Drei Walhalla-Nichtgenossen

[45] 1846.


– – Dann wird der Bayerfürst seinen Wappenschild daran aufhängen und Niemand wissen, was es zu bedeuten hat.

Grimm, deutsche Sagen.


O deutscher Ruhm, wärst du die Glocke rein,

Am Thurm der Eintracht hängend hoch im Frei'n,

Glücksel'ge Hand, die diese Glocke rührt!

O deutsche Kunst, wärst du die Muse frei,

Dein schöner Leib entstellt nicht von Livrei,

Von Banden deine Flügel nicht umschnürt!


Die deutsche Kunst hat jüngst am deutschen Strom

Dem deutschen Ruhm gebaut den griech'schen Dom,

Walhalla! Große Todte hat gesellig

Ein deutscher Fürst ins Haus am Stauf geladen,

Deß Marmorsäulen jetzt im Mondlicht baden

Und sich im Strome spiegeln selbstgefällig;

Kein Schmeichler ist der Strom, im Spiegel schimmert

Der stolze Bau zerschwankend und zertrümmert. –

Wer deutsche Größen richtend wägt und mißt,

Deß Herz sei groß und stark wie Deutschland ist,[46]

Den Strahlenkranz des Ruhmes zu ertragen

Auch jener Größen, die ihm Wunden schlagen!


Ha, Mitternacht! Fernher verhallen träge

Vom Thurm der alten Stadt zwölf Glockenschläge.

In langem Zug gespenstig, feierlich

Empor die breiten Tempelstufen schreiten

Des Fürsten Gäste, Trachten aller Zeiten;

Die Einen strecken, Andre bücken sich,

Daß Kleinheit dreist zur Größe sich bequeme,

Daß höhrer Wuchs die Niedern nicht beschäme.

Der Zug ist eingetreten in die Hallen

Und rasselnd sind die Pforten zugefallen.


Vorm Thor drei Männer blieben, ausgeschlossen:

Wer rief sie her, wenn sie nicht Ruhmgenossen?


Der Erste ist ein Mönch, aufrecht von Gang,

Breitschultrig, kerngesund, von ehrnen Knochen,

Ein Recke, der zum Mummenschanz gekrochen

Ins Klosterkleid; er trägt es wohl nicht lang.

Erstarkt zum Waffenspiel schwingt seine Hand

Die Bibel wie ein Schwert, hält sie umfahn

Wie ein Panier, auf dessen Fahnenband

Sein Spruch: »Das Wort sie sollen lassen stahn!«

Mit seinem Buche schlägt er an die Pforten

Und läßt vernehmen sich in solchen Worten:

»Die schlimmsten Ketten, die mein Volk getragen,

Wahnglaubens Ketten hab ich stolz zerschlagen,

Dreiköpf'gen Höllendrachen kühn zertreten,

Der sich in dreifach Kronenband vermummt,

Dem deutschen Wort, dem Seraph gramverstummt,

Löst' ich die Zung' und lehrt' ihn singen, beten

Und reden treu die Sprache der Propheten.[47]

Nur halbes Ernten gab der reiche Same,

Zerspalten hat mein Volk der Streit um Garben,

Der Riß ging durch mein Herz, noch trägt's die Narben!

Thut auf! Martinus Luther ist mein Name!«


Der Zweite ist ein Fürst im Kronenglanz,

Durch seine Adern rollt gemischtes Blut,

Die Zähheit Habsburgs und französ'sche Gluth,

Das große Herz jedoch blieb deutsch und ganz.

Mit seinem Zepter klopft er an die Pforten

Und läßt vernehmen sich in solchen Worten:

»Was jener Mönch begann, wollt' ich vollenden

Und selbst beginnen, was er noch nicht ahnte;

Manch Wundmal noch an alte Ketten mahnte,

Ich wollt' es heilen mit barmherz'gen Händen.

Wie Christ hab' ich vom Kreuze meiner Throne

Gepredigt Duldung, daß die Spaltung weiche;

Geweckt die Todten, des Gedankens Leiche,

Und ihn bestellt zum Hüter meiner Krone

Und ihn zum Herold deutschen Ruhms berufen;

Den Pflug, den ält'sten Siegeswagen, lenkte

Befreit, bekränzt, ich durch des Landmanns Hufen,

Drauf gern ein volles Segensmeer ich senkte.

O klein und schwach Gefäß, durch das ich's leite,

O kurzes Leben, ich erfuhr's mit Schmerzen!

Thut auf! Ich bin genannt Joseph der Zweite,

Der Erste doch in meines Volkes Herzen!«


Ein Bauer ist der Dritte, derb und feist,

Gutmüth'gen Mund von schwarzem Bart umkreist,

Die Büchse auf sein Lodenwamms geladen;

Säh man ihn so vor sich, man glaubte dreist

Sein Werth und größt' Verdienst lieg' in den Waden.[48]

Doch trägt ein Banner er, ich kenn' es wohl,

Das ist der Felsenadler von Tyrol.

Mit seinem Kolben klopft er an die Pforten

Und läßt vernehmen sich in solchen Worten:

»Sah ich nicht dort die Rütlimänner gehn?

Ich that wie sie, bei ihnen will ich stehn!

Ich bin kein bessrer Mann als alle Andern,

Doch Einer muß für alle Brüder wandern;

So wird ein schlichter Stein Schlußstein der Halle,

Ein einfach Blatt zum Wipfel über alle.

Kein Einzler komm' ich, nein, ein Heldentausend

Ein Heer von Männern, angeschwollen brausend,

Das rettend in sein Felsenschloß getragen

Den deutschen Ruhm in schmachvoll düstern Tagen,

Und leuchtend ihn bewahrt in Ungewittern,

Als Deutschlands Odem nur ein knechtisch Zittern.

Hat unser Rohr manch' Deutschen hingebrannt,

Was trug der Schelm französisch Knechtgewand!

Wie hier ich steh', stand ich auf Mantuas Walle

Und bot dem Blei die Brust, Einer für Alle.

Thut auf! Es pocht Tyrol, das Heldenland,

Statt Aller Einer nur, der Wirth vom Sand!«


Unfern ragt ein Gerüst von seltnem Bau,

Ein Richtmaß scheint's, Rekrutenwuchs zu proben;

Der Pfahl trägt Landesfarben weiß und blau

Und Aufschrift gothisch auf der Tafel oben:

»Allhier Walhallagrößen seiend Messung,

Doch bojuvar'schen Maßstabs Nichtvergessung!«


Es winkt ein Mann, gutdeutsch genannt Gensdarm,

Den Drei'n, zu treten an des Maßstabs Arm.

Der Ordensmann will, ein bescheidner Weiser,

Den Vortritt gönnen gern dem großen Kaiser;[49]

»Ecclesia praecedit!« spricht galant

Der Fürst, ihm freundlich winkend an den Stand.


Ans Maß tritt Luther; ha, es wankt dem Schritt,

Doch eine Stimme ruft: »Zu groß, zu groß!«

Die Pforte fest in Riegel ruht und Schloß.

Da kehrt der Mönch gen Nord mit festem Schritt:

»Lebt wohl! Gen Wittenberg zur Grabeszelle,

Für die ich klein genug, will heim ich kehren,

Und meditiren in Gedankenhelle,

Und beten heiß für meines Volkes Ehren.«


Ans Maß Josephus jetzt, der Kaiser, tritt,

Doch eine Stimme ruft: »Zu fein, zu klein!«

Da lenkt der Kaiser ostwärts seinen Schritt:

»Für Völkergröße, traun, macht' ich mich klein.

Lebt wohl! Zu Wien, in meines Volkes Mitten

Die Klostergruft will ich mit Heimweh grüßen,

Und wieder ruhn zu meiner Mutter Füßen,

Lauschend, wie sie mir jetzt im Bild abbitten.«


Dem Maß beugt Hofer nun sein starr Genick,

Doch eine Stimme ruft: »Zu dick, zu dick!«

Da kehrt der Sandwirth um auf Südens Wegen:

»Schier etwas dick war's, doch nicht dick genug,

Die Feind' und Gleißner alle wegzufegen!«

Dick aufgetragne Farben: Felsenflug

Und Pulvernebel, Hiebe, Kugelregen!

Ade! Aufs Neu bezieh' ich heimatfroh

Mein alt Quartier: »Derzeit unwissend wo.«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 45-50.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
In der Veranda
Sämtliche Werke 3: In der Veranda. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
In der Veranda
In Der Veranda: Eine Dichterische Nachlese (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon