Elftes Kapitel

[126] Wie bei einem Knechte Wünsche sich bilden und wie ein rechter Meister sie ins Leben setzt


So vergingen Uli einstweilen die Heiratsflausen und er ward wieder der recht emsige Knecht, der seinem Dienst alle Aufmerksamkeit widmete. Seine Rosse waren die schönsten weit[126] und breit, die Kühe glänzten, und einen solchen Misthaufen hätte er noch nie gehabt, sagte der Meister. Wenn es einer verstehe, so könne er mit dem gleichen Stroh fast ds Halb mehr Mist machen als ein Anderer, das sehe man hier. Aber er hätte schon Knechte gehabt, gäb wie er es ihnen gesagt habe, sie seien in ihrem Trapp fortgefahren und hätten gelächelt in den Maulecken. Es mach ihn aber auch nichts täuber als so ein ybildisches Bürschchen, das nichts verstehe und sich doch nicht wolle brichten lassen, das meine, der Meister habe zu seiner eigenen Sache nichts zu sagen. Das seien die, wo in Gottsnamen nichts lernten und ihrer Lebenlang gleich dumm blieben, wo zuletzt niemand gerne als Tauner brauche für zehn Kreuzer des Tags. Uli fliß sich aber auch zu allen Arbeiten außer dem Hause. Im Fahren war er ein Meister, und seine vier Rosse zogen so satt und gleichlig an, wenn er die Geißel hob, daß sie wenigstens ein Drittel mehr als andere ab Platz zogen; ja soviel der Wagen tragen mochte, zogen sie, sie ließen nichts stehen. Er hielt Pflug trotz einem alten Bauer, und mit Säen mochte ihn nicht bald einer. Selbst das kleine Gsäm, Klee, Flachs usw., konnte ihm der Meister zu säen überlassen, und die Meisterfrau sagte: Sie sehe fry keinen Unterschied, wenn dr Johannes säe oder dr Uli. Der Meister sagte manchmal, das gehe aufs Haar ganz gleich, sei er daheim oder nicht, und man wisse gar nicht, wie viel wöhler man sei, wenn man einen Knecht habe, dem es am Dienst gelegen sei und dem man etwas anvertrauen könne, als wenn man so einen Stopfi habe, dem nichts in Sinn komme als heute eine Unfläterei und morgen eine Lümmelei. Er habe das schon Manchem gesagt, dann habe man ihm geantwortet: »Du hast gut krähen, du vermagst Lohn zu geben; üsereim muß Zinsen geben, da vermögen wir nicht vierzigkrönig Knechten, wir müssens mit mingere machen.« Dann habe er ihnen gesagt, wenn sie doch rechnen wollten, so würden sie finden,[127] daß die wohlfeilsten Knechte die teursten seien; aber das hätten sie nicht fassen wollen.

So predigte Johannes oft und war stolz auf seinen Knecht Uli hatte nach und nach bis auf vierzig Kronen Lohn erhalten und von diesen wenigstens zwanzig vorgespart, und doch war er stolz gekleidet und hatte mehr Hemder, und zwar gute, als mancher Baurensohn. Er hatte viel über hundert Kronen in der Kasse und sah sich bereits für einen vermöglichen Mann an. Doch wie oft mit dem Essen der Hunger kommt, so kömmt oft mit dem Huslichwerden, mit dem Vermögengewinnen die Ungeduld. Es scheint viel zu langsam zu gehen; es dunkt einem, es sei nicht zu erwarten, bis etwas Erkleckliches beisammen sei, und das müsse anders gehen. Das ist ein eigen Kapitel über diese Krankheit, die alle mehr oder weniger ergreift, die zu einigen eigenen Kronen kommen und denen der Gedanke geboren worden ist, vermöglich zu werden. Sie ergriff auch Uli, und es dünkte ihn von zweien eins: entweder sollte er etwas Eigenes anfangen oder noch mehr Lohn zu machen suchen; so sechzig Kronen, dünkte ihn, sollte er an einem Orte darnach wohl zu erhalten imstande sein, und wenn er einen guten Platz als Stallknecht bekommen könnte, so könnte er leicht auf hundert Kronen kommen. Es reue ihn freilich, da fort, dachte er, und es seien ihm alle lieb, aber es müsse ein jeder für sich selbsten auch sehen.

Der Meister sah diese Krankheit und merkte sie aus einzelnen Äußerungen, aber er zürnte nicht darüber. Er war nicht von denen einer, die glauben, wenn sie einem Dienstboten Gutmeinenheit zeigen, so solle derselbe dafür ein lebenslängliches Opfer bringen, das heißt ihnen um einen Lohn dienen lebenslang, der ihren Kräften nicht angemessen ist. Wohlverstanden, ich rede hier nicht von der Sucht der meisten Diensten, alle Jahre weiterzuziehen um ein, zwei Kronen Lohn[128] mehr, wobei sie gar nichts in Anschlag bringen, weder ihre Fähigkeit noch die ihrer wartende Arbeit noch den sittlichen Namen, den sittlichen Schutz eines Hauses. Das Bewußtsein, etwas Gutes an einem getan zu haben, ist auch ein Lohn, und jedenfalls genießt man einige Zeit lang den besser gewordenen Menschen. Aber dann gehe man nicht zu weit. Kann man denselben bei sich nicht seinen Kräften angemessen stellen und lohnen, so sei man ihm nicht selbstsüchtig vor seinem Weiterkommen, sondern setze sein Werk also fort, daß man ihm selbst weiterzuhelfen, ihn recht zu stellen sucht; dann hat man für zeitlebens ein dankbares Herz, einen Freund gewonnen.

So recht klar sah Johannes das gleich anfangs nicht ein, und es wurmte ihn, daß er Uli für einen Andern erzogen haben sollte; aber er ließ es sich nicht merken und kam endlich doch zum Schluß: »Entweder mußt du ihn belohnen, bis er zufrieden ist, oder ihn gehen lassen.« Als daher Uli in seinem zum Meister gewonnenen Vertrauen ihm einmal eröffnete, er wisse nicht recht was anfangen, ob etwas kaufen oder mieten oder was, so konnte derselbe ohne Bitterkeit ihm raten. »Ich begreife es,« sagte er, »daß du nicht immer bei mir bleiben kannst; du bist jung und mußt deine jungen Jahre brauchen, und dir mit dem Lohn noch viel nachezmache, gruset mir auch, wenn es mir vielleicht schon nützlicher wäre. Aber was denkst du ans Kaufen oder Empfangen? Was willst du mit deinen hundert Kronen anfangen? Etwas Großes ist nicht möglich, da sind hundert Kronen grad wie nichts. Und wenn man nicht auch etwas Geld in den Fingern hat, so kann man gar nichts zwängen und ist immer am Hag. Man muß alles wohlfeiler verkaufen denen, die bar zahlen und die es wohl merken, wenn einer Geld haben muß; man kann nie warten, bis es die rechte Zeit ist. Dagegen muß man alles teurer kaufen von denen, die es einem dings geben; man kann sich nie[129] wehren, ist immer im Hinterlig, bis man die Beine ob sich kehren muß. Noch schlimmer ist es mit etwas Kleinem. Es gruset mir allemal, wenn ich jemand so an ein kleines Heimwesen sich hängen sehe, wo man alles, was darauf wächst, librement selber braucht; woraus soll man den Zins geben? Die Kuhheimetli sind zum Kaufen und Empfangen weitaus die teuersten; auf solchen gehen die Meisten zugrunde, wenn sie den Zins innerhalb des Hages nehmen müssen. Wo ein Gewerbe dabei ist oder sonst ein anderweitiger Verdienst, da ist es ein Anderes. Mit deinem Gelde kannst du keines zahlen, hast höchstens für die Bsatzig; was willst du darauf anfangen? Nein, dafür habe noch Geduld; du kämest um deine Sache, ehe du daran dächtest. Aber wenn ich etwa einen Platz vernehme, wo du recht Lohn machen kannst, so will ich dir nicht davor sein. Öppe nit Stallknecht, da gibt es gerne böse Alter; dr Gliedersucht oder dr Wysucht entrinnt öppe nit menge. Du reust mich freilich; aber ich kann doch nicht klagen, daß du öppe grad fort gewollt hast und öppe uverschant mit dem Lohn gewesen seiest, daß du nicht öppe eingesehen, daß du mir auch etwas zu verdanken hättest. Du bist nun bald zehn Jahre bei mir, und so habe ich allerdings auch deine Besserung zu Nutzen gehabt. Zähl darauf: wenn mir etwas anläuft, so will ich an dich sinnen. Du kannst selber auch nachsehen, nur sag es mir immer öppe i dr Zyt.« So offen redeten Knecht und Meister miteinander; sie mochten sich das Maul gönnen, und es war Keinesten Schade.

Herbst war es. Voll Obst hingen die Bäume, voll Kühe waren die Matten, voll Erdäpfelgräber die Äcker, voll Eichhörnchen die Birnbäume, voll Jäger die Wälder, voll Wirte das Weltschland. Der Johannes hatte den Zug heimgebracht vom Felde und stopfte auf der Bsetzi die Pfeife, um sie auf dem Bänkchen zu genießen vor dem Nachtessen; seine Frau kam eben aus dem Keller, wo sie Obst auf die Hürde hatte schütten[130] lassen, und sagte, schwer Atem schöpfend: »Sag, Johannes, ich weiß einmal nicht was anfangen; drunten sind schon fast alle Hürden voll hochauf, und es hangen noch fast tausend Körbe voll; du mußt sehen, daß da etwas geht, so kann es nicht länger bleiben; wenn es schon fast nichts giltet, so ist neuis doch immer besser, als es la zSchange gah zUnnutz. Der liebe Gott hat es wachsen lassen, und da muß es für neuis gebraucht sein.« »Ich möchte mich nadisch nicht versündigen, Frau,« sagte Johannes, »ich habe auch schon daran gedacht. Willst morgen mit zMärit? Ich habe allerlei zu tun, sollte für eine Kuh sehen, sollte auf den Metzger luegen, der mir das Kalb noch nicht bezahlt hat, und hätte noch neuis z'rede mit einem Schreiber wegen Gemeindssachen, und da hab ich gedacht, es sollte sein, daß ich zMärit gehe. Da kann ich nach, sehen, ob so ein Essig- oder Brönzmacher sie gleich alle miteinander wolle.« »Eh, was sinnist, Johannes, wie könnte ich zMärit! Ich will von allem andern noch nichts sagen, aber wir haben die Schneider auf der Stör; denk doch, was das sagen will! Da müßte ich Tuech füregä u Fade für e ganze Tag! He nu, ih chönnt wohl füregä un es wär ne viellicht ds Rechte; aber vo wegem Tuech u Fade denke ich doch, ich verdiene am meisten daheim. U de lan ih dJumpfere u dSchnyder o nit gern alleini daheim, das chönnt arig gah. Aber gang du und nimm Roß und Wägeli und nimm ein Füderli Äpfel mit!« »O Frau, das trägt nichts ab«, sagte Johannes. »Morgen ist der ganze Märit gstacket voll. Ein jeder bringt ein Füderli und man löset nicht, was Roß und Wagen versäumen und vertun. Aber Roß und Wägeli will ich doch nehmen. Es ist mir zwider, zu laufen; es ist mir gar in den Beinen, und morgen können wir doch nicht zAcher fahren. Es muß Mist geführt sein, und da kömmt man mit drei Rossen so weit als mit vieren. Man kann nicht laden, der Boden ist zu naß.« »Du hast recht, daß du fährst. Aber da mußt du[131] mir doch eine Ankenballe mitnehmen, ich will gleich noch anken lassen. Ich kann dann den Schneidern morgen im halben Tag einen Ankenbock geben. Es ist ihnen seltsam und macht öppe, daß si mr minger zMittag esse. Es isch i Gottsname ke Sege i nüt, wenn die da sy.«

»Uli,« sagte am Abend der Meister, »mach mir doch morgen den Blaß zweg und bürst mir das Wägeli ein wenig, man hat es lange nicht gebraucht. Ich mag, weiß Gott, nicht mit einem Wägeli fahren wie die Oberaargauer und die Bauren um Bern; so ferndrigen Dreck an den Rädern, an den Speichen und an der Nabe und Gras in den Spälten. Es meint einem, sie könnten keinen Wagen waschen. Das muß sufer aussehen um ihre Häuser; da wird man wohl noch nach fünfzig Jahren dem Großätti sein Ghüder und Gfräß ums Haus herum finden, damit, wenn er wiederkäme, es ihn heimelete.« Da lachten die Schneider, und jeder wußte dem Johannes zu Lieb und Ehr etwas von den Bauren um Bern herum.

Am Morgen stund der stattliche Blaß und das saubere Bernerwägeli vor dem Hause. Die Bäurin legte dem Johannes noch das Halstuch um, machte ihm den Hemdekragen zu, recht, wie sie meinte, daß er ihm am besten stehe, steckte ihm ein Nastuch in die Tasche, nachdem sie es aufgemacht, um sich zu vergewissern, daß nicht etwa ein Loch darin sei, fragte ihn: »Hast du jetzt alles?« Und als Johannes nach allen Säcken griff, fehlte ihm noch Schwamm, den die Frau ihm aus der Küche holte. Draußen war der Anken zweg in einem Bogenkorbe und mit einem schönen weißen Zwecheli mit roten Strichen bedeckt. Johannes setzte sich auf, nachdem er dem Uli die nötigen Anweisungen eingeschärft; hinter ihm war die Bäurin und gab ihm den Anken hinauf und sagte: Er könne ihn einstweilen auf den Sitz stellen; aber wenn eine Hübsche und Muntere ihn ums Reiten frage, so solle er es ihr nicht etwa absagen, sie sei nicht so schalus wie die Gufebüri,[132] die apartige Leute bestelle und bezahle, welche ihr aufpassen müßten, mit wem ihr Mann geritten sei, daß sie es allemal wüßte, ehe er noch heim wäre. »Komm aber notti nicht z'spät heim,« sagte die Frau, »und bring den Korb und das Zwecheli wieder mit! Hast jetzt alles?« »Ja,« sagte Johannes, »bhüet ech Gott und heyt guet Sorg zu enangere! Hü i Gottsname!« Der Blaß schritt stattlich vor, und Uli stund im Wege und die Bäurin auf der Bsetzi und sahen dem stattlichen Meister nach. Nach hundert Schritten, eben als Uli umkehren wollte dem Stalle zu, hielt der Meister. »Lauf gschwing, Uli,« sagte die Frau, »er hat etwas vergessen. Es nimmt mich nur wunder, daß der nicht einmal dr Gring am ene Ort vrgißt; e vrgeßlichere Mönsch gits nit,« brummte die Bäurin, während Uli lief und den Bescheid vernahm, der Meister hätte im Stübli auf dem Tischli noch Schriften vergessen; die Frau solle ihm sie geben, er hätte sie zweggelegt. Von weitem schon vernahm die Frau den Auftrag und brachte sie dem Uli. Nun fuhr der Meister fort und kam aus den Augen, und als die Frau in die Stube ging, abzuräumen, sagte sie zu sich selbst: »Ich bin allemal froh, wenn er einist fort ist; man hat immer nur mit ihm zu tun, er kann nie fortkommen, und doch hat er immer noch etwas vergessen.«

Unterdessen fuhr Johannes dem Märit zu. Seine Augen betrachteten allenthalben den Stand der Herbstarbeit, die Kornäcker, die gesäet waren, die Erdäpfel, die noch auszumachen waren; übersah die Bäume, wie sie behängt und ob nicht hier oder da eine schöne Sorte sei, die er noch nicht besitze.

Er sah vor sich mit einem schweren Korb am Arme mühsam ein schlank Weibchen gehen, die zuweilen ein rosiges Gesicht zurückdrehte. »Hü, Blaß,« sagte er, »spring es bitzeli!« Aber kaum war der im Zuge, so zog der Meister das Leitseil wieder an und frug: »Anne Meieli, wottsch öppe ryte?« Und Anne Meieli stund still und sagte: »Gar gern, wes dih[133] nüt irrt; es het mih scho vo wytem düecht, es sott dih sy und wed mih heißist cho, su wells dr nit absäge.« »So gib mir dein Körbchen,« sagte Johannes, schlug den Fußsack zurück, versorgte die Körbchen unten im Gestell und bot dann dem Weibchen die Hand, während er mit der andern den Blaß mühsam zügelte. »So,« sagte Anne Meieli, »jetz wär ih dobe, es isch mr viel z'guet gange. Mein Korb hätte mich würden plagen, wenn ich ihn hätte tragen müssen bis hinein. Aber ich habe viel zu kaufen, und da habe ich gedacht, ich wolle einmal nehmen, daß ich etwa lösen könne, was ich brauche.« »Ihr werdet kein Geld mehr haben daheim!« sagte Johannes. Selb nicht, sagte Anne Meieli, eine junge, tätige Nachbarsfrau, aber es düechs geng, solange man etwas zu verkaufen habe, das einem nichts abtrage, so solle man verkaufen und nicht das Geld, das man habe, wiederum aus dem Hause tragen. »Für son e Jungi,« sagte Johannes, »bist du nicht die Letzte.« Oh, sagte Anne Meieli, es sei nicht gesagt, daß die Ältesten immer die Besten wären und die Witzigsten; wenn manche Junge machen könnte, was sie wollte, es würde noch an manchem Orte besser gehen. Nit, sie wolle aparti nicht klagen; aber es hätte sie schon manchmal düecht, ihres Manns Mutter hätte einen Brauch, es wäre besser, er wäre nicht. Aber sie sage nichts, man könne alte Leute nicht anders gewöhnen, und es sei ein Söhniswyb geng dumm, wenn es alles nach seinem Brauch machen wolle. Wenn man jung sei, so könne man sich am besten leiden; wenn man einst alt werde, so hätte man es auch nicht gerne, wenn so eine Junge käme und alles besser machen wollte. Johannes antwortete darauf, wie es einem solchen Manne anständig war.

Unter solchen Gesprächen fuhr man durch die sich mehrende Menge von allerlei Geschöpfen, grüßte links und grüßte rechts, und Anne Meieli machte ein recht glückliches, fast stolzes Gesicht auf dem schönen Wägeli und neben dem tollen[134] Mann. Endlich angelangt, sprang Anne Meieli zuerst herab, empfing die beiden Körbchen und sagte: Wenn er seins ihm anvertrauen wolle, so wolle es seinen Anken auch verkaufen, es gehe ihm in einem zu und es wolle es machen, so gut es könne; es wisse wohl, daß die Männer mit dem nicht gerne zu tun hätten. »Anne Meieli,« sagte Johannes, »du tust mir einen großen Gefallen, aber ich will dir die Körbchen tragen bis auf den Ankenmärit. Ich mag die besser als du.« Anne Mareili machte Komplimente, indessen es ließ es geschehen, und Johannes fragte ihns noch, wann es wieder fort wolle? Es solle mit ihm heimreiten, er wolle auch nicht spät sein. Es könnte ihm doch zu lange gehen, sagte Anne Mareili. Er solle sagen, wo es ihn antreffen könne so um Mittagszeit. Es wolle ihm dann das Geld bringen, und da könne man immer noch luegen, ob es sich schicken wolle.

Johannes ging seinen Geschäften nach, tat dieses ab und jenes, und bald war es Mittag. Da schiens ihm in dichtem Gedränge, er höre rufen hinter sich: »Vetterma, los neuis! Johannes, wart doch!« Endlich stund er still, sah um sich, wollte wieder gehen, hörte wieder rufen, stund wieder still, bis ein altes, schitteres Mannli sich zu ihm durcharbeitete und keuchend sagte: »Ich habe geglaubt, ich bringe es nicht zweg, bis zu dir zu kommen, Vetter Johannes.« »Eh Gottwilche, Vetter,« sagte Johannes. »Ich hätte eher an den Tod gedacht als an Euch, was bringt Euch hier zMärit so weit?« »Gerade deinetwegen komme ich,« sagte er; »ich habe neuis mit dir zu reden, wenn du der Zeit hast, mir abzlose.« »Warum nit, Vetter, saget ume.« »Hier nicht,« sagte er, »hier schickt es sich mir nicht; aber wenn wir etwa an einen Ort könnten, wo wir ein rühig Stübli haben könnten, wo nit alles zuechelauft, so wär es mir anständig. Aber ich bin hier gar nicht bekannt.« »Kommet nur, Vetter, ich weiß schon, wo wir hin wollen. Da, wo ich eingestellt habe, da gibt uns die Wirtin schon ein[135] Stübli; es ist noch von weitem meine Base, und wenn ich etwas möchte, so ist es nie Nein, wenns einmal z'mache ist.« Es ging nicht lange, so saßen sie in der freundlichen Wirtin Schlafstübli, nachdem die viel Entschuldigung gemacht, daß sie kein anderes habe; aber es sei heute alles voll, es düech se, noch nie so. Hier seien sie ruhig, und womit sie aufwarten könne. »Denk emel afe mit ere Halbi und dann, wanns Zeit ist, auch etwas zMittag.« »Was begehret ihr z'esse und was für Wein soll ich bringen?« »Bring guete und z'esse, was dr öppe heit; aber emel lings Fleisch, ich kann gar nichts mehr daran machen, wenns nicht gut gchochet ist. Allbets isch es mr öppe glych gsi; aber ih spüre ds Alter a alle Orte, und es düecht mih mengisch, wenn ih ume nimme wär!« »He, Vetter,« sagte Johannes, »man siehts Euch noch gar nicht an, und wenn Ihr so klagen wollt, was sollen wir Andern dann sagen, wo wir nicht den Zehnten Sachen haben, wie Ihr habt?« »Los, Vettermann, auf den Reichtum kömmt es nicht an, das erfahre ich alle Tage, und das ist gerade, was mir Kummer macht, und deswegen kam ich heute, um mit dir zu reden. Du weißt, ich habe ein großes Wesen und muß eine große Kuppele Leute haben, um es zu arbeiten. Meine Alte und ich sind schitter und mögen nicht mehr nach. My Bueb, der Johannes, ist zu vornehm geworden im Weltschland für auf dem Land zu arbeiten, dem mußte ich ein Wirtshaus kaufen; den kann ich nichts rechnen, als daß er hie und da kömmt, wenn er Geld nötig hat oder etwas anderes. Meine Tochter ist hell nichts. Die hat geglaubt, sie käme gegen den Bruder zu kurz, wenn sie nicht auch ins Weltschland könnte. Und jetzt ist sie, helf mir Gott, nüt angers als es Schlärpli und lismet öppe dem Schatten nach, wird bleich wie ein weiß gewaschenes Tuch, daß es eim übel gruset, und meint, wenn sie etwas anrühren solle, me well se hänke. Du kannst dir vorstellen, wie das nun geht bei der Kuppele Leute, die ich haben muß. Da flökt Eines[136] hier aus, das Andere dort aus, die Sache wird nur halb gwerchet, das Land wird alle Jahr schlechter, der Hof trägt mir fast nichts mehr ein, und was es noch gibt, geht in den Kosten auf. Ja, weiß Gott, wenn ich nicht noch Gülti hätte, ich könnte es nicht mehr machen bei einem solchen Hof, wo vielleicht nicht ein Dutzend sind im ganzen Bernbiet. Ich habe geglaubt, ich hätte einen guten Meisterknecht, und hab ihm alles anvertraut. Er ist eilf Jahre bei mir gewesen, und ich hätte ein Haus auf ihn gebaut, so hat er mir reden können. Und jetzt, was macht er mir? Verkauft mir der Hundsbub nicht sechzig Mütt Korn, und der Müller zahlte mir nur fünfzig, und den Rest teilen die Schelmen miteinander, und das ist schon mehr so gegangen. Es hats mir endlich ein Tauner verraten, dem ich Götti bin. Er könns nicht mehr übers Herz bringen, wie es mir gehe, hat er gesagt; er müsse mir etwas sagen, aber ich solle ihn dr tusig Gottswillen nicht verraten. Und das haben alle gewußt und niemand mir etwas gesagt, weil alle das Gleiche treiben; da kannst du wohl denken, wie es mir geht. Was soll ich anfangen? Verkaufen will ich nicht, gäb wie es der Sohn meint. Der könnte noch einmal froh über den Hof sein, oder wenigstens seine Kinder. Lehenmann mag ich auch keinen. Da hätte ich gar nichts zu befehlen, und der Hof käme vollends in Abgang. Und du magst mirs glauben oder nicht, ich kann nicht ruhig sterben, bis der öppe wieder im Gang ist. My Vater hat mir ihn gut im Stand übergeben. Wie dürfte ich wieder zu ihm kommen, wenn ich schlecht hinterlassen würde, was er mir gut übergeben? Ich möchte einen Meisterknecht, aber recht einen hauptäntischen, an den ich kommen könnte, der alles wohl verstünde und dem ich trauen dürfte. Aber er müßte aus einer andern Gegend sein; bei mir herum ist alles unter einer Decke, und sie betrachten mich alle wie die Adler das Aas, noch ehe ich gestorben bin. Da habe ich gedacht, vielleicht könntest du mir am besten zu[137] einem verhelfen, und darum bin ich expreß hiehergekommen; ich habe gedacht, ich treffe dich an. Auf den Lohn käme es mir gar nicht an; ich wollte einem sechzig Kronen geben, wenn es sein müßte, ja hundert Kronen reuten mich nicht, wenn ich einen kriegte, wie ich ihn haben wollte.«

Unterdessen war Johannes ganz still gesessen, und auch als der Vetter ausgeredet hatte, antwortete er nichts. Die Wirtin kam darauf herein, deckte ihnen dar und brachte Essen und sagte: Sie müßten heute vorlieb nehmen, wie es komme, so an einem Märit könne man es nicht immer geben, wie man es gerne möchte; sie wüßte nicht, wie die Suppe öppe wäre, sie hätte zwar ausgelesen so gut möglich. Der Vetter redete allerlei mit der Wirtin. Johannes sagte nicht viel dazu. Es kam eine Magd herein und fragte, ob der Bodenbauer da sei, es frage ihm draußen eine Frau nach. Er werde etwas Bestelltes haben, spöttelte die Wirtin. Die Magd sagte, es sei einmal eine Hübsche. Sobald Johannes draußen war, sagte der Vetter: Ob denn der so einer sei? Er hätte das nicht von ihm geglaubt. »Bhüetis,« sagte die Wirtin, »da ist nichts Böses, das ist von den Brävsten einer. Es wird öppe eine sein, die mit ihm heimreiten will.« Johannes brachte die Körbchen herein und bestätigte der Wirtin Meinung und sagte, es sei eine Nachbäurin gewesen, die ihm seinen Anken verkauft habe. Sie habe nicht warten wollen und wolle mit einem Andern heimreiten, wenn es sich schicke. Das sei ihm leid, wenn er im Weg gewesen sei; es hätte ihn schon lange düecht, er erwarte jemand, er habe ihm nur halb zugehört und noch keine Antwort gegeben. »Bhüetis, Vetter,« sagte Johannes, »da seid Ihr letz dra; wißt Ihr, was ich gesinnet habe und warum noch keine Antwort gegeben? Es ist mir etwas im Sinn herumgegangen, und es hat sich bei mir gwerweiset, ob ich es Euch sagen wolle. Ich will es jetzt fry graduse bekenne. Ich hätte gerade so einen Knecht, wie Ihr ihn mangelt, aber er reut mich; ich kriege[138] einen solchen nicht bald wieder, und doch möchte ich nicht vor seinem Glück sein.« »Das wäre!« sagte der Vetter; »aber warum willst du ihn fortlassen, was scheust du an ihm?« »Gar nichts,« sagte Johannes, »er ist mir gerade recht, und ich wünsche mir keinen bessern; allein er trachtet nach großem Lohn, und er verdient ihn auch. Er kann einem Bauernwesen vorstehen mit Arbeiten und Handeln wie der beste Bauer, und dazu ist er fromm, man könnte ihn in Königs Schatzkammer lassen, er würde um keinen Kreuzer betrügen, da ist alles sicher vor ihm.« »Das wär mir afe,« sagte der Vetter; »grad so einen möchte ich. Und was meinst du, käme mir der um vierzig Kronen? Das ist ein schönes Geld.« »Gerade so viel gebe ich ihm selbst,« sagte Johannes; »Vetter, wenn Ihr den wollt, so kostet er sechzig Kronen und keinen Rappen weniger.« »Ist er dir verwandt?« fragte der Vetter. »Nein,« sagte Johannes, »er ist ein armer Bursch gewesen, wo er zu mir gekommen ist.« Noch ein gar langes Examen stellte der mißtreue Vetter an, bis er sich endlich entschloß, mit Johannes heimzufahren und den Knecht selbst ins Aug zu nehmen. Johannes war fast reuig, daß er etwas gesagt.

Bald befahlen sie anzuspannen, und der Vetter bezahlte die ganze Ürti, geb wie Johannes sich wehrte. Als sie hinunter, kamen, kam Anne Meieli wiederum daher und sagte: Da sei es ihm schön ergangen, der Burri Uli hätte ihm versprochen, ihns mitzunehmen, er wolle nur noch eine Verrichtung machen, es solle hier warten. Es habe nun gewartet, ihn noch gesucht und könne ihn nirgends finden, und wenn es jetzt heim, laufen müsse, so komme es, es wisse niemand wann, heim; es schäme sich schon jetzt, so lang auf dem Märit zu sein. Johannes sagte, der alte Platz warte ihm noch, und so fuhren sie fort, Johannes voran, der Vetter in seinem schönen Reitwägeli hintendrein. Er dachte allerlei, so allein fahrend, und als sie noch etwa eine Stunde vom Bodenhof waren, rief er[139] Johannes: Ob nicht im nächsten Dörfchen eine Schmiede sei, er müsse ein Eisen festschlagen lassen, er verliere es sonst. Johannes sagte: Ja, und er wolle ihm warten, es sei gleich dabei auch ein Wirtshäuschen. Aber der Vetter wollte nicht. Die Frau pressiere, sagte er, und es sei nicht der wert einzukehren, er komme gleich nach.

So fuhr Johannes voraus; Joggeli, der Vetter, gar langsam nach, ließ beim Wirtshaus ausspannen und zum Schein einen Nagel einschlagen. Beim Ausspannen frug er den Stallknecht, was das für ein Bauer sei, der da vor ihm hergefahren? Ob das seine Frau sei, »Nein,« sagte der Stallknecht. »Sie werden einander sonst lieb haben,« meinte Joggeli. Er wisse nichts Apartigs, er hätte von Beiden nichts dergleichen gehört, sagte der Stallknecht. Er hätte gar ein braves Roß im Wägeli gehabt, sagte Joggeli, er mangelte schier so eins und hätte auf dem Märit nichts Anständiges gefunden; ob das wohl dem Bauer feil wäre und ob er noch mehrere hätte? Der hätte einen ganzen Stall voll Roß, sagte der Stallknecht. Da finde man selten die besten Rosse; wenn man so viel habe, so werde gewöhnlich schlecht gefüttert und schlecht zu ihnen gesehen, warf Joggeli ein. Das sei da nicht der Fall, antwortete der Stallknecht; der Bauer täts nicht so, das sei einer von den Mehbessern, und dann hätte er einen bsonderbar guten Knecht, es gäb weit und breit keinen solchen. Joggeli schwieg, ließ den Stallknecht das Pferd besorgen, ging in die Stube und fing dort fast das gleiche Examen an, während er seinen Schoppen trank, nur mit ganz andern Wendungen, kam aber am Ende aufs Gleiche heraus: daß sein Vetter Johannes ein gar braver Mann sei, soviel me emel wüß, seine Gefährtin ein ehrbares, unbescholtenes Weib, und daß der Bodenbauer allerdings einen berühmten Knecht hätte, den ihm schon Mancher gerne abgedinget hätte; aber der Meister und der Knecht seien gar bsunderbar wohl für einander, die ließen nicht von[140] einander. Ob es denn nicht kurzum etwas zwischen ihnen gegeben habe, frug Joggeli. Gar nichts, daß man wisse; sie hätten erst am Sonntag hier miteinander eine Halbe getrunken, daneben wüßten sie nichts Genaueres, erhielt er von den Wirtsleuten zur Antwort.

Unterdessen war Johannes heimgefahren, hatte Anne Mareili bis zum Hause mitgenommen, und als die Frau zum Wägeli kam und die Geißel abnahm, sagte Johannes: »Jetz, Frau, magst recht freini sein, sonst will Anne Mareili bei mir bleiben.« »Da werde ich anwenden müssen,« sagte die Bäurin freundlich, nahm auch die Körbchen ab, hieß Anne Mareili hineinkommen, sie hätte Kaffee zweg und tät es nicht anders, als daß Anne Mareili ein Kacheli nähme. Anne Mareili wehrte sich, sagte, es werde daheim auch finden, sagte, es hätte schon früher absteigen wollen, es wüßte Weiber, es wollte nicht um zwanzig Batzen mit ihren Männern bis zum Hause fahren. »Hast du geglaubt, ich sei son e Schalusi?« sagte die Bäurin lachend. »Nein, da bin ich zu alt dazu. Nit, ich will nicht sagen, daß es nicht auch eine Zeit gegeben habe, wos mr vrflüemeret i Kopf cho ist, wenn dr Johannes eine Andere angesehen hat; selbist het es mih düecht, er sollte alle Andern angrännen, nur mich nicht. Aber das vergeht einem so nach und nach, wenn man sieht, daß man keine Ursache hat, schalus zu sein.«

Das gab zu einigen Geschichten Anlaß von schalusen Weibern, bis die Bäurin auffuhr und fragte: »Was kommt dort für ein Reitwägeli gegen das Haus?« »Tüfel abenandere, das ist dr Vetter us dr Glungge, er kommt zu uns zum Übernachten,« sagte Johannes. »Und sagst einem nichts, du bist mir doch einer! Was will der, daß der kömmt; der ist ja viel Jahr nie dagewesen?« »Du wirst es schon erfahren,« sagte Johannes, und Anne Mareili nahm Abschied und ging am herbeifahrenden Vetter vorbei.[141]

Beim Hause stund alles zweg, den Vetter zu empfangen, der etwas schlotternd und mühselig vom Wägeli stieg, während Uli herbeisprang, das Roß abzunehmen. »Reib es mir doch ein wenig ab,« sagte Joggeli, »und gib ihm nicht gleich zu saufen, es hat warm. Ihr füttert doch Dürrs?« fragte er den Johannes, und erst, als er über alles beruhigt war, ging er auf seinen wackeligen Beinen ins Haus. Kaum war er abgesessen, so fragte er: »Ist das ne gsi?« »Ja,« sagte Johannes. »Er düecht mih no wohl junge und gar so lüftig.« »Er ist bald dreißig,« sagte Johannes, »und e Gleytige, das ist wahr; aber es ist kommöder so, als wenn er nicht fürers möcht.« Mit dem ging er in den Keller und holte Wein und Käs, und im Vorbeigehen in der Küche frug ihn die Frau: »Was hat der nach Uli zu fragen, was wott der mit Uli?« »Ich habe jetzt nicht Zeit, es dir zu sagen,« antwortete Johannes, »komm herein, du wirst es dann schon hören.« »Was hats dem Johannes gä?« dachte die Frau, »er ist ganz wunderliche, und so agschnellt hat er mich jetzt lange nie.« Darinnen fing der Vetter wiederum an, sein Leid zu klagen und wie sie arme, beschissene Leute wären, und kaum war Johannes hinaus, um das heutige Tagewerk zu überschauen, so fragte er: »Base, was ist mit Eurem Knecht, dem Uli? Dr Johannes wett mr ne gä für Meisterknecht.«»Das wird öppe nicht sein!« fuhr die Bäurin auf, »dr Uli ist der beste Knecht, den man weit und breit antrifft, wir haben noch nie so einen gehabt.« »So?« sagte der Vetter, »aber wie hat ers denn mit dem Weibervolk? Es hat mir geschienen, er sei gerade so einer, wie sie am schlimmsten seien.« Es wäre gut, sagte die Frau, wenn es keine Schlimmern gäbte; er sei mehr als ein Jahr zNacht nie aus dem Hause gewesen. »So, so,« sagte der Vetter. »Dr Johannes ist da mit einem lustigen Wybli heimgeritten und hats bis zum Haus gebracht, wie ich gesehen; wer ist das gewesen?« »Das ist unsere Nachbäurin, es hauptäntisch bravs Fraueli, und sie ist bsunderbar[142] wohl für mich. Es ist ds einzig Hus, in das ich so jeweilen gehe.« »So, so,« sagte der Vetter, »dr Uli war Euch denn mit Schein nicht erleidet?« »Wer sagt das?« fragte die Frau; »der Johannes wird doch nicht so dumm sein und den Uli fort, tun wollen, da wollte ich auch noch ein Wort dazu sagen.« Mit dem kam Johannes wieder herein, redete von Gleichgültigem; die Frau ging hinaus, und der Vetter sagte: »Sag, Vetterma, es düecht mih, dy Frau könn es bsunderbar gut mit Uli und er sei ihr gar wert.« »Ja,« sagte Johannes, »es ist ihr noch Keiner so wert gewesen; über all hat sie mir immer zu klagen gehabt, aber seit manchem Jahr über den kein Wort. Es ist ein ganz anders Dabeisein.« Es schade dann vielleicht nicht, wenn sie auseinanderkämen, sagte Joggeli. Bhüetis, er wolle damit nichts Böses gesagt haben; aber es sei doch nicht allemal gut, wenns dWyber und Knechte zu gut miteinander konnten. Oh, das mache nichts, sagte Johannes, wenn es da, bei die Weiber noch besser mit den Männern könnten als mit den Knechten. Und das sei bei ihnen so. Er und seine Frau seien einig, und keins mache eine Partei weder gegen die Kinder noch gegen die Diensten, und seit einiger Zeit seien sie auch mit ihren Diensten einig, und die machen keine Partei gegen sie unter sich, und so befänden sie sich bsunderbar gut dabei. »Ich weiß neue nit,« sagte der Vetter; »wenn sie zu einig sind, so hat sich sonst der Meister zu klagen. Wenn es allen gegangen wäre wie mir, so würde noch Mancher anders reden.« Die Bäurin konnte nicht ins Klare kommen, bis endlich bei Tische das Kapitel wieder auf Uli kam und sie sich überzeugen mußte, daß es Ernst sei mit dem Platz bei Joggeli. Da sagte sie: »Aber Johannes, sinnest auch, was du machst?« »Ich möchte dem Uli nicht vor seinem Glück sein,« antwortete er. »Es ist nicht immer alles Glück, was glänzt,« sagte sie halblaut und ging zur Türe hinaus. Da fing der Vetter an zu treiben, daß man den Uli hineinkommen heiße, er möchte[143] mit ihm reden, und Johannes meinte, das pressiere den Abend noch nicht; morgen wolle er ihm alles zeigen, und dann könne er noch immer machen, was er wolle. Aber der Vetter sagte, er müsse morgen zeitlich fort, wolle die Sache heute noch richtig machen, so könne er vielleicht wieder einmal gut schlafen; und Uli mußte herein.

Uli war ganz voll Gwunder, was er im Stübli solle, und stellte sich an der Türe auf. Der Vetter füllte sein Glas, brachte es Uli und sagte: »Tue Bscheid und chumm hock, ich möchte neuis mit dir reden.« Nun begann er, wie Johannes ihm Uli als Meisterknecht angeboten habe, wie er einen mangle, wie er einen schönen Lohn gebe und bei Zufriedenheit noch mehr nicht scheuen wolle. »Und wenn es dich gelüstet, zu kommen, so fordere Lohn; wir wollen es gleich miteinander richtig machen.« Uli war ganz verstummet. Endlich sagte er, es sei ihm hier nicht erleidet, er begehre gar nicht fort. Wenn der Meister meine, es sei sein Glück, so wolle er probieren, aber ungern. »Du kannst probieren,« sagte Johannes, »und wenn ihr nicht für enandere seid, so nehm ich dich wieder jede Stund.« »Und nun, was forderst du für Lohn?« »Der Meister soll für mich heischen,« sagte Uli. »Was düecht Euch: sechzig Kronen, zwei Paar Schuhe, vier Hemder und dann noch Trinkgelder?« sagte Johannes. Ihm sei es recht, sagte Uli, wie es der Meister mache. Es sei wohl viel, sagte der Vetter, und so für den Anfang hätte man es mit etwas Wenigerem auch machen können, indessen wolle er nicht märten. Nur mit den Trinkgeldern könne er nicht viel versprechen; für die Rosse nehme sie der Karrer, für die Kühe der Melcher, und sonst gebe es nicht viel. »He nun,« sagte Johannes, »so gebt Ihr am Neujahr noch einen schönen Kram, wenn Ihr zufrieden seid.« Das werde sich schon machen, sagte Joggeli; da hätte er fürs erste zwanzig Batzen Haftpfennig, und dann solle er ihm zur rechten Zeit kommen, um anzustehen. Somit[144] gab er Geld und Hand, und die Sache war abgetan, ehe Johannes und Uli es sich versahen und ehe die Bäurin ein Wort dazu sagen konnte. Er hätte gedacht, er wolle es heute noch richtig machen, sagte Joggeli, es hätte sonst vielleicht nichts mehr daraus werden können; man wisse nie, was es über Nacht gebe.

Und Joggeli, der alte Fuchs, hatte verdammt recht. Die Frau schwieg jetzt, sie fühlte, jetzt könne sie nicht mehr reden. Aber sobald Johannes neben ihr hinterem Umhang lag, so begann sie mit der Frage: »Aber sag mir auch, was sinnest du? Ich hätte nie geglaubt, daß du ein solcher Löhl wärest. Einen solchen Verdruß hast du mir nicht gemacht, seit wir verheiratet sind. Du bist viel fort, und wie soll es gehen, wenn Uli nicht mehr da ist? Der alte Verdruß kommt wieder an mich. Dem alte, wunderliche Narr, der niemand trauet und meint, alle Leute seien schlecht, den besten Knecht anzubieten! Man sollte dich my Seel vogten. Ich glaube, du bist voll gewesen, wo du das gemacht hast. Sag mir nur, was hast du auch gesinnet?« Aber Johannes, dem der Handel selbst übers Herz gekommen, wußte nicht viel zu sagen, seine Gründe schienen ihm selbst nicht mehr stichhaltig. Er wisse es selbsten nicht, seufzte er. Er habe geglaubt, dem Uli sein Glück zu machen. Knecht könne der auch nicht immer bleiben, und um etwas anzufangen, müsse er Geld haben, und einen größern Lohn zu geben, vermöge er nicht. Aber die Frau tat ihm alles durch und wollte von Glück nichts wissen, das Uli mache, daß sie ihm einen größern Lohn hätten geben sollen oder daß sie einen größern nicht vermöchten; kurz sie war zu einem eigentlichen Redhaus geworden und ließ Johannes in selber Nacht wenig schlafen. Auch Uli schlief nicht, er war auch halb reuig; nur der Vetter schnarchte behaglich, daß man meinte, es sprenge Laden an der Diele auf und Schindeln vom Dache.[145]

Am andern Morgen war alles wie verstört, aber dessen achtete Joggeli sich wenig; er machte, daß er fortkam, gab Uli noch einen Walliserbatzen Trinkgeld und fuhr vergnügt von dannen.

Uli hätte den Handel gerne aufgegeben, und auch die Frau Meisterin war der Meinung. Was frage man dem Vetter nach; man hätte ja sein Lebtag nichts von ihm gehabt und werde nichts von ihm haben, und er wohne ja sieben Stunden dadänne, man sehe ihn vielleicht in seinem Leben nicht mehr. Uli sagte, wenn er im neuen Dienst noch alleine wäre, so würde es ihm noch minder machen; aber daß er da drei, vier Knechte regieren solle, noch Jungfrauen dazu und Tauner die Menge, das gruse ihm. Er wisse wohl, wie er es mit denen bekomme. Sage er zu allem nichts, so sei er nur ihr Schuhwisch, und der wolle er nicht sein; wolle er regieren, so gäbe es Händel, er hätte lauter Streit und wisse nicht, wie dann der Meister ihn unterstütze. Es wäre wohl am besten, er schicke das Haftgeld zurück zu rechter Zeit. Aber Johannes war nicht dieser Meinung. Es wäre schlecht, einen fremden Menschen so anzuführen, geschweige dann einen Vetter. Es komme nichts von ungefähr, und man wisse nicht, wofür das gut sei. Gewöhnlich seien die Sachen, wo einem im Anfang am meisten zuwider seien, später einem die vorteilhaftesten. Jetzt müsse man der Sache ihren Lauf lassen, es werde öppe beidseitig gut gehen. Wenn Uli nur im Anfang recht süferli tue und suche, Boden zu bekommen, so werde sich alles machen. Hans, ihr zweiter Knecht, sei gut angeleitet und hätte vielen guten Willen; es wäre möglich, daß man mit ihm auch nicht schlecht fahren werde. Jedenfalls sei die Sache jetzt so, lasse sich nicht ändern; es wäre daher am besten, wenn man sich hineinschicken würde und so wenig als möglich davon redete.

So verstrich die Zeit, und Weihnachten nahte. Schneider, Näherinnen, Schuhmacher wechselten ab auf der Stör, und[146] wenn man es auch nicht sagte, so war es doch größtenteils Ulis wegen, dessen Kleider man alle in den besten Stand setzen ließ, fast wie einem Sohn, der in die Fremde will. Bald hatte die Meisterin noch einen Resten Tuch, den sie nicht zu brauchen wußte, zu einem Hemde, oder der Meister eine Kutte, die ihm zu enge war, oder ein Gilet, das ihm der Schneider verpfuscht hatte. Eines Abends sagte der Meister: »Uli, du mußt noch einen Heimatschein holen beim Pfarrer; gehe morgen, damit man Zeit hat, ihn ausfertigen zu lassen.« »Meister, das ist mir zwider,« sagte Uli. »Nit, der Pfarrer ist mir lieb und ich habe viel auf ihm, seine Predigten haben mir wohl getan, und ich habe bei ihm einsehen gelernt, daß wenn man ein Mensch sein will, man unserm Heiland nachfolgen müsse. Aber ich bin gar ein wüster und ungeschickter Bube gewesen in der Unterweisung, er hat viel mit mir müssen balgen, und daher habe ich ihn seither immer geflohen und kein einzig Wort mit ihm geredet. Das habe ich nun ungern, ich darf mich nicht vor ihm zeigen; denn wenn ich gehe, so wird er glauben, ich sei noch immer der wüste Bub wie früher, und mir einen Abputzer geben vom Tüfel. Du könntest mir ihn nehmen, Meister; du kommst wohl öppe zum Pfarrer.« »Nein,« sagte der Meister, »es ist anständig, daß du selbst gehst, und wenn er dir schon noch eine Ermahnung gibt, so schadet die dir allweg nichts.«

Uli mochte wollen oder nicht, er mußte selbst gehen. Aber es wurde ihm recht schwer, als er gegen das Pfarrhaus kam; das Herz klopfte ihm, als er hineingeheißen wurde, und als drinnen der Pfarrer fragte: »Was wotsch, was wär dir lieb?« da fand er das einfache Wort »einen Heimatschein« fast nicht und brachte es mit Mühe heraus. Der Pfarrer schlug große Bücher auf, frug: »Du heißest Ulrich Merk, dein Vater hat Christian geheißen, deine Mutter Madle Schmöck, dein Götti ist der Vrenechbur gsi.« Das wunderte den Uli gar fast,[147] wie der Pfarrer das alles so wissen könne und daß er ihn noch gekannt hätte; seit der Unterweisung sei er doch fast einen Schuh größer geworden. Dann fragte ihn der Pfarrer wieder: »Du gehst in die Glungge, in die Gemeinde Üflige. He nun, es soll mich freuen, wenn es dein Glück ist,« sagte der Pfarrer. »Es hat mich schon lange gefreut, daß du dich so brav aufgeführt hast; es freut mich allemal, wenn ich einen auf einem bessern Weg sehe. Wo du in die Unterweisung gekommen bist, hätte ich das nicht von dir erwartet. Aber es ist dem lieben Gott gar viel möglich, woran der Mensch nicht denkt. Vergiß aber in der Glungge nicht, daß dort der gleiche Gott ist, der hier sein Auge auf dir gehabt hat, und daß es dir nur so lange wohl geht, als er dir hilft und du ihm treu bist. Vergiß nie, daß er alles gseht und alles ghört, wenn es schon dein Meister nicht sieht und nicht hört. Jetzt wirst du über viel gesetzt, es wird auch viel von dir gefordert werden. Jetzt hast du Gott nötiger als nie, und denke immer, was du sagst, wenn du betest: Führe mich nicht in Versuchung! Denke daran, was der Heiland gesagt hat: Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtungen fallet! Es wird mich immer freuen, wenn ich gute Nachricht von dir habe, und wenn du hieher zDorf kömmst, so komm auch zu mir und gib mir Bricht, wie es dir geht, es wird mich recht wohl freuen.«

Uli ging ganz gerührt und verwundert fort und mochte nicht warten, bis er dem Meister sagen konnte: »Denk, dr Pfarrer hat mich noch gekannt und es ist ihm alles bekannt gewesen. Er hat gewußt, daß ich mich geändert, daß ich in die Glungge komme, und wie es dort ist, hat mir geschienen, wisse er auch. Wie ist das auch möglich, er hat doch nie mit mir geredet und ist die längste Zeit nicht bei dir gewesen?« »Jä,« sagte der Meister, »das ist der Name, von dem ich dir gesagt habe. Der gute Name kommt weit und der böse noch weiter, und es ist kein Mensch so gering, es wird von ihm[148] brichtet. Und so ein Pfarrer soll auf diese Namen mehr oder weniger acht haben, damit, wenn die Gelegenheit kommt, er weiß, wie er mit den Leuten reden soll. So ein unerwarteter Zuspruch bei Gelegenheit tut manchmal recht gute Wirkung; es schadet niemere nüt, wenn man weiß, daß auf einen gesehen wird.« »Ja, das muß ich sagen,« sagte Uli, »der Zuspruch hat mich gefreut, und ich wollte nicht, daß ich nicht selbst gegangen wäre. Er hat mir da ein paar wichtige Worte gesagt, die ich nicht vergessen will.«

Der Meister hatte sich entschlossen, Uli selbst auf seinen neuen Platz zu führen; er solle mit dem Züglen nicht Kosten haben, sagte er, und dann könne er ihm vielleicht einen oder den andern Rat geben, wenn er die Gelegenheit selbst angesehen. Uli ließ seinen Lohn fast ganz zurück und hatte nun in der Kasse ordentlich über hundertfünfzig Kronen. Einen Trog hatte er machen lassen mit einem guten Schloß, damit ihm nicht jeder über seine Sachen könne.

Neujahr kam, da wurde auch gneujahret nach allgemeinem Gebrauch. Wein und Fleisch war genug auf dem Tisch, sonst ging es recht lustig zu. Jetzt saß man beisammen, aß und trank und wollte lustig sein. Da sagte Uli: »Hocken ih ächt zum letztenmal da?«, und das Augenwasser schoß ihm über die Backen ab, und er stund auf und ging hinaus. Und allen kam das Augenwasser und stellte ihnen das Essen, und sie redeten lange nichts, bis endlich die Frau sagte: »Johannes du mußt doch use und ga luege, wo Uli bleibt; er soll hineinkommen. Es ist jetzt so, und ich bin nicht schuld daran aber mir wey die letzti Stund doch noch binenangere sy.«[149]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 126-150.
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