Ode.

[7] O Muse! deren reizend Lied

Auch Felsenherzen an sich zieht,

Und durch die Kraft der Seyten zwinget;

Euterpe! schenk mir deine Gunst,

Und lehre mich die seltne Kunst,

Wie man so sanft als neu, so zart als edel singet.


Kein eitler Stolz bethört die Brust,

Als hättest du mich längst mit Lust

Die matte Cither schlagen lehren.

Mich gafft kein Faunus, kein Silvan,

Von wegen meiner Lieder an,

Und keine Dryas starrt, um meinen Ton zu hören.


Drum nimm nur itzt mein schwaches Rohr,

Bezaubre selbst der Hörer Ohr,

Begeistre du den Klang der Seyten:

Laß, wie bey Dichtern alter Art,

So Witz, als Anmuth hier gepaart,

Die herrschende Vernunft mit heitrer Stirn begleiten.


Ihr Gratien! entzieht euch nicht,

Und zeigt ein holdes Angesicht

Dem Dichter, der euch stets erhoben;

Der kein gezwungnes Wesen übt,

Und alles das, was ihr nicht liebt,

So wenig als ein Lied des rauhen Pans kann loben.[7]


Hier seht ihr euer Ebenbild,

Drey Nymphen, die ein Geist erfüllt,

An Witz und Schönheit Halbgöttinnen:

Verstand und Anmuth sind hier gleich,

O! laßt mich dießmal nur durch euch

Ein auserlesnes Lied zu Ihrem Ruhm beginnen.


Wie war dir, edles Trojerblut,

Berühmter Paris! dort zu Muth,

Als Ida dich zum Richter machte;

Als dir die wohlbedachte Wahl

Von drey Göttinnen auf einmal,

Der größten Schönheit Preis, den goldnen Apfel brachte?


Es stund des Himmels ganze Zier,

Beglückter Prinz! zugleich vor dir,

Die sonst kein sterblich Aug erblicket;

Die Götter selbst beneiden dich,

Dein ganzes Blut beweget sich,

Und dein bezaubert Herz wird aus dir selbst entrücket.


O wärst du in der Meißnerflur,

Die so viel Gaben der Natur,

Als dort der Phrygerstrand verspüret:

Wo Pleiß und Elster, Lupp und Baar

Mehr sind, als dort Scamander war,

Und wo die Lindenstadt mehr Pracht als Troja zieret.


Da würdest du drey Schönen sehn,

Die mehr, als dazumal geschehn,

Dein Urtheil würden schwierig machen:

Weil gleicher Schönheit Glanz und Pracht,[8]

Und gleicher Anmuth gleiche Macht,

Aus jeder Stirn und Brust, aus Mund und Augen lachen.


Was die Göttinnen einzeln ziert,

Wird hier beglückt vereint gespürt:

Muth, Geist und Reizung sind vollkommen.

Ein edler Sinn, ein weises Herz,

Die sanfte Huld, der süße Scherz,

Die haben hier zugleich den Aufenthalt genommen.


Der Liebesgöttinn Liljenhaut

Ward nie so schön als hier geschaut,

Auch nicht der Augen muntres Blitzen:

Es könnt auch Pallas selber nicht

Ein aufgeweckter Angesicht,

Nicht Juno Gang und Schritt von bessrer Art besitzen.


Noch mehr! hier herrscht die Tugend auch,

Die sonst, nach alter Dichter Brauch,

Sehr selten schöne Leiber schmückte:

Hier herrscht auch Munterkeit und Witz,

Dem sonst so selten Rang und Sitz

Bey schöner Glieder Bau und junger Anmuth glückte.


Der große Vater lebet hier,

Der itzt mit eifriger Begier

Die Wahrheit und die Musen schützet:

Wie Er bisher mit kluger Hand

Dein Wohl erhöht, o Sachsenland!

Und dir, Sarmatien! mit Rath und That genützet.


Der Glanz, den Du gewonnen hast,

Als vormals Rambouillets Palast

Dich, eitles Frankreich! stölzer machte;[9]

Dein alter Glanz verlosch bey Dir:

Doch er verjüngt sich schöner hier,

Als Spott und Trägheit ihn bey Dir in Abnahm brachte.


Kaum sah man hier des Grafen Haus,

So brach der Musen Eifer aus,

Ihr Trieb begunnte mehr zu schimmern.

Er selbst, als Phöbus, gieng uns vor,

Gleich sammelt sich der Künste Chor,

Nebst Witz und Wissenschaft, in Seiner Töchter Zimmern,


Beglückte Zeit! Beglückte Stadt!

Beglückter, wer Erlaubniß hat,

Den neuen Pindus selbst zu hören!

O müßte doch kein trüber Fall

Der angenehmen Seyten Schall

Lust, Wirkung, Kunst und Fleiß so edler Musen stören.


Empfangt denn, witzerfüllte Drey!

Dieß Buch, und setzt es jenen bey,

Die Eurem Geiste Nahrung geben.

Ihr liebt die Dichtkunst; schützt sie nun!

So wird Apollo Euer Thun,

Durch Kränze neuer Art, auf späte Zeit erheben.


Joh. Chr. Gottsched.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,1, Berlin und New York 1968–1987, S. 7-10.
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