25. Erhörungs Verlangen

[317] 1.

Solt dem Brunnen des Gesichtes /

der Erzklarheit alles Liechtes /

meine Noht verborgen seyn?

solten Seuffzer Herzen sporen /

bey dem Urohr seyn verlohren?

ach der Glaube saget / nein!


2.

Solt das all-erfüllend Wesen

nicht in meinem Herzen lesen /

dessen innerste Begier?

solt es / weil es ihm zu Ehren /

nicht so seltnen Wunsch gewähren?

Glaube hält es nicht dafür.


3.

Solt der zartest' Augen-Schmerzen

nicht dem Höchsten gehn zu Herzen /

als die gröst' Unleidbarkeit?

solt' er / wann man an-will-tasten

seinen Augen-Stern / noch rasten

und verziehen lange Zeit?
[318]

4.

Siht er doch / in meinem Flehen

seines Geistes Strahlen stehen /

und mit Christ-Rubinen Blut

alle meine Wort versetzet!

ist sein Herz dann nicht durchätzet /

von der Purpur-Flammen Flut?


5.

Er wird ja die Thränen zählen /

und Ergetzung auserwählen /

auf so heissen Himmel-Zwang!

seine Hand wird sie abwischen /

und mit Himmel-Lust erfrischen:

fliessen sie gleich noch so lang.


6.

Die beweglichst Erzbewegung /

lässet zu die Creutz-Erregung:

daß sie den Hülff-Stachel spitzt /

daß die Feuer-Liebes strahlen

können durch gedonnert fallen /

und die Gnaden-Hülff herblitzt.


7.

O du Himmlisch-leises Lenden /

unbegreifflichs Segen-Senden![319]

ich vertrau mich deinem Raht.

Kan ich schon dein Ziel nicht sehen:

will ich in Gehorsam gehen /

und es finden in der That.


8.

Laß mir nur ein wenig leuchten /

deine Weißheit / mich befeuchten

mit dem Edlen Glaubens-Safft /

mein verschmachtes Seelen-Leben!

so will ich mich ganz dir geben /

gibstu nur ein Tröpfflein Krafft.


Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 317-320.
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Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte
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