Philomele

[132] 1848.


Nicht im Orkane singt die Philomele,

Sie lauscht im Buschverstecke, wir's gewittert,

Wie Sturm die Orgel schlägt und Eichen splittert;

Das Grauen schnürt ihr zu die zarte Kehle.


Der Sturm doch bleibt gewonnen ihrer Seele. –

Wenn Thau und Duft um deine Rosen zittert,

O Mainacht, mondgekrönt und sternbeflittert,

Dann jauchzt ihr Sang durch deine Blüthensäle.


Und weißt du gut mit feinerm Ohr zu lauschen,

So hörst du nur den Sturm von damals rauschen,

Durch ihre Kehle jene Donner schmettern;


Du hörst den Angstschrei, banges Wipfelsausen,

Den nahen raschen Schlag, ein fern Verbrausen, –

Doch süßer Wohllaut nur rollt in den Wettern.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 132-133.
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