Auf ein wohlgetroffenes Hochzeitfest in Stade

[136] 1734.


I.f.N.


Der Sommer weicht, der Herbst fällt ein,

Die gelbe Ceres weicht Pomonen,

Selbst Bacchus kostet schon den Wein,

Und will den frischen Most nicht schonen,

Die Blätter werden welk und fahl,[136]

Und fallen von den starren Zweigen;

Die sich zum Theil schon nackt und kahl

Auf den entlaubten Gipfeln zeigen.


Was lehrt euch dieß, verlobtes Paar!

Was gilts, ihr habt es wohl verstanden?

Rufft nicht das abgelebte Jahr:

Die Zeit zum Freyen sey vorhanden!

Die Sonne brennt nicht mehr so scharf,

Drum kömmt des Menschen Leib zu Kräften,

Und wird geschickter, als er darf,

Zu Amors zärtlichen Geschäfften.


Zwar pflegt der Frühling auch der Welt

Zum Lieben Trieb und Kraft zu geben;

Wenn Flora das beblümte Feld

Durch Zephyrs Athem läßt beleben.

Es lacht manch buntes Tulpenbeet,

Ein Wald von silbernen Narcissen:

Wer da gepaart spazieren geht,

Bekömmt ohnfehlbar Lust zum küssen.


Man leugnet solches freylich nicht;

Doch wie? wenn angenehme Wangen,

Im Herbste, durch ein stärker Licht,

Als alle Frühlingskinder, prangen?

Wo ist ein Herz so wild und hart,

Das hier nicht gleiche Regung fühlte?

Als dort in Florens Gegenwart,

Wo Zephyr mit den Blumen spielte.


Man siehts an dir, o Bräutigam!

Kann ich es schon entfernt nicht sehen:[137]

Denn bin ich gleich der Lügen gram,

So glaub ich doch, es sey geschehen.

Dich rührt die Schönheit deiner Braut,

Ihr süßer Scherz, ihr holdes Lachen,

Weit mehr, als alles, was man schaut,

Wenn Wild und Vögel Hochzeit machen.


Du liebest sie, und das mit Recht;

Sie ist es werth, und liebt dich wieder:

Die Blödigkeit ist schon geschwächt,

Sie schlägt nicht mehr die Augen nieder.

Sie reicht dir willig Mund und Hand,

Die Herbstluft kann sie gar nicht stören:

Und würd es kalt: der Liebe Brand

Wird euch die Geister schon vermehren.


Wird Sturm und Regen, Reif und Schnee

Allmählich Wald und Feld bestreiten;

So wird dir Amor Laub und Klee,

Ja Rosenblätter gnug bereiten.

Der Liebsten Arm und Brust und Schooß

Wird jenen Mangel leicht ersetzen:

Was achtest du des Winters groß,

Wenn dich die Liebe kann ergetzen?


Du wirst, mit doppelt großer Lust,

Das Pfeifen rauher Winde hören:

Doch wird es nie in deiner Brust

Die Funken zarter Liebe stören.

Sie fachen sich noch stärker an,

Wenn Boreas und Eurus wüten;

Denn weder Frost noch Rohrreif kann

Der Fackeln Hymens Glut verhüten.[138]


So liebe denn, verbundnes Zwey!

Der Himmel segne deine Flammen!

Denn deine Zärtlichkeit und Treu

Kann auch kein Lästermaul verdammen.

Ja, liebe, daß von deinem Kuß,

Von deinem keuschentbrannten Herzen;

Auch bald ein kleiner = = muß

In seiner Mutter Armen scherzen!

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 136-139.
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