Das X. Kapitel.

[43] Courasche erfährt, wer ihre Eltern gewesen, und bekommt wieder einen andern Mann.


Aber ich hätte lang harren müssen, bis mir etwas Rechts angebissen; dann die gute Geschlechter verblieben bei ihresgleichen, und was sonst reich war, konnte auch sonst reiche und schöne und vornehmlich (welches man damals noch in etwas beobachtete) auch ehrliche Jungfrauen zu Weibern haben, also daß sie nicht bedorften, sich an eine verlassene Soldatenhur zu henken. Hingegen waren etliche, die entweder Bankerott gemacht oder bald zu machen gedachten; die wollten zwar mein Gelt, ich wollte aber darum sie nicht; die Handwerksleut waren mir ohnedas zu schlecht. Und damit blieb ich ein ganz Jahr sitzen, welches mir, länger zu gedulten, gar schwer und ganz wider die Natur war, sintemal ich von der guten Sache, die[43] ich genosse, ganz kützelig wurde; dann ich brauchte mein Gelt, so ich hie und dort in den großen Städten hatte, den Kauf- und Wechselherren zuzeiten beizuschießen, daraus ich so ein ehrlichen Gewinnchen erhielte, daß ich ziemliche gute Tag davon haben konnte und nichts von der Haubtsumma verzehren dorfte. Weilen es mir dann an einem andern Ort mangelte und meine schwache Beine diese gute Sache nicht mehr ertragen konnten oder wollten, machte ich mein Gelt per Wechsel auf Prag, mich selbst aber mit etlichen Kaufherren hernach und suchte Zuflucht bei meiner Kostfrauen zu Bragoditz, ob mir vielleicht alldorten ein besser Glück anstehen möchte.

Dieselbe fande ich gar arm, weder ich sie verlassen; dann der Krieg hatte sie nit allein sehr verderbt, sondern sie hatte auch allbereit vor dem Krieg mit mir und ich nit mit ihr gezehret. Sie freuete sich meiner Ankunft gar sehr, vornehmlich als sie sahe, daß ich nicht mit leerer Hand angestochen kam.

Ihr erstes Willkommheißen aber war doch lauter Weinen, und indem sie mich küßte, nennete sie mich zugleich ein unglückseliges Fräulin, welches seinem Herkommen gemäß schwerlich würde sein Leben und Stand führen mögen, mit fernerem Anhang, daß sie mir fürderhin nit mehr wie vor diesem zu helfen, zu raten und vorzustehen wisse, weil meine besten Freund und Verwandten entweder verjagt oder gar tod wären; und überdas, sagte sie, würde ich mich schwerlich vor den Kaiserlichen dörfen sehen lassen, wann sie meinen Ursprung wissen wollten. Und damit heulete sie immer fort, also daß ich mich in ihre Rede nicht richten noch begreifen konnte, ob es gehauen oder gestochen, gebrannt oder gebohrt wäre. Da ich sie aber mit Essen und Trinken (dann die gute Tröpfin mußte den jämmerlichen Schmalhansen in ihrem Quartier herbergen) wiederum gelabt und also zurecht gebracht, daß sie schier ein Tummel hatte, erzählte sie mir mein Herkommen gar offenherzig und sagte, daß mein natürlicher Vatter ein Graf und vor wenig Jahren der gewaltigste Herr im ganzen Königreich gewesen, nunmehr aber wegen seiner Rebellion wider den Kaiser des Lands vertrieben worden und, wie die Zeitungen mitgebracht, jetzunder an der türkischen Porten sei; allda er auch sogar sein christliche Religion in die türkische verändert haben solle. Meine Mutter, sagte sie, sei zwar von ehrlichem Geschlecht geboren, aber ebenso arm als schön gewesen; sie hätte sich bei des gedachten Grafen Gemahlin vor eine Staatsjungfer aufgehalten, und indem sie der Gräfin aufgewartet, wäre der Graf selbst ihr Leibeigener worden und hätte solche Dienste getrieben, bis er sie auf einen adeligen Sitz[44] verschafft, da sie mit mir niederkommen; und weilen eben damals sie, meine Kostfrau, auch einen jungen Sohn entwöhnet, den sie mit desselbigen Schlosses Edelmann erzeugt, hätte sie meine Säugamme werden und mich folgends zu Bragoditz adelig auferziehen müssen, worzu dann beides, Vater und Mutter, genugsame Mittel und Unterhaltung hergeben. »Ihr seid zwar, liebes Fräulin,« sagte sie ferner, »einem tapferen Edelmann von Euerem Vatter versprochen worden; derselbe ist aber bei Eroberung Pilsen gefangen und als ein Meineidiger neben andern mehr durch die Kaiserlichen aufgehenkt worden.«

Also erfuhr ich, was ich vorlängst zu wissen gewünscht, und wünschte doch nunmehr, daß ichs niemal erfahren hätte, sintemal ich so schlechten Nutzen von meiner hohen Geburt zu hoffen; und weil ich keinen andern und bessern Rat wußte, so machte ich einen Akkord mit meiner Säugamm, daß sie hinfort meine Mutter und ich ihre Tochter sein sollte. Sie war viel schlauer als ich, derowegen zog ich auch auf ihren Rat mit ihr von Bragoditz auf Prag; nicht allein zwar, daß wir den Bekannten aus den Augen kämen, sondern zu sehen, ob uns vielleicht alldorten ein anders Glück anscheinen möchte. Im übrigen so waren wir recht vor einander. Nicht, daß sie hätte kupplen und ich huren sollen, sondern weil sie eine Ernährerin, ich aber eine getreue Person bedorfte (gleich wie diese eine gewesen), deren ich beides. Ehr und Gut, vertrauen konnte. Ich hatte ohne Kleider und Geschmuck bei 3000 Reichstaler bar Gelt beieinander und dannenhero damals keine Ursach, durch schändlichen Gewinn meine Nahrung zu suchen. Meine neue Mutter kleidete ich wie eine ehrbare alte Matron, hielte sie selbst in großen Ehren und erzeigte ihr vor den Leuten allen Gehorsam; wir gaben uns vor Leute aus, die auf der teutschen Grenz durch den Krieg vertrieben worden wären, suchten unseren Gewinn mit Nähen, auch Gold-, Silber- und Seidensticken, und hielten uns im übrigen gar still und eingezogen, meine Batzen genau zusammenhaltend, weil man solche zu vertun pflegt, ehe mans vermeint, und deren keine andere kann gewinnen, wann man gern wollte.

Nun, dies wäre ein feines Leben gewest, das wir führten, ja gleichsam ein klösterliches, wann uns nur die Beständigkeit nicht abgangen wäre. Ich bekam bald Buhler: etliche suchten mich wie das Frauenzimmer im Bordelt, und andere Tropfen, die mir meine Ehre nit zu bezahlen getrauten, sagten mir viel vom Heuraten; beide Teil aber wollten mich bereden, sie würden durch die grausame Liebe, die sie zu mir trügen, zu[45] ihren Begierden angesporet. Ich hätte aber keinem geglaubt, wann ich selbst ein keusche Ader in mir gehabt; es gieng halt nach dem alten Sprichwort: Gleich und gleich gesellt sich gern. Dann gleich wie man sagt: Das Stroh in den Schuhen, ein Spindel im Sack und eine Hur im Haus läßt sich nicht verbergen, also wurde ich auch gleich bekannt und wegen meiner Schönheit überall berühmt. Dannenhero bekamen wir viel zu stricken, und unter anderem einem Haubtmann ein Wehrgehenk, welcher Vorgabe, daß er vor Liebe in den letzten Zügen läge. Hingegen wußte ich ihm von der Keuschheit so ein Haufen aufzuschneiden, daß er sich stellte, als wollte er gar verzweifeln; dann ich ermaße die Beschaffenheit und das Vermögen meiner Kunden nach der Regul meines Wirt »Zum guldenen Löwen« zu N. Dieser sagte: »Wann mir ein Gast kommt und gar zu unmäßig viel höflicher Komplimenten macht, so ist eine gewisse Anzeigung, daß er entweder nicht viel zum besten oder sonst nicht im Sinn hat, viel zu vergeben; kommt aber einer mit Trutzen und nimmt die Einkehr bei mir gleichsam mit Pochen und einer herrischen Bottmäßigkeit, so gedenke ich: Holla, diesem Kerl ist der Beutel geschwollen, dem mußt du schrepfen. Also traktiere ich die Höfliche mit Gegenhöflichkeit, damit sie mich und meine Herberg anderwärts loben, die Schnarcher aber mit allem, das sie begehren, damit ich Ursach habe, ihren Beutel rechtschaffen zu aktionieren.« Indem ich nun diesen meinen Haubtmann hielte, wie dieser Wirt seine höfliche Gast, als hielte er mich hingegen wo nicht gar vor ein halben Engel, jedoch wenigst vor ein Muster und Ebenbild der Keuschheit, ja schier vor die Frommkeit selbsten. In Summa, er kam so weit, daß er von der Verehlichung mit mir anfieng zu schwätzen, und ließe auch nicht nach, bis er das Jawort erhielte. Die Heuratspunkten waren diese, daß ich ihm 1000 Reichstaler Bargelt zubringen, er aber hingegen mich in Teutschland zu seinem Heimat um dieselbige versichern sollte, damit, wann er vor mir ohne Erben sterben sollte, ich deren wieder habhaft werden könnte; die übrige 2000 Reichstaler, die ich noch hätte, sollten an ein gewiß Ort auf Zins gelegt und in stehender Ehe die Zins von meinem Haubtmann genossen werden, das Kapital aber ohnverändert bleiben, bis wir Erben hätten; auch sollte ich Macht haben, wann ich ohne Erben sterben sollte, mein ganz Vermögen, darunter auch die 1000 Reichstaler verstanden, die ich ihm zugebracht, hin zu vertestieren, wohin ich wollte etc. Demnach wurde die Hochzeit gehalten; und als wir vermeinten, zu Prag beieinander, solang der Krieg währete, in der Garnison gleich[46] wie im Frieden in Ruhe zu leben, siehe, da kam Ordre, daß wir nach Holstein in den dänemärkischen Krieg marschieren müßten.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 43-47.
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