|
[241] Schritt ein Dichter durch die Schattenhage,
An das Waldesherz legt' er die Frage:
»Wie du rauschest, Wald, gewitterbange,
Zittert mir die Seel' im Liederdrange!
Rauschest du nur deines Pflanzers Ehre,
Oder auch von seiner Aexte Schwere?
Sei mein Lied die Lerche thaubesoldet,
Flaum und Sang von Sonnenschmelz vergoldet,
Oder sei's der Aar im Wappenbild,
Führend seines Landes Schwert und Schild?
Sei mein Lied die weiche Philomele,
Der die Liebe sänftigt Herz und Kehle,
Oder sei's der Falk' im raschen Stoß,
Den der Zorn verwandelt zum Geschoß?
Führ' ich nicht das eigne Lied zum Tode,
Wenn ich's nährte mit des Marktes Brode?
Stirbt des Ew'gen Kind nicht schon an Tönen,
Die verständlich nur der Stunde Söhnen?
Sing' ein Dichter, wie die Biene sticht,
Deren Leben mit dem Stachel bricht?« – –[241]
Doch der Waldesmund steht ihm nicht Rede,
Läßt ihm ungelöst die inn're Fehde,
Wenn's nicht Antwort ist, daß er ihm eben
Ein alt Märchen ließ im Sinne schweben:
Vor dem diamantnen Feenschloß
Scharrt gezäumt das weiße Elfenroß.
Feenkön'gin spricht zum holden Knaben:
»Zieh' dahin, die Erde zu durchtraben,
Süßer Liebling, habe deinen Willen,
Magst dein unerklärbar Sehnen stillen!
Todeswiege, freudenlose Erde,
Bittre Trift der kranken Menschenheerde,
Ach, sie hätte längst dich schon begraben,
Feiten dich nicht ew'ger Jugend Gaben!
Mein Umarmen soll dein Todenschrein
Und mein Mund sein schließend Siegel sein,
Meine Locken sind dein Sterbelinnen
Und dein Modern heißt unsterblich Minnen.
Warst ein Königlein den Staubgebor'nen,
Bist ein König nun uns Lichterkornen;
Nur der Erdenstaub droht dir Gefährde,
Nimmer drum betritt die schnöde Erde!
Auf gefeitem Pferd durchspreng' die Lande,
Unverletzt kehrst du zum Feenstrande;
Denk', es sei dieß Roß das Musenpferd,
Drauf ein Seher durch die Räume fährt:
Steigt er nieder zu gemeinem Staube,
Weh, gemeinem Loos fällt er zum Raube!
Nimmer drum betritt den Grund der Erde,
Erdenstaub allein bringt dir Gefährde.« –[242]
Rasch durchfliegt der Königsknab' die Weiten,
Hinter ihm die losen Wolken gleiten;
Ein paar Sterne pflückt er unterwegen,
Seinem Zaum zu schimmernden Beschlägen,
Hängt der Monde einen, den er faßte,
Dann als Flitter an des Sprungriems Quaste.
Sieh die Erde da mit kühlen Wäldern,
Blauem Bergesduft und goldnen Feldern!
In der grünendsten Oase Halmen
Grast der Renner jetzt bei weh'nden Palmen,
Daß er nicht zu andrer Weide lenke,
Fesseln Blüthenranken die Gelenke.
Quellen süß ins Ohr des Reiters singen,
Weiches Moos will sanft ihn niederzwingen;
Schöne Frauen lagern in den Gründen,
Flammenblicke schier sein Herz entzünden;
Doch ein fernes Weinen soll ihn mahnen,
Zügelwendend folgt er andern Bahnen.
Sieh, da ist das Land, dem er ein Sohn,
Wo sein Enkel herrscht vom Ahnenthron;
Kühnen Sprunges über Landesschranken
Setzt das Roß, daß bleich die Zöllner wanken.
Traurig Bild! Gefällt die heil'ge Eiche,
Wo er selbst einst Recht sprach seinem Reiche,
Und die Straßen, die als Fürst er baute,
Uebergrünt von Gras und Wucherkraute;
Seine Flotte fault im schlamm'gen Becken
Und kein Segel pflügt die Meeresstrecken;
In die Furchen, die der Landmann bricht,
Streut er dünn die Saat, die Flüche dicht.
Schweigen rings! Doch nein, auch Jubelschalle:
Horch, sie jauchzen aus der Königshalle![243]
Laut ist das Gelag', ein wüstes Singen,
Wildes Lachen, tolles Becherklingen;
Possenreißer sind hier Fürstenräthe,
Trunkne Dirnen lallen Tischgebete.
Jetzt ertheilt des Königs Mund Befehle,
Tief verwunden sie des Hörers Seele;
In die Väterburg ruft streng der Reiter:
»Trauernd ist das Land, der Fürst ist heiter!
Weh dir, Bube! weh euch Helfern allen!«
Lachen tönt zurück und Becherschallen.
Zorngewitternd seine Seele gährt,
Strafend zuckt die Rechte an das Schwert,
Flink vom Rosse springt der Knabe heiß:
Doch zu Boden knickt ein welker Greis;
Nur die Faust, schon zum Geripp verzehrt,
Hält noch droh'nd das alte Königsschwert.
Angst und Grausen packt die üpp'gen Zecher
Und der Königshand entsinkt der Becher.
Zitternd brach ein hundertjährig Leben,
Durch die Lüfte Klagelaute beben:
»Staub der Erde brachte dir Gefährde,
Weh, daß du betratst die schnöde Erde!«
Reuvoll thürmen sie sein Mal. Bald klettern
Blüthenbüsche dran, geformt wie Lettern.
Will ein Menschenkind die Schrift entziffern,
Mischt der Windhauch wirr die blüh'nden Chiffern;
Kinder der Unsterblichen nur weiden
Nächtens dran ihr Aug mit stillem Neiden:
»In den Flammen edlen Zorns verlodern
Und verglühn zu Asche, statt zu modern,
Selig, wem solch Sterben wird gegeben,
Herrlicher, als ewig Jugendleben!«
Ausgewählte Ausgaben von
In der Veranda
|
Buchempfehlung
Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro