II.

Numantia und Kapua

[103] Die Ruinen Numantias, noch glühend und dampfend.


TERENZ. Noch immer nicht Morgen? Ich vergehe vor Frost. Hier wohl Feuer, aber welches! Reisig von Häusern und Menschenknochen! – Doch mich friert zu sehr, – ich muß mich wärmen an dem heißen Graus!


Er kauert nieder an den Ruinen.


Entsetzlicher Abend! furchtbare Nacht! Scipionen, ihr Ungetüme, wie habt ihr euch entschleiert! Dieser jüngere Scipio, der so hold lächeln konnte, las ich ihm in seinem Ruhezimmer eins meiner Stücke vor – Was war er vor vier Stunden? Sturm, Mord, Feuer, sein Antlitz eine arbeitende Waffenschmiede! Mich kannt er nicht mehr. »Jetzt ists nicht Zeit! 's ist grad was Wichtigeres zu tun!« waren alle Antworten, wollt ich ihn anreden, – weiter sauste er mit dem wildschnaubenden Rosse, und ich mußt im Troß mich verlieren, in Gefahr, daß ich von jedem seiner Krieger, der mich nicht kannte, übergeritten, erschlagen wurde – Ah, endlich zittern die ersten Strahlen der Sonne durch die Nebel, und – es wird noch kälter vor dem weiß gerinnenden Reif und dem erwachenden Windzug. Und, o Götter, da gegenüber ringt Numantias Volksrest die Hände, und die Soldaten schleppen ununterbrochen neu im Qualm aufgefundene Gefangene mit schwertgestählter Faust herzu!


Scipio der Jüngere und Scipio der Ältere kommen mit Gefolge.


SCIPIO DER JÜNGERE zu einem des Gefolgs. Diesen Schlüssel zu Numantias erstürmtem Haupttor bring meiner Mutter, der Kornelia, und möge sie daran erkennen, daß ihre Söhne streben, ihrer Lehren wert zu sein.[103]

SCIPIO DER ÄLTERE. Und melde, daß wir gesund sind. Hoffentlich sie auch.


Der Abgeordnete ab.


SCIPIO DER JÜNGERE. Terenz? Wärmst Dich an Numantias Kohlen? Das wäre Stoff zu einem Lustspiel, besser als eins der Atellanen, nicht bloß wunderlich – auch im Scherz mit einem großen Hintergrunde.

TERENZ. Ihr schufet den Stoff so tragisch, daß ich doch zu schwach bin, ihn zu einem lustigen umzudichten.

SCIPIO DER ÄLTERE. Eh, Freigelassener, was tragisch ist, ist auch lustig, und umgekehrt. Hab ich doch oft in Tragödien gelacht, und bin in Komödien fast gerührt worden.

TERENZ zu Scipio dem Jüngern, bitter. Herr, in vergangener Nacht kanntest Du mich nicht.

SCIPIO DER JÜNGERE. 's war grad was Wichtigeres zu tun.

TERENZ. Da wieder das alte Lied von Erz.

SCIPIO DER JÜNGERE zu Soldaten und Liktoren. Jene Gefangenen in Rudel gebracht, jedes Rudel dreißig Stück, und dann damit zu Schiff nach Ostia. Ob der Senat sie da oder in Rom will verkauft wissen, fragt ihr dort nach.

SCIPIO DER ÄLTERE. Und merkt ihr, wo Mann und Frau oder Verwandte beieinander stehn, reißt sie auseinander, damit sie nicht konspirieren.


Mehrere Liktoren und viele Soldaten ab. Bald darauf treiben und schleppen sie die Gefangenen vorbei nach der Küste.


EIN GEFANGENER. Weib, mein Weib! Wohin gerissen an Deinem Haar? In fremde Arme!

DAS WEIB. Die Glücklichen, die sich verbrannten!

EIN KNABE. Sieh doch um Mutter, sie kommen mit Stricken, Dich zu binden! – Weh, nun mich auch! Leute, mild! was taten euch diese armen Hände?

EIN LIKTOR zu seinen Untergebenen. Geißelt die Schreihälse! Muß man euch an den Dienst mahnen?


Das Geschrei erstirbt in Gewinsel.


TERENZ. Schrecklich!

SCIPIO DER JÜNGERE. Bester, es ist bei uns Sitte, daß man den Krieg so lang führt, bis der eine Teil ausgerottet oder Sklav geworden. Denn einen halben Frieden lieben wir nicht; er gibt dem Feinde nur Zeit, sich zum neuen Kriege zu stärken. Pfui, stell Dich nicht albern! Ganze Kohorten blicken schon nach Dir.[104]

TERENZ in sich. Die Geißelei mit Bleiknöpfen: Sitte! Götter, was mag in Rom Unsitte sein?

SCIPIO DER JÜNGERE. Wer naht?

EIN SOLDAT. Ein Keltiberierfürst.

DER KELTIBERIERFÜRST ALLOCHLIN kommt und stürzt Scipio dem Jüngeren zu Füßen. Herr! Herr! Herr!

SCIPIO DER JÜNGERE. Dreimal dasselbe ist zuviel. Was willst Du?

ALLOCHLIN. Herr, meine Braut! Ich bin der Fürst Allochlin, und sie und ich sind keine Numantiner, sind Ureinwohner, und keine phönizische oder karthagische Kolonisten, – sie war nur zum Besuch in Numantia, als ihr sie mitfingt – Ihr Sterne! meine Braut!

SEINE BEGLEITER schreien mit. Ihr Sterne, seine Braut, die blühende Braut!

SCIPIO DER ÄLTERE. Die hat viel Liebhaber. Ich möchte ihr Mann nicht sein.

ALLOCHLIN. Dort steht sie unter den Gefangenen.

SCIPIO DER JÜNGERE. Ein schönes Mädchen.

ALLOCHLIN. Wie der Mond aufschimmernd über dem dunklen Gebirgswald!

SCIPIO DER JÜNGERE. Karthago ist euch mehr Urfeindin als uns Römern. Wenn Du mit mir gegen sie kämpfest, ist Deine Bitte gewährt.

ALLOCHLIN. Gleich stell ich Dir elftausend Krieger. Sie alle folgten mir, als sie mein Unglück hörten, bewegt wie ich.

SCIPIO DER JÜNGERE. Führt jene Jungfrau hieher.


Zwei seines Gefolges ab.


ALLOCHLIN. Sie kommt! Da ist sie! Die teuren, die lieblichen Züge wieder so nah! O Gräser und Blumen – Meine seligen Augen!

SCIPIO DER JÜNGERE. Fürstin, Dein Bräutigam hat Dich erfleht. Sei frei und mach ihn glücklich. – Allucius (verzeih, ich kann Deinen Namen nur nach meiner heimischen Mundart aussprechen) zeig mir nun Deine Krieger.

ALLOCHLIN. Sie bemerkten Deine Huld, und nahen schon mit freudigen Schritten. Ich stelle mich an ihre Spitze, die Ersehnte an meiner Seite, und führe sie Dir vorüber.

DIE BRAUT für sich, auf Scipio den Jüngeren blickend. Die erhabene Gestalt mit dem mildernsten Antlitz – ists ein Göttersohn, in irdisches Eisen gehüllt? – Ich könnte –[105]

ALLOCHLIN. Du weilst?

BRAUT. Nein, Gespiele der Jugend, auch Götter machen mich nicht untreu!


Allochlins Heer rückt heran, er zieht das Schwert, stellt sich mit seiner Braut, die jubelnd empfangen wird, an die Spitze, und führt es vorbei.


SCIPIO DER JÜNGERE. Bruder, dieses Heer ist besondrer Art.

SCIPIO DER ÄLTERE. Nach dem Geschnatter, nackten Beinen, den Federn auf den Köpfen, hielte man es leicht für einen Haufen großer Enten. Aber die Enten folgen doch noch in Einer Reihe dem führenden Entrich. Das Gewimmel wühlt durcheinander wie Kraut und Rüben.

SCIPIO DER JÜNGERE. Und statt der Tuba Saitenspiel!

SCIPIO DER ÄLTERE. Bei denen muß es lustige Schlachten geben. – Ich schäme mich solcher Bundsgenossen.

SCIPIO DER JÜNGERE. Warum? Im Kriege ist alles zu verbrauchen.

TERENZ der, seitwärts stehend, aufmerksam zugehört hat, für sich. Verbrauchen! Das arme Gesindel füllt bald die Gräben mit seinen Leibern und die Römer gebrauchen es dann zur Brücke!

SCIPIO DER JÜNGERE. Jenen Langen ruft heraus. Ich will ihn sprechen.

SCIPIO DER ÄLTERE. Wie? Der scheint just der Närrischste!

TERENZ. Herr – Er stockt und blickt furchtsam auf die Scipionen.

SCIPIO DER JÜNGERE. Verschluck Deinen Gedanken nicht. Poeten bersten, wenn sie ihre Weisheit bei sich behalten müssen.

TERENZ ermutigt zu Scipio dem Ältern. Euer Bruder will vom Schlechtesten auf das Bessere schließen. Ist das nicht vorsichtiger, als schlöß er umgekehrt?

SCIPIO DER ÄLTERE. Daraus mach nur einen guten Spruch für Deine Possen.

TERENZ betrübt, für sich. Lustspiele, jahrelang bedacht, bearbeitet, bei Tag und Nacht – Possen! Das der Lohn!


Der herbeigerufene Keltiberier kommt.


SCIPIO DER JÜNGERE. Du bist?

KELTIBERIER. Sohn Ullos, der da hieß die Keule.

SCIPIO DER JÜNGERE. Und Dein Name?

KELTIBERIER. Bin leider noch namenlos. Noch stieß ich keinem Feinde, nach dem ich mich benennen könnte, die Lanze ins Herz, denn so nur erringt man bei uns den Namen –[106] Die Feiglinge! sie flohen alle, wie ich den Speer erhob!


Er schüttelt seine Lanze.


SCIPIO DER JÜNGERE. Nun – sacht. Willst Du in meine Dienste treten?

KELTIBERIER. Wenn mein Than mich Dir schenkt.

SCIPIO DER JÜNGERE. Das tut er.

KELTIBERIER. Ich bin Dein Sklav.

SCIPIO DER JÜNGERE. In müßiger Stunde sollst Du mir von Deinem Volk erzählen.

KELTIBERIER. Nur erzählen? Singen will ich davon!

SCIPIO DER ÄLTERE trocken. Sind alle Deines Volkes Großprahler wie Du?

KELTIBERIER. Ich hoffe, ich bin der Geringsten keiner.

SCIPIO DER ÄLTERE. Windbeutel! Das hoffst Du?

KELTIBERIER. Die Barden singen: zu fechten mit der Zunge, ist schwerer als mit dem Schwert!

SCIPIO DER ÄLTERE. Das sind mir eigene Grundsätze.

SCIPIO DER JÜNGERE. Er muß sie doch für die rechten halten, so unbefangen sagt er sie.

TERENZ. Welch Unding verkehrte Erziehung nicht aus einem Menschen macht!

SCIPIO DER JÜNGERE. Sohn Ullos, tritt unter mein Gefolge.

SCIPIO DER ÄLTERE. Indes wir hier belagerten, ist uns Hasdrubal mit Karthagos letztem Heer in Spanien entwischt.

Er klettert schon in den Alpen zum Hannibal. Wir müssen nach.

SCIPIO DER JÜNGERE. Nein. Er erblickt seinen Bruder nicht. Konsul Nero erwartet ihn längst mit drei Legionen in Ligurien. Zweimal gehts nicht mit Überraschungen, wie sie uns Hannibal bereitete, man lernt sich vorsehn. – Die Pferde!


Die Scipionen und die Reiter ihres Gefolgs setzen sich zu Pferde. Scipio der Jüngere, vor das Heer sprengend, mit erhobenem Feldherrnstab, laut zu ihm.


Wir aber wollen der afrikanischen Natter unmittelbar das Haupt zertreten, denn die tausend Schweife, mit welchen sie nach allen Zonen wedelt, verzappeln, wenn sie keinen Kopf mehr fühlen! Versteht ihr?

DAS HEER wendet die Adler, die Mauerbrecher, Ballisten, Katapulten und das Kriegsgerät gen Süden. Du siehst es! Er winkt Beifall. Alles nach Süden ab.


[107] Kapua.

Saal in Hannibals Wohnung.

Hannibal geht heftig mit Brasidas auf und ab.


HANNIBAL. Und eure heut angelangten Schiffe liefen mit dem Schiff des Boten aus, der mir vor acht Monaten die Ritterringe abfoderte? Wahrlich, meine Landsleute sind Adler, wenn sie holen, Schnecken, wenn sie schicken.

BRASIDAS. Unsre Schiffe waren schlecht –

HANNIBAL. Vorsätzlich so geliefert.

BRASIDAS. Sie wurden bald leck. Da gings nach der kleinen Syrte, zu kalfatern.

HANNIBAL. Nicht bloß zurück, auch seitwärts? Die Ottern!

BRASIDAS. Die Arbeit ging langsam, es fehlte dort –

HANNIBAL. An Holz, Pech, Teer, das wußten sie so gut wie ich!

BRASIDAS. – der Admiral ward sichtbar ungeduldig –

HANNIBAL. Gings dem eingelernten Schurken noch zu geschwind?

BRASIDAS. Endlich konnten wir in See, und steuerten nach Gades –

HANNIBAL. Katzen, die von den Buben durch die Straßen getrieben werden, Windhunde auf der Jagd springen nicht so hin und her!

BRASIDAS. Es harrten dort fünfhundert neugeworbne Numidier, die wir für Dich mitnehmen sollten.

HANNIBAL. War euer Admiral auch befehligt, sich um die äußersten Hörner Afrikas zu winden, mir ein Pfund Zimmet aus Indien mitzubringen?

BRASIDAS. Dann –

HANNIBAL. Laß! Sie treibens so dummgrob, daß man vor Verachtung sich kaum darüber ärgert. – Und die paar tausend Mann Hülfe, die ihr bringt, sind auserlesen! Ich müßte sehr irren, oder ich kenne die hageren Finger, die mir diese Spreu aus dem Weizen gesucht. Als ich den Haufen musterte, ward vor all den Buckeln, schiefen Beinen der Krüppel, und den Brandmalen der Galeerensklaven, mein Pferd scheu! – Doch, Brasidas, für Dich dank ich Dir und meiner Muhme Alitta. Hätte je eine einzige Ader von ihr im Synedrion geschlagen, Rom läge[108] zerschlagen! – Was sprach man von mir, als Du Karthago verließest?

BRASIDAS. Wenig. Man erwartete die äthiopische Karawane. Mancher meinte, Du hättest Rom nicht so lang unerobert lassen sollen.

HANNIBAL. Gescheuter, hätt ich Mittel gehabt, es erobern zu können. – Mein Aufenthalt in Kapua?

BRASIDAS. Man wußte noch nichts von ihm.

HANNIBAL. Ich soll hier schwelgen und auch mein Heer – Ich, der nie ein Weib, nie einen Weinbecher berührte! Und das Heer? Satt sich zehren, ausruhn laß ich die Erschöpften, mit denen ich das Feld nicht mehr halten konnte. Selbst mein letzter Elefant erlag, und, oder ich müßte mich arg im Auge des klugen Tieres trügen, er blickte sterbend voll Ingrimm nach der Gegend von Karthago.

BRASIDAS. Der edle Melkir –

HANNIBAL. Der?

BRASIDAS. – ist fast der einzige, der alles lobt, was Du beginnst.

HANNIBAL. Hölle, beschütze mich vor Feindeslob! Es ist die gefährlichste Münze!


Ein Bote kommt.


Ha, Du, den ich an Hasdrubal gesandt – Wagt er es auf den Zorn der Dreimännerschaft und folgt er meiner Einladung?

BOTE. Er hatte sie kaum gelesen, als er rief: »Bruder, ich komme! Bote voraus, daß ich Dich nicht einhole! « Und als ich aus dem Lager ging, begleiteten mich schon, weithin schallend, die zum Aufbruch rufenden Signale!

HANNIBAL. Dank euch Götter, denn ich kann einmal zu euch beten! Furchtbarer Moloch, ich glaubte oft, wir brieten Dir die Säuglinge umsonst, Du zögst mit vornehmer Nase den kostbaren Rauch ein, als sei er so ein gewohnter Tribut, – nein, endlich willst Du Karthago retten, bisher hast Du es nur geprüft – Ich habe mich in Dir geirrt! – Hasdrubal und ich – Das Kapitol ist zermalmt, sobald wir uns vereinigen – Wo schiffte er ein?

BOTE. Dazu war Numantia bestimmt. Da dieses fiel, so hat er geglaubt, nichts Besseres tun zu können, als Deiner Spur zu folgen, er hat die Pyrenäen bereits im Rücken und ist auf den Höhen der Alpen.[109]

HANNIBAL. Und – ja – ich in diesem niedrigen Sessel –

BOTE. Was ist?

BRASIDAS. Ärzte!

HANNIBAL erst noch matt, allmählich sich wieder erholend, aufstehend. Ärzte retten Hasdrubal wohl nicht mehr, und mir wäre meine kleine Apotheke zur Hand. – Bote, geh.


Bote ab.


Moloch, ich log! ich irrte mich doch in Dir! Weshalb gabst Du dem Hasdrubal auch nicht die mindeste Warnung? Er mit dem kleinen Heer auf den Alpen? Brasidas, weiß er nicht, daß sie mein großes zur Hälfte vernichteten, ihre Geier zu füttern? Daß wir, um Weg zu bekommen, mit Felsen, mit Leichen die Abgründe füllten? – Hasdrubal, Du wirst auf den schwindelnden Stegen genug alte Bekannte finden, frisch und unverwest, aber schlechte Wegweiser, wegen ihrer Füße von Eis, ihrer Augen von Glas!

BRASIDAS. Du selbst vollbrachtest diesen Übergang.

HANNIBAL. Eben deshalb weiß ich um Hasdrubals Ende. Eh die Sonne nicht noch Jahrhunderte daran geschmolzen, würd ich ihn nicht wieder versuchen, – nie wieder Nächte, wo wir tief in Schnee uns hüllten, um nicht zu erfrieren, wo über mein halbtotes Heer die Sterne am klarsten Himmel glitzerten, als geschähe eben nichts, wo ich schlaflos für alle zu denken hatte, das Vorwärts und Rückwärts im kalten Nachtlager erwägend. Und als wir endlich auf unseren Schilden nach Italien hinunterglitten, fing uns nicht gleich ein Konsul Nero mit seinen Spießen auf, wie er jetzt da steht: seinen Fuß auf dem damals freien, jetzt unterdrückten Cisalpinien! – Doch haben sie einen dummen Streich gemacht, müssen wir versuchen, ihnen zu helfen. Dazu sinds unsre Landsleute.

BRASIDAS. Wir kommen nicht aus der Stadt. Der Diktator Fabius Maximus steht davor mit vierfacher Übermacht.

HANNIBAL. Der Maximus! Beim Satan, ich kann noch lachen! – Mann, er ist Minimus, und da die Römer keinen besseren zur Hand hatten, gaben sie ihm den großen Titel, und Mit- und Nachwelt werden ihn gläubig nachplappern. Rücken wir aus, weicht er, wie immer, beiseit, wir ziehen durch die fetten Täler, er klettert auf den kahlen Höhen nach – Das nennt er Vorsicht!

TURNU kommt. Der heut mit den Hülfstruppen angekommene[110] Admiral harrt im Vorsaal, Dir seine Aufwartung zu machen.

HANNIBAL. Er kommt mir gelegen –


Turnu will gehen.


Wart! Nimm sechs Soldaten meiner Wache, und sag ihnen, sie sollten den Admiral –

TURNU. Als Ehrenwache – ?

HANNIBAL. – sie sollten ihn sofort am höchsten Mast seines Hauptschiffs aufknüpfen, weil er mit der Flotte zu spät gekommen.

TURNU. Wetter, ich glaube, er kam noch zu früh, und wird auch selbst nicht ganz anderer Meinung sein! Ab.

BRASIDAS. Was wird man dazu in Karthago sagen?

HANNIBAL. Was man will. Mit Brasidas ab.


Straße in Kapua

Gruppen der Bürger.


ERSTER BÜRGER. Ab ziehn sie! Wir sind frei!

ZWEITER. Bis sie wiederkommen.

ERSTER. Welcher Patriot denkt an so etwas?

DRITTER. Nicht einmal Besatzung zurückgelassen!

ZWEITER. Doch – viele kleine Punier bei den Weibern.

ERSTER. Leuchtende Schilde um die Mauern gehängt, mit kühlem Efeu und Eppich die weinglühenden Stirnen bekränzt, und die Freiheit ausgerufen!

ALLE. Freiheit!

DER FRÜHERE DESPOT DER STADT kommt mit zahlreichem bewaffneten Gefolge. Recht so, ihr Bürger, und mithin tret ich wieder in mein altes, vom Hannibal mir anmaßlich entrissenes Recht, und rat euch wohlmeinend, vor allem Ordnung zu halten, ohne welche keine wahre Freiheit denkbar; genießet der errungenen Freiheit, aber, bei Todesstrafe, sprecht nirgends ihren so leicht mißverstandenen Namen aus, – erblickt getrost in mir den wahren rechtmäßigen Vertreter der Gesamtfreiheit. Nach Haus, Kinder, ich werde für alles sorgen.


Zum ersten Bürger.


Du zögerst, Freund? – Sklaven, werft ihn in Ketten.


[111] Der Bürger wird von einigen Sklaven des Despoten gefesselt.


Zu Haus, ihr übrigen, im Schoße eurer Familien blüht euer schönstes Glück.


Da die Bewaffneten des Despoten Miene machen, auf die Bürger loszugehen, entfernen sich diese schweigend nach allen Seiten.


DER GEFESSELTE BÜRGER. Der gemästete Schuft, mit fettigem, immer lächelndem Gesicht! Die klebrige, an ihrem eignen Schleim so hoch gekrochene Schnecke! O Du, mit dem ich in die Schule ging –

DESPOT. In unseren Schuljahren warnte ich Dich oft, Kamerad, vor Deinem ungestümen Wesen, hielt Dich ab von manchen tadelwerten Streichen – Leider, wie man sieht, ohne Erfolg.

DER GEFESSELTE BÜRGER. Du hieltest mich ab? Bestahlen wir nicht gemeinschaftlich den Orangengarten des Ater? Machtest Du selbst nicht dazu den Anschlag?

DESPOT. Das just das Schlimmste jedes Lasters, daß es, statt seine Scheußlichkeit einzusehen und sie wegzutilgen, zu einem anderen Laster flüchtet, und die verleumdet, welche es bessern wollen. – Du tust meinem Herzen leid, aber Deine nicht zu bändigende Zunge ist Deines Unheils Schuld.


Zu seinem Gefolg.


Bringen ihn einige auf die Fest, und schaffen ihn da still weg.

DER GEFESSELTE BÜRGER während er abgeführt wird. Wär ich doch durch Hannibal erdrosselt, er war doch nur ein Fremder, aber dieser einheimische –


Man verstopft ihm den Mund. Alle ab.
[112]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 103-113.
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