An Jungfer L.A.V. Kulmus

[330] 1727 den 19ten October.


Poetinn! zürne nicht, daß sich ein Fremder wagt,

Und dir den treusten Dank in schlechten Reimen sagt,

Den dein Geschenk verdient. Die allerliebsten Zeilen,

Die du durch unsern Freund mir neulich zu ertheilen

Geneigt beliebet hast, erfodern zweifelsfrey,

Daß ich dir, schönes Kind! dafür erkenntlich sey.


Allein, wie stell ichs an? Was giebt dein Knecht dir wieder?

Ich lese ganz entzückt die geisterfüllten Lieder,

Die du mir zugesandt, und seufz in meinem Sinn:

Ach schade, daß ich doch so weit von Danzig bin!

Wie zärtlich wollt ich dir allda zu danken wissen?

Wie zärtlich wollt ich nicht die schönen Hände küssen,

Die ein so muntrer Geist belebt, bewegt und rührt;

Wann er den Dichterkiel, trotz allen Männern, führt.

Jedoch, ich bin entfernt! Wer kann durch achtzig Meilen,

Dir alle Dankbarkeit, die du verdienst, ertheilen?

Ich kenne dich so gar nur deinem Geiste nach:

Dem Geiste, der so stark aus jeder Zeile brach,[330]

Die du mir zugesandt; so, daß ich schweren sollen,

Daß deine Mutter sich in dir verjüngen wollen.


Ich weis, was Fischer mir von ihrer Klugheit pries;

Als er und Gerlach sich in Leipzig sehen ließ.

So spricht schon Famens Mund von ihrem seltnen Wesen!

Wiewohl ich hab es selbst von ihrer Hand gelesen,

Was sie für Geist, Vernunft und Wissenschaft besitzt,

Und wie die Weisheit ihr aus allen Worten blitzt.

Von solcher Mütter Zucht entstehen solche Kinder,

Als du, o Schöne! bist. Vor allem, wenn nicht minder

Die Väter eifrig sind, sie klüglich zu erziehn:

Da müssen in der That dergleichen Pflanzen blühn.


Ach dörft ich nur nicht selbst mein Unvermögen schelten!

Wie gerne wollt ich dir die Gütigkeit vergelten,

Die du mir schon erzeigt. Nimm diese Blätter an,

Bis ich dir, schönes Kind! was bessers liefern kann.

Das ist, du weißt es schon, die Poesie der Preußen;

Dadurch ich auch so gar die Nymphen hier in Meißen

Einst schamroth machen will. Denn sind dieselben gleich

An Geist und Artigkeit, Verstand und Schönheit reich:

So ist doch keine dir, so viel ich weis, in Sachsen,

So jung und zart du bist, im Dichten recht gewachsen.

Du ehrst dein Vaterland durch deinen schönen Kiel,

Und Preußen wird dereinst dein reines Seytenspiel

Aus Stolz verewigen. Drum fahre fort im Singen,

Du Muse deiner Zeit! Denn deine Lieder klingen

So rein, so angenehm, so munter, so beliebt,

Daß jeder, der sie hört, dir Kranz und Lorber giebt.

Was sonst die Möllerin in Königsberg gewesen,

Das wird dein Danzig einst von seiner Kulmus lesen:[331]

Und ich will fröhlich seyn, wofern es einst geschieht,

Daß auch die Welt dein Lob in meinen Reimen sieht.


Laß deine Aeltern sehn, was dir dein Knecht geschrieben.

Und sprich, er werde dich stets rühmen, ehren, lieben!

Weil dein Verstand und Witz, der mehr sein Herze zwingt,

Als alle Schönheit thut, auch in die Ferne dringt;

Und mit vergnügter Brust gestehen, und bekennen,

Er schätze sich beglückt, sich deinen Knecht zu nennen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 330-332.
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