Siebzehntes Kapitel

[212] Wie Vater und Sohn an einem Knechte operieren


In der Glungge zog alles schön an einem Seile, und die Mutter sagte, es sei ihr lange nicht so wohl gewesen, es sei fry es ganz angers Leben und so freu es einem auch, dabeizusein. Es düech se nichts so ungewohnt, als wie man jetzt melke im Stall. Von den gleichen Kühen kriegten sie fast ds Halb mehr Milch. Es düech se, sie hätten es ihr sonst zuleid getan, daß sie selten in einem Werch genug Milch gehabt, und wenn man nicht Milch habe, so wisse man gar nicht, wie die Haushaltung machen. Jetzt dürfe sie die Ernte auch erwarten, und die Ankenhäfen werden ihr an der Sichelten nicht leer.

Joggeli hingegen war es nicht wohl. Es schien ihm immer, als hätte er zur Sache nichts mehr zu sagen. Noch einmal so viel strich er auf dem Lande herum, in den Ställen, suchte etwas zu sehen, an dem er sich ärgern, über das er balgen konnte, wenigstens vor seiner Frau. Gegen Uli redete er nicht recht heraus, stichelte nur so hintenum, konnte sich aber nicht enthalten, hie und da das Gegenteil von dem zu befehlen, was Uli angeordnet hatte.

Einst strich er auch so mißmutig um einen Kornacker her, um, ärgerte sich über dessen schlechtes Aussehen und hätte gerne Uli schuld gegeben, aber der hatte noch keine Hand daran gelegt. Da trat der Müller zu ihm und sagte: »Da hast du einen braven Acker voll und bald Reifes! Und ich möchte dich eben gefragt haben, ob du mir nicht etwa dreißig Mütte geben könntest. Ich mangelte sie sehr übel und weiß sie gar nicht zu bekommen.« Joggeli und der Müller wurden des Handels einig. Da sagte der Erste: »Du könntest mir einen Gefallen tun. Versprich meinem Knecht einen Neuentaler,[212] wenn er mache, daß du das Korn um den und den Preis kaufen könnest. Es nimmt mich wunder, was er macht. Man kann Keinem zu viel trauen; wenn man schon meint, man habe es getroffen, so ist man gerade am übelsten zweg.« Der Müller versprach es natürlich und machte sich an einem Abend an Uli. Dieser las just einen Brief von seinem alten Meister, worin ihm dieser zusprach, auszuhalten und nicht den Kübel auszuleeren. Er solle nur mit Joggeli recht reden und ihm die Sache in der Manier sagen. Das sei weit besser, als den Ärger so in sich zu verschlucken; da jäse dann dieser, mache einem übel und breche zuletzt unaufhaltsam und ungereimt aus, daß man sich dessen schämen müsse. Er sei kein Meitschi, das am Kupen, am Ärger sterben werde. Darum solle er nicht mutlos werden; es hätte im Leben jeder sein Bürdeli, und je eher man sich daran gewöhne, das manierlich zu tragen, desto leichter komme es einem später vor. Er solle nicht alles auf einmal wollen, und wenn er wieder dinge, auf die Entlassung derer dringen, mit denen er nicht fahren könne. Dann waren noch viele Grüße dabei und wie er bald einmal kommen solle, es blangeten alle gar grusam nach ihm. Zu dem in seinen Brief Vertieften trat der Müller, setzte sich zu ihm und redete mit schönen Worten von allerlei über Ulis Verdienste, rühmte den Misthaufen und das Gras in der Hofstatt, dem man es ansehe, daß es beschüttet worden sei. Nach langem Vorspiel kam er endlich zum Kornkauf. Er müsse Korn haben und Joggeli könne ihm geben. Aber der sei gar ein grusam Wunderlicher und könne die Sache nie im Preis geben. Zuerst wolle er viel zu viel, und hernach, wenn sie ihm erleidet sei, gebe er sie ums halbe Geld. Er könne diesmal aber nicht auf das Erleiden warten, und doch möchte er nicht gar zu viel bezahlen. Er wisse nun, daß Uli alles zu sagen habe, und was er sage, das sei geredet. Er solle ihm doch z'best reden, und wenn er mache, daß er den Mütt um neunzig Batzen[213] kriege, so komme es ihm auf einen oder zwei Neutaler nicht an. Es sei zwar noch immer mehr als zahlt, aber wie gesagt, er mangle es übel und wisse vor der Ernte es nirgends zu bekommen. Uli sagte: Darein mische er sich nicht, das sei seines Meisters Sache. Der Müller aber gab nicht nach, zog endlich einen heraus und wollte ihn ihm in die Hand drücken. Uli stund auf und begann nun dem Müller wüst zu sagen: Er müsse ein schlechter Mann sein, daß er Diensten schlecht machen wolle; es müsse ihm scheints alles ums Geld feil sein, daß er meine, Andere hätten es auch so. Aber um eines Müllers willen wolle er sein Gewissen nicht beladen, und wenn er ihm alles Mehl geben wollte, was er in seinem Leben den Bauren gestohlen usw. Das machte am Ende den Müller auch warm und er sagte: Es gebe Bauren, die noch schlechter seien als die Müller, mit denen er sich noch lange nicht zusammenzähle. Übrigens habe er das nicht aus sich selbst gemacht und er habe noch niemand schlecht machen wollen. »Wer hat dir denn das angegeben?« fragte Uli. »He, das sollte dir doch in Sinn kommen, wenn du so ein Listiger sein willst,« antwortete der Müller. »Öppe der Meister?« »Ich will nichts gesagt haben,« antwortete der Müller, »aber da solltest öppe nicht lange fragen.« Da faßte eine zornige Wehmut Uli, preßte ihm die Brust, daß ihm fast der Atem fehlte, große, schwere Tropfen aus den Augen kamen, und die geballten Fäuste stieß er geradeaus. Er konnte nichts mehr sagen als: »Ist das so gemeint?« und sprang hinauf ins Gaden.

Der Müller schlich sich hinter dem Haus durch zur Küche und sagte dort der Meisterin: Sie solle doch hinauf ins Gaden gehen und sehen, was Uli mache, er glaube, es habe gefehlt; und darauf erzählte er, wie er ihn habe fecken sollen und wie Uli es aufgenommen und den Meister erraten. »Vreneli, gang guck,« sagte sie, »und komm sag dann, was er macht.« Zum Mann aber ging sie und sagte: »Du bist doch dr wüstest[214] Hung, hast du denn nicht an einem Male genug gehabt? Du hast den besten Knecht weit und breit, und es reitet dich dr Tüfel, bis du ihn fortgesprengt.« Man könne niemand zu viel trauen, sagte Joggeli, und weil sie an Uli den Narren gefressen, so müsse er zusehen; es wüßte kein Mensch, wie es ginge, wenn er nicht öppe es bitzli luegti, und es könne sich ein Mensch von einem Tag zum andern ändern. Und man probiere ja jedes Roß, und so wüßte er nicht, warum man nicht auch einen Menschen, auf den es doch noch viel mehr ankomme als auf ein Roß, sollte probieren können. »Und wenn er schon den Neutaler genommen hatte, deswegen hätte ich ihn nicht fortgeschickt, aber ich hätte dann gewußt, wie weit ich ihm trauen könne oder nicht.« »Aber Joggeli, glaubst du denn, ein braver Bursche sei an einem Ort, wo man ihm nicht trauet, wo man ihm all Finger läng eine Täsche beizt? Wer ein rechtes Gefühl hat, kann nicht in einem Hause sein, wo er sieht, daß man eine schlechte Meinung von ihm hat.« »Du bist geng e Göhl, Alti,« sagte Joggeli. »Heutzutag luegt man auf den Nutzen und nicht auf die Meinung, und es nähmte mich wunder, wo Uli einen größern Lohn machen könnte. Er wird sich wohl bsinnen, was er macht.« Unterdessen war Vreneli hinaufgegangen und hatte gesehen, wie Uli einpackte, während ihm große Tropfen über die Backen kamen und zuweilen »Dä Donner!« halb verdrückt über die Lippen kam. Vreneli trat unter die Türe und fragte: »Was machst, was hast?« Uli antwortete lange nicht, bis Vreneli näher trat und endlich vernahm: »Furt wott ih.« »Das tue nicht,« sagte es, »es ist ja nicht dr wert; du mußt dr Vetter näh, wie er ist.« Aber Uli sagte: An Solches sei er nicht gewohnt und habe es nie erfahren. Ob das nun der Lohn sei daß er sich halb tot arbeite und dem Meister seinen Nutzen suche, wo er könne. Er sehe wohl, wo das hinaus solle. Zuletzt hänge ihm dä alt Donner noch einen schlechten Namen[215] an, er begehre ihn zum Schelmen zu machen. Er wolle gehen, während es Zeit sei, dä Gränni könne dann sehen, wo er einen Andern hernehme. Er sei schon mehr als ein halbes Jahr da, und dä wüest Tüfel hatte ihm noch nie gesagt, daß er zufrieden sei. »Du hast es dann auch wie die Andern«, sagte Vreneli. »Ich mache die ganze Haushaltung; er gibt mir keinen Lohn und ist noch imstande, mir zu sagen, er hätte mich dr Gottswillen. Wenn die Base nicht wäre, wer weiß, was ich schon gemacht hätte. Aber los, tue es uns nicht zuleid; du bist allen anständig und es ist es freins Debysi und es geht alles, daß man Freude daran hat. Denk nur, was der Melcher und Karrer für Freud hätten, wenn du auch fortgingest! Sie würden dir einen Lärm machen weit und breit, wie du fortgejagt worden. Du möchtest sagen, was du wolltest, die Leute glaubten doch das Bösere.« »Mira chönne sie,« sagte Uli, »was gheit es mih; so dabeisein will ich nicht mehr.« Da dröhnten die schweren Schritte und der schwere Atem der Mutter die hölzerne Treppe auf, welcher die Verhandlungen im Gaden zu lange gegangen waren. »Es ist gut, kommst du, Base,« sagte Vreneli; »du kannst ihm nun selbst sagen, er solle nichts Einfaltes machen. Er will absolut fort«. »Das sollst du mir nicht,« sagte die Alte. »Was haben wir dir zuleid getan?« »He, Ihr nichts,« sagte Uli, »Ihr wäret mir gar recht, aber der Meister ist wüst gegen mich und trauet mir nichts, will mich zum Schelmen machen, und bei einem Solchen bleibe ich nicht, my armi –« »Verred dich nicht, Uli,« sagte die Alte. »Denk, es ist ein alter Mann, man muß Geduld mit ihm haben; du wirst einmal auch froh sein, wenn man Geduld mit dir hat. Das soll nicht mehr geschehen, ich verspreche es dir, und wenn wir dir etwas tun können, so sag es nur, es soll nicht Nein sein.« »Ihr könnet lang versprechen,« sagte Uli, »ich weiß wohl, daß das nicht Euer Wille ist, aber für Euren Mann könnt Ihr nicht gut sein.« »Wohl, das kann ich dann nadisch,[216] wenn es sein muß, er muß mich dann z'Zeiten auch noch fürchten; aber er soll selbst noch kommen und versprechen, daß er dich künftig mit Beizen und Fecken ruhig lassen will. Vreneli, geh und sag ihm, er solle heraufkommen!« Aber Vreneli hatte einen sehr harten Stand; Joggeli sagte, das wäre das erstemal, daß er vor einem Knecht würde anekneue, das tue er nicht. Wenn Uli ds Wüstest machen wolle, so könne er, aber anhalten tue er nicht. Vreneli sagte: »Aber Vetter, Ihr seid doch zuerst wüst gegen Uli gewesen; wenn Ihr mirs so machtet, ich lief auch fort.« »Würdest aber bald wieder kommen, wenn dir niemand nachliefe,« sagte Joggeli. »Das ist noch die Frage,« sagte Vreneli; »aber Uli kömmt nicht wieder, das kann ich Euch sagen, und wer soll dann ernten:« »He nu, so sag myr Alte, sie söll ihm anhalten und öppe ein paar Batzen in die Hand drücken, so wird er sich schon niederlassen.« »Base hat Euch schon manchmal gut gemacht,« sagte Vreneli, »aber dasmal macht es sich nicht damit. Uli will fort, wenn Ihr ihm nicht versprechet, daß so etwas nicht mehr geschehen soll, und dann könnt Ihr sehen, wie es gehen wird in der Ernte, während jetzt ja alles wie am Schnürchen lauft.« »Gell, es ging dir am übelsten, wenn Uli fortging, du könntest dann nicht mehr mit ihm desumeschleipfe.« »Vetter, ich schleipfe mit niemand desume, aber Ihr seid dr wüstest Mann, wo es gibt; Ihr müsset doch afe ein Nichtsnutziger gewesen sein, daß Ihr niemand trauet. Aber machet meinethalb, was ihr wollt; was gheit mich dr Uli und was gheits mih, wenn ds Korn auf den Äckern bleibt!«

Damit war Vreneli verschwunden, umsonst rief ihm der Vetter nach. Er nahm nun seinen Stecken, ging langsam hinaus, rief seiner Frau. Als die nicht Bescheid gab, kam er immer näher an Ulis Gaden, bis seine Alte ihm sagen konnte: Er solle hinaufkommen, sonst gehe es nicht gut. Das sei ihm doch ein Lärm um nichts, sagte Joggeli, er könne gar nicht[217] begreifen, was er da tun solle und warum Uli so dr Gring mache, das sei ihm afe dr wert. Er hätte es ja nicht böse gemeint und nur wissen wollen, woran er sei, und dazu habe er das Recht, das lasse er sich nicht nehmen. »Du hättest doch afe Ursache gehabt, dem Uli z'glauben,« sagte seine Frau. Er hätte auf dem Glauben nicht viel, sagte Joggeli, er wolle seine Sache lieber gewiß haben. Wenn einer so viel betrogen worden sei in seinem Leben wie er, er nähmte dann die Sache auch genauer. Es sei immer alles unter einer Decke gegen ihn, er nehme niemand aus. Das sei schon lange gewesen und werde immer so bleiben, bis er die Augen zutue. Darum begehre er nicht mehr dabeizusein, sagte Uli, er sehe wohl, daß er ihm nie trauen werde, und er möge nicht an einem Orte sein, wo Keines dem Andern traue. Ja, sagte Joggeli, da könne er weit laufen, ehe er einen Ort finde, wo alles einander traue. Darum solle er nicht so wüst tun. Fecken wolle er ihn nicht mehr, das wolle er ihm gesagt haben. Aber er solle dann deshalb nicht meinen, er hatte nicht zwei Augen im Kopf. Es müsse sich ein Mensch immer etwas zu fürchten haben, der Teufel gehe ja umher wie ein brüllender Löwe und suche, wen er verschlinge. Diesmal sei aber er der Tüfel gewesen, der ihn habe verschlingen wollen, und das sei wüst von ihm, sagte Uli. He, er wolle es nicht mehr tun, sagte Joggeli, er solle jetzt zufrieden sein, er selbst sei auch zufrieden, und es wäre ihm zwider, wenn er wieder um einen neuen Knecht aus müßte, und er glaube, er fände kaum einen bessern. Die Leute seien neue heutzutage nichts mehr wert. Wenn man sie schon übergülden wollte, so finde man sie nicht, wie man sie suche. »He,« sagte die Frau, »wir sind alle arme Sünder und du bist auch kein Engel. Aber gät jetz enangere dHäng und höret uf branzen! Uli, du hast gehört, mein Mann will das nicht mehr tun, und komm jetzt herab, ich habe ein Kaffee zweg, du mußt auch ein Kacheli nehmen. Man wird erst recht mit einander[218] zufrieden, wenn man mit einander ißt und trinkt, bsunderbar ein Kacheli Kaffee.« Uli, auch an den Brief seines Meisters denkend, ließ sich dazu verstehen, ward wieder zufrieden. Joggeli tat auch zufrieden, bei sich selbst aber dachte er: seinem Weibervolk müsse er aufpassen, das könne es viel zu gut mit Uli; wenn das so fortgehe, so sei er verraten und verkauft.

Die Ernte kam mit all ihren Anforderungen. Zur Erntezeit treffen mehrere Arbeiten zusammen. Die Kirschen sind reif; Flachs, Werch wollen gezogen, besorgt sein. Es beginnt auch an manchen Orten schon das Strauchen, Lewatsäen usw. Es ist kein Werch, wo so das Ganze ins Auge gefaßt, die Zeit benutzt, die Arbeiter verteilt sein wollen, damit allem sein Recht geschieht, nichts zuschanden geht, wie die Ernte. In derselben wird recht eigentlich die Tüchtigkeit des Landmannes gefeckt. Fast allemal in der Ernte hatte Joggelis Frau das Gallenfieber gehabt. Entweder war niemand da, der ihr kirschen wollte, als die Spatzen; das Werch überreifete oder man ließ es an den Haufen heiß werden, den Flachs vergaß man entweder zu ziehen oder auf die Rooße zu führen und auf der Rooße zu kehren. Für nichts hatte man Zeit. Wohl aber konnte man ganze halbe Tage ums Haus herum drehen und werweisen, ob man an dieses hin wolle oder an jenes? Und während man für dieses die Zeit zu kurz fand, für jenes zu lang, verrann die Zeit, und es blieb keine mehr als für zu essen und zu Bette zu gehen.

Nun ging die Sache anders. Uli hatte alles im Auge und daher auch für alles Zeit. Jeder Augenblick wurde benutzt, jeder Arbeiter wußte, was er zu tun. Hatte man nicht mit dem Korn zu schaffen, so wußte man schon im voraus, woran man mußte, verlor mit Stotzen, Fragen, Werweisen keine Zeit. Es wurde auch nicht gezankt, nicht die Last von Einem zum Andern geschoben, denn sie war gleichmäßig verteilt,[219] daher fühlte sich niemand gedrückt. Die Arbeit ging aus den Händen fort, man wußte nicht wie, und der Meisterfrau lachte ununterbrochen das Herz im Leibe, wenn die Körbe mit Kirschen kamen, Flachs und Werch in schönen Spreitenen vor ihr sich ausdehnten – dort hängte man den Flachs nicht an Schatten, ehe man ihn räffelte. Hingegen Joggeli trippelte gar unruhig umher, er dachte nur ans Korn, hatte Angst, man versäume dasselbe, und konnte gar nicht begreifen, wie das zuging, daß man an allem sein konnte und doch das Korn auch einkam und zwar so, daß sie die Sichelten mit den andern Leuten am gleichen Samstag haben konnten. Sonst war es der Brauch, daß man sie in der Glunggen acht oder vierzehn Tage später hatte. Und Joggeli meinte sich noch damit. Er sagte: »Mir hey se erst über acht Tag, aber es ist sich nichts zu verwundern, kurzi Haar sy bald bürstet.« Er wollte es da, her fast ungern haben, als er mit den Andern fertig war. Die Leute werden meinen, dachte er, er vermöchte nicht mehr so viel anzusäen als sonst. Die Leute wußten aber wohl, woher es kam.

Die Sichelten ist einer der Haupttage im Baurenleben. Einem armen Tauner und seinem Weibe, welche das ganze Jahr durch die Erdäpfel sparen müssen und kein Brösmeli Fleisch sehen, ist eine Sichelten, an der Wein, zwei- oder dreier Gattig Fleisch und Küchleni genug sind, wirklich ein Tag aus dem tausendjährigen Reich, auf den sie sich das ganze Jahr durch freuen und traurig seufzen, wenn er vorbei ist. Der Geizigste schämt sich an diesem Tag, zu schmürzelen, und wenn es ihn schon reut, er verbirgt es. Es liegt auch eine Art von religiösem Gefühl, oder wenn man will, eine Art von Aberglaube zugrunde. Es ist eine christliche Opfermahlzeit. Der Geber alles Guten hat wiederum seine Hand aufgetan, den Fleiß des Landmanns gesegnet, den Schoß der Erde gesegnet; da kömmts auch dem Härtesten, daß er Gott Dank[220] schuldig sei, etwas opfern solle. Er rüstet eine Mahlzeit, gibt ungezählt die Küchleni weg an der Küchetüre und läßt essen und trinken eine Nacht und einen Tag lang seine Leute, seine Söhne und Knechte und Mägde und den Fremdling, der bei ihm wohnet, so viel ihr Herz gelüstet. Wo die rechte alte Freigebigkeit noch vorwaltet, da heißt man nicht nur die, welche in der Ernte gearbeitet haben, kommen, sondern noch Andere, die durch das Jahr durch für das Haus gearbeitet haben. Und weit und breit wird erzählt, wie einst einer einen Arbeitsmann auf der Stör gehabt habe an einem Samstag, der am Abend mit aller Arbeit fertig geworden wäre. Am Mittag sei er zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, er wolle mit ihm abschaffen, sie könnten ihn jetzt entmangeln. Darauf habe jener gesagt, es sei ihm zwider, jetzt fortzugehen, so verliere er einen halben Tag, und bis am Abend wurde er fertig. »Nein, sag du nur, was ich dir jetzt schuldig bin, wir können dich entmangeln. Ich will dirs fry sagen, warum: diese Nacht haben wir die Sichelten, da haben wir neue nicht Platz für dich. Komm dann eher morgen e Rung wieder, wennd gern willst.«

Ist dieser Opfertag vorbei, dann liest der Geizige die Brosamen zusammen, tut sie sorgfältig an Schatten und schließt Kisten und Kästen für ein Jahr lang zu.

Freilich muß es dem Landmann an diesem Tage wohl zumute sein. Es hat ihm der Herr für ein Jahr das tägliche Brot beschert, sein Fleiß ist gesegnet worden, seine Kinder dürfen nicht Hunger leiden, und seine Frau kann wieder Arme speisen, Dürstende tränken, in behaglicher Fülle sitzet er. Da kann ihm wohl sein, es ist ihm erlaubt. Aber Essen und Trinken sollten doch nicht das einzige Opfer für Gott sein, nicht die einzigen Dankeszeichen. Der Herr hat die eingeernteten Früchte ein ganzes Jahr durch gesegnet und behütet: kann man ihn wohl mit einem einzigen Tage abspeisen? Sollte man für diesen Herrn nicht auch das ganze Jahr hindurch ein Herz[221] im Leibe tragen, das in Dankbarkeit fruchtbar ist, das nie vergißt, daß ohne den Willen des Herren kein Haar von unserm Haupte fällt und daß jedes Wort und jeder Gedanke vor ihm offenbar ist und daß wir die Armen allezeit bei uns haben und nicht nur an der Sichelten?

In der Glunggen war das auch ein sehr festlicher Tag und nichts wurde gespart. Viele Menschen genossen ihn da, und aus dem Anken, der verküchelt worden war, seit die Glungge bestund, hätte man wohl einen Murtensee machen können. An diesem Tage, wenn auch das ganze Jahr nie, kam der Sohn mit seiner Familie von Frevlingen, wo er sein Wirtshaus hatte, und tat sich gütlich an den väterlichen Küchlene. Er tat wie einer, der gerne hätte, man meine, er sei vornehm; er setzte den Hut auf die Seite, hatte die Hände in den Hosensäcken oder schlenggete die Arme und machte ein Gesicht, wie wenn er die sieben Haimonskinder samt ihrem Rosse Bayard lebendig gefressen hätte, und sagte allem »Bunschur, Bunschur!« Seine Frau war ein Häpeli und Zipperynli und sagte »Merci«. Sie war eine reiche Tochter gewesen und hatte gelernt zu schlottern, wenn sie etwas anrühren sollte. Sie zog sich prächtig an, aber alles blampete an ihr herum wie an einem Geißelstecken. Sie tat sehr meisterlosig, ein Hähnelifecken war das Gemeinste, an dem sie schleckete. Sie gebärdete sich sehr vornehm, aber das gemeinste Stüdi war ihr gut genug, um ihm zu rühmen, wie reich sie sei und wie vornehm, wenn es ihr nur zuhören wollte. Sie hatten drei Kinder, in denen Vater und Mutter verschmolzen waren. Sehr hoffärtig waren sie angetoggelt und machten sehr freche Gesichter. Kehrum schrie eins, und dann schrie der Mann: »Wer macht mr dKing geng z'brülle? Ih will de luege, ob das geng so gah müeß!« Und sie sagte: »Schwyg ume, schwyg, du mußt dann eine Feige haben und ein paar Mandlen dazu!« Hatte dieses das erhalten, so schrien die andern, bis sie auch hatten.[222] Sagte die Mutter: »Jetzt hab ich keine mehr,« so fingen alle drei zu schreien an. Dann fluchte der Vater: Warum sie auch nicht genug mitgenommen hätte, sie mache es immer so. Aber sie sollten nur schweigen, beim nächsten Krämer wolle er kaufen, bis sie genug hatten. Die Knaben hießen Edewarli und Ruedeli, das Mädchen aber Carelini.

Joggeli hatte immer ein heimlicher Schrecken, wenn die kamen, er wußte wohl warum; indessen meinte er sich doch mit ihnen. Die Alte hatte eine recht mütterliche Liebe zu ihrem Sohne und eine noch größere zu seinen Kindern; indessen klagte sie, sie kämen ihr gar so fremd vor, und wenn sie fortfuhren, so leichtete es ihr allemal, denn sie wußte nach zwei Tagen schon nichts mehr zu essen zu geben, daß es ihnen recht war. Elisi hatte rechte Freude, wenn sie kamen. Elisi und die Schwägerin Trinette (ehemals Trini) zeigten einander ihre Kostbarkeiten, und Eins redete herrscheliger als das Andere von seinen Krankheiten, und Eins tat dummer als das Andere mit seinen Manieren. Glaubte nun Elisi Meister zu sein mit den Kostbarkeiten und Krankheiten und Manieren, so hatte es große Freude und ließ Trinette ungern ziehen und plärete und wollte nicht Adie machen. Ward aber Trinette Meister und hatte schwerere Häfte oder ein sydigeres Tschöpli, mehr Krämpfe gehabt oder eine längere Badefahrt gemacht, eine vornehmere Mauggere ersonnen oder zümpferere Scheßti, so plärete Elisi, solange sie noch da waren, versteckte sich und kam erst wieder zum Vorschein, wenn Trinette schon im Schärbank war. Da lächelte Elisi dann, hatte Handschuhe an, an denen die Fingerspitzen abgehauen waren, ein schönes weißes Nastuch in der Hand, eine Stündelikappe auf dem Kopf, glitzerte von lauter Gold und Silber, sagte »A revoir« und »Bon voyage«, und wenn der Kohli zog, so sagte Elisi: Es sei froh, daß sie endlich fort seien; der Bruder sei ein Grobian, Trinette hätte mauvais goût und die Kinder[223] de mauvaises manières. Es möchte keinen Mann, pfitusig! Aber wenn es einen bekommen sollte, so möchte es keine Kinder, pfitusig! Aber wenn es deren bekommen sollte, und man wisse ja, was man hasse, müsse man haben, so wollte es die ganz anders erziehen; sie müßten ihm nicht so dicke Knüderen sein und so verfrorne Nasen haben und rote Schuhe, sie müßten ihm schlanke Tournure haben und feine Gesichter und gwixte Stifeli. Es würde sich schämen, mit solchen groben Tätschen spazieren zu fahren.

Vreneli sprach selten ein freundlich Wort, solange der Besuch da war. Sie behandelten ihns nicht wie eine Dienstmagd, sondern mit recht eigentlicher Verachtung; höchstens versuchte der Sohn, einige handgreifliche Späße an ihm auszulassen. Zudem ärgerte es ihns, wie sie die Alten auszubeuten suchten auf jegliche Weise und ihnen doch alles nicht gut genug war. Trinette konnte nicht genug erzählen, wie viel sie von Hause erhielte und wie sie es gar nicht machen könnten, wenn ihre Eltern nicht so viel geben würden. Dann wußte sie zu sagen, dieses hätte ihr der Vater gegeben und jenes die Mutter, und als sie das letztemal bei ihnen gewesen, hätte ihr der Vater sechs Neutaler gegeben und die Mutter zehn und Beide ihr gesagt, wenn sie etwas mangle, so solle sie nur kommen, wo das gewesen sei, sei noch mehr. Natürlich wollte dann die gute Mutter auch nicht die Letzte sein, rückte auch aus, fast über Vermögen, und bekam kaum ein Dankeigist dafür.

Die Kinder waren in allem, verdarben alles, und wehrte man ihnen das Geringste ab, so sagten sie einem entweder wüst oder schrien wie angeschossene Seekälber. Der Sohn trieb seine Sache dagegen ins Große. Bald kaufte er dem Vater eine Kuh ab und zahlte sie ihm nie oder brachte ein lahmes Roß und nahm das beste mit, vorgebend, das eine zurückzusenden, das andere holen zu lassen, vergaß es aber;[224] oder er mußte einen Wechsel zahlen, den ein Weinherr auf ihn gezogen, und war nicht überflüssig im Gelde, und der Vater sollte ihm vorschießen, erhielt es aber nie wieder. Irgend eine dieser Schräpfeten ging allemal vor, wenn er da war. Dabei behandelte er Vater und Mutter als dumme Baurenleute mit souveräner Verachtung, nicht viel besser als zwei Geldseckel, zu denen man Sorge trägt, solange Geld darin ist. Er brachte es allemal als einen Tageswitz heim nach Frevligen, wie er seinen Alten abermals zu Ader gelassen. Er wunderte sich diesmal gar sehr über die Ordnung, die er in der Glunggen antraf. Die schön glatten, saubern Bäume, aufgebunden die jungen, der stattliche Misthaufen, die Aufgeräumtheit allenthalben trotz der Ernte fielen ihm alsobald in die Augen. Als er sein Pferd in den Stall begleitete, wie üblich, wunderte er sich noch mehr über die Reinlichkeit darin und die schönen, wohlbesorgten Pferde und ärgerte sich, daß er diesmal kein lahmes mitgebracht. Nicht weniger gefiel ihm der Kuhstall und absonderlich die junge Kuh, die Uli in Bern gekauft, die jetzt zu kalben stand und wenigstens drei Dublonen mehr wert war als vor drei Monaten, so gut hatte sie getan. »Ätti, was fangst du an in deinem Alter?« sagte der Sohn, »fangst erst jetzt recht an dich zu rühren? Hast die schönste War, und es ist allenthalben wie an einem Sonntage.« »Gefällt es dir?« sagte Joggeli kurz. Aber die Mutter konnte sich nicht enthalten, zu sagen: »Wir haben einen gar guten Meisterknecht, der nimmt sich der Sache an, wie wenn sie sein wäre, und versteht alles wohl wie ein alter Bauer, es ist jetzt auch eine rechte Freude, dabeizusein.« Der Sohn sagte auch nicht viel darauf, aber er trappete mehr als sonst auf dem Lande herum, sah das letzte Korn laden und einführen, ging durch die Matten, daß der Alte sagte: Er könne nicht begreifen, was der Johannes habe, er laufe allenthalben herum und gschaue alles so wohl; ob er wohl meine, er könnte[225] den Hof vielleicht bald erben? Aber er sei sich noch nicht Sinns, bald da dänne, und es hätte schon mancher Alte mit jungen Beinen Äpfel ab den Bäumen geworfen. Nicht daß er das begehre, aber nur so zu sagen.

Als es dunkelte, sollte die Sichelten angehen, aber man hatte seine liebe Not, die Leute herzuzubringen. Vreneli, krebsrot von Kücheln und Kochen den ganzen Tag, war zuletzt zornig und sagte: Die Tüfels Schnürfline hätten den ganzen Tag schon die Finger geschleckt bis zu den Achseln und noch bas hingere, und jetzt wollte sich Keiner dafür halten, Keiner sich herbeilassen; so könne man nicht anrichten, nicht mit der Sache ab Weg, und dann am Morgen sei Keiner vom Tisch wegzubringen und hockten da wie angebränntet. Man mußte diesem nachschicken und jenem, und am Ende war doch noch jemand nicht da, den man bei den Ohren hätte herbeireißen sollen.

Da war eine gelbe Safferetsuppe in mehreren Kacheln auf dem Tische, wo das Brot so dick eingeschnitten war, daß man auf eine Kachel hätte knien können, ohne daß das Brot ein Dümpfi bekommen hätte. Dann kam Rindfleisch, grünes und dürres, Speck, Schnitze, Küchleni von drei Arten, alles hoch aufgebyget, und einige mäßige Flaschen stunden auf dem Tisch, und für alles war kaum Platz, daß die Auftragenden oft in der größten Verlegenheit waren, wo abstellen. Spatzen im Hirse muß es wohl sein, aber die wissen doch noch lange nicht, wie es einem an einem Sicheltentisch ist, der unter seinen Lasten sich biegt und unter dem man seine Beine gar nicht zum Stillehalten bringen kann, weil sie auch hinauf möchten und sehen, was da oben so herrlich riecht.

Und doch war es nicht allen gut genug dort. Ds Elisi und Trinette mochten nicht zu den groben Leuten und Speisen. Im Stübli war ein besonderer Tisch gedeckt, auf dem war roter Wein, waren Fische an einer Sauce und Zuckererbse und[226] Braten von Kälbern und Tauben, gebackene Fische, Hamme und Kuchen, Züpfen statt Brot und ein Kännchen voll süßen Tees für die Liebhaber und Dessert, den die Wirtin seit der vorjährigen Zehntsteigerung aufbewahrt hatte. Die Kinder gingen von einem Tisch zum andern, taten immer an einem Tisch wüster als am andern, bis sie endlich, zu voll von Speise und Trank, wie wüste kleine Teufelchen zu Bette gebracht werden mußten. Ds Elisi und Trinette erzählten einander, was sie alles erleiden möchten, was nicht, rümpften über alles die Nase und sagten, was ihnen dies mache und was jenes; das Eine blähte sie und das Andere lag ihnen sonst im Magen, das Eine ließ sie nicht schlafen, das Andere brachte ihnen das Toggeli, das Eine schlug ihnen in die Augen, das Andere in die Ohren, das Eine verstopfte sie, das Andere machte ihnen den Durchlauf. Unterdessen aßen sie von dem, was sie verstopfte und was ihnen Durchlauf machte, das mußte sich ja gegenseitig aufheben, und auch dem Trinken sah man ihre Kränklichkeit eben nicht sehr an.

Johannes hielt sich nicht lange am Familientische auf, sondern machte sich bald hinaus zum Gesinde und blieb dort bis der Morgen grauete und alles die Betten suchte. Er gab sich besonders mit Uli ab, setzte ihm zu mit Trinken, gab ihm Tabak und führte mit ihm Gespräche über allerlei, daß es Uli vorkam, der Wirt von Frevligen sei nicht halb so hochmütig, als man ihn verschreie. Am meisten aber verwunderte sich Uli, als derselbe schon morgens früh in den Stall kam, wo er alleine hantierte, während die andern Knechte noch schliefen.

»So, bist du schon zweg und alleine?« sagte der Wirt. »He ja,« antwortete Uli. »Die War hat gestern nicht Sichelten gehabt und hart arbeiten müssen; da wäre es nicht billig, wenn sie länger auf ihr Fressen warten müßte.« »Es denken aber nicht alle so,« sagte der Wirt, »und darum habe ich dich[227] etwas fragen wollen. Weißt du was, komm du zu mir; ich hätte einen Platz für dich, wo du wenigstens zehn Kronen höher kömmst als hier, und all Tag mußt du deinen Wein und dein Schnäfeli Fleisch haben.« »Aber was sagt der Meister, wenn Ihr mich abdinget?« »Was geht das dich an?« sagte der Wirt, »da laß du mich sorgen. Du bleibst doch nicht lange da; mein Alter ist viel zu wunderlich und mißtreu, er kann niemand behalten. Bei mir ist das ganz anders: ich bin viel nicht daheim und meine Frau ist ein Pflartsch, da muß ich einen Knecht haben, dem ich alles anvertrauen darf. Und wenn mir einer anständig ist, so hat einer bei mir einen Posten, wie im ganzen Land keiner mehr ist, er kann es haben wie ein Herr. Komm, du sollst dich nicht reuig sein. Sä, da hast du einen Neutaler Haftgeld.« »Behaltet nur Euer Geld,« sagte Uli, »das macht sich nicht so geschwind. Ich habe diesen Augenblick nichts zu klagen, vor vier Wochen wäre es anders gewesen. Man ist gut gegen mich, besonders die Meisterfrau, und dann halte ich nichts darauf, weiterszugehen, wenn es einem an einem Orte wohl ist.« Der Wirt ließ nicht nach mit Drängen, man hörte Geräusch am Brunnen, Uli sagte endlich, er wolle sich besinnen. Er mußte versprechen, in vierzehn Tagen den Bescheid zu geben. Als sie aus dem Stall traten, ging eben Vreneli mit einem Züber Wasser ins Haus.

Am Mittag ging Essen und Trinken von neuem an; nur Elisi und Trinette taten schmächtig, klagten über allerlei und taten, als ob sie kein Brösmeli hinunterbringen könnten, packten aber doch unvermerkt ziemlich ein. Im Nachmittag reisete der Besuch wieder ab, nachdem Johannes noch einen neuen, schönen Fünfbätzler dem Uli in die Hand gedrückt und mit den Augen bedeutsam zugewinkt hatte. Die Großmutter sah dem Schärbank lange nach und sagte endlich: »Die Kinder sind mir lieb, aber wüst tun die doch, es hat keine Gattig; die[228] müßten mir noch anders drässiert sy, wenn ich immer um sie sein sollte.« Drinnen sagte sie zu Vreneli: »Dr Johannes macht doch je länger je mehr dr Groß; denk doch, het dä schießig Narr nit dem Uli einen neuen Fünfbätzler zTrinkgeld gä!« »Er wird wohl wissen, warum er das getan hat,« sagte Vreneli. »Dr Herr wott er mache u zeige, daß er weiß, was unter dr Herrschaft dr Bruch syg, das wott er,« sagte die Alte. »Nein, Base,« sagte Vreneli, »er will noch etwas anderes, ich darfs Euch fast nicht sagen, aber es ist ein wüstes Stücklein vom Johannes. Diesesmal hat er den Vetter weder um ein Roß noch um eine Kuh gebracht, aber den Uli will er ihm ab, dingen, darum hat er ihm auch das Trinkgeld gegeben.« »Was du nicht sagst, dä Uflat!« sagte die Alte. »Wenn man den eigenen Kindern nicht mehr trauen darf, dann ist doch nicht mehr dabeizusein. Johannes, Johannes, was bist du doch für ein Umönsch! Aber seine Frau ist schuld daran, sie macht ihn so, er ist allbets doch nicht so gewesen! Aber woher weißt du das?« »Ich holte am Morgen früh Wasser, es wollte aber keine Jungfrau auf. Da war Johannes, der sonst bis um zehn im Bett liegt, schon bei Uli im Stall, das wunderte mich. Während mir das Wasser in den Züber lief, loste ich der Sache ab und hörte, wie Johannes Uli drängesilierte und ihm einen Neutaler Haftgeld geben wollte.« »Uli, hat er ihn genommen?« »Nein, er stellte sich recht brav, ich hätte es nicht von ihm geglaubt. Sie hörten mich wahrscheinlich und brachen ab; ich vernahm nur noch, wie Uli vierzehn Tage Bedenkzeit nahm. Aber ich glaube, wenn der Vetter ihn zur rechten Zeit frägt ums Dableiben, so werde es keine Not haben.« »Er hat mich schon manchmal fast wild gemacht«, sagte die Alte. »Er will die Diensten nie fragen, er meint, es sei an ihnen. Aber seit wann frägt ein rechter Knecht selbst? Dann sagt er, sie arbeiteten viel bräver, ehe man sie gefragt habe. Sobald man sie einmal wieder für ein Jahr gedungen, sie des Dienstes[229] sicher seien, so werden sie ganz gelassen und sie dächten, es hatte es wieder für ein Jahr, ob sie nun etwas mehr oder etwas weniger arbeiteten.« »Ja,« sagte Vreneli, »dr Vetter nimmt immer alles in eine Wid, und weil er die guten wie die schlechten hält, so kömmt er nie zu guten.« »Er muß den Uli noch heute dingen«, sagte die Alte. »Aber verratet mich nicht, daß ich es gehört, sonst hängt mir der Vetter wieder ein Schlemperlig an; er trauet mir auch nicht mehr als dem ärgsten Mönsch«, ermahnte Vreneli.

Die Alte suchte ihren Eheherrn und brachte ihm vor: »Denk ume o, was dr Johannes für e Uflat isch, wott er is nit dr Ueli abdinge!« Joggeli tat nicht halb so verwundert, sondern meinte, etwas müsse der Johannes immer verüben, entweder ihm etwas abstehlen oder abschwatzen; er sei von Jugend auf so gewesen, aber er sei nicht schuld daran. Darauf wollte er wissen, wie seine Frau die Sache vernommen. Natürlich bekannte sie bald, daß sie es von Vreneli habe. »Ich kann dir nicht sagen, Frau,« sagte Joggeli, »wie mir das Meitli zwider ist; es hat seine Nase in allem innen, und hinten und vornen heißts immer nur: Vreneli, Vreneli. Das hat ein Gschleipf mit dem Uli, zähl darauf. Was hätte es so früh beim Stall zu tun gehabt, wenn es ihm nicht hätte nachstreichen wollen? Aber zähl darauf, sobald ich darüberkomme, so jage ich es fort. Es hat schon Schande genug in die Familie gebracht, es soll nicht noch mehr bringen, die wüste Täsche!« Dann könne er selbst die Haushaltung machen, sagte seine Frau. Das sei nicht recht, daß Vreneli jetzt alles ausessen solle. Es hätte ihnen zGutem wollen, und jetzt wolle er es schlecht machen. Wenn sie von allen verraten und verkauft würden, so sei er selbst schuld daran. Sobald eins ihnen einen Dienst erweise, so hänge er ihm etwas an, statt ihm zu danken. »Aber mach meinethalb, was du willst, me isch umen e Göhl, we me dir zGuetem will.«[230]

Joggeli bedachte sich die Sache wohl, und sie ging ihm im Leibe herum wie ein Wurmpulver.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 212-231.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Wie Uli der Knecht glücklich wird

Buchempfehlung

Wilbrandt, Adolf von

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.

62 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon