Rosenhaida's Untergang

[308] Das Dörflein Rosenhaida

Lag mitten im Wiesengrün,

Viel duftige, glühende Rosen

Sah man auf der Wiese blühn.


Da kam einst aus dem Dorfe

Ein dicker Bauersmann;

Er wetzte seine Sense

Und hub zu mähen an.


Er mähte Gras und Rosen, –

O laß die Rosen verschont!

Bedenke, daß dahinter

Gar oft die Schlange wohnt!


Er mähte Gras und Rosen,

Da zischte die Schlang' auf ihn,

Ihr Gift traf ihn zu Tode,

Zur Erde taumelt er hin.


Der Pfarrer von Rosenhaida,

Mit Stol' und Chorgewand,

In heiligem Seeleneifer

Kam schnell herbeigerannt.
[309]

Ach, wie die Stirn ihm triefet!

Ach, wie sein Athem keucht!

Er rennt durch Dorn und Stoppeln,

Sinkt um, stöhnt und erbleicht.


Die Bauern von Rosenhaida,

Die liefen eilig herbei

Und taumelten vor Schrecken

Zu Boden nach der Reih'.


Die Wittwen zu Rosenhaida,

Die weinten Tag und Nacht,

Bis sie der Todesengel

Zu ihren Männern gebracht.


Die Waisen zu Rosenhaida,

Die rangen die Händlein drob,

Bis sie der Vater der Waisen

Zu sich empor auch hob.


Der Küster von Rosenhaida

Sang nun ihr Seelenamt,

Bis ihm vom vielen Singen

Zuletzt die Lung' erlahmt.


Als er's dem Letzten gesungen,

Ging ihm der Athem aus;

Wer wird ihm seines singen,

Wer bringt den Alten nach Haus?


Es blieb der Todtengräber,

Doch der kam nun ums Brod;

Verloren alle Kunden!

Da starb er den Hungertod.
[310]

Oed' ist's in Rosenhaida,

Wüst stehn die Häuserreihn,

Die Mauern brechen zusammen,

Die Dächer stürzen ein.


Gemähte Rosen haben

Solch Unheil einst gebracht; –

Ihr, die ihr mäht auf Wiesen,

Gebt auf die Rosen Acht!


Nun trauert Rosenhaida

In Schutt und Trümmern dort,

Doch auf der Wiese draußen

Blühn lustig die Rosen fort.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 308-311.
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Gedichte
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