Als mein Schreibpult zersprang

[73] Wenn im Lenz die Bäume knospen,

und der Saft die Stämme füllt,

fängt im Wald sichs an zu regen,

und des Frühlings Kuß entgegen

dehnt, erwacht, sich Zweig und Ast.

Doch nicht bloß das Holz im Walde,

auch das Holz, das, längst gefället,

als Gerät schon steht und trocknet,

fühlt des Götterboten Nahen

und in törichtem Vergessen

dehnts verlangend seine Adern:

doch, nicht fähig mehr zu grünen,

ächzt es laut auf und zerspringt.[73]

So, obschon vom Stamm getrennet

und verwelket in der Blüte;

weckt im Frühling mich dein Atem,

Himmelstochter Poesie,

und mein Busen drängt und hebt sich:

doch, nicht fähig mehr zu grünen,

ächzt er laut auf und – zerspringt.


Frühling 1813


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 73-74.
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