Vierter Aufzug

[947] Vorhof vor Kreons Burg wie im vorigen Aufzuge. Abenddämmerung.

Medea liegt hingestreckt auf die Stufen, die zu ihrer Wohnung führen. Gora steht vor ihr.


GORA.

Steh auf, Medea, und sprich!

Was liegst du da, starrst schweigend vor dich hin?

Steh auf und sprich! Rate unserm Jammer!

MEDEA.

Kinder! Kinder!

GORA.

Fort sollen wir, eh dunkelt die Nacht,

Und schon senkt sich der Abend.

Auf! Rüste dich zur Flucht!

Sie kommen, sie töten uns!

MEDEA.

O meine Kinder!

GORA.

Steh auf, Unglückselige,

Und töte mich nicht mit deinem Jammer!

Hättst mir gefolgt, mich gehört,

Wären wir daheim in Kolchis,

Die Deinen lebten, alles wär gut.

Steh auf! Was hilft Weinen? Steh auf!

MEDEA sich halb aufrichtend und nur mit den Knieen auf den Stufen liegend.

So kniet ich, so lag ich,

So streckt ich die Hände aus,

Aus nach den Kindern und bat

Und flehte: Eines nur,

Ein einziges von meinen Kindern

Gestorben wär ich, mußt ich das zweite missen! –

Aber auch das eine nicht! – Keines kam.

Flüchtend bargen sie sich im Schoß der Feindin


Aufspringend.


Er aber lachte drob und sie!

GORA.

O des Jammers! Des Wehs!

MEDEA.

Nennt ihr das Vergeltung, Götter?

Liebend folgt ich, das Weib dem Mann;

Starb mein Vater, hab ich ihn getötet,

Fiel mein Bruder, fiel er durch mich?[947]

Beklagt hab ich sie, in Qualen beklagt.

Glühende Tränen goß ich aus

Zum Trankopfer auf ihr fernes Grab.

Wo kein Maß ist, ist keine Vergeltung.

GORA.

Wie du die Deinen, verlassen sie dich!

MEDEA.

So will ich sie treffen, wie die Götter mich!

Ungestraft sei kein Frevel auf der Erde,

Mir laßt die Rache, Götter! ich führe sie aus!

GORA.

Denk auf dein Heil, auf andres nicht!

MEDEA.

Und was hat dich denn so weich gemacht?

Schnaubtest erst Grimm, und nun so zagend?

GORA.

Laß mich! Als ich die Kinder fliehn sah

Den Arm der Mutter, der Pflegerin,

Da erkannt ich die Hand der Götter,

Da brach mir das Herz,

Da sank mir der Mut.

Hab sie gewartet, gepflegt,

Sie meine Freude, mein Glück.

Die einzgen reinen Kolcher sie,

An die ich wenden konnte

Die Liebe für mein fernes Vaterland.

Du warst mir längst entfremdet, längst;

In ihnen sah ich Kolchis wieder,

Den Vater dein und deinen Bruder,

Mein Königshaus und dich,

Wie du warst, nicht wie du bist.

Hab sie gehütet, gepflegt,

Wie den Apfel meines Auges

Und nun –

MEDEA.

Lohnen sie dir, wie der Undank lohnt.

GORA.

Schilt nicht die Kinder, sie sind gut!

MEDEA.

Gut? Und flohen die Mutter?

Gut? Sie sind Jasons Kinder!

Ihm gleich an Gestalt, an Sinn,

Ihm gleich in meinem Haß.

Hätt ich sie hier, ihr Dasein in meiner Hand,

In dieser meiner ausgestreckten Hand,

Und ein Druck vermöchte zu vernichten[948]

All, was sie sind und waren, was sie werden sein,

Sieh her! – Jetzt wären sie nicht mehr!

GORA.

O, weh der Mutter, die die Kinder haßt!

MEDEA.

Und was ists auch mehr? was mehr?

Bleiben sie hier beim Vater zurück,

Beim treulosen, schändlichen Vater,

Welches ist ihr Los? Stiefgeschwister kommen,

Höhnen sie, spotten ihrer Und ihrer Mutter,

Der Wilden aus Kolchis.

Sie aber entweder dienen als Sklaven,

Oder der Ingrimm, am Herzen nagend,

Macht sie arg, sich selbst ein Greuel,

Denn wenn das Unglück dem Verbrechen folgt,

Folgt öfter das Verbrechen noch dem Unglück.

Was ists denn auch zu leben?

Ich wollt, mein Vater hätte mich getötet,

Da ich noch klein war,

Noch nichts, wie jetzt, geduldet,

Noch nichts gedacht – wie jetzt.

GORA.

Was schauderst du? was überdenkst du?

MEDEA.

Daß ich fort muß, ist gewiß,

Minder aber noch, was sonst geschieht.

Denk ich des Unrechts, das ich erlitt,

Des Frevels, den man an mir verübt,

So entglüht in Rache mein Herz,

Und das Entsetzlichste ist mir das Nächste. –

Die Kinder liebt er, sieht er doch sein

Ich, Seinen Abgott, sein eignes Selbst

Zurückgespielt in ihren Zügen.

Er soll sie nicht haben, soll nicht!

Ich aber will sie nicht, die Verhaßten!

GORA.

Komm mit hinein, was willst du hier?

MEDEA.

Dann leer das ganze Haus und ausgestorben,

Verwüstung brütend in den öden Mauern,

Nichts lebend als Erinnerung und Schmerz.

GORA.

Bald nahen sie, die uns vertreiben. Komm![949]

MEDEA.

Die Argonauten, sagtest du,

Sie fanden alle ein unselig Grab,

Die Strafe des Verrats, der Freveltat?

GORA.

So ists, und Jason findet es wohl auch.

MEDEA.

Er wirds, ich sage dir, er wirds!

Den Hylas schlang das Wassergrab hinab,

Den Theseus fing der Schatten düstrer König,

Und wie hieß sie, das Griechenweib,

Die eignes Blut am eignen Blut gerächt? Wie hieß sie? Sag.

GORA.

Ich weiß nicht, was du meinst.

MEDEA.

Althea hieß sie.

GORA.

Die den Sohn erschlug?

MEDEA.

Dieselbe, ja! Wie kams, erzähl mir das.

GORA.

Den Bruder schlug er ihr beim Jagen tot.

MEDEA.

Den Bruder nur, den Vater nicht dazu,

Sie nicht verlassen, nicht verstoßen, nicht gehöhnt,

Und dennoch traf sie ihn zum Tod,

Den grimmen Meleager, ihren Sohn.

Althea hieß sie – war ein Griechenweib! –

Und als er tot?

GORA.

Hier endet die Geschichte.

MEDEA.

Sie endet? Du hast recht, der Tod beendet.

GORA.

Was nützen Worte?

MEDEA.

Zweifelst an der Tat?

Sieh! bei den hohen Göttern! hätt er

Die Kinder beide mir gegeben – Nein!

Könnt ich sie nehmen, gäb er sie mir auch,

Könnt ich sie lieben, wie ich jetzt sie hasse,

Wär etwas in der weiten Welt geblieben,

Das er mir nicht vergiftet, nicht zerstört:

Vielleicht, daß ich jetzt ginge, meine Rache

Den Göttern lassend; aber so nicht, nun nicht!

Man hat mich bös genannt, ich war es nicht:

Allein ich fühle, daß mans werden kann.

Entsetzliches gestaltet sich in mir,

Ich schaudre – doch ich freu mich auch darob. –

Wenns nun vollendet ist, getan –


[950] Ängstlich.


Gora!

GORA.

Was ist?

MEDEA.

Komm her!

GORA.

Warum

MEDEA.

Zu mir!

Da lagen sie, die beiden – und die Braut –

Blutend, tot. – Er daneben rauft sein Haar.

Entsetzlich, gräßlich!

GORA.

Um der Götter willen!

MEDEA.

Ha, ha! Erschrickst wohl gar?

Nur lose Worte sind es, die ich gebe,

Dem alten Wollen fehlt die alte Kraft.

Ja, wär ich noch Medea, doch ich bins nicht mehr!

O Jason! Warum tatest du mir das?

Ich nahm dich auf, ich schützte, liebte dich,

Was ich besaß, ich gab es für dich hin,

Warum verlässest und verstößt du mich?

Was treibst du mir die guten Geister aus

Und führest Rachgedanken in mein Herz?

Mir Rachgedanken, ohne Kraft zur Rache!

Die Macht, die mir von meiner Mutter ward,

Der ernsten Kolcherfürstin Hekate,

Die mir zum Dienste dunkle Götter band,

Versenkt hab ich sie, dir zu Lieb versenkt,

Im finstern Schoß der mütterlichen Erde,

Der schwarze Stab, der blutigrote Schleier,

Sie sind dahin und hilflos steh ich da,

Den Feinden, statt ein Schrecken, ein Gespött!

GORA.

So sprich davon nicht, wenn dus nicht vermagst!

MEDEA.

Ich weiß wohl, wo es liegt.

Da draußen an dem Strand der Meeresflut,

Dort hab ichs eingesargt und eingegraben,

Zwei Handvoll Erde weg – und es ist mein!

Allein im tiefsten Innern schaudr ich auf,

Denk ich daran und an das blutge Vließ.

Mir dünkt, des Vaters und des Bruders Geist,

Sie brüten drob und lassen es nicht los.[951]

Weißt noch, wie er am Boden lag,

Der greise Vater, weinend ob dem Sohn

Und fluchend seiner Tochter? Jason aber

Schwang hoch das Vließ in gräßlichem Triumph.

Da schwor ich Rache, Rache dem Verräter,

Der erst die Meinen tötete, nun mich.

Hätt ich mein Blutgerät, ich führt es aus,

Allein nicht wag ich es zu holen;

Denn säh ich in des goldnen Zeichens Glut

Des Vaters Züge mir entgegenstarren,

Von Sinnen käm ich, glaube mir!

GORA.

Was also tust du?

MEDEA.

Laß sie kommen!

Laß sie mich töten, es ist aus!

Von hier nicht geh ich, aber sterben will ich,

Vielleicht stirbt er mir nach, von Reu erwürgt.

GORA.

Der König naht, trag Sorge doch für dich!

MEDEA.

Erarmt bin ich an Macht, was kann ich tun?

Will er zertreten mich? er trete nur!


Der König kommt.


KÖNIG.

Der Abend dämmert, deine Frist ist um!

MEDEA.

Ich weiß.

KÖNIG.

Bist du bereit zu gehn?

MEDEA.

Du spottest!

Wenn nicht bereit, müßt ich drum minder gehn?

KÖNIG.

Mich freut, daß ich dich so besonnen finde,

Du machst dir die Erinnrung minder herb

Und sicherst deinen Kindern großes Gut:

Sie dürfen nennen, welche sie gebar.

MEDEA.

Sie dürfen? Wenn sie wollen, meinst du doch?

KÖNIG.

Daß sie es wollen, sei die Sorge mein.

Erziehen will ich sie zu künftgen Helden,

Und einst, wer weiß? führt ihre Ritterfahrt

Sie hin nach Kolchis und die Mutter drücken sie,

Gealtert, wie an Jahren, so an Sinn,

Mit Kindesliebe an die Kindesbrust.

MEDEA.

Weh mir!

KÖNIG.

Was ist dir?[952]

MEDEA.

Ach, ein Rückfall nur

Und ein Vergessen dessen, was geschah.

War dies zu sagen deines Kommens Grund,

Wie, oder willst du andres noch von mir?

KÖNIG.

Noch eins vergaß ich und das sag ich nun.

Von Schätzen nahm dein Gatte manches mit,

Aus Jolkos fliehend nach des Oheims Tod.

MEDEA.

Im Hause liegts verwahrt, geh hin und nimms!

KÖNIG.

Wohl ist das goldne Kleinod auch dabei,

Das Vließ, der Preis des Argonautenzugs?

Was wendest du dich ab und gehst? Gib Antwort!

Ist es darunter?

MEDEA.

Nein.

KÖNIG.

Wo ist es also?

MEDEA.

Ich weiß es nicht.

KÖNIG.

Du nahmst es aber fort

Aus Pelias Haus; der Herold sagte so.

MEDEA.

Hat ers gesagt, so ists auch wahr.

KÖNIG.

Wo ist es?

MEDEA.

Ich weiß es nicht.

KÖNIG.

Glaub nicht, uns zu betrügen!

MEDEA.

Wenn du mirs gibst, mein Leben zahl ich drum;

Hätt ichs, du stündest drohend nicht vor mir!

KÖNIG.

Nahmst dus von Jolkos nicht mit dir?

MEDEA.

Ich nahms.

KÖNIG.

Und nun?

MEDEA.

Hab ichs nicht mehr.

KÖNIG.

Wer sonst?

MEDEA.

Die Erde.

KÖNIG.

Versteh ich dich? das also wär es, das?


Zu seinen Begleitern.


Bringt her, was ich gebot. Ihr wißt es ja!


Sie gehen ab.


Denkst du zu täuschen uns mit Doppelsinn?

Die Erde hat es; nun versteh ich dich.

Schau nicht hinweg! nach mir sieh her und höre!

Am Strand des Meers, wo ihr heut nacht gelagert,

Als einen Altar man auf mein Geheiß[953]

Dem Schatten Pelias erbauen wollte,

Fand man – erbleichst du? – frisch im Grund vergraben –

Ein Kistchen, schwarz, mit seltsam fremden Zeichen.


Die Kiste wird gebracht.


Sieh zu, obs dir gehört?

MEDEA drauf losstürzend.

Ja! Mir gehört es! – Mein!

KÖNIG.

Ist drin das Vließ?

MEDEA.

Es ist.

KÖNIG.

So gibs!

MEDEA.

Ich geb es!

KÖNIG.

Fast reut das Mitleid mich, das ich dir schenkte,

Da hinterlistig du uns täuschen wolltest.

MEDEA.

Sei sicher, du erhältst, was dir gebührt.

Medea bin ich wieder, Dank euch, Götter!

KÖNIG.

Schließ auf und gib!

MEDEA.

Jetzt nicht.

KÖNIG.

Wann sonst?

MEDEA.

Gar bald;

Zu bald!

KÖNIG.

So send es zu Kreusen hin.

MEDEA.

Hin zu Kreusen! Zu Kreusa? – Ja!

KÖNIG.

Enthält die Kiste andres noch?

MEDEA.

Gar manches!

KÖNIG.

Dein Eigentum?

MEDEA.

Doch schenk ich auch davon!

KÖNIG.

Dein Gut verlang ich nicht; behalt, was dein!

MEDEA.

Nicht doch! ein klein Geschenk erlaubst du mir!

Die Tochter dein war mir so mild und hold,

Sie wird die Mutter meiner Kinder sein,

Gern möcht ich ihre Liebe mir gewinnen!

Das Vließ lockt euch, vielleicht gefällt ihr Schmuck.

KÖNIG.

Tu, wie du willst, allein bedenk dich selbst.

Kreusa ist dir hold gesinnt, das glaube.

Nur erst bat sie, die Kinder dir zu senden,

Daß du sie sähest noch, bevor du gehst

Und Abschied nähmest für die lange Fahrt.

Ich schlug es ab, weil ich dich tobend glaubte,

Doch da du ruhig bist, sei dirs gewährt.[954]

MEDEA.

O, tausend Dank, du gütger, frommer Fürst!

KÖNIG.

Bleib hier, die Kinder send ich dir heraus!


König ab.


MEDEA.

Er geht! Er geht dahin in sein Verderben!

Verruchte, bebtet ihr denn schaudernd nicht,

Als ihr das Letzte nahmt der frech Beraubten?

Doch Dank euch! Dank! Ihr gabt mir auch mich selbst.

Schließ auf die Kiste!

GORA.

Ich vermag es nicht.

MEDEA.

Vergaß ich doch, womit ich sie verschloß!

Den Schlüssel halten Freunde, die ich kenne.


Gegen die Kiste gewendet.


Untres herauf,

Obres hinab,

Öffne dich, bergendes,

Hüllendes Grab!


Die Kiste springt auf.


Der Deckel springt. Noch bin ich machtlos nicht!

Da liegts! Der Stab! Der Schleier! Mein! Ah, mein!


Es herausnehmend.


Ich fasse dich, Vermächtnis meiner Mutter,

Und Kraft durchströmt mein Herz und meinen Arm!

Ich werfe dich ums Haupt, geliebter Schleier!


Sich einhüllend.


Wie warm, wie weich! wie neu belebend!

Nun kommt, nun kommt, ihr Feindesscharen alle

Vereint gen mich! Vereint in eurem Falle!

GORA.

Da unten blinkt es noch!

MEDEA.

Laß blinken, blinken!

Bald lischt der Glanz im Blut!

Hier sind sie, die Geschenke, die ich bringe.

Du aber sei die Botin meiner Huld!

GORA.

Ich?

MEDEA.

Du. Du geh zur Königstochter hin,

Sprich sie mit holden Schmeichelworten an,

Bring ihr Medeens Gruß und was ich sende.


Die Sachen aus der Kiste nehmend.
[955]

Erst dies Gefäß; es birgt gar teure Salben.

Erglänzen wird die Braut, eröffnet sies!

Allein sei sorgsam, schüttl es nicht!

GORA.

Weh mir!


Sie hat das Gefäß mit der Linken schief gefaßt. Da sie mit der Rechten unterstützend den Deckel faßt, wird dieser etwas gehoben und eine helle Flamme schlägt heraus.


MEDEA.

Sagt ich dir nicht, du sollst nicht schütteln!

Kehr in dein Haus,

Züngelnde Schlange,

Bleibst nicht lange,

Harre noch aus.

Nun halt es und mit Vorsicht, sag ich dir!

GORA.

Mir ahnet Entsetzliches!

MEDEA.

Fängst an zu merken? Ei, was bist du klug!

GORA.

Und ich solls tragen?

MEDEA.

Ja! Gehorche, Sklavin!

Wagst du zu widerreden? Schweig! du sollst, du mußt.

Hier auf die Schale, weit gewölbt von Gold,

Setz ich das zierlich reiche Prachtgefäß.

Und drüber deck ich, was so sehr sie lockt,

Das Vließ –


Indem sie es darüber wirft.


Geh hin und tu, was deines Amts!

Darüber aber schlinge sich dies Tuch,

Mit reichem Saum, ein Mantel, königlich,

Geheimnisvoll umhüllend das Geheime.

Nun geh und tu, wie ich es dir befahl,

Bring das Geschenk, das Feind dem Feinde sendet.


Eine Sklavin kommt mit den Kindern.


SKLAVIN.

Die Kinder schickt mein königlicher Herr,

Nach einer Stunde hol ich sie zurück.

MEDEA.

Sie kehren früh genug zum Hochzeitschmaus!

Geleite diese hier zu deiner Fürstin,

Mit Botschaft geht sie, mit Geschenk von mir.

Du aber denke, was ich dir befahl!

Sprich nicht! ich wills! – Geleite sie zur Herrin.


Gora und die Sklavin ab.
[956]

MEDEA.

Begonnen ists, doch noch vollendet nicht

Leicht ist mir, seit mir deutlich, was ich will.


Die Kinder, Hand in Hand, wollen der Sklavin folgen.


MEDEA.

Wohin?

KNABE.

Ins Haus!

MEDEA.

Was sucht ihr drin im Haus?

KNABE.

Der Vater hieß uns folgen jener dort.

MEDEA.

Die Mutter aber heißt euch bleiben. Bleibt!

Wenn ich bedenk, daß es mein eigen Blut

Das Kind, das ich im eignen Schoß getragen,

Das ich genährt an dieser meiner Brust,

Daß es mein Selbst, das sich gen mich empört,

So zieht der Grimm mir schneidend durch das Innre,

Und Blutgedanken bäumen sich empor. –

Was hat denn eure Mutter euch getan,

Daß ihr sie flieht, euch Fremden wendet zu?

KNABE.

Du willst uns wieder führen auf dein Schiff

Wos schwindlicht ist und schwül. Wir bleiben da.

Gelt, Bruder?

KLEINE.

Ja.

MEDEA.

Auch du, Absyrtus, du?

Allem es ist so besser, besser – ganz!

Kommt her zu mir!

KNABE.

Ich fürchte mich!

MEDEA.

Komm her!

KNABE.

Tust du mir nichts?

MEDEA.

Glaubst? hättest dus verdient?

KNABE.

Einst warfst mich auf den Boden, weil dem Vater

Ich ähnlich bin, allein er liebt mich drum.

Ich bleib bei ihm und bei der guten Frau!

MEDEA.

Du sollst zu ihr, zu deiner guten Frau! –

Wie er ihm ähnlich sieht, ihm, dem Verräter,

Wie er ihm ähnlich spricht. Geduld! Geduld!

KLEINERE.

Mich schläfert.

ÄLTERE.

Laß uns schlafen gehn, 's ist spät.

MEDEA.

Ihr werdet schlafen noch euch zu Genügen.

Geht hin dort an die Stufen, lagert euch,

Indes ich mich berate mit mir selbst. –[957]

– Wie er den Bruder sorgsam hingeleitet,

Das Oberkleid sich abzieht und dem Kleinen

Es warm umhüllend um die Schulter legt,

Und nun, die kleinen Arme dicht verschlungen,

Sich hinlegt neben ihm. – Schlimm war er nie!

– O Kinder! Kinder!

KNABE sich emporrichtend.

Willst du etwas?

MEDEA.

Schlaf nur!

Was gäb ich, könnt ich schlafen so wie du.


Der Knabe legt sich hin und schläft. Medea setzt sich gegenüber auf eine Ruhebank. Es ist nach und nach finster geworden.


Die Nacht bricht ein, die Sterne steigen auf,

Mit mildem, sanftem Licht herunterscheinend;

Dieselben heute, die sie gestern waren,

Als wäre alles heut, wies gestern war;

Indes dazwischen doch so weite Kluft,

Als zwischen Glück befestigt und Verderben:

So wandellos, sich gleich, ist die Natur,

So wandelbar der Mensch und sein Geschick.

Wenn ich das Märchen meines Lebens mir erzähle,

Dünkt mir, ein andrer spräch, ich hörte zu,

Ihn unterbrechend: Freund, das kann nicht sein!

Dieselbe, der du Mordgedanken leihst,

Läßt du sie wandeln in dem Land der Väter,

Von eben dieser Sterne Schein beleuchtet,

So rein, so mild, so aller Schuld entblößt,

Als nur ein Kind am Busen seiner Mutter?

Wo geht sie hin? Sie sucht des Armen Hütte,

Dem ihres Vaters Jagd die Saat zerstampft,

Und bringt ihm Gold und tröstet den Betrübten.

Was sucht sie Waldespfade? Ei, sie eilt

Dem Bruder nach, der ihrer harrt im Forst,

Und nun, gefunden, wie zwei Zwillingssterne

Durchziehn sie strahlend die gewohnte Bahn.

Ein andrer naht, die Stirn mit Gold gekrönt;

Es ist ihr Vater, ist des Landes König.

Er legt die Hand ihr auf, ihr und dem Bruder,

Und segnet sie, nennt sie sein Heil und Glück.[958]

Willkommen, holde, freundliche Gestalten,

Sucht ihr mich heim in meiner Einsamkeit?

Kommt näher, laßt mich euch ins Antlitz sehn!

Du guter Bruder, lächelst du mir zu?

Wie bist du schön, du meiner Seele Glück.

Der Vater zwar ist ernst, doch liebt er mich,

Liebt seine gute Tochter! Gut? Ha, gut!


Aufspringend.


's ist Lüge! Sie wird dich verraten, Greis!

Hat dich verraten, dich und sich.

Du aber fluchtest ihr.

Ausgestoßen sollst du sein,

Wie das Tier der Wildnis, sagtest du,

Kein Freund sei dir, keine Stätte,

Wo du hinlegst dein Haupt.

Er aber, um den du mich verrätst,

Er selber wird mein Rächer sein,

Wird dich verlassen, verstoßen,

Töten dich.

Und sieh! Dein Wort ist erfüllt:

Ausgestoßen steh ich da,

Gemieden wie das Tier der Wildnis,

Verlassen von ihm, um den ich dich verließ.

Ohne Ruhstatt, leider nicht tot,

Mordgedanken im düstern Sinn.

Freust du dich der Rache?

Nahst du mir? – Kinder! Kinder!


Hineilend und sie rüttelnd.


Kinder, hört ihr nicht? Steht auf.

KNABE aufwachend.

Was willst du?

MEDEA zu ihnen hingeschmiegt.

Schlingt die Arme um mich her!

KNABE.

Ich schlief so sanft!

MEDEA.

Wie könnt ihr schlafen? schlafen?

Glaubt ihr, weil eure Mutter wacht bei euch?

In schlimmern Feindes Hand wart ihr noch nie!

Wie könnt ihr schlafen hier in meiner Nähe?[959]

Geht da hinein, da drinnen mögt ihr ruhn!


Die Kinder gehen in den Säulengang.


So, sie sind fort! Nun ist mir wieder wohl! –

Und weil sie fort; was ist wohl besser drum?

Muß ich drum minder fliehn, noch heute fliehn?

Sie hier zurück bei meinen Feinden lassend?

Ist minder drum ihr Vater ein Verräter?

Hält minder Hochzeit drum die neue Braut?

Morgen, wenn die Sonne aufgeht,

Steh ich schon allein,

Die Welt eine leere Wüste,

Ohne Kinder, ohne Gemahl,

Auf blutig geritzten Füßen

Wandernd ins Elend. – Wohin?

Sie aber freun sich hier und lachen mein!

Meine Kinder am Halse der Fremden,

Mir entfremdet, auf ewig fern.

Duldest du das?

Ists nicht schon zu spät?

Zu spät zum Verzeihn?

Hat sie nicht schon, Kreusa, das Kleid,

Und den Becher, den flammenden Becher?

– Horch! – Noch nicht! – Aber bald wirds erschallen

Von Jammergeschrei in der Königsburg.

Sie kommen, sie töten mich!

Schonen auch der Kleinen nicht.

Horch! jetzt riefs! – Helle zuckt empor!

Es ist geschehn!

Kein Rücktritt mehr!

Ganz sei es vollbracht! Fort!


Gora stürzt aus dem Palaste.


GORA.

O Greul! Entsetzen!

MEDEA ihr entgegen.

Ists geschehen?

GORA.

Weh! Kreusa tot! Flammend der Palast.

MEDEA.

Bist du dahin, weiße Braut?

Verlockst du mir noch meine Kinder?

Lockst du sie, lockst du sie?

Willst du sie haben auch dort?[960]

Nicht dir, den Göttern send ich sie!

GORA.

Was hast du getan? Man kommt!

MEDEA.

Kommt man? Zu spät!


Sie eilt in den Säulengang.


GORA.

Weh mir! Noch in meines Alters Tagen

Mußt ich unbewußt dienen, so schwarzem Werk!

Rache riet ich selbst; doch solche Rache!

Aber wo sind die Kinder? hier ließ ich sie!

Medea, wo bist du? Deine Kinder, Wo?


Eilt in den Säulengang.

Der Palast im Hintergrunde fängt an, sich von einer innen aufsteigenden Flamme zu erleuchten.


JASONS STIMME.

Kreusa! Kreusa!

KÖNIG von innen.

Meine Tochter!

GORA stürzt außer sich aus dem Säulengange heraus und fällt in der Mitte des Theaters auf die Kniee, sich das Gesicht mit den Händen verhüllend.

Was hab ich gesehn? – Entsetzen!


Medea tritt aus dem Säulengange, in der Linken einen Dolch, mit der rechten hocherhobenen Hand Stillschweigen gebietend.

Der Vorhang fällt.
[961]

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 947-962.
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