Fünfundzwanzigstes Kapitel

[419] Wie der Knäuel entwirrt wird


Ein harter Schlag war dieser Tod für Johannes. Wenn er früher auch Joggeli die Seligkeit, wie er sagte, gerne gegönnt hätte, weil es dem Vater wohl und ihm nicht übel gegangen wäre, jetzt war dieser Tod für ihn ein großes Unglück. Jetzt kam die Vermögensmasse in unparteiische Hände, ihr Bestand mußte ausgemittelt werden so wie Schuldner und Gläubiger. Er war nicht gerührt, aber tobte gewaltiglich, daß das hätte geschehen müssen; es sei gerade, als ob das ihm absichtlich zuleid getan sei, um ihn zugrunde zu richten. Noch acht Tage, so hätte der Vater geflucht gehabt; dann hätte er seinethalben gehen können, wohin er gewollt, die Sache wäre gewonnen gewesen.[419]

Über solche Reden schalt Vreneli den Johannes fürchterlich. Er solle doch an die Mutter im Grabe denken, wenn er auch den Vater nicht achte. Es nehme ihns doch auch wunder, wo er so gottlos und frevelhaft geworden sei, als Junge sei er anders gewesen. Wäre er Bauer geblieben auf der Glungge, so wäre es nicht so gegangen, er wäre ein Anderer inwendig und auswendig. Jetzt sei es froh, daß es bald von ihm komme und hoffentlich ihn nicht mehr sehen werde. Es sei ihm immer angst in seiner Nähe, vom Himmel komme ein Blitz und schlage ein in sein gottlos Maul. »So wäre es für mich,« sagte Johannes, »und dich ginge es nichts an. Vielleicht daß es gut wäre, wenn es so ginge, dann wäre ich draus und weg und allem los. Jetzt schweige mir aber mit dem Gestürm und mache, was zur Sache gehört. Ich mag viel von dir ertragen, aber genug ist genug; ich will meinen Zorn auslassen, wie ich will, magst es nicht hören, so geh weiter!«

Vreneli ging und fiel Elisi und Trinette in die Hände, die gar jämmerlich hintereinander waren. Beide wollten geschwind von des Vaters Sachen nun erben, was da war, dann zum Krämer, dann zu Schneider und Näherinnen und sich neu kleiden lassen für das Leichenbegleit. Da tat Pressieren not, innerhalb drei Tagen mußte alles geschehen sein und in der Nähe wohnten keine Pariser Künstler, weder Schneider noch Näherin (ein Geschöpf, welches auf dem Lande auch die Putzmacherin vorstellt). Trinette wollte jetzt alleine erben, wie Elisi bei der Mutter auch alleine geerbt, was in ihrem Sinne so dumm nicht war. Aber Elisi begehrte schrecklich auf, dieweil Vater und Mutter ganz verschiedene Kreaturen seien. Es wäre so was für Lumpenhunde von Söhnen und deren Schleipfen, wenn sie den Vater, welcher das Vermögen in Händen hätte, alleine beerben könnten. Potz Schieß, wie spitzte Trinette die Nägel, akkurat wie ein Kater, dem ein anderer in sein Revier kommt.[420] So kamen die Gerichtspersonen und teilten den Kuchen, sie versiegelten alles. Bekanntlich hatte Achilles eine Ferse, welche verwundbar war, bekanntlich war sogar der hörnerne Siegfried zwischen den Achselbeinen so empfindlich, daß der wilde Hagen ihn von dorther erstechen konnte; die beiden Gerichtspersonen aber, welche kamen, waren mehr als Achill, mehr als der hörnerne Siegfried, sie hatten keine verwundbare Stelle, sie waren ledern, hörnern, eisern über und über. Die Weiber mochten lieblich oder grimmig tun, Johannes blitzen oder donnern, sie versiegelten kaltblütig alles gut und währschaft; es waren nicht bloß Halbgötter wie Achill zum Beispiel, es schienen wirklich ganze Götter. Es waren nämlich Männer, welche Nasen hatten, die den Braten rochen, kaltblütig ihre Pflicht taten, die Weiber auslachten, den Johannes kurz abfertigten. Wo die Mehrzahl der Erben zahm sind und nicht viel verstehen oder jung, daher blind wie Katzen vor dem neunten Tag, oder alles unter einer Decke liegt, ja da läßt sich schon was machen, da können Gerichtspersonen human, liberal, halb oder ganz blind sein, das läßt sich schon machen und ist manchmal noch was zu verdienen dabei. Aber wo es heißt »Feinde ringsum«, das Erbe mit Luchsaugen bewacht, gleichsam umstellt ist wie der Bau eines eingejagten Fuchses, da läßt es sich aufpassen, wenn man nicht Schmutz an Ärmel kriegen will statt Geld in die Tasche. Ja, felsenfest und unerbittlich wird man, hat nicht einmal an der Ferse einen blessierlichen Fleck, wenn in solchen Fällen nicht eine Hand die andere waschen muß, das heißt wenn der Versucher nicht zum Andern sagen kann: »Weißt nicht mehr, was dort und dort gegangen? Jetzt mach was du willst, aber machst es nicht, wie ich will, so rede ich.«

Unglücklicherweise für Johannes und die Weiber hatten sie eine solche Handhabe an diesen Männern nicht; Johannes hatte seit langem nicht hier gewohnt, war hier nie in Geschäften[421] gewesen, die Männer kamen daher nicht in Verlegenheit, und scharf ward nach Pflicht und Vorschrift gehandelt. Heulend legte sich Trinette auf ein Bett, da stellte sich Elisi lachend davor und schabte Rübchen, bis Johannes dem armen Tropf eine Ohrfeige gab, daß es blutend und schreiend zu Vreneli lief, welches ihnen vergeblich vorstellte, welch eine Schande es für alle sei, so zu tun, während ein Toter im Hause liege. Selbst die geringsten Leute täten leise während dieser Zeit, als ob sie die Ruhe nicht stören wollten, und hätten Respekt vor der Leiche, und sie, die vornehm und gebildet sein wollten, täten wie betrunkene Menschen! Aber es half nichts. Es ist gar wunderlich mit der sogenannten Bildung, sie ist gar oft nichts als ein simpler Kleister über eine rohe Natur. Bekanntlich aber mag der Kleister das Wetter nicht ertragen, die Sonne nicht, den Regen nicht, den Frost nicht, so daß, wie man auch kleistert und frisiert, alle Augenblicke die Nase der alten Natur wieder hervorguckt.

So schied der alte Mann von der Welt, wie er in der Welt gelebt hatte, in Mißvergnügen und Uneinigkeit. Es war ein großer Leichenzug, man sah wohl, daß man einen großen Bauer zu Grabe trug; den Gesichtern dagegen sah man an, daß im Sarge weder ein bedeutender noch geliebter Mann lag, denn nicht nur weinte niemand als Vreneli und wahrscheinlich dieses auch mehr der Base zu Lieb und Ehr als dem Vetter, sondern es war ein Geschnatter, selbst ein Lachen oft im langen Zuge, wie man es sonst hinter einem Sarge her nicht für anständig hält.

Die Hinterlassenen konnten sich kaum des Streites unter einander enthalten; sobald sie ein geneigtes Ohr fanden, schimpften sie über einander, und Johannes, sobald er ein Glas Wein im Kopfe hatte, pülverte dem Vater seinen Mißmut noch ins Grab nach. Der Vater sollte jetzt an allem schuld sein, er, der Johannes, hatte keinen Fehler. Die Andern,[422] welche außerhalb der Hörweite der sogenannten Erben saßen, ergingen sich in Mutmaßungen, ob wohl etwas Vermögen übrig bleiben werde; daß das Gut verkauft werden müsse, darüber waren sie einig.

Sie hatten aber auch recht, die Umstände waren noch viel schlechter, als man es sich vorgestellt hatte. Auch hier wollen wir die Formen, in welchen eine solche Erbschaft ermittelt, gesichtet, so gleichsam bis zu ihren reinen Bestandteilen abgeklärt wird, nicht näher bezeichnen. Jedermann in aller Herren Ländern wird daran hauptsächlich das begreifen, daß bei einem solchen Läuterungs- oder Aufklärungsprozeß ein großer Abgang sein muß. Ja manchmal ist die Masse so konfus und seltsam, daß wenn man sie aus den chemischen Apothekertiegeln herausnehmen will, man ein Erkleckliches weniger als nichts darin findet. Die Destillation mußte um so genauer vor sich gehen, da über die eine Hälfte der Erbschaft der Konkurs verhängt, jeder Gläubiger ein natürlicher und berechtigter Wächter war.

Joggeli hatte keine Art von Verfügung hinterlassen. Im Gewirre der Prozesse hatte man weder daran noch an Joggelis Tod gedacht. Es fiel Manchem auf, daß Johannes sich den Hof nicht um halb nichts vom Vater habe abtreten lassen. Wir wissen nicht, warum es nicht geschah. Wollte Joggeli nicht, weil er mißtrauisch geworden auch gegen den Sohn, oder wollte Johannes nicht, weil er dachte, einstweilen sei der Hof sicherer in des Vaters Händen als in den seinen, und wenn des Schwagers Angelegenheiten beseitigt seien, lasse dies sich besser und sicherer machen als jetzt?

Als die Angelegenheit vom Gericht zu Handen genommen wurde, tat Johannes anfangs wie ein angeschossener Eber. Aber da der Gemeinde in solchen Fällen eine gewisse Verantwortlichkeit aufgelegt ist, da sie zunächst die damit beauftragten Personen erwählt, so hatte sie Männer erwählt, von[423] denen sie sagen konnte: »Die werden das Bürschli schon ebha, da haben wir keinen Kummer.« Es fanden sich so wenige Zinsschriften und Geld vor und so viele Anforderungen häuften sich, daß es sich bald herausstellte, das Gut müsse verkauft werden. Begreiflich wollte Johannes nicht und sagte, er sei der Sohn und tue es nicht. »An eine Steigerung es bringen ist gesetzlich, da kannst du bieten wie ein Anderer. Oder wenn du einen Preis zahlst, mit welchem man kann zufrieden sein, und Geld schaffest, so viel man nötig hat, so kann man beraten, was zu machen,« sagte ihm ein Vorgesetzter. Aber da eben lag der Haken, wo er möglicherweise noch an andern Orten liegen mag: wo Geld nehmen und nicht stehlen?

Johannes hatte also ein Wirtshaus mit bedeutender Landwirtschaft. Je größer das Geschäft ist, welchem Menschen wie Johannes vorstehen, desto rascher geht es dem Kuckuck zu. Es ist bekanntlich wegen Wasserverbrauch ein Unterschied, ob man an eine Feuerspritze ein oder zwei oder ein halb Dutzend Röhren schraubt. Die Landwirtschaft will von allen Wirtschaften den nachhaltendsten Fleiß und eine stetige Behandlung, sonst verzehrt sie nicht bloß mehr, als sie gibt, sondern das Kapital wird alle Tage geringer, das heißt das Land schlechter. Die Gastwirtschaft von Johannes wurde alle Tage schlechter in dem Maße, als der Wirt und die Wirtin die besten Gäste wurden, wenn das nämlich die besten Gäste sind, welche am meisten brauchen und nichts zahlen. Je schlechter ihre Wirtschaft wurde, desto mehr neue Wirtschaften entstanden um sie herum, desto weniger trug die ihre also ein, desto mehr verringerte sie sich in ihrem Werte. Des Johannes Besitzung war also eigentlich eine fressende, nicht eine nährende, keine einträgliche, sondern eine austrägliche. Doch konnte Johannes nicht von ihr lassen; das Leben eines Wirtes, der alle Tage frisches Brot, Fische und Fleisch von allen[424] Sorten haben kann, war seiner Natur zu zuträglich, um es lassen zu können, auch hätte er für unsittlich gehalten, es zu lassen, denn auf der heutigen Kulturhöhe hält man für die höchste Sittlichkeit ein Leben der Natur gemäß. Er sagte, wenn er sie jetzt verkaufen wollte, so würde er fast die Hälfte daran verlieren. Beide Besitzungen vermochte er nicht zu behalten, besonders da sein Schwiegervater ihm nicht helfen wollte, sondern grobe Worte gab statt Geld, er hatte sie wahrscheinlich auch besser. Den Vater hätte er gemolken, gab derselbe zum Bescheid, jetzt werde er auch den Schwäher melken wollen, aber ohä, das sei ein anderer Knebel. Wenn noch was da sei, wenn er sterbe, so komme es allweg den Kindern kommod, es sei Zeit, daß einmal auch jemand an die denke. Er war einer von denen, dieser Schwäher, welche immer die schönsten Fürwörter haben, mit den Hauptwörtern dagegen desto schlechter bestellt sind. Er war einer von denen, welche gerne viel vorstellen. Er hatte ein großes Haus und das Haus voll hoffärtiger Töchter, von denen jede die Schönere sein und am wenigsten tun wollte. Dies ist freilich auch eine strebsame Richtung, führt aber selten an ein glänzendes Ziel, sondern zumeist an ein lumpichtes. Des Vaters Betragen mußte begreiflich Trinette entgelten, dadurch wurde sie nicht liebenswürdiger. Johannes sagte: Man solle sie nur ansehen, was er mit einem solchen Storch als Bäurin anfangen solle; für Wirtin, um unter der Türe zu sitzen und die Hände zu reiben, möge sie noch gehen, wenn man es nicht zu genau nehme. Aber wenn er auch nicht selbst bauern könne wegen dem Storch, so lasse er doch des Vaters Hof nicht, der käme einst seinen Kindern kommod; er müßte sich ja vor ihnen noch im Grabe schämen, wenn er denselben verkaufen ließe, den schönsten im ganzen Bernbiet! Das war auch ein schönes Fürwort, denn hätte er ihn wohlfeil erhaschen können, so würde er sich keinen Augenblick besonnen[425] haben, ihn zu verkaufen, wenn der Profit ihm aus seinen Verlegenheiten geholfen hätte.

Wir wollen jedoch nicht in Abrede stellen, daß es Johannes hart hielt, den väterlichen Hof zu verkaufen, das adeliche Element war noch nicht ganz in ihm verflüchtigt. Kurios, daß Kinder so oft als Fürwörter gebraucht werden von Verschwendern und Geizigen, wobei jedoch zwischen beiden zumeist ein bedeutender Unterschied im Gemüte ist. Der Verschwender, der nicht ganz zum Vieh geworden, denkt wirklich an seine Kinder, aber leider zumeist hintendrein, wenn es zu spät ist, der Geizige aber wirklich selten. Ein Geiziger ward einmal um einen Beitrag zur Erziehung armer Kinder angesprochen. Das sei doch Verstand, ihm so was zuzumuten, antwortete er. Wie er es im Grabe verantworten wollte, wenn er den eigenen Kindern entzöge, um es fremden zuzuwenden. Der gleiche Geizige plagte jedoch ganz getrost durch unverständige Arbeit die eigenen Kinder bis in den Tod, so viel dachte er an sie.

Aber wenn einer weder Geld hat noch Kredit, so wird er da, wo es auf Geld ankömmt, wenig geästimiert, mag er noch so laut brüllen. Da Johannes keine annehmbaren Bedingungen weder stellen wollte noch konnte, mußte der Hof an eine Steigerung kommen. Das tat auch Uli und seiner Frau sehr weh. Vreneli war da aufgewachsen, wußte kaum, wie es anderwärts war. Uli hatte schöne Träume gehabt.

An einem schönen Herbstsonntage saßen sie nachmittags vor dem Hause. Tauben, Hühner, Kinder trippelten um sie her, in traulicher Freundschaft Keins das Andere fürchtend. Es war ein gar freundlich Sitzen da und ein lieblicher Anblick ringsum. Desto größer ward in Beiden die Wehmut, und die gleichen Gedanken stiegen in Beiden auf »Wie manchmal wohl sitzen wir noch hier?« seufzte endlich Vreneli. »Es wird hart halten, ehe ich mich an einen andern Ort gewöhnt habe. Schöner mag es an manchem Orte sein, wo[426] weithin das Auge sieht, an den schönen Seen oder wo die Berge glühen oder glitzern über das Land herein. Aber heimeliger wird es mir wohl nirgends werden als hier, wo es grün und so still ist, am Sonntage man wie in einer großen Kirche ist, alles versunken in heiliger Andacht und am Himmel das große Licht so mild und freundlich über der Erde und im Herzen das ewige Licht, das da leuchtet in der Finsternis, und jetzt noch Kinder und Tiere durcheinander glücklich und friedlich, fast wie im Paradiese. Uli, was meinst, bekommen wir es wieder so? Das Herz will mir so schwer werden, je näher das Scheiden kömmt; ich wähnte, ich sei gefaßt und könne mich in alles schicken, aber man kann wohl denken, wie man alles nehmen wolle, wenn es kömmt, da erst sieht man, wie schwach man ist.«

»Weiß nicht recht, wie mir ist,« sagte Uli; »bald dünkt mich, ich möge die Stunde nicht erwarten, in der ich gehen kann, bald dünkt es mich, ich sei so müde und matt, daß ich es nicht einmal ertragen möchte, auf den Kirchhof getragen zu werden, lieber gleich hier möchte ich begraben sein. Es war eine Zeit, wo ich viel daran dachte, wenn ich alleine arbeitete oder einsame Wege ging, ob es nicht möglich sei, daß ich hier Bauer werden könnte? Ich dachte: wenn die Kinder um ihre Sache kämen, Joggeli und die Base sehr alt würden, wir glückliche Jahre hätten, reich würden, bis wir zuletzt das Gut kaufen könnten; dann ward es mir so frei und leicht, wenn ich mich als Bauer dachte, und was mir da alles in Sinn kam, wie ich schalten und walten wollte, du glaubst es nicht. Gott wollte es anders, seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Es ging umgekehrt; was wir langsam erworben, ging geschwind dahin, mehr dazu, und wie wir jetzt stehn, weiß Gott. Was unser Gevattersmann uns schuldig ist, das wird verloren sein, kein Mensch will das Papier ansehen. DSchrift wäre ganz gut, sagen sie, wenn man nur das Geld hätte. Mit[427] der Schatzung wollten uns die Leute nicht so übel und auch mit dem Abzug nicht. Sie haben noch Erbarmen mit uns. Dachte das nicht, als sie so schnöde mir auswichen, als ich zum erstenmal nach meiner Krankheit zur Kirche ging. Glaubten wahrscheinlich, es werfe mich alsbald auf den Rücken, ich begehre sie um Geld zu plagen oder Gott weiß was. Jetzt, wo die Plage ihnen anderswoher kömmt, sind sie billig gegen mich, ich kann nicht klagen. In den Steigerungsgedingen wird alles, was ich in der Schatzung habe, der Zahl nach als Zugabe angeboten; gilt es gehörig und findet sich einer, welcher es so kauft um den gehörigen Preis, so kann ich noch manches verkaufen, womit ich das Inventar vermehrt habe. Ich kann bleiben bis im Frühjahr, oder wenn ich abziehen muß, soll mich der Käufer entschädigen nach Ehrenmänner Befinden. Sie hätten mich härter halten können. Da graut es mir nun bald, von vornen anzufangen, wie einem, der von einem Baume, welchen er erklettern wollte, heruntergerutscht, sich dreimal besinnt, ehe er wieder ans Klettern gehen mag; bald ists mir, wenn ich nur Berg und Tal zwischen mir und hier hätte, damit ich vergessen konnte, wie es mir hier gegangen, und wieder Mut fassen für die Zukunft, irgendwo anhängen könnte, wo mir die Hoffnung aufginge, daß wir mit Arbeit in Ehren fortdauern. Es ist mir fast wie einem, der zwischen Leben und Tod schwebt und nicht weiß, was er lieber will, leben oder sterben. Nur hier bleiben in der Schwebe, so als ein Hampelmannli zwischen Leben und Tod, zittern müssen vor jeder schwarzen Wolke, zappeln und angsten das ganze Jahr durch und doch am Ende des Jahres Gefahr laufen, mit einigen hundert Talern im Rückstande zu bleiben und mit Schmach und Schande davongejagt zu werden, das möchte ich nicht; ich glaube, ich hielte es nicht aus, am Leibe nicht und an der Seele nicht. Ich fühle hier, so wie wir jetzt stehen, eine Ohnmacht bis zum Sterben, fühle, daß unsere[428] Kräfte nicht reichen, darum sehne ich mich fort, während es mir das Herz zerreißt, vom Hofe zu lassen, der mir fast wie eine Mutter so lieb geworden ist.«

»Ja, du hast recht,« sagte Vreneli, und Beide begannen ein Lobpreisen des Gutes, was zu machen wäre noch und wie trefflich es bereits sei, als wäre es ihr neugekauftes Eigentum; sie vergaßen gänzlich, daß sie es vielleicht in den nächsten Wochen mit dem Rücken ansehen mußten.

Auf Erden dauern schöne Träume selten lange, die rauhe Wirklichkeit läßt ihre Rechte sich nicht nehmen, und wenn die Träume am himmlischsten sich gestalten, macht sie einen Strich durch dieselben und streut Sand darauf. Johannes kam dahergerasselt und brachte einen mit, um ihm das Gut zu zeigen. Natürlich tat er, als ob er daheim sei, ging ungefragt überall herum, und wo er was Verschlossenes fand, befahl er zu öffnen, und wenn er ein hart, bös Wort fliegen lassen konnte, versäumte er die Gelegenheit nicht. Es ist nicht bald was Bittereres als dieses freche Durchstöbern eines Hauses, dieses rücksichtslose Dahinwerfen giftiger oder roher Bemerkungen. Das Gefühl, das man dabei hat, ist ähnlich dem, welches uns ergreift, wenn jemand uns die Kleider vom Leibe reißen will. Da fühlen wir es denn so recht, daß wir keine bleibende Stätte haben, sondern Pilgrime und Fremdlinge seien, welche eine zukünftige suchen müssen; gar gerne schlägt dazu das Heimweh, scheiden möchte man von hier, heim möchte man, wo einem in jedem Falle viel besser wäre.

Bald nach Johannes rasselte es wieder daher. Es waren Gläubiger vom flüchtigen Schwager, welche es wunder nahm, was etwa für sie noch zu hoffen sei. Diese machten mit der gleichen Freiheit ihre Runde, kümmerten sich um die Bewohner bloß, wenn sie was fragen, was tadeln wollten und dozieren, wie es hätte gehen sollen und wie es in Zukunft gehen müsse. Wollten Uli oder Vreneli sich davonziehen, machten[429] sich nebenaus, so wurden sie entweder gerufen oder stießen auf die andere Partei, gerieten von einem Ärger in den andern. Es war nicht bloß, als ob sie in keinen Schuh gut wären, sondern als glaube man, sie seien mit Büffelhaut überzogen, fühlten Büchsenkugeln nicht, geschweige denn Worte.

Nun kam auch noch der Mann, welcher Uli die beiden Kühe abgekauft hatte, und hätte wieder gerne zwei teuer gekauft. Es war, als ob es heute wieder hagle in der Glungge, aber nicht Steine diesmal, sondern Menschen. Es war Uli sehr unangenehm, daß der Mann sehen mußte, wie er auf dem Punkte war, leer abzuziehen. Der Mann hätte Uli gerne noch zu einem Handel verleitet, welcher nicht redlich, indes zu machen gewesen wäre und Uli ein schön Stück Geld abgeworfen hätte. Aber Uli wollte nicht. Er glaube, sagte er, man könnte vor dem Richter nichts mit ihm machen, die Sache sei eigentlich noch nicht verkauft und er hätte so noch etwas für seinen Schaden. Aber es hätten nun schon Viele alles besehen, und wenn man schlechtere Ware hinstelle, um die Zahl der Stücke richtig zu machen, falls jemand in Bausch und Bogen kaufen wolle, sei dieser betrogen. Er habe mit Ehren nichts vor sich gebracht, mit Kniffen wolle er jetzt auch nichts. Der Mann sah sich das Gut auch an. Es gefiele ihm, sagte er, ein abträglicheres und gelegeneres hätte er nicht bald gesehen; aber es sei nicht jedermanns Kauf, weil zu viel bar Geld gezahlt werden müsse, und um alles recht in Gang zu setzen, müßten wieder einige tausend Taler sein; so viel Geld wüßte er nicht aufzutreiben, es würden Wenige sein, die so viel flüssig hätten. »Bei so einem, der dies Gut zu kaufen vermag, wäre nicht bös, wieder Pächter zu sein, wenn derselbe einen haben will; froh wäre er sicher, dich zu behalten, weil dir alles bekannt ist«, meinte der Mann schließlich.

Das war eine Möglichkeit, an welche Uli gar nicht gedacht hatte. Er warf sie aber weit weg. Wenn er schon könnte, er wollte[430] nicht, er möge die Stunde gar nicht erwarten, bis er los sei. Es sei ihm wie einem Finken, der einen Fuß in der Schlinge hätte, und Froheres könne dem Finken nicht begegnen, als wenn er sein Füßchen frei kriegen könnte, sagte Uli. »Allweg verrede dich nicht,« sagte der Mann, »dann kannst du immer machen, was du willst. Sieh dir die Sache von beiden Seiten an. Mich reute es, wenn ich hier Pächter gewesen wäre und fort müßte lebendig. Freilich, wohl zusehen muß man, wenn man solche große Dinge unternimmt; wie man es macht, so hat mans, und wie man bettet, so liegt man, aber wenns zu machen wäre, ich machte es, und wenn ich Geld hätte, ich ließe den Hof nicht aus den Händen. Solche Höfe sind rar, und wo liegt das Geld besser als in solchem Lande, welches nicht bloß sicheren Zins gibt, sondern wo das Kapital alle Jahre wächst? Mach es, wenn du kannst, ein andermal handeln wir doch dann vielleicht wieder mit einander«, sagte er und ging.

Das ging Uli stark im Leibe rum, dem gleichen Uli, der vorhin gesagt hatte, er möge die Stunde nicht erwarten, in welcher er endlich ziehen könne. Es war, als habe ihm einer das Herz umgedreht und andere Augen in den Kopf gemacht. So felsenfest ist der Mensch zumeist in seinen Ansichten und Grundsätzen. Er mußte immer denken, wie schön es doch hier sei, und wenn ein Besitzer käme und der ihm recht an halte und gute Gedinge stelle, so sei es noch möglich daß er ihm den Gefallen tue; doch wolle er es auf Vreneli an, kommen lassen, wenn es diesem ein Gefallen sei, so sei noch möglich, er tue es, es hätte auch was verdient um ihn.

Des Mannes Rede setzte sich in dem guten Uli immer fester, aber Vreneli sagte er nichts davon, wahrscheinlich wollte er es angenehm überraschen. Er dachte es sich immer fester in den Leib, wie da sicher ein reicher Herr kommen werde, das Gut zu kaufen, so ein reicher Neuenburger vielleicht oder gar ein englischer Narr, welcher Geld hätte wie Bettler Läuse und[431] es ebenso ästimiere wie Bettler Läuse. Apropos von englischen Narren! Es gibt deren, welche hinter dem Narren den Schelm verbergen, hinter dem ungezogenen Jungen den Fuchs, hinter einem liederlichen, ärgerlichen Wandel politische Kniffe und Umtriebe, und die noble Nation verschmäht es nicht, sich durch Jungen, welche eines solchen Wesens sich nicht schämen, dargestellt zu sehen, durch ungezogene Jungen, welche, wenn sie ausgescholten oder aus der Schule gejagt werden, sich mit Gassenbuben die Zeit vertreiben, so recht wie Buben.

Aber Uli sah sich umsonst um nach englischen Narren und englischen Equipagen, nach reichen Neuenburgern; nicht einmal ein Basler, welche auch schrecklich viel Geld haben, jedoch immer noch das Geld mehr lieben als das Land, wollte kommen. Es kamen wohl Leute, aber zumeist solche in Halbleinen und mit Stäben in den Händen, fast wie die Kinder Israel sie hatten, als sie dem gelobten Lande zu wollten. Noch am Morgen, als am Nachmittag die Steigerung abgehalten werden sollte, sah er sich umsonst nach Neuenburgern oder sonstigen Herrenbeinen um; es kamen keine, sonst Leute genug, welche die Nase allenthalben hinsteckten, um dann einen Vorwand zu haben, an die Steigerung zu gehen, um da vielleicht einige Maß Wein zu erbeuten. Denn gebräuchlich ist es, daß jedem, der ein Gebot tut, eine Maß Wein vorgestellt wird; so kann der Unverschämte, der keinen Batzen im Sack hat, leicht zu einer Maß Wein kommen, der Unverschämteste zu mancher.

Als Mittag vorüber war, ward es endlich leer auf der Glungge. Vreneli sagte, es danke dem lieben Gott, daß dies überstanden sei; das Gschaue und immer Gschaue hätte ihm fast das Herz abgedreht, und wenn es schuld wäre, daß die Glungge verkauft werden müßte, es hätte sich totgegrämt. »Willst nicht hingehen und hören, wie es geht?« sagte Vreneli zu Uli. »Du hast kürzere Zeit dort, siehst, wie es geht, und[432] kannst mir Bericht bringen, wenn es vorüber ist.« »Nein,« sagte Uli, »um keinen Preis brächte man mich dahin; ich glaube, das Wasser schösse mir in die Augen oder ich könnte mich vor Zorn nicht halten, wenn ich so von hundshärigen Käufern den Hof müßte verlästern hören, wie er verwahrlost sei und in zwanzig Jahren nicht zurecht zu machen. Sie redeten ja schon hier so, die Halunken, um sich gegenseitig abzuschrecken, und Keiner kümmerte sich darum, wie tief mir das ins Herz ging.«

Gegen Abend bekam er doch große Neugierde und ward sehr ungeduldig. Es ist allerdings ein Eigenes, einsam und in aller Stille zu verharren, wenn man weiß, es geht in der Nähe Wichtiges und Entscheidendes vor. Man wird von einem eigenen Bangen ergriffen und fast unwillkürlich dem Orte der Entscheidung zu gezogen. Uli widerstand dem Zug, das Grauen vor dem, was er hätte hören müssen, war stärker als der Zug; aber als es dunkel ward, sagte er zu seiner Frau: »Was meinst, wenn wir den Hans schicken würden, zu hören, wie es geht, und uns Bericht zu bringen?« »Machs,« sagte Vreneli, »wenn du nicht selbst gehen magst. Aber er solle wiederkommen zur Zeit und nicht meinen, er müsse warten, bis alles aus sei und der Letzte fort. Nimmts uns dann noch mehr wunder, so kann er ja wieder gehen.«

So lautete die Ordre. Hans schwoll die Brust, als er sie empfing samt zehn Kreuzern zu einem Schoppen. Er wusch sich tapfer, und stolz marschierte er ab, stellte er doch mal einen Abgeordneten oder so gleichsam einen Repräsentanten vor. Zudem war sein Vater ein St. Galler gewesen, seine Mutter eine Waadtländerin, und in einem Keller im Aargau ward er weiland geboren; man kann sich das Gefühl nun denken und die Beine, welche er zu machen sich anstrengte auf diesem wichtigen Gange.

Es verliefen zwei lange Stunden, es zeigte sich kein Hans.[433]

Vreneli schickte den Benz nach, denn Uli war sehr ungeduldig aus den Ställen, wo er sich herumgetrieben hatte, in die Stube gekommen und hatte gedroht, Hans noch diese Nacht fortzujagen, möge es seinethalben wohl oder übel gehen im St. Gallerlande. Benz war einstweilen noch ein ehrlich Emmentalerblut, freilich sehr ungebildet, aber pünktlich tat er, was man ihm auftrug. Ist auch was wert! Benz lief ab wie ein Pudelhund und gar nicht so stolz gebeinelt wie Hans, der früher lange um Zürich herum gedient hatte, drängte sich nicht vor wie Hans, der an einem Tische saß mit breiten Ellbogen und vom Schlaraffenland erzählte, wo sein Großvater, der ein Appenzeller sei, ein großes Gut hätte, nebenbei große Geschäfte mache im Lehrfache, großes Geld verdiene, neben ihm Keiner aufkommen könne, von wegen weil er dieses Fach verstehe. Benz stund in eine Ecke, wo niemand seiner sich achtete, horchte gut, blickte scharf, und nach einer halben Stunde lief er wieder ab. Viel Leute seien da, berichtete er, doch die Meisten mehr um zu saufen als um zu bieten. Johannes brülle die Stube voll, aber man achte sich seiner nicht viel; einer mit einem Bocksbart und Bollaugen sei da und schiebe zuweilen ein Gebot ein, aber es scheine ihm nicht recht Ernst zu sein. Ein alter Bauer sitze in einer Ecke, er habe nichts gesehen als seinen Kopf, der sehe aus fast wie ein hundertjähriger Weidenstock, aus diesem komme hie und da ein Gebot wie aus einer verrosteten Kanone. Allem an werde der Meister, er benehme sich, wie es einer mache, wenn er es zwingen wolle. Gefallen tue der ihm nicht, er mache eine Miene, daß er glaube, der fresse Kinder, wenn er nicht Kalbfleisch bekommen könne. Allweg könne es nicht lange mehr gehen, eine Unsumme sei bereits geboten; es werde zuletzt darauf ankommen, wer das nötige Geld zeigen könne.

»Und Hans, wo ist denn der?« frug Vreneli. »Oh, der sitzt hinter einem Tische,« sagte Benz, »und berichtet den Leuten[434] vom Zuchthaus in St. Gallen und wie Viele dort Platz bekommen könnten, man hätte ihm auch einen angeboten, aber einstweilen hätte er doch noch keinen begehrt, und vom Großvater im Schlaraffenland, wie der ein Gut hätte, auf welchem der Misthaufen so groß sei als das ganze Glunggengut und wo der Großvater bloß für Besen Jahr für Jahr so viel ausgebe, als die Thurgauer in einem Jahre verprozedierten und die Rechtsgelehrten mit Leugnen und Lügen verdienten, was sie so wohl könnten, daß es ihnen ihr Lebtag nach, gehe, sie möchten zu Ehren kommen, wie sie wollten, und kämen sie in die Tagsatzung.«

Dieser Bericht ging Uli ins Herz. Er hatte immer noch gehofft, aber was sollte er so von einem hundertjährigen struben Weidstock erwarten? »He nun so dann, so wissen wir jetzt, wie es ist. Das Beste ist, wir gehen ins Bett, so wachen wir morgen auf,« sagte er und ging. Vreneli sah noch nach Feuer und Licht, und als es ebenfalls nieder wollte, begann das jüngste Kind Spektakel. Dessen ist man in einer Haushaltung gewohnt, und wenn die Mutter treu ist, schläft der Vater um nichts weniger ruhig, wenn er nämlich sonst ruhig schlafen kann, wenn schon ein Kind schreit. Wie müde auch die Mutter ist, sie nimmt das Kind und pflegt es nach seinen Umständen; sie beklagt sich darüber nicht, ihr ists ganz ordinäre Pflicht, welcher sie mit Liebe obliegt. Uli hatte in frühern Nächten wachend viel geträumt, seine Träume hatten jetzt ein Ende; er konnte schlafen und das Kind störte ihn im Schlafen nicht.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 419-435.
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