Zweiter Auftritt.


[35] Judith. Manasse. Später Simon.


JUDITH nachdem sie ihn beobachtet.

Ich such' Euch, Vater, und ich find' Euch nicht.

In Euerm Abschluß scheint Ihr wie verloren.

Ihr seht so trübe –

MANASSE.

Schein' ich's, bin ich's nicht.

JUDITH.

Die Opfer haben Euch ermüdet, die

In diesen schweren Tagen Ihr gebracht?

MANASSE.

Man ist nur glücklich, weißt du ja an dir,

Durch fremden Schmerz –

JUDITH.

Den Ausgestoßenen,

Den alles flieht, der selbst die heil'ge Schwelle

Des Hauses seiner Mutter nicht betritt,

Ihr bergt ihn vor der Wut des Fanatismus,

Laßt ihn in unsrer Villa friedlich wohnen

Und fügt Euch selbst, ihn Euern Sohn zu heißen!

Die Menschen nennen Euch den kalten Weltmann,

Und hart erscheint die Schale Eures Wesens –

O, kennten sie den Kern, den weichen, edeln!

MANASSE.

Du hebst mich viel zu hoch, mein gutes Kind!

Daß ich Acosta schütze, tu' ich nicht

Um ihn; denn ich gestehe dir, ein Geist,

Der sich nicht fügt dem allgemeinen Wesen,

Bleibt mir befremdlich und ich lieb' ihn nicht.

Dir ist er wert, du hast es laut bekannt

Mit wildester Verletzung aller Pflichten –

Ich mag die Szene mir mit Worten nicht

Erneuern –

JUDITH für sich.

Und ich lebe nur in ihr.

MANASSE.

Nach Uriels Widerruf weiß man, daß ich

Dem Unbegüterten die Hand der Tochter,

Weil sie ihn liebt, nicht weigern will – warum

Ich schwach bin, fühlst du wohl, mein Kind![35]

JUDITH.

Um mich!

Um Euer sanftes, mildes Vaterherz –

Und auch um Euch, um Euer Menschenherz!

MANASSE.

Da irrst du, Kind! Die Menschen hass' ich nicht –

Doch hab' ich auch den Drang nicht, sie zu lieben.

Ich lernte sie von einer Seite kennen,

Die mich gezwungen, nur mir selbst zu leben.

Du warst noch Kind, vor fünfzehn Jahren war's,

Da stand an einem Morgen an der Börse:

Manasse Vanderstraten ist gefallen!

Mit großen Lettern stand es an der Börse:

Manasse Vanderstraten ist gefallen!

Ein wenig Mitleid, manche gute Lehre,

Ein Seufzer hier, ein Achselzucken dort,

Mehr fand der Scheiternde am Ufer nicht.

JUDITH.

Nicht meine Mutter, Vater?

MANASSE.

Deine Mutter,

Gesegnet sei ihr Angedenken! Ja!

Die gab mir Mut zu neuer Tätigkeit.

Sie sah noch einmal unsre Sonne lächeln –

Und starb im Glück – erschöpft von jener Kraft,

Die künstlich sie der Welt zur Schau getragen.

Der kalten Welt! Ha, dies Gefühl des Elends,

Daß man allein nur sich vertrauen darf,

Daß keiner für uns in die Schranken tritt,

Daß wir nur selbst, ein Weib, ein Kind vielleicht

Die Schmiede unsers Glückes sind – o sieh!

Da hab' ich mir mein Leben in den Bann

Des eigenen Behagens eingepfercht

Und leide bitter, wenn mir so die Welt,

Die wirkliche, ans stille Fenster pocht.

SIMON meldet.

De Silva schickt und meldet, daß er käme –

Im Augenblick schon dürft Ihr ihn erwarten.


Ab.


JUDITH.

De Silva?

MANASSE.

Ja! Und Uriel?

JUDITH.

Ist drinnen,

Wie Ihr befohlen, heimlich –

MANASSE.

Klagst du noch,

Du junge Welt, die alte ewig an?

Steht sie noch immer euerm Glück im Wege?

De Silva bleibt Acosta hold; vermittelt

Die Sühnung mit der Synagoge, sucht[36]

Jochais wilde Rache zu besänft'gen –

Geh! Rufe Uriel –

JUDITH.

Dank, teurer Vater!

O wüßt' ich irgendeine große Tat!

Ich schäme mich, nur immer anzunehmen.

MANASSE.

Geh! Rufe deinen Freund!

JUDITH.

Und gib dich nicht

Für kälter aus, als deine Seele glüht!

Du liebst den schönen Schein der Kunst; warum

Den schöneren des besten Herzens nicht?


Sie eilt nach innen.


MANASSE ihr nachblickend und sein Hauptbuch nehmend.

»O wüßt' ich irgendeine große Tat!«

Die aber, die sie schmerzen würde, nimmt sie

Natürlich davon aus – De Silva kommt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 35-37.
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Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
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