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[332] Haus im oberen Hünenring. Zimmer.

Thusnelda und Thumelico.


THUMELICO. Mutter!

THUSNELDA. Was begehrst du, mein Junge?

THUMELICO. Ein kleines Butterbrot, nicht größer als meine Hand.

THUSNELDA. Ein großes, ein ganz großes sollst du haben! Iß, trink und freue dich des Augenblicks ehe die schweren Jahre kommen. Hols dir in der Küche.


Thumelico eilt fort. Hermann tritt ein. Thusnelda zittert, und wird glutrot.


HERMANN. Mein Land bleibt auch im Winter das Land der Rose, wie die Barden es benennen. Deine Wangen bezeugen es. – Du wendest dich ab und hältst die Hand vor die Augen?

THUSNELDA. Deine neue römische Ritterrüstung blendet.

HERMANN. Auch diesen Siegelring sandte mir der Kaiser.

THUSNELDA. Wehe, Weh! Der erste im heißen Süden geschmiedete Ring, der dich, mich, den ganzen Norden an Italien kettet.

HERMANN. Tränen? Pfui.

THUSNELDA. Freilich, ein Vaterlandsverräter ist der Träne nicht wert. Wer aber kann sie zurückhalten?

HERMANN. Weine aus. Ich setze mich so lang bis du fertig bist.

THUSNELDA. Du! Erniedrigt durch diese goldnen Schuppen zu einem Goldkäfer! Bist du ein echter Held in Eisen oder ein augustischer Schmetterling in bunten Flügeldecken?

HERMANN. Fürstin und Frau, kennst du Fürsten und Männer?

THUSNELDA. Einst wähnt ich allerlei davon. Es waren Träume.

HERMANN. Weiberlist ist unergründlich, sagt man. Glaubst du, die Männer hätten vom Mutter- oder Vaterwitz nicht auch etwas? – Was ist besser, Knecht oder freier Herr?

THUSNELDA. Was willst du sagen?

HERMANN. Gesetzt, ich hätte die Römer und dich getäuscht, Stahl gewetzt, während du Zwirn gefädelt hast. Sie hätten sich umsonst gefreut, du hättest dich umsonst geängstet?

THUSNELDA. Herr, Erretter, Hermann! Jetzt begreif ich alles, ich umarme dich! Die Freude ists, die meine Arme beflügelt,[333] und nun stürz ich vor Reue dir zu Füßen! Ich Unglückliche, trag mir meine Vorwürfe nicht nach! 's ist Landessitte, eine Beleidigung nicht zu vergessen.

HERMANN. Daß du mir aus Liebe zum Vaterlande bös wardst, deshalb sei ruhig. Und höre: erst führ ich die Welschen zum Harz, sich eine Portion Köpfe daran zu zerbrechen, mir auch Gelegenheit zu geben, daß ich mit den Harzern ein Bündnis schließe, und des weiteren. Ich kann, da der Abzug dahin gleich vor sich geht, jetzt nicht mehr sagen.

THUSNELDA. Weil du nicht willst.

HERMANN. Welcher Zweifel – ich sage dir ja das Beste und Gefährlichste! – Während der Zeit, daß sie von hier fern sind, läßt du ihre Heerstraßen verderben, nur ja nicht die den Cheruskern rechts und links bekannten Wald- und Seitenwege, und bei Zertrümmerung der Heerstraßen läßt du Verhacke machen, und sagst, das wären Einrichtungen zum künftigen neu erfundenen, vom Prokonsul befohlenen Straßenbau. Alle Mannschaft die im Lande streitfähig ist, sammelst du, indem du sie zu diesem Geschäft beorderst. Dein Vater, der (erlaub mir es so mild als möglich auszudrücken) dem Feinde ergebene Segest, wird sicher zu dir kommen, und anfragen, du wirst klug sein und seinen Argwohn ihm zu benehmen wissen. Wie? überlaß ich dir.

THUSNELDA. Du übergibst mir schwere Aufträge.

HERMANN. Vollführe sie, es wird weder uns, noch unsren spätsten Enkeln schaden. Nicht von Feinden gefesselt, frei und groß werden wir, sie und Deutschland. Die Verantwortung für diese Sünde übernehm ich mit Freude, sollt ich auch ewig in der Hölle dafür büßen.

THUSNELDA. Held, ich werde nach Kräften deine Gebote erfüllen.

HERMANN. Neldchen, lebe wohl. Ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 332-334.
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