich,

Bleibt nahrungslos und kümmerlich.

Sie dort, ich hier in Lügenketten!

Ich aber will die Liebe retten,

Das Recht der Wahrheit soll bestehn,

Und mag die Welt zu Grunde gehn!«


So sprach Tristan noch lange fort.

Der Jüngling hörte nicht ein Wort.

Er sah, wie sich die Welle brach

Am Fels, er sah der Möve nach,

Die sich in blauem Duft verlor,

Und fuhr aus Träumerein empor.

»Arm Schwesterherz!« sprach Kaedin:

»Und dort liegt Kornwall? Wollen wir hin?« –

»Nach Kornwall?« Wie von einem Blitz[248]

Getroffen sprang Tristan auf vom Sitz:

»Und du willst mit? Du willst mit mir?

Ja komm, und Wunder zeig ich dir!

Komm, du sollst sehn, daß Rede, Leben,

Der Augen Nehmen und süßes Geben

Mehr Wunderherrlichkeit erschließt,

Als alles, was aus Farben sprießt.

Findst du nicht mehr als in der Hallen,

Wohlan, dann sei mein Haupt verfallen.« –

»Nach Kornwall!« jauchzte Kaedin:

»Doch hör, laß uns mit Frieden ziehn;

Wir wollen über Karke fort

Und Urlaub nehmen mit gutem Wort.« –

»Urlaub?« sprach Tristan und blieb stehn:

»Das wird in Gutem schwerlich gehn,

Sonst wär ich längst alleine hin.« –

»Ich schaff ihn dir!« rief Kaedin:

»Was folgen mag, noch weiß ich's nicht.

Mir ist, ich seh ein dämmernd Licht.

Viel fügt und ordnet sich auf Erden:

Es muß und mag noch anders werden.« –

»Mein Bruder!« sagte Tristan warm

Und schloß den Jüngling in den Arm:

»Mir ist ja das schon Himmelsgabe,

Daß ich dich wieder funden habe!

O du weißt nicht, wie öd und bar,

Wie qualvoll mir dies Leben war.

Heimlich zu fliehen, schien mir schlecht,

Offen zu brechen, ungerecht:

Ich liebt euch doch! mit Leid und Schmerz

Verschloß ich euch mein armes Herz.

Ich trieb kein Spiel! Ich selber war

Ein Spiel. Dir ist es endlich klar.

Wir kennen uns! Wir sind vereint,

So lang uns Gottes Sonne scheint.

Nun wohnt doch Friede bei uns Beiden,

Und soll allein der Tod uns scheiden!« –

»Nach Karke denn!« rief Kaedin.

Sie eilten zu ihren Rossen hin

Und jagten spornstreichs Karke zu.


Dann nach Kornwall in guter Ruh

Zu neuem Truggewinne

Zwischen Verrath und Minne?

O nein, o nein, das hat ein Ziel:

Mir ist des Alten schon zu viel.

Ich glaube auch wahrlich nimmermehr,

Daß es nach des Meisters Sinne wär.

Was er die Lieb in der Scheidestunde

Aussprechen ließ mit bittrem Munde,

Das sah nicht aus nach neuer Lust,

Das klang so still, so todbewußt:

Nach Reden, die so zu Leide stehn,

Soll man sich niemals wieder sehn.

Sie waren, echt und herzgebrochen,

Auf Nimmerwiedersehn gesprochen.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 234-249.
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