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[113] Tal bei Casilinum
Ringsum von der sinkenden Sonne rot beleuchtete, hin und wieder mit Gestrüpp und Eichen bewachsene schroffe Felswände, und nur zwei Engpässe aus und ein, auf deren Höhen man die Vorhut römischer Legionen bemerkt. Hannibal mit seinem Heer in dem Tale, Halt machend.
HANNIBAL. Die Wegweiser sogleich gekreuzigt!
BRASIDAS. Sie haben sich nur geirrt, Casilinum mit Casinum verwechselt.
HANNIBAL. Mir eins! Gekreuzigt!
BRASIDAS. Du befiehlst! Er schickt Soldaten ab.
HANNIBAL sieht sich um. Das wäre diesmal ein enges, steingrobes, von der Sonne blutgetränktes Leichenhemd. Jetzt sinkt auch sie, und nun wirds sargdunkel.
BRASIDAS. Keine Rettung?
HANNIBAL. Wir sind dem Maximus (nein, von jetzt an nenn ich ihn bei seinem rechten Namen), dem Fabius schön in die Klemme geraten! Rings trefflich umstellt! – Daß ich mich diesmal so wenig umsah, den Boten so traute! Eine kümmerliche Hoffnung noch: ich sehe meinen Fehler ein, und so bleibt möglich, ihm abzuhelfen. – Turnu!
TURNU. Ich schwitze!
HANNIBAL. Warum?
TURNU. Weil Du so nachdenkst.
HANNIBAL. Wieviel Ochsen sind noch im Proviantzug?
TURNU. Viertausend.
HANNIBAL. Laß Reisig, Fallholz aufsuchen, es verpechen und dem Vieh an die Hörner binden.
TURNU. Ich eile! Ab.[113]
HANNIBAL. Geh, Brasidas, gib dem Heere Trank und Speise, tue heiter.
Brasidas ab.
– Wenn die List hülfe! – Horch, da rufen sich die römischen Nachtwachen an, und man erfährt, wo sie stehen. Ei, sind sie noch so unvorsichtig, zwing ich sie auch mit Ochsen.
TURNU kommt zurück. Die Ochsen sind ausstaffiert! Nun den Reisig angezündet, und mit ihnen auf die Römer!
HANNIBAL. Woher weißt Du, daß sie dahin sollen?
TURNU. Was denn andres?
HANNIBAL. Unternimmst Du, sie auf jenen nördlichen Engpaß, durch den wir vorwärts müssen, treiben zu lassen?
TURNU. Für alles schon gesorgt, und die Treiber stehn bereit, trockne Schwämme in der Hand, die sie dem Vieh brennend in den Hintern stecken sollen, nachdem vorn die Reisigbündel angezündet sind. Brennt nun der Ochs zuerst an den Hörnern, und dann hinten, so verliert er die Vernunft, und stürmt vorwärts, seinem Hintern zu entwischen!
HANNIBAL. Entstellt den Tieren Gesicht und Gestalt, macht sie tollen Soldatentrupps ähnlich, bindet Schilde vor ihre Köpfe, Lanzen an ihre Seiten, und habt Acht, sobald ich befehle, mit großem Geschrei, Posaunen, Zimbeln, sie auf den Feind zu jagen; das Heer folgt ihnen in gedrängter Ordnung. Turnu ab.
Höhe des nördlichen Engpasses bei Casilinum
Fabius Maximus, sein Reiterfeldherr, und die Hauptmacht seines Heeres.
FABIUS MAXIMUS. Junger Freund, was wollen nun die Scipionen mit ihren spanischen Siegen? Da unten steckt er, der Urheber alles Übels, im Käfig!
REITERFELDHERR. Laßt uns auf ihn niederbrausen, wie der gelbe Tiber, wenn er im Februar Roms Äcker überschwemmt und ihren Schnee zernichtet.
FABIUS MAXIMUS. Nicht diese breiten Gleichnisse, wo es richtige Gedanken gilt. Wir brauchen nicht niederzusteigen. Er muß heraufkommen oder drunten verhungern.[114]
REITERFELDHERR. Und, beim Pluto, mir scheints als käm er herauf – denn es regt sich und trappelt in seinem Lager!
FABIUS MAXIMUS. Sollt er es wagen? Gegen unsere furchtbare Stellung?
REITERFELDHERR. Ich trau ihm die Tollkühnheit zu.
FABIUS MAXIMUS. Wirklich, wirklich, sie blasen Schlachtsignale, erheben Schlachtgeschrei – Es kann zum Gefecht kommen! – Unser Heer ist, dank Jupiter Stator, durch meine Vorsicht zwar in Ordnung – Nur – man tut des Guten nicht zuviel – Ihr Priester, opfert dem Stator auch noch schnell acht durchaus weiße Schafe, und betet nebenbei zu den übrigen Göttern – Doch nein, letzteres möcht er übelnehmen.
EIN FLAMEN. Wir haben solcher Schafe nur sieben. Das achte starb vorige Nacht.
FABIUS MAXIMUS. Ein totes Schaf! Schlimmes Auspizium! Großes Unglück!
REITERFELDHERR. Wir können ja dem Gott dazu geloben, nächstens das achte nachzubringen.
FABIUS MAXIMUS. Gut bemerkt. Opfert vorerst die sieben! das achte versprecht auf nächstens!
Mehrere Priester ab.
REITERFELDHERR. Das Tal wird hell, und ungeheure Massen bewegen sich in ihm auf uns zu.
FABIUS MAXIMUS. Hätte er durch seine List Hülfe bekommen? In der Tat, es ist an dem! – Eine Reiterei mit Fackeln! Daß dich, die springt! Und das Geschrei! – Hätt ich nur einen punischen Gefangenen zur Hand, der es mir übersetzte!
REITERFELDHERR. Es lautet, als schrieen ein paar tausend Ochsen.
FABIUS MAXIMUS. Ochsen? Die könnten das nicht – o, Du kennst noch keine wütende Menschenstimme – die nur schreit so gräßlich, durch die Macht des erregten Geistes! – Sieh hin, genau: sie tragen Mützen mit zwei Zipfeln, Schilde wie Bretter vor den Köpfen – so ist das Wappen Uticas, es sind neu angekommene Uticenser.
Er hält sich einen Augenblick erstaunt die Hand vor den Kopf.
REITERFELDHERR. Gleich sind sie hier – Es gilt Stand halten.
FABIUS MAXIMUS. Bei Nacht? Gegen einen noch unbekannten[115] Feind? Und hier besonders gegen die verwegene, geübte Reiterei, die uns zu umzingeln droht, ja, schon damit anfängt? Denn schau, mit welch beispielloser Kühnheit sie die Felsen hinauf, in die Wälder sprengt und die Bäume ansteckt – Nein, wir müssen den Tag erwarten, um diesen Herren erst in die Augen zu sehen, und ihre schwachen Seiten zu ergründen. – Legionen, still zurück über jene Höhen nach Casilinum!
Alle ab. Pause.
HANNIBAL mit seinem Heer. Haha! – Geht das Glück so fort, hoff ich doch noch dem Hasdrubal erzählen zu können, daß mir Rindvieh den Weg durch ein Diktator-Heer öffnete! – Weiter!
Weite schöne Flur bei Cajeta.
Im vollsten Herbstschmuck.
Winzer und Winzerinnen bei der Weinlese.
ALLE. Evoe Bacchus! Jo!
Sie bewerfen sich mit Reben und Trauben.
EIN GREIS. Atellanen, die vollen Weinsäcke sind mit Öl geglättet – Nun eure Scherze auf ihnen!
DIE JÜNGLINGE. Laßt die Pfeife ertönen! Die Schellen erklirren!
DIE MÄDCHEN. Erst ihnen diesen frischen Most!
EIN ATELLAN. Dank! – Aber jetzt spielen? seht ihr nicht dort die Römer auf den Bergen ziehen wie Wolken?
DIE MÄDCHEN. Des Anblicks sind wir Monate lang gewohnt, die Wolken regnen nicht, die kommen nie herunter!
DER ATELLAN. Doch Hannibal rückt in der Ebene nach!
DIE MÄDCHEN. Uns willkommen. Er war Cajetas Flur immer freundlich, und wird uns nicht stören.
DER GREIS. Drum Evoe! spielt euer Stück: das, wo der Faun die Nymphe hascht.
EIN ATELLAN. Numidische Reiter!
HERANSPRENGENDE REITER. Nur ruhig! Wir tun euch nichts. Der Feldherr verbots und nennt euch Befreundete!
DIE MÄDCHEN. So nehmet hier und kostet von unsrem heurigen Herbst! Sie kredenzen ihnen Wein.[116]
DER GREIS. Wohin gehts?
EIN NUMIDIER. Nach Rom, und hoffentlich zum letzten Mal, es in Trümmern hinter uns lassend. – Ha, unser Heer!
Das karthagische Heer rückt an; Hannibal zu Pferd, unterm Vortrab.
DER GREIS zu einem Mädchen. Du, die Schönste, füll und reich ihm diesen Becher!
DAS MÄDCHEN tritt mit dem gefüllten Becher vor Hannibal. Erhabener Feldherr – Nimm den Gruß Cajetas!
HANNIBAL steigt vom Pferde, alle übrigen Berittenen auch. Ich nehm ihn, doch da ich Wein nicht genießen darf, gieß ich diesen allen Göttern der Fluren, Berge, Ströme und Täler Kampaniens hin, und flehe sie, ihn wohlgefällig aufzunehmen, als Opfer eines Gastfreundes, dargebracht für dieses Landes Heil! – – Nun setzt eure Spiele fort. Das Heer rastet hier ohnehin. Wir wollen zusehn – so etwas ward uns lange nicht.
Er läßt sich mit seinen Begleitern auf den Rasen nieder. Ein als Satyr verkleideter Atellan stellt sich zur linken Seite der Ölsäcke und spielt auf der Querpfeife, ein zweiter, als Pomona aufgeputzt, zur rechten, und rührt klingelnde Schellen, zwei andere, der eine als Faun, der zweite als Nymphe gekleidet, wollen die beölten Säcke besteigen, gleiten aber immer mit lustigen Wendungen aus.
DIE MENGE. Herrlich! Faun, Du fällst prächtig! Nymphe, ist der Boden schon jetzt Deinem Fuß so glatt? Was wird geschehn, wenn der Faun Dich packt?
HANNIBAL lacht herzlich. Ihr habt lustige Schauspiele, Vater, sie ergötzen schon, eh sie beginnen – Zu einem jungen Punier. Was meinst Du?
DER JUNGE PUNIER. Im Felde, wo man Karthagos Pompaufzüge nicht hat, läßt sich das ansehn.
HANNIBAL. Freilich. – Der Himmel ist so rein, die Luft so erquickend, mein eigner Geist wie durchweht von ihr, die Leute so heiter, wie ihre lachenden Gefilde – Ich fühle mich zu wohl, und fürchte fast, es stehe mir ein Unglück bevor.
EIN ALS KARTHAGISCHER KRIEGER VERKLEIDETER RÖMER der unter dem Mantel ein Paket zu halten scheint, tritt an Hannibals Seite; für sich. Es steht neben Dir![117]
HANNIBAL. Mein Glück wäre vollendet, säh ich des Bruders teures Haupt!
DER RÖMER wirft ihm den Kopf Hasdrubals vor die Füße. Hier ist es!
ALLE UMSTEHENDE. Entsetzen!
HANNIBAL. Gut! Das Schauspiel endet, wie es muß! Mit einem Theaterstreich! – Rom, du tröstest mich: sinkst du von deinen sieben Hügeln so niedrig, daß du deinen Feind mit grausamem Spott bekämpfst, so sinkst du bald noch tiefer. Ich habe deine gefallenen Feldherrn ehrenvoll bestatten lassen, als wären sie unter Römern gestorben, und du – Was Rom?
Er nimmt Hasdrubals Haupt.
Bruder, Du, – ja, es sind seine Locken, seine Züge – Ach, neun Jahr war ich alt, als ich von der Heimat schied, da klettertest Du dem ältern Bruder heimlich nach auf das hohe dunkle Schiff, und wolltest und wolltest nicht lassen von ihm, bis man Dich wegriß, und seitdem sah ich Dich nicht wieder, doch Dein Gesicht blieb mir in das Herz geschnitten, und wuchs Dir nach mit den Jahren wie ein Namenszug in der Eichenrinde! – Laß Dich umfassen – Wehe, er hat ja die Brust nicht mehr!
Zu dem Römer.
Und Du, Schurk, lächelst?
DER RÖMER. Mein Wunsch ist erfüllt. Ich sah den Todfeind weinen.
HANNIBAL. Du sahst es. Turnu, begrabe Hasdrubals Haupt.
TURNU. So, daß mich niemand bemerkt, der es wieder aufgraben und schänden könnte?
HANNIBAL. Du errietest es.
Zu Brasidas.
Befiehl den Rückzug nach Kapua; wir haben hier keinen Halt weiter. – Die heitere Gegend wird mir zum Nebelmeer. – Doch der Marsch wird mich stärken.
Brasidas ab.
Karthago, die Du Dich priesest: »ich bin die Schönste unter allen, die da prangen am Meer,« wenn nur dem Haupt meines Bruders nicht auch Deine Türme nachsinken, und Deine Purpurgewande nicht nach allen Winden zerflattern!
[118] Kapua.
Ein Zimmer im Schlosse des Despoten.
Der Despot und viele Sklaven. Letztere mit Einpacken von Gold und kostbarem Gerät beschäftigt.
DESPOT. Etwas rascher, Freunde!
ERSTER SKLAV beiseit zu den anderen. Sind wir wieder Freunde wie neulich, auf zwei Tage, als er mit unsrer Hülfe die Herrschaft an sich riß?
DESPOT. Die Karthager kommen zurück, und wir müssen uns retten, nicht nur wegen der drohenden Plünderung, sondern auch –
DIE SKLAVEN. Uns?
DESPOT. Was für grinzendes Fragen?
ZWEITER SKLAV. Es ist alles eingepackt.
ERSTER SKLAV. Bis auf das Kostbarste – Ihn da!
ALLE SKLAVEN jauchzend. Ha, den Tyrann in diese Kiste! Ja!
DESPOT. Tolles Geknirsch – Was gibts?
ERSTER SKLAV. Zerrissene Ketten!
DESPOT. Freunde, ihr tut mir Unrecht – Ich ernährte euch –
ERSTER SKLAV. Damit Du schwelgtest von unsren Händen!
DESPOT. Ich war menschlich gegen euch –
ERSTER SKLAV. Daß unsre Rücken es fühlten! – In die Kiste! Beliebts, gnädigster Herr?
DESPOT. Erbarmen!
Die Sklaven werfen ihn in die Kiste und schlagen sie über ihm zu.
ERSTER SKLAV. Versenkt den Hausherrn nun im tiefsten Keller seines Hauses – Er selbst wird kein besseres Denkmal in seinen Sterbestunden über sich wünschen als seinen eignen Palast.
Auf die Kiste klopfend.
Nicht wahr, Gebieter?
ZWEITER SKLAV. Und rufen wir nun unsere Kameraden auf, öffnen dem Karthager die Tore, und dann Mord, Brand und Notzucht den feigen Kapuanern und ihren Weibern!
Vor Kapuas Nordtor.
HANNIBAL mit seinem Heer. Die Tore zu? Wollen die Sybariten Rom nachäffen und sich wehren? – Heda, die[119] Gefangenen mit Spaten an den Graben geführt, daß sie ihn ableiten, Sturmleitern bereit, vor Balearen, zur Bedeckung der Arbeiter!
DIE BALEARISCHEN SCHLEUDERER springen vor. Hussa!
HANNIBAL. Haltet! Das Tor öffnet sich und die Zugbrücke sinkt. Beim alten Moloch, die Sklaven kommen und bringen ihre Herren!
Züge kapuanischer Sklaven mit ihren gefesselten Herren.
EIN SKLAV. Großer Feldherr, nimm diese Tyrannen zu Deinen Sklaven, und, verschmähest Du uns nicht, uns zu Deinen Kriegern.
HANNIBAL. Wärt ihr vor Jahren so gekommen, hätt ich Zeit gehabt, euch zu Kriegern zu bilden, jetzt, da mich die Abfahrt drängt –
BRASIDAS. Die Abfahrt?
HANNIBAL. So nennt mans –
Wieder zu den Sklaven.
– kann ich nur die Tüchtigsten unter euch auswählen. Eure kapuanischen Gefangenen nehm ich auch, soweit es meine Schiffsräume gestatten –
EIN VORNEHMER KAPUANER. Alter Gastfreund!
HANNIBAL. Kann ich nicht wohl geblieben sein, da Du ein junger Sklav wardst.
DER KAPUANER. Die satanische, punische Silbenstecherei!
HANNIBAL wieder zu den Sklaven. – um sie in Afrika zu verkaufen. Den Rest behalten die, welche von euch zurückbleiben. – Jetzt führt mich zum öffentlichen Schatz, den ihr hoffentlich nicht berührt habt, denn er ist heilig –
SKLAVEN. Und unverletzt!
EIN SKLAV. Doch! Feldherr, strafe mich! Ich brach dieses Drachenköpfchen vom Fuß des Gegitters, – es schien mir, da es so viele Schätze bewahren half, ein herrlicher Fetisch, mich auch zu bewahren.
HANNIBAL. So behalte Deinen Fetisch zum Lohn Deiner Aufrichtigkeit.
Wieder zu den Sklaven.
Und ist der übrige Schatz gerettet für Karthago, verteil ich Kapua unter euch und mein Heer zur beliebigen Plünderung.
Alle ab.
[120] Eine Höhe mit dichtem, dunklem Kastanienwald bei Kapua. Man hört aus der Nähe das Brausen des Meers
Hannibal windet sich zu Pferde rasch durch das Gebüsch, steigt an einem kleinen Grasfleck ab, und hängt die Zügel des Pferdes an einen niedrigen Baumast.
HANNIBAL. Gaul, solltest Du verstehen, wie ein lang niedergedrückter Schmerz sich lüftet, so wiehere es nicht aus, oder ich schlage Dich nieder!
Er stürzt sich auf die Erde, und faßt sie mit beiden Händen.
Italia! Herrliche, um die ich siebzehn Jahr warb, die ich geschmückt mit eignem und mit Konsulblut, so muß ich Dich verlassen? Nichts bleibt mir von Dir, die ich mitreißen möchte übers Meer? Du, ganz anders als die finstre Karthago und ihr heißes, trübrotes Firmament, Du, prangend mit Helden, die nur vom Ruhm und Eisen, nichts vom Gold wissen, mit dem Glanz selbst, nicht durch Mietlinge errungener, zum Kapitol hinaufschimmernder Triumphe, nie erhabener als da ich Dich zu meinen Füßen wähnte, und Du Dich aufrichtetest zu dem Gewölbe Deines ewig blauenden Himmels! – Ha, diese Gräser entreiß ich Dir und berge sie an meinem Herzen; mein jahrelanges Mißgeschick entschuldige bei mir selbst einen Augenblick der Empfindung!
STIMMEN DER KOMMANDIERENDEN FLOTTENOFFIZIERE VOM MEERE HER, VON ALLEN SEITEN. Strammer die Taue! Seewasser darauf! – Noch zwanzig Ruderer an die fünfte Bank hier! – Schnell, der Landwind wird frisch! – Dort naht das Heer schon zum Einschiffen! – Flöße, Barken, ans Ufer – Hier eine Schiffbrücke geschlagen – und da – Die Segel bereit – Nach Süd-Süd die Vorderdecke! – Ihr da, an die Anker! Zur Heimat gehts! – Wo bleibt der Feldherr?
HANNIBAL ruft laut. Hier von der Höhe hat er euer Treiben beobachtet und findet es gut! Er reitet zum Ufer.
[121] Am Gestade.
Die Flotte, gerüstet zum Absegeln.
Es werden noch immer Truppen eingeschifft.
Ein Soldat kommt mit zwei karthagischen Gesandten.
SOLDAT. Hier wartet. Der Feldherr kommt gleich. Ihr habt ihn rufen hören.
ERSTER GESANDTER. Behandelt man Mitglieder des Synedrion so?
ZWEITER. Sind wir zwei verlorene Weizenkörner?
SOLDAT. Weiß nicht, ich behandle euch, wie mir befohlen. – Da kommt er. Macht euren Bückling. Ab.
ERSTER. Bückling? Wir, die wir ihn beaufsichtigen sollen?
HANNIBAL erblickt sie, und sprengt zu ihnen. Nicht bang, das Pferd ist fromm.
ERSTER. Uns sendet Karthago –
HANNIBAL. Mich nach Afrika zurückzurufen, die Vaterstadt unter ihren Mauern zu verteidigen, weil die Scipionen dort bald ankommen –
ZWEITER. Du errätst es.
HANNIBAL. Ich wußt es. Jene schwellenden Segel bezeugen es euch. Beschaut die Landschaft umher, ehrwürdige Väter. Sie ist schön, grün und fruchtbar. Sie wäre unser, hätten eure Genossen und ihr es gewollt. Erhaltet ihr nun auch keinen Tribut davon, so begnügt euch mit den Freuden der Natur, nur hütet euch vor den Dolchen der Römer, die keines Karthagers mehr schonen.
ERSTER. Hier lassen wolltest Du uns?
HANNIBAL. Gewiß, zum Andenken, aber euer Schiff nehm ich mit. Wärst Du (ich kenn euch, sah ich euch auch seit zwanzig Jahren nicht) nicht schlecht wie Dein Bruder Melkir, Du nicht erbärmlich wie Dein Vetter Hanno, ihr könntet hier Könige sein!
BEIDE. Wir Unglücklichen!
HANNIBAL. Das Gesindel hat noch den Mut, zum Himmel zu seufzen! Hörten die Götter seine Mißtöne, wie würden sie es niederdonnern!
Reitet zum Hauptschiff und besteigt es.
Die Flotte stößt vom Lande.
[122] Hinterverdeck des karthagischen Hauptschiffes.
Hannibal steht darauf und blickt nach Italien Brasidas neben ihm.
BRASIDAS. Dieses Kapua hat eine herrliche Bucht.
HANNIBAL. Die Schiffe riechen noch stark nach Pech und Teer.
BRASIDAS. Die blauen Berge in der Ferne –
HANNIBAL für sich. Was spricht er von meinen zorngeschwollnen Adern?
BRASIDAS. – man möchte tausend Augen haben, um sich satt zu sehen an ihnen, in diesen klaren Wellen, an jenen duftatmenden Tälern.
HANNIBAL. Hätte man gar kein Auge gehabt, brauchte man das alles nicht zu vergessen.
BRASIDAS halblaut. Jene Rebengehänge, über ihnen das Traubengehäng der ewigen Sterne nach und nach aufquellend – Es ist, als ob –
HANNIBAL. Es Abend würde. – Steuermann, das Steuer rechts – siehst Du nicht jenen Felsvorsprung?
Ein Zug Kraniche zieht hoch über die Flotte hinweg nach Süden.
MATROSEN. Heil, Kraniche, Vorboten!
HANNIBAL in sich. Heil ihnen, ja, wenn es Lenz wird, kehren sie zurück zu den Horsten in Thule. Auch ich hatte mir im Norden einen Horst gemacht, aber
Wieder nach Italien blickend.
ich kehre nimmer! – Laut. Die Bucht endet – Piloten, nicht zu nah an der Küste gehalten, frisch ins Meer!
BRASIDAS. Da schüttet die Küste uns noch einen Haufen falber Herbstblätter auf die Verdecke!
HANNIBAL. Sie wird satirisch. – Sammelt die Blätter in Säcken, passende Kränze für die Hannos, oder doch, was ihnen vorteilhafter dünkt, Streu für ihr Vieh.
Turnu klimmt über den Schiffsrand.
– Brasidas, räume das Verdeck von allen, die nicht darauf beschäftigt sein müssen, laß zum Nachtessen läuten, und bring die Mannschaft zur Ruh.
BRASIDAS. Und Du?
HANNIBAL. Ich beobachte hier die Polhöhe.
[123] Brasidas ab. Turnu schwingt sich aufs Verdeck, und legt sich zu Hannibals Füßen. Beide sprechen leise.
TURNU. Ich war auf allen Schiffen und bin durchgeprügelt, wie es der rechtschaffenste Köter nicht verlangen kann, und hätte er das beste Stück Fleisch gestohlen.
HANNIBAL. Wie?
TURNU. Ich fing an, auf Dich zu schelten, sagte, jedermann wüßte, daß ich Dein treuester, fleißigster Diener sei, und doch erhielt ich kaum einige Bissen von Deiner Tafel, und die immer gepfeffert mit Schimpfworten, Schlägen, Ohrfeigen, Maulschellen.
HANNIBAL. Sie erwiderten?
TURNU. »Schurk, behandelt er Dich so, so verdienst Du es – er hat noch niemand unrecht getan« und als ich zu bemerken begann, daß wir doch eigentlich Karthago dienten, Du uns aber immer bloß nach Deinem Sinn geführt –
HANNIBAL. Nun?
TURNU. »Karthago! « war die Antwort, alle durcheinander: »ich habe das Loch noch nicht gesehn« »ich kenns, es ist ein Schandnest« »der brave, große Feldherr, es hat ihn betrogen« »der Feldherr hat mir Brot und Gold gegeben, dort ward ich mit Ketten gescheuert« »wir sollten Spitzbuben sein, und es stahl uns von Kannäs Ringen!«
HANNIBAL. Ha, Synedrion, hast Du Dir selbst mit Deinen Mietlingen das Rutenbündel gebunden, mit dem ich Dich peitsche?
TURNU. Und wollt ich dann fortfahren, so fiel ein Hagel Faustschläge auf mich, daß, wär ich ein bewußtloses Reisfeld gewesen, auch nicht ein Körnchen von mir davongekommen wäre, aber mir machten sie Freude, denn sie geschahen aus Liebe zu Dir, und – nimm mirs nicht übel – ich habe Dich lieb – ja, wie drück ichs aus?
HANNIBAL. Bemühe Dich nicht. Bist selbst Ausdruck genug.
TURNU. So sprach, so litt und ergötzt ich mich auf jedem Schiffe, denn wards auf dem einen zu arg, sprang ich in See und schwamm zu einem andern, und wieder die nämliche Unterhaltung und die nämlichen Prügel.
HANNIBAL. Nimm diesen Schlüssel zu meiner Kajüte, iß dort und bekleide Dich mit trockner Wäsche. Ich komme bald nach.[124]
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