Melot der Zwerg.

[162] Nun daß Mariodoc ersah,

Daß ihm sein Wille nicht geschah,

Versuchte er es anderswie:

Ein Zwerg war an dem Hofe hie,

Desselben Name war gethan

Melot petit von Aquitan,

Und konnte derselbe kleine Wicht

Verborgne Dinge, wie man spricht,

Nachts im Gestirne sehen.

Das laß ich bei Seite stehen

Und folge meinem Buche hier.

Nun gibt die wahre Märe mir

Sonst nichts von ihm zu lesen,

Als daß er sei gewesen

Klug, listig, kunst- und redereich.

Der war vertraut dem König gleich

Als wie der Kemenate.

Mit dem ging er zu Rathe,

Wenn er zu den Frauen käme,

Daß er allda wahr nähme

Tristandens und der Königin:

Brächt er's mit guter Art dahin,

Daß man die wahren Gründe

Der Minne an ihnen fünde,

So sollt er in allen seinen Tagen

Vom Könige Lohn und Ehre tragen.


Darauf sich auch der Zwerg Melot

In Ränken und Schwänken überbot:

Er lauerte mit Stricken

Den Reden auf und Blicken;

Das that er zu allen Stunden

Und hatte auch bald erfunden

Die Liebe bei den Beiden:

Sie pflegten sich zu weiden

Mit Gebärden so süße,

Daß er die Zeichen und Grüße

Der Minne allzuhand da fand,

Und sagte auch Marken allzuhand,

Daß wahrlich da Minne wäre.

So trieben die Drei die Märe,

Marke, Melot und Mariodo,

Und beriethen sich zusammen so,

Bis daß sie den Rath erfanden,

Wofern man Herrn Tristanden

Würde vom Hofe scheiden,

So möchte man an den Beiden

Die Wahrheit offenbarlich sehn.


Nun, dies war alsobald geschehn,

Recht wie ergangen war der Rath:

Der König seinen Neffen bat,

Daß er hinfort seine eigne Ehr

Bedächte und seinen Gang nicht mehr

Zur Kemenaten nähme,

Noch irgendwohin käme,

Da der Frauen eine wäre;

Am Hofe sei eine Märe,

Man hüte sie, lausche, schleiche nach,

Und davon könnte Leid und Schmach

Der Königin und ihm entstehn.

Nun, dies war allzuhand geschehn

Und alles gethan nach seinem Wort.

Tristan, der mied jedweden Ort,

Dahin die Frauen traten.

Palast und Kemenaten,[162]

Da kam er nimmermehr hinein.

Das Ingesinde, das nahm sein

Und seiner Fremde mächtig wahr:

Sie redeten ihm zu Leide dar

Viel übel und anders viel denn wohl.

Seine Ohren wurden täglich voll

Mit immer neuem Leide.


Er und Isold, sie Beide,

Sie brachten die Zeit mit Sorgen zu.

Unter ihnen war keine Ruh,

War Trauern und Klagen allezeit.

Sie hatten Leid und hatten Leid,

Leid über Markes Argwohn hie,

Dort Leid, daß es hinfort für sie

Um jeden Zugang war geschehn,

Sich zu besprechen und zu sehn.

Von Tage so zu Tage

Hieß ihnen sehnende Klage

So Herz als Kraft entweichen;

Zu schwinden und zu bleichen

Begann ihre Farbe und ihr Leib:

Der Mann erbleichte durch das Weib,

Das Weib erbleichte durch den Mann,

So durch Isolden erblich Tristan,

So durch Tristanden erblich Isot.

Dazu zwang Beide die große Noth.

Und wundert auch mich wenig zwar,

Wenn ihre Noth gemeinsam war

Und ihr Leid nicht zu scheiden:

Es war auch an den Beiden

Ein Herze nur und nur Ein Muth:

Ihr Beider Uebel, ihr Beider Gut,

Ihr Beider Tod, ihr Beider Leben

War nur Ein Werk aus zwei Geweben.

Was ihrer Einem zuwider war,

Das nahm zuhand das Andre wahr,

Und was dem Einen sänftlich kam,

Das Andre in sein Herze nahm.

Sie waren Beide in ihrem Muth

Ein Wesen mit Uebel und mit Gut:

So offenbar erschienen

In ihrer Beider Mienen

Die schweren Herzenssorgen,

Daß man gar unverborgen

Die Minne in ihrer Farbe fand.


Und Marke versah sich allzuhand

Und fand wohl an den Beiden,

Daß ihnen ihr Scheiden und Meiden

Ans Herze ging mit großen Wehn,

Daß sie sich hätten gern gesehn,

Wüßten sie nur, wo oder wie.

Zu versuchen beschloß er sie

Und hieß zur selben Stunden

Die Jäger mit den Hunden

Zu Walde sich bereiten

Und sagte bei dem Reiten

Und hieß auch nach dem Hofe sagen,

Er wollte zwanzig Tage jagen:

Wer Jagens hätte Kunde,

Oder wer Zeit und Stunde

Damit vertreiben wollte,

Daß der sich rüsten sollte.

Von Isolden nahm er Urlaub so

Und hieß sie nach ihrem Willen froh

Und fröhlich sein daheime;

Und aber insgeheime

Befahl er dem Zwerg Meloten,

Tristanden und Isoten

Auf ihren heimlichen Wegen

Schlingen und Stricke zu legen;

Das brächte ihm währenden Gewinn.

Er selber fuhr zu Walde hin

Mit Hornschall und Gebelle.


Tristan, sein Waidgeselle,

Der blieb daheim vom Jagen

Und ließ dem Oheim sagen,

Er läge krank zu Bette.

Der kranke Waidmann hätte

Gern sein Revier bestrichen.

Die beiden Armen schlichen

Mit ihrer Waidewunde,

Suchten nach Statt und Stunde

Mit ängstiglichem Fleiße,

Auf welche Art und Weise

Es möchte doch geschehen,

Daß sie sich möchten sehen,

Und konnten's nicht erringen.


Unter diesen Dingen

Brangäne zu Tristanden kam,

Da sie erkannte und wohl vernahm,[163]

Daß seine Herzensschwäre

Gar hilfbedürftig wäre.

Sie klagte ihm, und er klagte ihr:

»Ach Süße,« sprach er, »saget mir,

Sagt, welcher Rath wird dieser Noth?

Was thu ich und die arme Isot,

Daß wir so nicht verderben?

Ich weiß nicht, wie wir werben,

Daß wir behalten das Leben.«


»Was Raths mag ich Euch geben?«

Sprach aber die Getreue:

»Daß es Gott ewig reue,

Daß wir je wurden geboren!

Wir Drei, wir haben verloren

All unsre Freud und unsre Ehr:

Wir kommen nimmer nimmermehr

Zu freiem frohem Muth, wie eh.

Isold, o weh, Tristan, o weh,

Daß ich euch je mit Augen sah,

Daß alles, was euch Leids geschah,

Von mir euch auferstanden ist!

Und weiß nun weder Rath noch List,

Damit ich euch zu Hilfe komme,

Ich kann nichts finden, das euch fromme.

Ich weiß es so wahr als meinen Tod,

Ihr kommet darüber in große Noth,

Bleibet ihr je noch lange

In Hut und solchem Zwange.

Seit es nun nicht kann besser sein,

So folget doch dem Rathe mein:

Nun meine ich über diese Zeit,

Dieweil Ihr uns so fremde seid,

So Ihr gewahret in Eurem Muth,

Daß es sich fügt und es sich thut,

So nehmet ein Olivenreis

Und schneidet Späne in langer Weis,

Solch einen Span, den zeichnet je

Und machet einerseits ein T

Und machet anderseits ein I,

Daß nur der erste Buchstab hie

Von euer Beider Namen sei,

Thut weder zu, noch ab dabei

Und geht zu dem Baumgarten ein,

Ihr wisset wohl das Wässerlein,

Das von dem Brunnen niedergeht,

Dahin, da die Kemenate steht,

Darein so werfet einen Span

Und laßt ihn fließen seine Bahn

Hin für der Kemenaten Thür:

Da gehn wir allezeit herfür,

Ich und die freudelose Isot,

Beweinend unsre Herzenoth.

Gewahren wir allda den Span,

So sehen wir zuhand daran,

Daß Ihr dort an dem Brunnen seid,

Da, wo der Oelbaum schattet weit.

Da schauet denn und nehmet wahr:

Die Sehnende geht je zu Euch dar,

Meine Fraue, Eure Freundin traut,

Und ich auch, wenn es Euch erbaut

Und so es anders füglich ist.

Herre, dieselbe kurze Frist,

Die ich nun noch am Leben bin,

Soll mit euch Zweien fließen hin,

Daß ich euch Beiden lebe

Und Rath zum Leben gebe.

Müßt ich um eine Stunde gleich,

Darin ich euch Zwei machte reich

Und könnte zu euren Freuden leben,

Meiner Stunden wohl tausend geben,

Ich verkaufte alle meine Tage,

Könnt ich nur sänften eure Klage.«


»Dank, Schöne, Treue!« sprach Tristan:

»Ich habe keinen Zweifel dran,

Daß Treue in Euch und Ehre sei:

Nie reicher waren diese zwei

In einem Herzen begraben.

Sollt ich noch Segen haben,

Den wollt ich Euch wohl kehren

Zu Freuden und zu Ehren.

Wie kümmerlich es nun aber steht,

Wie schwach als meine Scheibe geht,

Doch, wüßt ich, wie ich die Plage

Meiner Stunden und meiner Tage

Zu Euren Freuden könnte geben,

Ich wollte auch desto kürzer leben:

Das getrauet und glaubet mir.« –

Weinend sprach er aber zu ihr:

»Getreue Brangäne, seliges Weib!« –

Da hielt er sie an seinem Leib[164]

Mit Armen eng umfangen,

Ihre Augen und ihre Wangen

Küßt' er mit manchen Qualen

Oft und zu vielen Malen.

»Schöne,« sprach er, »nun thut so wohl,

Als der Freund, der getreue, soll,

Und heget in Eurem lautern Sinn

Mich und die sehnende Sorgerin,

Die wonnevolle Isolde:

Bedenket fleißig, Holde,

Uns Beide zusammen, sie und mich.« –

»Gerne, mein Herre, das thu ich.

Gebietet mir, nun will ich ab.

Thut, wie ich Euch gerathen hab,

Und sorget Euch nicht allzu sehr.« –

»Gott sei mit Euch, der Eure Ehre

Und Euren schönen Leib bewahr.« –

Brangäne neigte sich weinend dar

Und ging mit Trauern von ihm fort.


Tristan der trauervolle dort,

Der schnitt und warf die Späne,

Wie ihm sein Rath, Brangäne,

Lehre und Unterweisung bot.

So kam er und seine Fraue Isot

Zum Brunnen in des Oelbaums Hut

Gar heimlich und mit sichrem Muth

Wohl achtmal in acht Tagen hin,

So daß es Niemand wurde inn,

Noch es kein Auge jemals sah;

Bis daß es in einer Nacht geschah,

Da Tristan kam und suchte sie,

Daß seiner Melot, ich weiß nicht wie,

Der verwünschte Zwerg, der Höllenbrand,

Das Werkzeug in des Teufels Hand,

Zur bösen Stunde ward gewahr

Und schlich ihm nach und huschte dar

Und sah ihn zu dem Baume gehn

Und nicht viel lange dorten stehn,

Bis eine Fraue zu ihm ging

Und er dieselbe fest umfing.

Wer aber diese Fraue war,

Das ward dem Zwerge nicht offenbar.


Da nun der andre Tag anbrach,

Ging er aber seinen Schlichen nach,

Ein wenig vor Mittage,

Und hatte mit falscher Klage

Und mit viel arger Trüglichkeit

Seine Brust verpolstert weit und breit

Und kam so zu Tristanden hin:

»In Treuen,« sprach er, »Herre, ich bin

Mit Sorgen hergegangen,

Denn Ihr seid so umfangen

Mit tausend Augen und Ohren,

Daß ich, Gott sei's geschworen,

Mich zu Euch stahl mit mancher Noth,

Und weil mich die getreue Isot,

Die tugendhafte Königin,

So gar erbarmet in meinem Sinn,

Die leider nun zu dieser Frist

Um Euch in großen Sorgen ist:

Die schickt mich zu Euch und bat mich sehr,

Weil sie sonst Niemand hätte mehr,

Der ihr zu solcher Märe

Also gefällig wäre.

Sie bat mich und gebot auch mir,

Daß ich Euch grüßete von ihr

Und das von Herzen thäte

Und Euch gar dringlich bäte,

Daß Ihr sie sprächet heute noch,

Ich weiß nicht, wo, Ihr wisset's doch,

Da Ihr jüngst bei ihr waret,

Und auch viel recht gewahret

Derselben Stunde und der Zeit,

Da Ihr gewohnt zu kommen seid.

Weiß nicht, was sie Euch will vertraun.

Auch dürft Ihr gänzlich darauf baun:

Ihr Ungemach und Euer Leid,

Das thut mir weher, auf meinen Eid,

Als mir je etwas hat gethan.

Und nun, mein Herre, Herr Tristan,

Ich will von hinnen, gebietet mir.

Was Ihr befehlt, das sag ich ihr.

Ich darf nicht länger bei Euch sein.

Das Hofgesinde, würd es mein

Auf dieser Fährte innen,

Ich möchte Schaden gewinnen.

Sie sagen doch alle, und ist ihr Wahn,

Was unter euch Zweien ist gethan,

Sei alles mit meinem Rath geschehn.

Deß will ich mich doch zu Gott versehn[165]

Und zu euch Beiden, daß es nie

Mit meinem Rathe dahin gedieh.«


»Freund, träumet Euch etwa?« sprach Tristan:

»Mit was für Mären kommt Ihr mich an?

Was ist des Hofgesindes Wahn?

Was hat meine Fraue und ich gethan?

Aus! streichet bald, in Gottes Haß!

Und wisset zuversichtlich, daß,

Was man nun wähnet oder spricht,

Ließ ich's durch meine Ehre nicht,

Ihr nimmer und mit nichten

Dem Hofe solltet berichten,

Was Euch allhie zur Stätte

Bei mir geträumet hätte.«


Melot ging hin und ritt zuhand

Zum Walde, da er Marken fand.

Er sagte ihm die Märe,

Daß er der Wahrheit wäre

Endlich gekommen auf den Grund,

Und sagte, wie und zu welcher Stund

Es an dem Brunnen sei geschehn:

»Ihr mögt die Wahrheit selber sehn,«

Sprach Melot, »Herre, wollet Ihr,

Zu Nacht so reitet dar mit mir;

Ich kann mich gar nicht trügen:

So wie sie es können fügen,

Daß sie heut Abend kommen dar,

So mögt Ihr selber nehmen wahr,

Was sie zusammen beginnen dort.«

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 162-166.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristan und Isolde
Tristan und Isolde: Teil 1
Tristan und Isolde: Teil 2
Tristan und Isolde (Sammlung Goschen)
Die Geschichte der Liebe von Tristan und Isolde
Tristan und Isolde

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon