[305] Es hat das Herz des Menschen ganz eigne Länderkarten!
Die Stelle, wo ihm Liebes begegnet auf seinen Fahrten,
Bezeichnet ihm schon ferne ein heitrer, heller Stern,
Wie ihn gesehn die Weisen einst ob der Krippe des Herrn.
Wie bist du, Stern, so funkelnd ob Augsburg mir zu schaun,
Wie Treu' im Blick der Männer, wie Huld im Aug' der Fraun,
Wehmüthig Leuchten sendend den Tagen, die verglommen,
Ein süß Verheißen streuend auf Tage, die noch kommen!
Max sprach's zum Kreis der Treuen, die mit ihm fröhlich ritten,
Das Lechfeld lag vor ihnen, die liebe Stadt inmitten.
»Was blinkt dort durchs Gehölze, als ob's ein Lager wäre?
Wohl gar der Egypterherzog mit seinem Zigeunerheere?«
Herr Kunze darauf erwidert: »Wenn recht mein Auge sah,
Wohl lagert Herzog Amors Zigeunervölklein da;
Doch scheint's nicht fest im Wandern, die Füßchen sind schon wund,
Was Wunder? Fahrende Fräulein ja lagern dort im Grund!
[305]
O seht das seltne Lager! Die Lanzen sind Nadelspitzen,
Als Schilder, gehängt an Bäume, rings Spiegel und Spiegelchen blitzen,
Viel Pfeile in braunen, blauen und schwarzen Köchern der Augen,
Als grob und leicht Geschütze die Zungen und Züngelchen taugen!
Und hat das Herz des Menschen ganz eigne Länderkarten,
Mußt' ihnen zum Kometen dein heller Stern entarten
Als des Profoßen Ruthe, im Zorn ob Augsburg lohend,
Unsüßen Abschieds mahnend und böse Rückkehr drohend!«
Da faßt der Fräulein eines des Kaisers Zügel leise:
»Gestatt' in deinem Schutze, Herr, uns die Heimatreise,
Heimführe die Töchter wieder dem weisen Magistrat,
Die Schwestern seinen Söhnen, die Kinder der Vaterstadt!«
Da klammerten sich die Mägdlein an Bügel ihm und Zaum,
An Mähn' und Schweif des Rosses und an des Mantels Saum.
Der Kaiser läßt's geschehen, er denkt nur still bei sich:
Euch wird mein Purpur schützen, mein graues Haar schützt mich!
So ritt der Zug von dannen. Herr Kunz ritt hinterdrein
Und trieb ein buntes Denken, zu laut fast mocht es sein:
»O Max, du seltner Jäger! Sieh, was sich für Vöglein fingen,
Dir, lustig zappelnd und flatternd, in Garn und Roßhaarschlingen!
O Max, du seltner Gärtner! Schmückst du zum Rosenturnei
Des Zelters Schweif und Mähnen mit Blumen bunterlei?
O Max, du seltner Kaiser! Welch Prachtgewand ist dein!
Das wird ein Balgen der Pagen nur um die Schleppe sein!«
Am Thor stehn Volk und Rathsherrn. Seltsam Gefühl beflog
Sie All', nun mit den Mägdlein einher der Kaiser zog:
Es wallt um sie, wie schirmend, sein Mantel faltig, weit,
Wie All' uns hält umschlungen die Allbarmherzigkeit.
Ausgewählte Ausgaben von
Der letzte Ritter
|
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro