[95] Cato. Porcius. Phokas. Artabanus. Die Bedienten, die den todten Leichnam getragen bringen.
CATO.
Legt nur, ihr Freunde, hier den Körper recht vor mich,
Damit ich sehen kann, wie er im Blute lieget;
Und daß der Wunden Zahl, wodurch man ihn besieget,
Sein Lob erheben mag. Willkommen, liebster Sohn!
Nun spricht dein Vater, auch durch dich, den Feinden Hohn.
Komm her, mein Porcius! wie schön ist es zu sterben,
Wenn wir durch Tugenden uns Tod und Grab erwerben!
Wer stürbe nicht gleich ihm für unser Vaterland!
Begrabe mich dereinst zu seiner rechten Hand,
Daß unsrer Asche Rest beysammen kann verwesen.
Ihr Freunde, welch ein Schmerz ist hier bey euch zu lesen?
Wie kömmt es? trauret ihr, da meines Hauses Pracht
Aufs allerhöchste steigt? Das hätt ich nicht gedacht!
Es wär ein Schimpf für mich, wenn in den letzten Zügen,
Darin die Freyheit liegt, mein Haus allein gestiegen,
Mein Glück gewachsen wär.
ARTABANUS zum Phokas, erstaunt.
O welch ein großer Mann!
Dergleichen wohl die Welt nicht viele zählen kann.[96]
CATO gelassen.
Es scheint, ihr könnet euch der Thränen nicht erwehren,
Da nur ein Jüngling fällt. Rom! Rom erfodert Zähren!
Der Götter Meisterstück, der Helden Vaterland,
Die Herrscherinn der Welt, die mit gerechter Hand
Tyrannen niederschlug, und den geplagten Landen
Die Freyheit wiedergab; Rom ist nicht mehr vorhanden!
Bewegt.
O Freyheit! O Verlust! O edle Vaterstadt!
Er wischet sich die Augen.
ARTABANUS.
Welch eine Redlichkeit, die ihn erfüllet hat!
Den Sohn beweint er nicht; um Rom vergießt er Thränen!
CATO nachsinnend.
Die ganze Welt muß sich an Cäsars Joch gewöhnen;
Was Sonn und Mond bescheint, was Rom bisher bezähmt,
Das alles hat sich schon zur Sklaverey bequemt,
Und will, für Cäsars Ruhm, sein eigen Blut nicht schonen.
Die tapfern Fabier, die großen Scipionen,
Ja selbst Pompejus focht um Cäsars Ruhm allein.
Kurz, alles, alles muß des Räubers Beute seyn!
Aufgebracht.
O wundergroßes Rom, wie sehr bist du verfallen![97]
PHOKAS.
Itzt Cato, rette nur dich selber, sammt uns allen.
Es ist schon hohe Zeit!
CATO muthig.
An mich gedenkt nur nicht:
Ich bin nicht in Gefahr: Wann alles fällt und bricht,
Läßt mich der Himmel nicht in Cäsars Hand gerathen.
Es sey der Wütherich ein Herr von hundert Staaten;
Doch soll es nicht geschehn, daß er sich rühmen darf,
Er hab auch mich besiegt,
Bekümmert.
Nichts ängstet mich so scharf,
Als euer aller Heil, ihr werthgeschätzten Freunde!
Wie schütz ich immermehr euch alle vor dem Feinde?
PHOKAS.
Vieleicht verzeiht er uns, wenn wir um Gnade flehn!
CATO.
Ganz recht! drum thut es nur, und sagt ihm: was geschehn,
Das käme bloß von mir. Sagt auch, ich ließ' ihn bitten,
Auf eure Tugend nur den Grimm nicht auszuschütten.
Zum Artaban.
Um dich, mein Artaban, und um der Parther Reich
Ist mirs von Herzen leid! Wie rath', und helf ich euch?[98]
ARTABANUS.
So lange Cato lebt, so will ich mit ihm leiden.
CATO.
Komm her, umarme mich, bevor wir uns noch scheiden.
Und wird gleich Portia nicht eure Königinn,
Dieweil sie römisch ist, und ich ihr Vater bin:
So unterwerft den Staat nur billigen Gesetzen,
Und laßt durch keine Macht des Landes Wohl verletzen.
Zu seinem Sohne.
Tritt näher, Porcius! Du hast es selbst erblickt,
Wie Ehrsucht, List und Trotz mir oft das Ziel verrückt;
Und wie ich widerstrebt. Itzt siehst du mich auch weichen,
Da keine Hoffnung ist den Endzweck zu erreichen.
Geh hin, verbirg dich nur auf das Sabinerfeld,
In deinen Vatersitz; wo mancher große Held,
Wo unser Ahnherr selbst, nachdem er oft gesieget,
Nach alter Römer Art sein eignes Land gepflüget.
Da lebe tugendhaft, verborgen, schlecht und recht;
Sey fromm, den Göttern treu, doch keines Menschen Knecht:
Denn wo das Laster herrscht, da sind die höchsten Würden,
Die man bey ihnen trägt, die ärgsten Sklavenbürden.
PORCIUS.
Du räthst mir in der That ein solches Leben an,
Das ich auch von mir selbst unmöglich hassen kann.
CATO zu allen.
Ihr Freunde, lebet wohl! wollt ihr nicht alle trauen,
Könnt ihr nicht schlechterdings auf Cäsars Gnade bauen:[99]
So wißt, daß allbereit die Schiffe fertig stehn,
Ihr könnt, so bald ihr wollt, damit zu Segel gehn.
Mehr kann ich itzt nicht thun, euch insgesammt zu retten.
Eilt! denn der Sieger kömmt und droht euch schon die Ketten!
Lebt wohl, zum letztenmal! Wenn wir uns wieder sehn,
So wird es zweifelsfrey an einem Ort geschehn,
Wo uns kein Cäsar wird in unsrer Ruhe stören;
Und wo wir nichts von Macht und von Tyrannen hören.
Er kehrt sich nach dem Todten.
Daselbst empfängt mein Sohn, der für die Freyheit starb,
Der Tugendliebe Preis, den er sich hier erwarb.
Da trägt er nun den Kranz, der seine Schläfe zieret!
Da stimmt der Helden Zahl, die sonst die Welt regieret,
Den Menschen wohlgethan, der festen Wahrheit bey:
Daß ihr Bemühen nicht umsonst gewesen sey!
Ende des vierten Aufzuges.
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