Kaedin.

[249] Oft sinnt der Mensch auf einen Rath,

Der nimmer doch dem Ziele naht.

Oft stürmt die Jugend in Saus und Braus

Nach einem fernen Ziel hinaus:

Da lenkt ein Stäubchen sie ab im Nu

Und führt sie dem nahen Ende zu.

Herr Tristan und der junge Knab

Ritten den nächsten Weg hinab

Am Meeresstrand und kamen bald

In einen großen wilden Wald.

Da führte sie bergauf ein Pfad;

Nun sahen sie oben von dem Grat

Eine Jägerschaar mit Einem Mal

Jenseits herreiten in dem Thal.

»Hinweg!« rief Tristans Reitgesell:

»Bergen wir uns im Gebüsche schnell!« –

»Warum? Ich flieh nicht wie ein Dieb,«

Sprach Tristan. – »O thu mir's zu Lieb,[249]

Du sollst gleich alles hören; fort!« –

»Sie sehn uns nicht: sie ziehen dort

Hinüber. Wer ist's? So rede doch!« –

»Nampotenis von Gamaroch,«

Gab ihm zur Antwort Kaedin,

»Zieht dort mit jenen Jägern hin,

Mit seinen Gästen. Kennst du ihn nicht?« –

»Der mit dem rothen Angesicht,

Der wunderliche dicke Mann,

Der untersetzte?« sprach Tristan. –

»Er führt ein wackres Schwert: er war

Der Schlechtste nicht in der Feinde Schaar,

Die uns bedrängten in jenem Krieg,

Eh deine Hand erfocht den Sieg.

Sein Schloß, das heißt Gamarke

Und liegt nicht weit von Karke.«

»So fürchtest du ihn?« – »Nimmermehr!

Ihn fürchten? Zwar mein Feind ist er,

Doch hat das einen andern Grund.

Hier darf er mich nicht sehen.« – »Und?« –

»Es käme seiner schönen Frau

Zu Schaden. Er ist stolz wie ein Pfau

Und eifersüchtig wie ein Hahn.

Wir liebten uns von Kindheit an:

Sie aber ward, indeß ich fern

Auf Reisen weilte, gar nicht gern,

Dem ungeliebten Mann vermählt,

Der sie mit albernen Launen quält.

Er hält meines Herzens Wonne

Strenger denn eine Nonne.

Seine starke Burg umgeben

Hohe Mauern und tiefe Gräben;

Auch hat sie nur einzig Thor,

Und er behält sich den Schlüssel vor,

Den trägt er bei sich und hält ihn fest,

Wenn er eine Stunde das Schloß verläßt.

Kein Vogel kommt und keine Maus

Ohne seinen Willen in dieses Haus.

Auch hat er zum Dienste seiner Frau

Kein männlich Geschöpf, nicht grün noch grau,

Nur Frauen dienen ihr allein.

Seine Gäste führt er bei Nacht nicht ein:

Sie lachen oder schelten,

Sie müssen schlafen in Zelten.

So trieb er den Unfug immerdar,

Am ärgsten doch, seit ich bei ihm war:

Ich gab mich ihm einst gefangen,

Zu stillen mein Verlangen;

Da ward ich auf sein Schloß geführt,

Wo ich mir nahm, was mir gebührt.

Gar schlecht bekam ihm die Frauenhut:

Frau Gardeloye war mir gut,

Und in den Armen, lind und weich,

Ward meine Haft zum Himmelreich.

Sie dauerte eine Woche nur:

Da kam er uns leider auf die Spur,

Und als er merkte, wie's bestellt,

Entließ er mich ohne Lösegeld

Und hält seitdem das süße Weib

Gefangen, als wär's auf Leben und Leib.

Ich habe sie seitdem nicht gesehn.

Nun möcht ich, eh wir zu Schiffe gehn,

Mit der Armen, Freudelosen

Ein Stündchen reden und kosen.

Drum wollt ich von ihm nicht gesehen sein:

Es würde ihr nicht um Trost gedeihn,

Und um das Kosen wär's gethan.

Und nun, mein Bruder, mein Freund Tristan,

Erweise mir deinen holden Sinn

Und reit mit mir nach Gamarke hin!« –

Wie wollte Tristan anders nun?

Er mußte ihm seinen Willen thun:

Da ritten sie, statt nach Karke,

Zur Linken nach Gamarke.


Sie sahen das Schloß und ritten dar,

Und als er vor der Mauer war,

Rief Kaedin ein Jungfräulein

Und bat, ihn zu melden der Frauen sein.

Frau Gardeloye mit Prangen

Kam auf die Zinne gegangen,

Die schöne Frau von Gamaroch,

Ein stolzes Weib, vollwüchsig, hoch,

Schwarzlockig im brennend rothen Kleid,

Das liebe Gesicht voll Reiz und Leid.

Ihr höf'scher Buhle dorten

Mit wohlgestrichnen Worten,

Die Arme hebend mit O und Ach,

Begann von seinem Ungemach;

Die Schöne erwidert's mit Ach und O

Und brannte herunter lichterloh,

Wie eine wilde Blume, die[250]

Aufschoß im grauen Gemäuer hie.

Dazwischen fiel Tristanden

Manch höfischer Gruß zuhanden

Ob seinem Ruhme weit und breit,

Seiner Treue und Biederkeit,

Und wie die bedrängte Fraue

Sich gänzlich ihm vertraue.

Doch immer kehrte das Klagelied

Dem Thore, das die Gelieben schied,

Und dem verwünschten Schlüssel zu,

Der ihnen raubte Trost und Ruh

Sie sannen tausend Mittel aus,

Wie zu eröffnen wär das Haus

Und wie der Schlüssel zu umgehn;

Und mußten doch alle nichtig sehn.

Tristan, schnellsinnig wie von je

Und ungeduldig nach der See,

Verzweifelnd über die O's und Ach's,

Rief aus: »So drückt ihn doch in Wachs!« –

Frau Gardeloye, Herr Kaedin,

Die priesen seinen feinen Sinn,

Sagten ihm Dank und aber Dank

Und wurden lachend Eins zum Schwank.

Sie wollte, wenn ihr Herr zu Nacht

Heimkehrte, wie er's stets gemacht,

Ihm mit gefügen Händen

Den Schlüssel im Schlaf entwenden;

»Und kommst du morgen früh herbei,«

Sprach sie, »so kannst du das Conterfei

Dort an dem Graben holen.

Nun, Herren, Gott befohlen.« –

Die Herren schieden williglich

Und wandten in ein Waldstädtchen sich,

Das abgelegen und unbekannt

Im tiefen Waldgebirge stand;

Dort bargen sie sich die ganze Zeit

Und fanden auch einen Schmid bereit,

Zu ihren geheimen Sachen

Den Schlüssel nachzumachen.


Indeß nun Kaedin sacht und klug

Das Wachs von der Burg herunter trug,

Der Schmid, nicht so schnellfingrig als

Die heutigen, über Kopf und Hals

Sich mühte in tausend Nöthen

Mit Feilen und mit Löthen,

Indessen hatte zur Buße

Herr Tristan gute Muße

Und saß mit Qual und Trauer

Auf seiner gezwungnen Lauer.

»Bin ich zum Adam aufgestellt,

Durch den die Sünde kam zur Welt?«

Sprach er: »Wenn mich in Leid und Lieb

Ein ungeheures Schicksal trieb,

Muß ich darum zu losen Streichen

Die Hand leichtfertigen Herzen reichen?

Und doch, wie kann ich noch zurück?

Der holde Fant ist all mein Glück:

Seine Jugend, sorglos, unbedacht,

Wer ist, dem sie nicht ins Herze lacht?

Sein Vertrauen ruht in meinen Händen,

Ich kann mich nimmer von ihm wenden.« –

Dies und noch manches gab Tristan,

Die Unbill zu beschönigen, an;

Jedoch, was scheu vor Licht und Tag

Den Reden allen zu Grunde lag,

Was er mitdachte halbbewußt,

Das wollen wir lesen in seiner Brust.

Gar manch Gesetz ist in der Welt,

Mit dem's im Grunde schwach bestellt,

Und manch Recht könnte, beim Licht besehn,

Vor besserem Rechte nicht bestehn;

Nur daß die unmündigen Menschenkind,

Die blöden, so leicht zu irren sind:

Denn greifst du nach einem Eigenthum,

Zu dem du trägst in der Brust herum

Dein Gottesrecht, so machst du dich

Zum Genossen von jedem Diebesschlich;

Und sehen die Kleinen einen Mann,

Einen Helden für Ihresgleichen an,

So zerren sie ihn mit Gejauchz und Schrein

Für immer in den Koth hinein,

Und der der armen bedürftigen Welt

Ein Pfeiler sollte sein, der fällt

Und zieht in seinen Sturz mit Schmach

Einer halben Welt Gedeihen nach.


Voran! Der Schlüssel war gemacht,

Die große Jagd noch nicht vollbracht,

Nampotenis von Hause fern:

Da ritten die beiden losen Herrn

Nach Gamarke. Nun trug das junge Blut[251]

Ein Schapel, einen Schattenhut

Von klaren Rosen. Und als er kam

Auf die Brücke dargesprengt, so nahm

Der Wind, sein luftiger Gesell,

Das Schapel ihm vom Haupte schnell

Und warf's in den Graben. Kaedin

Ging achtlos zu dem Thore hin

Und fand gar bald bewährt den Schmid:

Die Pforte, die Lieb von Liebe schied,

Sprang auf. Sie traten in das Schloß.

Da war der Frauen Jubel groß,

Die Herren gottwillkommen.

Da ward nicht Zeit genommen

Von den Gelieben beiden:

Sie dachten voraus ans Scheiden,

Sagten nicht lange Weh und Ach,

Verfügten sich eilig in ein Gemach

Und spielten Tristan und Isold,

Weiß nicht, mit Messing oder Gold.

Herr Tristan bei den Fräulein blieb

Und höfisch ihnen die Zeit vertrieb.

Es war ihm eine Kunst bekannt,

Die Niemand zu der Zeit verstand,

Darob sie sie allwärts hießen

Herrn Tristans Reiserschießen.

Er schoß in die Wand ein gespitztes Reis,

Zielte danach mit Acht und Fleiß

Und schoß ein Reis ins andre so.

Der Kurzweil waren die Fräulein froh.

Da rief recht mitten in der Lust

Die Wächterin aus voller Brust:

»Der Herr, der Herr kommt von der Jagd!« –

Er war es auch fürwahr: geplagt

Von seinem bösen Geist kam er

Von ferne gegen das Schloß daher.

Da gab's ein Scheuchen und Rennen,

Ein Jammern, Küssen, Trennen;

Da blieben in all dem Schrecken

Herrn Tristans Reiser stecken.

Die Herren gingen eilig fort

Und ließen in dem Graben dort,

Als sie auf die Rosse stiegen,

Das leide Schapel liegen.

Sie ritten jach dem Walde zu,

Und in des Waldes dunkler Ruh

Trottirten sie ohne Sorgen,

Als wären sie geborgen.

Doch eh eine Stunde halb verstrich,

Vernahmen sie Hufschlag hinter sich

Und sahen Nampotenisen

Feindlich zu Roß herschießen.


Der fand das Schapel im Graben, fand

Auch Tristans Zeichen an der Wand;

Da sah er aus den Reisern klar,

Daß Tristan hier gewesen war:

Das machte ihn Kaedins gewiß,

Daß der nicht fehlte; Nampotenis

Ging in der Frauen Kammer, schoß

Gezückten Schwertes auf sie los

Und schrie: »Nicht hintergehst du mich!

Wer war bei dir? Stirb oder sprich!« –

Das arme Weibergemüthe war

Verzagt und gebrochen ganz und gar

Und beichtete, von Angst verstört,

Was ein Ehmann nicht gerne hört.

Nampotenis fuhr wieder aus,

Nahm ein paar Diener mit zum Strauß

Und ritt, die ihm solch Leid gethan,

Im Walde nach kurzem Jagen an.


»Ihr Ehrenräuber, haltet Stand!«

Rief er: »empfangt von meiner Hand

Den Lohn für eure Lasterthat,

Die Eure Amie verrathen hat,

Herr Kaedin! Ja, schaut nur hoch.

Das soll Euch den Tod versüßen noch:

Wer dich verschwatzte, du schnöder Dieb,

Frau Gardeloye war's, dein Lieb.

Und ihr, Herr Tristan, habt Ihr nicht

Genug gethan wider Recht und Pflicht,

Da Ihr an Eurem Ohm und Herrn

Die Treue stelltet, die Ehre fern,

Und konntet zu Ungebühren,

Pfui, seine Frau verführen?

Müßt Ihr nun in den Landen auch

Ausbreiten Euren Lasterbrauch,

Und seid Ihr überall zur Stell

Als Helfershelfer und Spießgesell,

Zu allen bösen Stücken

Die Jugend zu berücken?

Laßt braver Leute Fraun in Ruh

Und kehret Eurer Buhle zu![252]

Die habt ihr nun schon verdorben genug

Mit Euren Liedlein, Eurem Trug:

Verderbt nun nicht auch Andre noch.

Das sagt Euch Der von Gamaroch,

Ein Ehrenmann von altem Schlag,

Der die neuen Sitten nicht leiden mag,

Dem wälsches Klimpern, höfische List

Aerger denn Gift und Spitzgras ist.

Heran, ich will Euch bezahlen

Eure Leiche und Pastoralen.«


Marke's Neffe zog. Doch hielt Tristan

Noch still, sah ihn nur finster an;

Er hätte gern den Streit geschlichtet.

Auch waren sie nicht darauf gerichtet:

Die beiden Ritter hatten bloß

Das kurze Jagdschwert für den Stoß.

Dagegen in voller Wehr war er,

Die Reisigen auch in ihrer Wehr,

Und ungleich beiderseits der Streit.

Doch blieb zur Teiding keine Zeit:

Nampotenis, des Grimmes voll,

Kam angerannt wie blind und toll

Und mit ihm seine Knechte;

Da kam es zum Gefechte,

Da scholl der Grund von Hufen,

Das war ein Schrei'n und Rufen:

»Hie Parmenie! Hie Karke!« –

»Gamarke hie, Gamarke!«

Tristan fuhr in die Reisigen ein,

Er ließ sie wie ein Wetterschein

Von ihren Rossen schießen

Und schonte Nampotenisen.

Der fand inzwischen leider Zeit

Zu einem üblen Stück Arbeit:

Er sprengte mit eingelegtem Speer

Mordlich auf Kaedinen her,

Der ohne Schutz noch Schirmung war;

Da half kein Heldenthum fürwahr.

Erstochen fiel der junge Knab

Rücklings von seinem Pferd herab,

Die Hand nach Tristan streckend,

Den Rächer sich erweckend.

Doch sah es Der noch nicht. Er schlug

Den Letzten, den sein Roß noch trug,

Zu seinen Brüdern in den Sand;

Da kam Nampotenis gerannt.

Er ließ in Kaedin den Spieß,

Zog aus sein breites Schwert und stieß,

Wie der sich wollte wenden,

Den Helden durch die Lenden.

Das Schwert ging ihm ans Leben tief;

Er fühlte sein Verhängniß, rief:

»Nun keine Schonung weiter!«

Und traf den argen Streiter,

Der ihm nach wenig Schlägen

Wie mürbes Holz erlegen.

Der grimmige Nampotenis

Lag unter seinem Pferd und biß

Den bittern Sand. Nun sah Tristan,

Welch Herzleid er ihm angethan:

Sein Freund, das frische junge Blut,

Hatte gebüßt den Uebermuth

Und schlief in stiller Todesruh;

Seine klaren Augen, die waren zu,

Die Lippen, ein Sitz für Scherz und Fest,

Vom Todeskrampfe festgepreßt.

Mühselig vom Rosse stieg Tristan,

Der bleiche todeswunde Mann,

Kniete zu seinem Kaedin

Mit Jammer und mit Leide hin

Und bedachte, mit wie bittrer Noth

Mitten ins Leben greift der Tod.

Und als er ein wenig zu Kräften kam,

So lud er, wankend vor Schmerz und Gram,

Den Freund vor sich auf sein spanisch Roß

Und ritt, seine Eile war nicht groß,

Auf die Leiche gebeugt, nach Karke fort.


Wie er nun ward empfangen dort,

Wie seine Unschuld ward erkannt,

Nach kurzem Reden, von Hof und Land,

Und wie des Jünglings todter Leib

Von Eltern, Magen, Mann und Weib

Begrüßt mit lauten Klagen,

Das will ich nicht lange sagen.

Der Herzog und die Herzogin

Geleiteten ihren Kaedin

Bei dumpfem Glockenschalle

Im Dom zur Schlummerhalle,

Indeß Isolde Tristans pflag,

Der auf dem Sterbebette lag.[253]

Die Trauermäre ging weit und breit;

Um die edlen Helden trug Mancher Leid;

Ihr Lied, das ward gesungen

Von gut und bösen Zungen.

Die schöne Gardeloye

Ging nun in schwarzem Boye

Und suchte bald ein Kloster auf,

Zu beschließen ihren Lebenslauf.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 249-254.
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