|
[190] Du eines guten Mannes gute Tochter
Und eines frommen Kaisers Schwiegerkind,
So windest du dich, jammernd um Erbarmen,
Und bebt dein Leib von ahnungsvollem Weh?
Sind das denn nicht die Hallen der Cäsaren,
Der Pol-Stern eines sturmbedrängten Volks,
Von wo aus donnernd die Geschicke fahren,
Die blind erwartend hinnimmt eine Welt?
Und fand der Schmerz in diese Herrschermauern,
In diese Herrscherglieder einen Weg?
Und, leichthingleitend ob des Fröners Weibe,
Tritt er dich an und ruft: sei Mensch und leid!
So widerspricht sich also sehr der Himmel?
Und die er ausnimmt vom gemeinen Los,
Daß sie nicht irren oder doch nicht fehlen,[190]
Und wenn auch fehlen, nimmer sich vergehn,
Und wenn vergehn, sie selbst kein Tadel richtet,
Bis einst, statt Pairs, als Gleicher über Gleichen,
Ein einziger Geschworner sie verdammet: Gott.
Und widerspricht sich also sehr der Himmel,
Daß, ob von Ewigkeit und Gottes Gnaden
Erkoren, recht zu tun und recht zu haben,
Sie doch der Menschheit Los, das irren heißt und leiden,
Nur halb verschont mit seiner Flüche beiden,
Und sie, befreit von Rechenschaft und Wahl,
Der Dränger Schmerz heimsucht mit seiner Qual?
O schwach und falsch! Fürwahr, ein festres Merkmal
Tat not, um zu beglaubigen der Welt
Die auserkornen Lenker der Geschicke.
Wie einst Alcid und jene Göttersöhne
Mußt ein verklärter Leib im Mark der Kraft
Umkleiden wie ein Purpur ihr Vermögen,
In langen Doppelnächten stark erzeugt
Und freudig an das Licht der Welt geboren,
War eines Öta Brand, ein Donnerkeil
Der einzge Rückweg aufwärts zu den Ahnen,
Der würdig ihres Laufs und ihres Stamms.
Und, arme Mutter neurer Göttersöhne,
Liegst wimmernd du mit halbzerfleischtem Leibe,
Fühlst dich, halb sterbend, gleich des letzten Bettlers Weibe?
Und dieses Kind, das deinem Schoß entsprießet,
Wird es nicht wimmern und nach Nahrung weinen?
Nicht spielen? und du wirst sein Fehl bestrafen.
Selbst an das Ziel der Mündigkeit gelangt,
Wird er im Unrecht sein, sooft er anders will
Und anders denkt als sein gekrönter Vater.
Erst an der Gruft einst dessen, der ihn zeugte,
Senkt Weisheit sich mit einmal auf sein Haupt,
Und er prägt aus die Meinung seiner Zeit,
Alleinig echt, nach selbstgeformtem Stempel,
So lange bis der Tod, bis ihn das Schicksal
Durch eines glücklichen Bewerbers Hand,[191]
Durch eignen Volkes Grimm – was Gott verhüte! –
Von dem ererbten Reiche feindlich trennt
Und seine Weisheit scheidet mit dem Thron.
O glaube nicht, du schmerzbedrängte Frau,
Du gute Tochter eines guten Vaters,
Daß niedrer Hohn in diesen Zeilen spottet.
Ich liebe dich, wie ich die Menschen liebe,
Ich achte dich, weil du ein Mensch und gut.
Nein, Mitleid wars, was mir die Brust bewegte,
Als einsam sinnend deiner ich gedacht.
Denn, ach, sie sagen, daß seit dreien Nächten
Du ängstlich harrst der Stunde der Geburt,
Und nicht vermagst und ab im Schmerz dich quälst.
Da fiels mich an mit grimmigen Erbarmen,
Daß du die Magd des Elends wie die andern,
Daß all die Lügen einer Schmeichlerwelt
Nicht einen Gran ersparen dir des Wehs,
Das dich verknüpft den andern Erdentöchtern,
Und du vielleicht, so jung, so schön, so gut,
In diesem Augenblick dem Tod – Doch horch!
Ist das Geschütz nicht donnernd von den Wällen?
Noch einmal. – Zwei und drei. – Und zehn – und zwanzig.
Du bist erlöst, ein Sohn ist dir geboren.
Heil dir und ihm, dem Erben eines Throns!
Lang mög er herrschen, du dich seiner freun,
Als Fürst sei er der erste seiner Gleichen,
Als Herzog zieh er her vor seinem Volk
Und zieh als solcher jeden Titel nach,
Mit dem das Land je seine Hoffnung grüßte –
Nur den von Reichstadt nicht und von Bordeaux.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«
418 Seiten, 19.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro