Die Erkennung.

[43] Don Rual li Foitenant,

Der schiffte von Parmenienland

Ueber Meer mit großem Gute;

Denn ihm war ganz zu Muthe,

Er wolle nicht wiederkommen,

Bevor er hätte vernommen

Eine gründliche Märe,

Wo sein Junkherre wäre.

Da fuhr er erstlich Norweg zu

Und forschete so spat als fruh

In allen nordischen Landen

Nach seinem Freund Tristanden.

Was half ihm das? er war nicht dort,

Sein Suchen war umsonst am Ort,

Und als er ihn da nicht erfand,

So wandte er sich gen Ireland.

Seht, da konnte er auch nicht mehr

Von ihm erforschen, denn vorher.

Darüber ging seine Habe

Gegen dem Bettelstabe,

So daß er sich nieder zu Fuße ließ,

Seine Rosse verkaufen hieß

Und sandte seine Mannen

Mit dem Gelde von dannen.

Er aber blieb in aller Noth

Und mußte betteln gehn um Brod

Und trieb das stete Wandern

Von einem Reich zum andern

Und fuhr von Land zu Landen,

Forschend nach Tristanden.

Das trieb er wohl drei Jahr und mehr,

Bis daß er endlich also sehr

Von seines Leibes Schöne kam

Und also ab an Farbe nahm,

Daß, wer ihn hätte vor gesehn,

Nicht hätte mögen zugestehn,

Daß er je kehre zu Würde.

Und diese schmähliche Bürde

Trug, der so hoch in Ehren stund,

Wie ein Ribald, ein Vagabund,

Und ohne daß ihm seine Noth,

Wie sie es doch schon Manchem bot,

Den guten Willen je benahm.

Nun es ins vierte Jahr so kam,

Da hielt er sich in Dänemark

Und forschete auch dorten stark

In allen Städten fern und nah;

Durch Gottes Gnade traf er da

Die zween wallenden Männer an,

Die sein verlorner Freund Tristan

Auf der Waldstraße gefunden.

Die fragete er zur Stunden,

Auch sagten sie ihm die Märe,

Wann und wie lang es wäre,

Daß sie einen Knaben hätten gesehn,

Den sie da ließen mit ihnen gehn,

Der wäre nach seinem Conterfei;

Und sagten ihm, wie er beschaffen sei[43]

An Angesicht und Haaren,

An Reden und Gebaren,

Am Leib und am Gewande,

Wie er Sprachen vieler Lande

Und wie viel Art er habe.

Zur Stunde war der Knabe

Erkannt: er sah, dies wäre er.

Die beiden Waller bat er sehr,

Daß sie ihm doch die Stätten,

Wo sie ihn gelassen hätten,

Wenn sie die je noch kennten,

Um Gottes Willen nennten.

Da sagten sie dem Mareschall,

Es sei im Lande Kornewall,

In der Stadt zu Tintayol geschehn.

Und aber hub er an zu flehn,

Und sprach der gute Foitenant:

»Wo liegt denn Kornewall, das Land?« –

»Das Land ist,« sprachen sie hergegen,

»Jenseits Britannien gelegen.«

Ah, dachte er, Gott und Herre mein!

Dies mag wohl deine Gnade sein:

Ist Tristan, wie ich hie vernommen,

Also nach Kornewall gekommen,

So fand das Bächlein seinen Strom,

Denn König Marke, der ist sein Ohm.

Nun weise mich, Gott, auf diesen Pfad!

Ach, süßer Gott, durch deinen Rath

Laß mir noch so viel Heil geschehen,

Daß ich Tristanden möge sehen!

Die Märe, die ich hier vernommen,

Soll mir zu Statten und Freuden kommen:

Sie dünket mich und ist auch gut,

Sie hat mir meinen schweren Muth

Wieder geheilt mit Einem Mal.

»Gesegnete Leute,« sprach Rual,

»Der Sohn der Magd soll euch bewahren,

Ich will nun meine Straße fahren

Und sehen, ob ich ihn finde.« –

»Er weise Euch zu dem Kinde,

Der über die Welt gebeut und spricht.« –

»Dank,« sprach er, »hier ist des Bleibens nicht,

Gebetet mir, ich muß zur See.« –

»Freund,« sprachen Jene, »a De, a De!«

Nun schritt der Marschall immer zu,

So daß er seinem Leib zur Ruh

Keinen Tag, keinen halben nahm,

Bis daß er zu dem Meere kam.

Da ruhete er, das war ihm leid:

Denn Schiffe, die waren nicht bereit,

Und als er zuletzt ein Fahrzeug fand,

Da fuhr er nach dem Brittenland.

Durch Britannien strich er hin

Und war so eifrig in seinem Sinn,

Daß ihm kein Tag so lange ward,

Daß er je hätte sein gespart

Und wäre nicht in die Nacht gegangen.

Er hatte Muth und Kraft empfangen,

Seit ihm die Hoffnung war erwacht;

Da war ihm sanft und leicht gemacht

Jegliche Mühsal wundersam.

Nun er zum Lande Kornwall kam,

In derselben Stunde wohl

Fragete er nach Tintayol.

Viel bald er deß belehret ward;

Da zog er weiter auf seiner Fahrt

Und kam dahin mit großer Müh

Sonnabends in der ersten Früh,

Da man zur Messe sollte gehn.

Er ging vors Münster hin zu stehn.

Die Leute liefen hin und her,

Und allenthalben spähete er

Und schickte die Augen fern und nah,

Ob er nicht Einen fände da,

Der ihm zu Frage und Märe

Wohl recht und handlich wäre;

Denn immer dachte er bei sich:

»Dies Volk ist alles mehr denn ich,

Und wenn ich Einen frage,

So fürcht ich, daß er's versage

Und schicke mich ohne Antwort hin,

Weil ich so armen Standes bin.

Was ich thun soll, Herre, das rathe du.«

Nun kam der König selbst herzu

Mit einer wonniglichen Schaar.

Und aber sah der Treue dar

Und schickte umsonst die Blicke aus.

Nun daß sich aus dem Gotteshaus

Der König wieder nach Hof begab,

Da ging Rual vom Wege ab

Und trat bei Seite mit bangem Sinn

Zu einem betagten Hofmann hin:[44]

»Ach, Herre,« sprach er, »saget mir

Durch Eure Güte, wisset Ihr,

Ob hie ein Kind bei Hofe sei?

Man sagt, es sei dem König bei

Und sei mit Namen genannt Tristan.« –

»Ein Kind?« hub da der Andre an:

»Weiß nichts von einem Kinde;

Ein Knappe ist beim Gesinde,

Der mit nächstem soll empfahn das Schwert

Und ist dem Könige lieb und werth,

Denn er kann Künste weit und breit

Und mancherlei Geschicklichkeit,

Als ein vollkommener Hofgenoß,

Und ist ein Jüngling stark und groß

Von braungelockten Haaren

Und löblichem Gebaren:

Auch ist er aus einem fremden Land:

Der wird allhie Tristan genannt.«

»Nun, Herre,« sprach der Marschall da,

»Seid Ihr vom Hofgesinde?« – »Ja.« –

»Herre, ich bitte bei Eurer Ehr,

Thut mir noch ein wenig mehr,

Denn wahrlich, Ihr thut sehr wohl daran.

Sagt ihm, hier sei ein armer Mann,

Der ihn gern sprechen möchte und sehn;

Auch dürft Ihr ihn lassen wohl verstehn,

Daß ich sein Landsmann wäre.« –

So erfuhr Tristan die Märe,

Daß ein Landsmann von ihm zur Stelle sei.

Tristan, der kam geschwind herbei,

Und alsobald daß er ihn sah,

Mit Mund und Herzen rief er da:

»Nun müsse Gott, der Herre mein,

Immer gebenedeiet sein,

Vater, daß ich dich sehen muß!« –

Das war sein allererster Gruß.

Darnach lief er ihn lachend an

Und küßte den getreuen Mann,

Wie ein Kind wohl seinen Vater soll;

Und war das billig gethan und wohl.

Er war sein Vater, und er sein Kind.

Von allen Vätern, die nun sind,

Oder die vor uns waren,

Ist keiner also gefahren

Mit seinen Kindern vatergleich.

Ja, Tristan hatte, überreich,

Vater, Mutter, Magen und Mann,

Alle Freunde, die er je gewann,

Hatte er in den Armen da.

Und inniglich begann er: »Ah,

Getreuer Vater, guter Mann,

Meine süße Mutter, sag mir an,

Und meine Brüder, leben sie noch?« –

»Ich weiß nicht, trauter Sohn, jedoch,

Sie lebten, da ich letzt sie sah,

Nur daß ihnen wie mir geschah

Von deinen Schulden großes Leid;

Doch wie sie lebten seit jener Zeit,

Das kann ich dir nicht sagen,

Da ich in vielen Tagen

Keinen, den ich kannte, fand

Und auch kein einzig Mal mein Land

Seit der unseligen Stunde sah,

Da mir an dir so mißgeschah.« –

»Ei,« sprach er, »trauter Vater mein,

Was soll mir diese Märe sein?

Dein schöner Leib, wo ist der hinkommen?« –

»Sohn, den hast du mir benommen.« –

»So will ich dir ihn wiedergeben.« –

»Sohn, das mögen wir auch erleben.« –

»Nun Vater, so komm zu Hof mit mir.« –

»Nein, Sohn, da geh ich nicht mit dir:

Du siehest wohl, ich wäre

Dem Hofe nicht zur Ehre.« –

»Nein, Vater, es soll und muß geschehn,

Der König, mein Herre, soll dich sehn.« –

Rual der höfische, gute,

Gedachte in seinem Muthe:

Meine Nacktheit, die schadet nicht;

In welchem Stand mich auch Marke ficht,

Er wird mich gerne sehen,

Und werde ich ihm gestehen,

Daß er seinen Neffen bei sich hat,

Ja, werde ich alles, was ich that,

Von Anfang bis zu Ende sagen,

Wird ihm mein Aussehn wohl behagen.

Tristan, der nahm ihn bei der Hand.

Sein Aufzug aber und Gewand

Das war, wie es da mochte sein,

Ein armseliges Leibröcklein,

Gar schäbig und verschlissen

Und hie und da zerrissen;[45]

Das hatte er ohne Mantel an;

Die Kleider, die der gute Mann

Unter dem schlechten Rocke trug,

Die waren bettelhaft genug,

Vernutzt und schmutzig ganz und gar.

Sein Haar an Haupt und Barte war,

Des Kammes ledig seit lange her,

Verworren und verfilzt so sehr,

Als ob er ein Wilder müßte sein.

Auch ging er bloß an Fuß und Bein,

Weil alles auf der Fahrt verdarb.

Dazu war er so wetterfarb,

Wie alle Die mit Fuge sind,

Denen Frost, Hunger, Sonn und Wind

Die Farbe hat benommen.

So war er für Marken kommen,

Und als ihm der in die Augen sah,

Zu seinem Tristan sprach er da:

»Sag an, Tristan, wer ist der Mann?« –

»Mein Vater, Herre,« sprach Tristan. –

»Redest du wahr?« – »Ja, Herre mein.« –

»Der soll uns viel willkommen sein,«

Sprach Marke süß und tugendlich.

Rual, der neigte höfisch sich.

Hiemit so kam in Haufen

Die Ritterschaft gelaufen,

Das Hofgesinde drang heran,

Die riefen Alle, Mann für Mann:

»Sire, Sire, De vus sal!« –

Nun sollt ihr wissen, daß Rual,

Wie wenig seine Gewande

Zeugten von seinem Stande,

An Leib und an Gebärden

So gut als Einer auf Erden

Vollkommen einem Herren glich.

Er war von Leibe ritterlich,

Von Gliedern groß und kühne

Gewachsen wie ein Hüne;

Seine Arme und Beine waren lang,

Edel und herrlich war sein Gang,

Sein Leib von Grund aus wohlgestalt;

Er war nicht zu jung und nicht zu alt,

Er stand in der besten Lebenszeit,

Wo Alter und Jugend, ungezweit,

Dem Leben geben die beste Kraft.

Er war so stattlich und herrenhaft,

Als säß er auf einem Kaiserthron.

Seine Stimme klang wie Hörnerton,

Seine Rede, die war herrengleich.

So stand er höfisch und tugendreich

Vor all den Herren im Königssaal.

Es war heut nicht das erste Mal.

Barone und Ritter mit Staunen

Begannen sich zuzuraunen

Und redten hin und redten her:

»Ja,« sprachen sie alle, »und ist das Der?

Der Kaufmann ist es, der höfsche Mann,

Von dem uns hat sein Sohn Tristan

So viel gesagt zu Ruhm und Zier?

Von seiner Tugend haben wir

Märe um Märe viel vernommen;

Wie ist er so zu Hofe kommen?« –

Und sprachen dies und jenes Wort.

Der König hieß ihn alsofort

Zu den Gemächern gehen

Und ließ ihn da versehen

Mit herrlichen Gewanden.

Tristan war ihm zu Handen

Und sorgte wohl für Bad und Kleid.

Ein Hütlein war für ihn bereit,

Das setzte er auf sein Haupt jetzund,

Daß es auf keinem besser stund;

Denn er war schön von Angesicht

Und wich an Gestalt dem Schönsten nicht.

Tristan, der nahm ihn bei der Hand,

Lieblich, wie ihm's ums Herze stand,

Und führte ihn wieder zu Marke hin.

Nun begann er ihnen in ihrem Sinn

Stark und wohl zu gefallen.

Da ging die Rede bei Allen:

»Seht, wie ein adlig Gewand so bald

Den Mann gemacht hat wohlgestalt!

Die Kleider stehn dem Handelsmann

Gar wohl und lobenswürdig an.

Auch sieht er selber herrengleich.

Wer weiß, er ist wohl tugendreich;

Auch zeigt er sich deßgleichen wohl,

Wenn man die Wahrheit sagen soll:

Seht an, wie adelig er geht,

Wie schön sind seine Gebärden, seht,

In höfischen Gewanden,

Und seht nur auf Tristanden![46]

Da schauet seine Tugend an:

Wie konnte je ein Handelsmann

Ein Kind erziehen so wundersam,

Wenn's nicht aus edlem Herzen kam?«

Das Wasser war genommen

Und Marke zu Tische kommen.

Da setzte er seinen Gast Rual

An seine Tafel und befahl,

Daß man ihm höfisch diene und wohl,

Wie man dem Höfischen dienen soll.

»Tristan,« sprach er, »geh bald herzu

Und bediene deinen Vater du.« –

Auch war er gleich dazu bereit:

Alle Ehre und Gemächlichkeit,

Die je ein Sohn bewiesen,

Die ließ er ihn genießen.

Auch aß Rual der gute

Mit williglichem Muthe;

Denn Tristan machte ihn froh und frank,

Tristan, der war ihm Speis und Trank,

Daß er Tristanden vor Augen sah,

War seine Tafelfreude da.

Und als man nun von Tische ging,

Der König mit Rede den Gast empfing

Und thät ihn fragen allerhand

Beides von seinem Vaterland

Und auch von seinem Wanderzug;

Und da ihn also der König frug,

Da lauschten die Herren alle dar

Und nahmen des Marschalls Märe wahr.

»Herre,« sprach er, »es geht fürwahr

Nahezu in das vierte Jahr,

Seit daß ich von meinem Lande schied,

Und wo ich seither hingerieth,

Da ließ ich mir nichts wichtig sein,

Als was mir lag im Sinn allein

Und mich herführte, wie Ihr seht.« –

»Was war das?« – »Tristan, der hie steht.

Und hab ich zwar noch andre Kind,

Die mein von Gottes wegen sind,

Und will auch denen also wohl,

Als Einer seinen Kindern soll;

Herre, es sind der Söhne drei,

Und wär ich ihnen gewesen bei,

So möchte zur Stunde von den Drein

Wol ein und der andre Ritter sein:

Doch hätten mir die Drei zumal

Nur halb gemacht die Noth und Qual,

Die ich um ihn, den fremden, trug,

Herre, es wäre des Leids genug.« –

»Den fremden?« fiel der König ein:

»Sagt an, was soll die Märe sein?

Er ist Euer Sohn doch, wie er spricht?« –

»Nein, Herre, verwandt ist er mir nicht,

Als sofern ich bin sein Lehensmann.« –

Tristan erschrack und sah ihn an.

Aber sprach Marke: »Nun sagt uns das:

Von welchen Schulden und um was

Habt Ihr die Noth auf Euch genommen

Und seid von Weib und Kindern kommen,

Wie Ihr da sprecht, so lange Frist,

Da er doch Euer Sohn nicht ist?« –

»Herre, das weiß Gott und ich.« –

»Wohlan, Freund, so belehrt auch mich,«

Sprach aber der gute König:

»Es wundert mich nicht wenig.« –

»Wüßt ich,« sprach der Getreue,

»Ob es mich nicht gereue,

Und ob sich's wolle gebühren,

Vergangenes aufzurühren,

Herre, so könnt ich Euch Wunder sagen,

Wie sich all dies hat zugetragen

Und sich gefügt von Anfang an

Mit Eurem Manne hier, Tristan.« –

Der König und die Barone

Und alle Herren am Throne,

Die baten ihn zur Stunde

Alle aus Einem Munde:

»Saget an, gesegneter Mann, sagt an,

Getreuer Mann, wer ist Tristan?«

Da sprach Rual li Foitenant:

»Herre, es ist Euch wohlbekannt,

Und denk ich, es wissen's auch noch Die,

So zu den Zeiten waren hie,

Von Riwalin, dem Herren mein,

Deß Mann ich war und sollte sein,

So es Gott also wollte,

Daß er noch leben sollte:

Der hörte zu Eurem Preise

Reden auf solche Weise,

Daß er seine Leute und sein Land

Alles befahl in meine Hand;[47]

Und also fuhr er übers Meer

Um Euretwillen nach Kornwall her,

Weil er Euch hätte gern gekannt,

Und lebte hier, dem Hof verwandt.

Auch wißt Ihr, was ihm widerfuhr

Mit der viel schönen Blancheflur,

Wie er zur Freundin die gewann

Und sie von hinnen mit ihm entrann;

Worauf sie zu uns kamen,

Einander zur Ehe nahmen;

In meinem Hause das geschah,

Daß ich und mancher Mann es sah;

Da befahl er sie in meine Pflege,

Und pflegt ich ihrer allerwege

Aus meines Herzens Grunde.

Alsbald und zu der Stunde

Warb und besandte er zu Hand

Eine Heerfahrt in seinem Land

Mit Magen und mit Mannen

Und fuhr auch gleich von dannen

Und ward in einem Streit erschlagen,

Wie Ihr wohl habt gehöret sagen.

Nun als die Märe zu uns kam

Und die viel schöne Frau vernahm,

Wie es ergangen wäre,

Alsbald die tödtliche Schwere

So tief ihr in das Herze schlug, –

Seht hier Tristanden, den sie trug,

Den gewann sie in der großen Noth,

Und lag sie selber, die Mutter, todt.«

Damit fiel den getreuen Mann

So inniglicher Jammer an,

Daß er es wohl bescheinte,

Denn da saß er und weinte,

Als ob er ein Kindlein wäre.

Auch begannen von der Märe

Den andern Herren allen

Die Augen zu überwallen.

König Marke der gute

Nahm mit so schwerem Muthe

Den Jammer in sein Herze,

Daß ihm der Herzensschmerze

In Thränen aus den Augen floß,

Ihm Wangen und Gewand begoß.

Tristanden war die Kunde

Schmerzlich im Herzensgrunde,

Doch sah er andres nicht daran,

Als daß ihm an dem treuen Mann

Vater mit Eins und Vaterwahn

Verloren war und abgethan.

So saß Rual der gute

Mit trauriglichem Muthe

Und sagte dem Gesinde

Von dem viel armen Kinde,

Wie gut er sein hieß nehmen wahr,

Da seine Mutter es gebar;

Wie er's an sichrer Stätte

Heimlich verborgen hätte;

Wie er die Märe verbreiten hieß,

Den Landgenossen sagen ließ,

Es wäre in seiner Mutter todt;

Wie er dann seinem Weibe gebot,

Sich in das Bett zu legen,

So wie die Weiber pflegen,

Wenn sie in Kindesnöthen sind,

Und daß sie so das Waisenkind,

Wenn's an der Stunde wäre,

Der Welt zum Schein gebäre;

Wie sie mit ihm zur Kirchen ging,

Wie er die Taufe da empfing:

Warum er Tristan ward genannt;

Wie er auf Reisen ihn gesandt

Zu Landen, fremden und fernen,

Mit Händen und Mund zu lernen

Künste, die er ihn lehren hieß;

Wie er ihn in dem Schiffe ließ:

Wie er ihm ward entführet,

Und wie er ihm nachgespüret,

Und wie ihn Mühsal quälte.

So saß er und erzählte

Die Märe ganz von Anfang her.

Da weinte Marke, da weint auch er,

Da weinten die Herren allgemein:

Der Jüngling nur, Tristan allein,

Vermochte nicht zu beklagen,

Was er da hörte sagen:

Ihn fiel die Kunde zu jählings an.

Was aber Rual, der gute Mann,

Von der Liebenden Ungemach

Und Noth und Tod dem Gesinde sprach,

Von Riwalin und von Blancheflur,

Das ließ bei ihnen keine Spur,[48]

Die Märe war wie Spreue

Gegen die große Treue,

Die ihrem Waisen angedieh,

Ihr habt ja wohl gehöret wie,

Nach ihrem Tod, dem Kinde:

Das war dem Hofgesinde

Die größte Treue, die ein Mann

Zu seiner Herrschaft je gewann.

Nun diese Rede so geschah,

Sprach Marke zu dem Gaste da:

»Nun, Herre, ist diese Rede wahr?« –

Rual, der gute, bot ihm dar

Ein Fingerlein an seine Hand:

»Nun, Herre,« sprach er, »dieses Pfand

Soll Zeugniß leisten für meinen Mund.« –

Der gute Marke, der Wahrheit kund,

Der nahm das Ringlein und sah es an:

Den Jammer, den er eh gewann,

Umfing sein Herze fester.

»Ach,« sprach er, »süße Schwester,

Dies Fingerlein, das gab ich dir,

Und mein Vater, der gab es mir,

Da er im Todesbette lag.

Diese Märe ich wohl glauben mag.

Tristan, komm her und küsse mich:

Bleiben wir leben, du und ich,

Will ich dein Erbevater sein.

Schön Blancheflur, der Mutter dein,

Und deinem Vater Kanelen

Sei Gott ein Hort der Seelen

Und möge ihnen geben

Das ewigliche Leben.

Nun es also gekommen ist,

Daß du mir doch geworden bist

Von der viel lieben Schhwester mein,

Gewährt es Gott, so will ich dein

Pflegen und immer bleiben froh.«

Zum Gaste aber sprach er so:

»Nun, lieber Freund, nun saget mir,

Wer seid Ihr oder wie heißet Ihr?« –

»Rual, Herre.« – »Rual?« – »Rual.« –

Da entsann er sich mit Einem Mal,

Da er auch in seinen Tagen

Von ihm gehöret sagen,

Wie weise und wie voll Ehre

Und wie getreu er wäre,

Und sprach: »Rual li Foitenant?« –

»Ja, Herre, also bin ich genannt.« –

Da trat ihn der gute König an,

Umfing und küßte den treuen Mann

Und ehrte ihn herrlich nach Gebühr.

Auch trat die Ritterschaft herfür,

Und einer nach dem andern kam

Und küßte ihn gar wonnesam

Und begannen ihn mit süßen

Worten höfisch zu grüßen:

»Willkommen, Rual, der werthe Held,

Ein Spiegel für die ganze Welt!«

Rual war da willkommen.

Ihn hatte Marke genommen

An seine Hand und führte ihn hin;

Hold und freundlich er setzte ihn

An seine Seite nieder;

Da begannen sie wieder

Mit ihren Aventüren

Und sprachen nach Gebühren

Von Tristan und von Blancheflur,

Auch was Kanelen widerfuhr,

Was der Lobwerthe und Morgan

Einander hätten zu Leid gethan,

Und was das für ein Ende nahm.

Alsbald es an die Märe kam,

Daß Marke begann zu sagen,

Wie klug und wie verschlagen

Tristan zu ihnen wäre

Gekommen mit der Märe,

Sein Vater sei ein Handelsmann.

Rual, der sah Tristanden an:

»Freund,« sprach er, »ich habe lange

Gar fleißig und gar bange

Handel und Handelsreise

In armuthseliger Weise

Um deinetwillen fortgesetzt,

Bin doch gekommen auf die letzt

Zu einem guten Ende,

Darum ich meine Hände

Immer zu Gott erheben soll.« –

Tristan, der sprach: »Ich höre wohl,

Es wenden sich diese Mären so,

Daß ich spät ihrer werde froh.

Ich bin nach dem, was ich vernommen,

Zu wunderlichen Mären kommen:[49]

Ich höre meinen Vater sagen,

Mein Vater, der sei lang erschlagen;

Hiemit begiebet er sich mein,

Und muß ich ohne Vater sein,

Ja ist's um zwei zumal gethan.

Ach Vater, und ach Vaterwahn,

Wie seid ihr also mir benommen!

Von dem ich wähnte, daß mir gekommen

Ein Vater sei, derselbe Mann

Nimmt mir zween Väter, die ich gewann,

Ihn selbst und den ich niemals sah.«

Der gute Marschall, der sprach da:

»Wie nun, Geselle, mein Tristan,

Laß diese Rede, da ist nichts dran.

Dir hat vielmehr mein Kommen

Gegeben, statt genommen:

Du bist werther und höher, denn je,

Und hast zween Väter doch, wie eh,

Hast meinen Herren hier und mich:

Er ist dein Vater, das bin auch ich.

Folge du meiner Lehre

Und sei an Adel und Ehre

Stets allen Königen gesellt.

Laß alle Rede dahingestellt.

Deinen Oheim bitte, meinen Herrn,

Daß er dir heim verhelfe gern

Und hier dich zum Ritter mache,

Denn du magst deine Sache

Woll selbst verrichten in solchem Stand.

Ihr Herren, sprechet und seid zur Hand,

Daß es mein Herre gerne thu.«

Da sprachen die Herren alle zu:

»Herre, die Sache hat guten Fug,

Denn Tristan, der hat Kraft genug,

Und ist ein wohl erwachsner Mann.« –

Marke sprach: »Neffe mein, Tristan,

Sag an, wie steht dein Muth dazu?

Ist es dir lieb, wenn ich es thu?« –

»Traut Herre, ich sag Euch meinen Muth:

Wär mir beschert so reiches Gut,

Daß ich wohl nach dem Willen mein

Und also Ritter könnte sein,

Daß ich des Ritternamens mich

Nicht schämte, noch er meiner sich,

Noch ritterliche Würde

An mir zunichte würde,

So wollte ich gerne Ritter sein

Und wollte die müßige Jugend mein

Wohl gerne üben und kehren

Zu ritterlichen Ehren.

Denn, wie man sagt, die Ritterschaft

Muß mit der ersten Jugendkraft

Versuchen ihre Schwingen,

Sonst wird sie's nicht weit bringen.

Daß ich auf Würdigkeit und Tugend

Diese meine unversuchte Jugend

So wenig habe, so schlecht geübt,

Ist mißgethan und sehr betrübt,

Und muß ich's an mir selber hassen.

Auch hab ich mir lange sagen lassen,

Wohlleben und ritterlicher Preis,

Die stimmen weder laut noch leis

Und führen zusammen ein übles Wesen.

Auch hab ich selber wohl gelesen,

Daß Ehre will des Leibes Noth.

Gemächlichkeit ist der Ehre Tod,

Wenn man zu lange und allzuviel

In der Kindheit ihrer pflegen will.

Und wisset, Herre, wohl fürwahr:

Hätte ich nur vor einem Jahr,

Oder auch eh, gewußt so gut,

Was ich nun weiß, ich hätte den Muth

Nicht gespart bis zu dieser Frist.

Nun es aber versäumet ist,

So ziemt's, es noch hereinzubringen:

Steht mir doch alles aufs Gelingen

Am Leib und an dem Muthe.

Gott helfe mir nur zum Gute,

Daß ich nach meinem Muthe thu.«

Marke sprach: »Neffe, sieh selber zu,

Frag nur, wornach du frügest,

Wenn du die Krone trügest

Und wärest Herr in diesem Land.

Nun ist dein Vater Rual zur Hand;

Der pflegt mit ganzer Treue dein:

Er soll dein Rath und Helfer sein,

Daß dein Ding also für sich geh,

Daß es nach deinem Willen steh.

Tristan, traut lieber Neffe,

Nicht Armuth dich betreffe:

Denn sieh Parmenien, das ist dein

Und soll dein eigen immer sein,[50]

So lang ich und der Marschall leben.

Dazu will ich dir Steuer geben:

Was ich nur habe, Leut und Land,

Traut Neffe, das ist in deiner Hand.

Willst du zu fürstlichen Ehren

Herz und Gemüthe kehren,

Und ist dein Wille so gethan,

Wie du da redest, dann, Tristan,

Dann spare nicht das Meine drum:

Kornwall sei dein Grundeigenthum,

Meine Krone deine Zinserin.

Strebst du nach Ehre und Weltgewinn,

So sorge du nur für reichen Muth,

Ich gebe dir schon reiches Gut.

Sieh, du hast kaiserliche Habe:

Drum brich dir selbst nichts ab, mein Knabe.

Bist du dir selber also hold,

Und hast du Muth, als wie du sollt

Und mir zu hören hast gegeben,

So werd ich's bald an dir erleben.

Sieh, finde ich Herrenmuth an dir,

So findest du immerdar bei mir

Für deinen Willen vollen Schrein:

Tintayol soll immer sein

Deine Schatzkammer und dein Trisor.

Sprengst du mir immer gebührlich vor

Mit reichem Herrenmuthe,

So folg ich dir mit dem Gute,

Oder soll alles verloren sein,

Was ich zu Kornwall nenne mein!«

Hier gab's ein stattlich Neigen:

Sie neigten sich im Reigen,

Die bei dem König standen;

Sie boten ihm zu Handen

Ehre und Lob mit Schalle:

»König Marke,« sprachen sie Alle,

»Du sprichst, als wie der Höfische soll;

Die Rede steht der Krone wohl.

Deine Zunge, dein Herz und deine Hand

Mögen immer gebieten in diesem Land!

Sei immer König in Kornewall!« –

Rual, der getreue Mareschall,

Und sein Junkherr und Sohn Tristan,

Die griffen ihr Geschäfte an

Und verwandten das Gut und Geld,

Das ihnen Marke zugestellt,

Wie ihnen war das Maß gegeben.

Nun streite ich um ihr Beider Leben,

Wie sich der Vater und Sohn vertrug:

Ich höre schon, wie Jemand frug

(Weil selten Alter und Jugend

Gleich stimmen in einer Tugend,

Weil Jugend das Gut verachtet,

Das Alter nach ihm trachtet):

Wie sich aber die Beiden

Je konnten so bescheiden,

Daß Jeglicher mit Ehren

Bestand auf seinem Begehren

Und nicht sein Recht verspielte,

So daß das Maß erzielte

Der Marschall an dem Gute,

Und Tristan that dem Muthe

Mit vollem Gut Genüge?

Das prüfe ich sonder Lüge:

Sehet, der Marschall und Tristan,

Die waren einander zugethan

Mit also ebenwilligem Muth,

Daß Keiner übel rieth, noch gut,

Noch anders konnte und wollte,

Als dem Andern recht sein sollte.

Rual, der Ehren Krone,

Vertrauete dem Sohne

Und sah an ihm die Jugend an:

Gleich also fügte sich Tristan

Der Ehr und Tugend in Rual.

Dies trug sie Beide zu Einem Mal

Und Einem Ziele der Begehr,

Daß Der begehrte so wie Der,

So daß das viel tugendreiche Paar

Ein Mann an Muth und Willen war.

Hievon ward Alter und Jugend

Einhellig in Einer Tugend,

Fiel hoher Muth zu weisem Sinn;

Damit behielten die Beiden inn,

Tristan sein Recht am Muthe,

Rual das Maß am Gute,

Daß ihrer Keiner, Mann noch Knab,

Von seinem Rechte nichts vergab.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 43-51.
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Wieland, Christoph Martin

Alceste. Ein Singspiel in fünf Aufzügen

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Libretto zu der Oper von Anton Schweitzer, die 1773 in Weimar uraufgeführt wurde.

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Große Erzählungen der Hochromantik

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Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

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