Tristan das Kind.

[22] Nun daß die Fraue gut und rein

Der Noth genesen sollte sein

Und sollte nach sechs Wochen,

Wie den Frauen ist gesprochen,

Mit ihrem Sohn zur Kirche gehn,

Von dem die Worte sind geschehn,

Nahm sie ihn auf die Arme hin

Und trug ihn selbst mit holdem Sinn

Zum Gotteshaus, wie ziemlich war;

Und als sie christlich zum Altar

Den Kirchgang angetreten

Mit Opfer und Gebeten,

Auch schönem Ingesinde,

Da war dem kleinen Kinde

Die heilige Taufhandlung bereit,

Daß es das Zeichen der Christenheit

In Gottes Namen empfinge,

Wie ihm's auch dann erginge,

Daß es doch immer wär ein Christ.

Als nun, was Brauch und Sitte ist

Beim Taufen, alles bereitet war,

Da trat der Pfaff, der Täufer, dar

Und fragte nach dem Kindelein,

Wie denn sein Name sollte sein.

Die höfische Marschallin sodann

Ging und sprach heimlich mit ihrem Mann

Und fragte, wie er wollte,

Daß man es nennen sollte.

Der Marschall, der schwieg lange,

Der Name machte ihm bange;

Er sann, was zum Geschicke

Des Kindes wohl sich schicke.

Unterdessen betrachtete er

Des Kindes Märe von Anfang her:

Recht, wie er sie vernommen,

Wie alles war gekommen:

»Seht,« sprach er, »Fraue, was ich vernahm

Von seinem Vater, wie es kam

Mit dem und seiner Blancheflur,

Was Trauriges ihnen widerfuhr,

Bis ihr liebender Wille an ihm erging,

Wie sie in Trauer dies Kind empfing,

Wie sie in Trauer genesen sein,

So soll Tristan sein Name sein.« –

Nun heißet Triste Traurigkeit,

Und so von seiner Eltern Leid

Ward Tristan dieses Kind genannt,

Tristan getauft von Priestershand.

Tristan von Triste sein Name hieß,

Der ihm wohl eigen und schicklich ließ, –

Doch ob er sich bewähre,

Gebt Acht, das lehrt uns die Märe.

Seht an, wie traurig war nicht das,

Als seine Mutter sein genas!

Seht, wie von Mühsal und von Noth

Er schon so frühe ward bedroht,

Seht, welch ein traurigliches Leben

Ihm zu durchleben ward gegeben,

Seht an den trauervollen Tod,

Der alle seine Herzensnoth

Mit einem Ende gar beschloß,

Vor jedem Tode übergroß

Und bitter über alle Gallen.

Wer diese Märe hört erschallen,

Erkennet, daß des Namens Klang

Sich mit dem Leben wohl verschlang:

Er war recht, was er hieß, ein Mann

Und hieß recht, was er war, Tristan.

Und wer nun hätte gern erkannt,

Aus welchen Listen Foitenant

Verbreiten ließ das falsche Wort,

Es sei ihr junger Trost und Hort

Von der Geburt und ihrer Noth

In seiner todten Mutter todt,

Dem sagen wir's ohne Scheue:

Es ward gethan aus Treue.

Er that's aus diesem treuen Muth:

Er hatte Furcht vor Morgans Wuth:

Erführe der vom Kinde,

So verderbte er's geschwinde

Mit schlauer oder blutiger Hand,

Und wäre so verwaist das Land.

Darum nahm der getreue Mann

An Kindesstatt den Waisen an[23]

Und zog ihn auf als seinen Sohn,

So schön, daß ihm die Welt zum Lohn

Die Gottesgnade wünschen soll:

Das verdiente er an dem Waisen wohl.

Nun daß das Knäblein ward getauft,

Christo nach Christenbrauch erkauft,

Da nahm ihr liebes Kindlein hin

Die tugendreiche Marschallin

In ihre innige Pflege

Und wollte alle Wege

Sehen und selber achten,

Ob sie es recht mit ihm machten.

Die süße Mutter wachte gut

Und nahm ihn in so süße Hut,

Daß sie es nicht geschehen ließ,

Daß er auch nur den Fuß anstieß.

Und als sie das mit ihm getrieben,

Bis daß er zählte der Jahre sieben,

Und als er, wie ein Knabe soll,

So Reden als Gebärden wohl

Verstehen konnte und auch verstand,

Nahm ihn sein Vater Rual zur Hand

Und befahl ihn einem weisen Mann;

Mit diesem sandte er ihn sodann

Zu Landen fremden und fernen,

Fremde Sprachen zu lernen,

Vor allem der Bücher Wissenschaft,

Die sollte er treiben mit aller Kraft

Vor jeder andern Lehre.

Das war die erste Schwere,

Aus seiner Freiheit der erste Fall:

Da trat er in den Bann und Schwall

Der befangenen Sorgen,

Die ihm zuvor verborgen

Und vorbehalten waren.

In den aufblühenden Jahren,

Da seine Wonne sollte erstehn,

Da er in Freuden sollte gehn,

In seines Lebens Anbeginn

War schon sein bestes Leben hin;

Da er mit Freuden zu blühn begann,

Da fiel der Sorge Reif ihn an,

Der mancher Jugend Schaden thut,

Und verdorrte ihm seinen blühenden Muth.

In seiner ersten Freiheit schon

Floh seine Freiheit all davon.

Der Bücher Wissenschaft und Zwang

War seiner Sorgen Uranfang;

Und doch, wie er damit begann,

Wandte er seinen Sinn daran

Und seinen jungen Fleiß so sehr,

Daß er der Bücher viel und mehr

Erlernete in so kurzer Zeit,

Denn je ein Kind vor oder seit.

Zu beiden Wanderungen,

Durch Bücher und durch Zungen,

Verbrachte er seiner Stunden viel

Mit jeder Art von Saitenspiel,

Darauf er wandte so spät als früh

Alle Emsigkeit und alle Müh,

Bis daß er's konnte aus dem Grund.

Er lernete zu jeder Stund,

Heute dies und morgen das,

Heuer wohl, übers Jahr noch baß.

Ueber dies alles lernete er

Mit dem Schilde und mit dem Speer

Fest und behende reiten,

Das Roß zu beiden Seiten

Geschickt mit Sporen rühren

Und frech zum Sprunge führen,

Turnieren und leisiren,

Mit Schenkeln sambeliren,

Nach Ritterbrauch im Ritterspiel.

Hiemit kurzweilt er sich oft und viel.

Wohl schirmen, wacker ringen,

Wohl laufen, tüchtig springen,

Dazu auch schießen den Speeresschaft,

Das that er alles nach seiner Kraft.

Auch hören wir die Märe sagen,

Birschen habe gelernt und jagen

Noch nie ein Mann so wohl als er,

Es wäre dieser oder der.

Aller Arten höfisches Spiel

Uebte er wohl und konnte er viel,

Auch war er beschaffen am Leibe,

Daß ein Jüngling vom Weibe,

Nie herrlicher ward geboren;

Sein Wesen war auserkoren

An Sinn und Sitte zu jeder Zeit.

Nun aber war die Herrlichkeit

Durchwirkt mit Leide wundersam,

Da er leider zu Mühsal ins Leben kam.
[24]

Nun daß er vierzehnjährig war,

So nahm ihn der Marschall wieder dar

Und hieß ihn ziehen und reiten

Zu allen Stunden und Zeiten

Und wohl betrachten so Leut als Land,

Auf daß ihm würde recht bekannt,

Wie es stünde um des Landes Art.

Das that der Knabe auf seiner Fahrt

So löblich und behende,

Daß an keinem Ende

Zu keiner Zeit im ganzen Reich

Ein Jüngling ward so tugendreich

Erfunden als das Kind Tristan.

Die ganze Welt, die sah ihn an

Mit Freundesaugen und holdem Muth,

So wie man billig Einem thut,

Der seinen Sinn auf Tugend stellt,

Untugend fremd und ferne hält.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 22-25.
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