Gottfried.

Gedächte man Dessen nicht nach Werth,

Der Gutes hat der Welt beschert,

So wär es alles ohne Werth,

Was Gutes wird der Welt beschert.


Das, was der gute Mann für gut

Und nur der Welt zu Gute thut,

Wer das nicht nehmen will für gut,

Dem sag ich, daß er übel thut.


Ich höre schmälern oft und viel,

Was man doch gerne haben will:

Da ist das Wenige zu viel!

Da will man, was man selbst nicht will!


Ein Ding, das man vonnöthen hat,

Soll finden eine gute Statt,

Und loben soll es, wer es hat,

So lang es einnimmt seine Statt.


Theuer und werth ist mir der Mann,

Der Gut und Uebel wägen kann,

Der mich und jeden andern Mann

Nach seinem Werth erkennen kann.


Ehr, Gunst und Lob, die schaffen Kunst,

Da Kunst geschaffen ist zu Gunst.

Wo Ehre grünt mit Lob und Gunst,

Da blühet jede Art von Kunst.


Recht wie ein Ding zu Schanden geht,

Das ohne Lob und Ehre steht,

So wächst eins, das in Ehren steht

Und um sein Lob nicht irre geht.


Ich weiß so Manchen, der das treibt,

Daß er das Gute zu Uebel schreibt,

Das Uebele wieder zu Gute schreibt.

Der treibt's nicht wohl: er hintertreibt!


Clar leuchten, wie auf goldnem Grund,

Das Urtheil und die Kunst im Bund.

Doch tritt der Neid in ihren Bund,

Da geht Urtheil und Kunst zu Grund.


Ha, Tugend, wie so schmal dein Steg!

Wie doch so kümmerlich dein Weg!

Heil, wer ihn wandelt und weicht nicht weg

Von deinem Weg, von deinem Steg!


Trieb' ich mein Leben müßig hin,

So reif im Leben, wie ich bin,

Dann führ' ich in der Welt dahin

Nicht also weltlich, wie ich bin.


Ich wende an eine Unmüßigkeit

Der Welt zu Liebe meine Zeit

Und edlen Herzen zu einer Labe:

Den Herzen, die ich im Herzen habe,

Der Welt, zu der mein Herze hält.

Nicht mein' ich ihrer Aller Welt,

Nicht die, von der ich höre sagen,

Sie könne nicht Noth noch Schwere tragen

Und wolle nur in Freuden schweben;

Die laß auch Gott mit Freuden leben!

Doch dieser Welt und ihrer Art

Bleibt meine Rede gern erspart.

Ihr Leben und meines scheiden sich.

Eine andre Welt, die meine ich,[1]

Die trägt im Herzen unentzweit

Die süße Herbe, das liebe Leid,

Die Herzliebe, die sehnende Noth,

Das liebe Leben, den leiden Tod,

Den lieben Tod, das leide Leben.

Dem Leben sei mein Leben ergeben,

Der Welt will ich mich weltlich zeihn,

Mit ihr verderben, mit ihr gedeihn.

Ich bin bei ihr bis heute blieben

Und hab mit ihr die Tage vertrieben,

Die mir in wehevollem Leben

Lehr und Geleite sollten geben.

Der halt' ich meine Unmüßigeit

Zur Kurzweil und zur Lust bereit,

Daß sie mit meiner Märe

Ihr Weh und ihre Schwere

Lindre zu halbem Theile

Und ihre Schmerzen heile.

Denn wer etwas zu treiben sinnt,

Davon sein Sinn Unmuße gewinnt,

Der entladet sorgehaften Muth,

Das ist für Herzenssorgen gut.

Es sagen Alle von der Ruh,

Wenn einer müßig und dazu

Mit sehnendem Schaden sei beladen,

So mehre das den sehnenden Schaden.

Bei sehnendem Leide Müßigkeit,

Da wächst je mehr das sehnende Leid.

Darum ist's gut, wer Herzensklage

Und sehnende Noth im Herzen trage,

Daß er mit allem Fleiße

Den Leib zur Unruh weise,

Darüber denn sein Herze ruht;

Das ist dem Herzen mächtig gut.

Doch geb ich nimmermehr den Rath,

Daß, wer da Lieb im Herzen hat,

Unmuße solcher Art erküre,

Die reiner Liebe nicht gebühre:

Ein Lied von Lieb und Leide

Sei seines Herzens Weide,

Er heg's mit Herzen und Munde

Und sänfte so die Stunde.

Nun aber ist ein Wort, das spricht,

Und ich verwerf es wahrlich nicht,

Das Herz des Sehnenden, je mehr

Mit sehnenden Mären es verkehr,

Je mehr daß es beschweret sei.

Demselben Worte stünd ich bei,

Nur daß Ein Ding die Rede schlägt:

Wer innigliche Liebe trägt,

So weh es ihm von Herzen thu,

Sein Herz steht ihm doch je dazu.

Der innigliche Liebesmuth,

So er in seine Schmerzesgluth

Je mehr und mehr sich giebet,

Je mehr und mehr er liebet.

Dies Leid ist also wonnevoll,

Dies Uebel, das thut so herzewohl,

Daß, wo es seine Bürde trägt,

Kein edles Herz sich sein entschlägt.

Ich weiß, nicht wahrer ist der Tod,

Und erkenn es an derselben Noth:

Wer minnt mit edlem Sinne,

Liebt Mären von der Minne;

Darum, wer sehnende Mären will,

Der fahr nicht weiter und steh hier still!

Ich sing ihm Sehneschmerzen

Von zweien edlen Herzen,

Die reiner Liebe zugesagt:

Der Minne Knecht, der Minne Magd,

Ein Mann ein Weib, ein Weib ein Mann,

Tristan Isold, Isold Tristan.


Ich weiß wohl, Viele sind gewesen,

Die haben von Tristan gelesen:

Sind ihrer doch nicht viel gewesen,

Die haben recht von ihm gelesen.


Thu aber ich dergleichen nun

Und will noch etwas drüber thun,

Als ob mir ihrer Aller Sagen

Von dieser Märe thät mißbehagen,

So red ich anders, als ich soll.

Das thu ich nicht! Sie sprachen wohl,

Und nur aus edlem Muthe,

Mir und der Welt zu Gute.

Bei meiner Treue! sie meinten's gut,

Und was ein Mann in Güte thut,

Das ist auch gut und wohlgethan.

Aber, wie ich gesprochen han,

Daß sie nicht haben recht gelesen,

Das ist, wie ich euch sage, gewesen.[2]

Sie sprachen in der Richte nicht,

Wie Thomas von Britannien spricht,

Der Meister in Aventüren was

Und in britannischen Büchern las

Aller der Landesherren Leben

Und es uns hat zur Kunde geben.

Nun der von Tristan anders nicht

Denn die Richte und Wahrheit spricht,

Begunte ich mit Fleiße

In Büchern beider Weise,

Welsch und latein, zu trachten,

Zu suchen und zu achten,

Wie ich in seiner Richte

Diese Märe dichte.

So mußt ich's lange treiben,

Da fand ich all sein Schreiben

In einem Buche zu lesen,

Wie dieses Abenteur gewesen.

Was aber ich gelesen han,

Und welch Gewand ich umgethan

Der Märe, das leg ich mit Gebühr

Allen sehnenden Herzen für,

Daß sie durch Unmuße genesen:

Es ist sehr gut für sie zu lesen.

Gut? ja, es ist innig gut,

Macht Liebe lieb, edelt den Muth,

Stetigt Treue, reinigt das Leben;

Es kann dem Leben wohl Tugend geben;

Denn so man höret oder liest,

Was von so reiner Treue sprießt,

Da liebt ein treuer Mann die Treue

Und andre Tugenden aufs Neue.

Liebe, Treue und steter Muth,

Ehre und auch manch ander Gut

Ist nirgends ein so theurer Hort

Und nirgends so daheim, wie dort,

Wo man von Herzeliebe saget

Und Herzeleid von Liebe klaget.

Lieb ist selig vor allen Dingen,

Ein also seligliches Ringen,

Daß Niemand ohn ihr Lehre

Noch Tugend hat noch Ehre:

So vieles Glück als die Liebe bringt,

So viel auch Tugend von ihr entspringt.

O weh, daß alles, das da lebet,

Nicht nach der werthen Liebe strebet,

Daß ich so wenig finde Deren,

Die ein herzlauteres Begehren

Zu Freundesherzen wollen leiden,

Nur um den armen Schmerz zu meiden,

Der bei der Liebe zu mancher Frist

Verborgen in dem Herzen ist.

Wie litte nicht gern ein edler Muth

Ein Uebel für tausendfaches Gut?

Den Schmerz zahlt viele Freude ja.

Wem nie von Liebe Leid geschah,

Dem geschah auch Liebes von Liebe nie.

Lieb und Leid, wann ließen die

Im Minnen je sich scheiden?

Man muß mit diesen beiden

Ehre und Lob erwerben,

Oder ohne sie verderben.

Von denen diese Märe spricht,

Hätten sie Leid von Liebe nicht,

Von Herzenswonne sehnendes Klagen

In Einem Herzen nicht getragen,

So wär ihr Name und ihre Mär

Manch edlem Herzen nimmermehr

Zu Statten und zu Liebe kommen.

Uns ist noch heute gern vernommen

Und immer süß aufs Neue

Ihr innigliche Treue,

Ihr Lieb und Leid, ihr Wonn und Noth;

Und sind sie auch schon lange todt,

Ihr süßer Name, der lebet doch;

Es soll der Welt zu gute noch

Lange ihr Tod und immer leben,

Den Treubegehrenden Treue geben,

Den Ehrbegehrenden Ehre tragen,

Ihr Tod muß sich zu allen Tagen

Uns Lebenden lebend und neu erweisen;

Denn wo man je noch höret preisen

Ihre Treue, ihrer Treue Lauterkeit,

Ihr Herzelieb und Herzeleid,

Ist's aller edlen Herzen Brod:

Hiemit so lebt ihr Beider Tod.

Wer nun begehrt, daß man ihm sage

Ihr Leben und Tod, ihr Glück und Klage,

Der neige Herz und Ohren her:

Er findet alle sein Begehr.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 1-3.
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