4.

Prosopopœia Viri Literati è Tvmvlo

[7] 1.

Wie eitel ist was wir hoch schätzen!

Was ist das eilendts nicht vergeht?

Wie flüchtig/ was vns kan ergetzen!

Wie baldt verfält was itzundt steht.

Wie baldt mus alles fleisch erbleichen!

Wie plötzlich wirdt der mensch zur leichen!


2.

Ach! was ist alles was vns zihret/

Vndt für der welt zum wunder macht!

Wen nun der todt sein recht ausführet;

Vnd vnser Geist in angst verschmacht.

Was nützt doch/ bitt ich/ vnser wissen:

Wen wir die lassen augen schlissen?


3.

Kom wer du bist hier kanst du schawen/

Wo ich noch schawens würdig bin:

Wie diß auff was wir menschen bawen

Ein einig augenblick reist hin.

Ich bin nicht mehr/ den du gehörett.

Den so manch' hoher sinn geehrett.


4.

Der Geist ist weg/ dem was verborgen/

Dem Erd' vndt Himmel offenstundt.

Vmbsonst ist nun mein weises sorgen.

Itzt schweigt der wolberedte mund!

Ich der vorhin so viel durchlesen:

Weis itzt nicht was ich selbst gewesen.


5.

Die beiden lichter/ die durch sehen/

Der ewighellen lichter schaar:

Vndt was in Lufft vndt See geschehen/

Vndt was nur anzutreffen war.

Die schier was jeder dacht/ erfunden.

Sindt blindt/ vndt todt/ vndt gantz verschwunden.


6.

Die zunge/ die hertz Geist vndt leben/[8]

Gleich als ein donnerstrall durchries:

Die vber sternen kont' erheben:

Die in den abgrund nieder sties:

Die wilde können vor bewegen:

Fault itzt/ vnd kan sich selbst nicht regen.


7.

Die hände starren/ die geschribẽ

Was viel berühmbter leuth ergetzt:

Die hände die so viell getriben/

Sind durch des todes handt verletzt.

Hier ist das ende meiner reisen:

Alhier verläst vns was wir preisen.


8.

Hier hilfft kein recht; wir müssen weichen:

Hier hilfft kein krautt: der Mensch ist gras.

Hier mus die schönheit selbst erbleichen.

Hier hilft nicht stärcke: du bist glas.

Hier hilft kein Adel; du bist erden/

Nicht ruhm: du must zue aschen werden.


9.

Hier hilft kein purpur: kein gepränge.

Die herrlikeit ist nur ein traum.

Vnd wurd vns gleich die welt zue enge:

Wir finden doch im grabe raum.

Hier gilt nicht gelt: nicht greise haare.

Der todt wirfft alles auff die bahre.


10.

Freund'/ ehre/ gütter/ kunst/ vnd tittell

Stand/ hauß vndt ruhm verlaß' ich hier.

Vndt trage nichts den diesen kittell/

Vndt den geringen sarck mitt mir.

Mein nahme der noch scheint zue stehen

Wird auch in kurtzer zeitt vergehen.


11.

Gott dem wir rechnung vbergeben/

Schawt kein gelehrtes wissen an.[9]

Er forschet nur nach vnserm leben/

Vndt ob wir was er hies gethan:

Er will zwar weisheit mit viel kronẽ:

Doch nur wen sie ihm dient belohnẽ.


12.

Ade ihr gäste dieser Erden.

Ich geh euch vor; ihr folget mir.

Was ich itz bin/ mus jeder werden/

Es galt mir heute; morgen dier/

Ade/ dis mögt ihr von mir erben:

Die gröste kunst ist können sterben.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 7-10.
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