Ruhe

[328] Jung war ich aus der Heimat fortgezogen,

Es lockte mich ein Bild, das, hell und reich,

Auf ferner Berge himmelnahen Bogen

Halb Sternbild glänzte und halb Menschen-gleich.


Entgegen schien es winkend selbst zu kommen,

Erreichbar schiens dem Kühnen, der mit Mut

Den Gipfel erst des Berges nur erklommen,

Und also zog ich fort in Gottes Hut.


Doch auf dem Gipfel angelangt der Höhen,

Zerfloß das Bild wie leichter Heiderauch,

In gleicher Ferne sah ichs wieder stehen,

Auf Bergen thronend, so wie früher auch.


War Täuschung nun die erstgeglaubte Nähe,

So war doch Wahrheit Mut und Lust und Kraft,

Auch schien ja wirklich, was ich deutlich sehe,

Und also hatt ich neu mich aufgerafft.


Doch wie ich eifrig klomm und wie ich strebte,

Es blieb der Abstand immerdar sich gleich,

Dasselbe Bild, das körperlos entschwebte,

In Fernen glänzend, in der Nähe bleich.


Da ward ich müd wie alle Staubgebornen,

Auch war der Weg von Steinen rauh und scharf,

Bis auf das Leben ritzten spitze Dornen

Und alles fehlte, was der Mensch bedarf.


Zugleich im Gegensatz des luftgen Bildes

Kam mir ein andres vor den wachen Sinn:

Erinnerung des heimischen Gefildes,

In dem ich ward, was ich doch endlich bin;


Wo mir des Vaters Grab zurückgeblieben,

Wo die Genossen froh im nahen Glück,

Der Atem weht von schwerverlaßnen Lieben;

Und also kehrt ich wegerschöpft zurück.
[329]

Nur ruhen wollt ich und dann neu beginnen.

Doch sah ich kaum den heimatlichen Herd,

Da ward als Frucht ich der Versäumung innen,

Wie alles dort verfallen und verkehrt.


Die Fenster blind, verquollen Tür und Schwelle,

Sie öffnete dem Freundestritt sich nicht,

Von dem Geräte nichts an seiner Stelle,

Das Dach gab statt der Fenster Luft und Licht.


Im kleinen Gärtchen, längst entwohnt der Pflege,

Wuchs Unkraut, wo Gewächse sonst in Reihn,

Mit wucherndem Gestrüpp bedeckt die Wege,

Und nur im wilden Anflug schien Gedeihn.


Da fiels mich an: die nötigste der Taten

Sei doch, daß erst die Heimat wohl bestellt,

Und also nahm ich Haue, Karst und Spaten

Und reutete zuerst mein eignes Feld.


Befriedigung, die ich nach außen träumte,

Kam nun von innen selber in mein Dach;

Das Leben rächt ja stets, was es versäumte:

Ich hole meine Jugendjahre nach.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 328-330.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte und Dramen
Medea: Trauerspiel in fünf Aufzügen. Dritte Abteilung des dramatischen Gedichts »Das Goldene Vlies«
Das goldene Vliess: Dramatisches Gedicht in drei Abteilungen. (Der Gastfreund, Die Argonauten, Medea)
Gedichte Reclam
Sämtliche Werke: Erster und zweiter Band: Gedichte

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon