[53] Uriel allein. Dann Ruben.
URIEL das Pergament betrachtend.
Entehrendes Geständnis, du stehst treuer
Auf diesem Pergamente nicht gemalt
Mit schwarzen Dolchen, Pfeilen, Vipernzungen,[53]
Als hier in meiner Brust mit roten Wunden!
Kein Balsam wird mir diese Wunden heilen.
Und heilte sie vielleicht die milde Zeit,
So werden die zurückgebliebnen Narben
Mich nicht wie eines Kriegers Narben ehren. – –
In meinem Kerker war es diese Nacht,
Als säh' ich meine Mutter. Sanft und linde –
Hat sie mich trösten wollen – und zur Seite,
Verklärt von einem blendendweißen Lichtglanz,
Stand Judith – Ich erwachte – Kalt begrüßten
Mich wieder meine nackten Kerkerwände,
Und zornig faßt es mich, wie Galilei –
Ha, Galilei! Als du auf der Folter,
Die Erde stehe still, beschwören mußtest,
Da sprangst du, wie die Schrauben nachgelassen,
Empor und riefst den Kardinälen donnernd
Dein stolzes Wort: Und sie bewegt sich doch!
Und dies dein »Sie bewegt sich doch« will mich
Seitdem nicht mehr verlassen, immer, immer
Klingt mir's im Ohre: Sie bewegt sich doch –
Und sie bewegt sich doch –
Hinter der Szene beginnt ein Psalm, von Kindern gesungen.
Ha, diese Stimmen!
Akkorde unschuldsvoller Kinderseelen!
Nicht wissend singen Kinder Rachepsalmen –
Muß es denn sein? Allmächtiger dort oben,
Wie ist das dir, wenn ich mich krümme – kann
Kein Arm herniederlangen aus dem Nichts?
RUBEN hinter der Szene.
Ich muß – laßt mich zu ihm – ich muß!
URIEL.
Das ist
Die Stimme meines Bruders!
RUBEN auftretend.
Uriel!
URIEL.
Bruder,
Nicht vor der Schmach, nein nach ihr brauch' ich Liebe!
RUBEN.
Man will den Eingang uns zu dir verwehren,
Den Brüdern ihres Bruders Anblick rauben –
Laß ab! Im Namen der Verwandten komm' ich –
Wir wollen dulden, wollen dich nicht drängen
Zum Widerrufe! Tu ihn nicht um uns!
URIEL.
Der Mutter hab' ich's feierlich gelobt.
RUBEN.
Der Mutter! Ach der lebenden! Doch noch
Ihr letzter Blick, der dich vergebens suchte –
Und der in blinder Nacht gebrochen ist –[54]
URIEL.
Die Mutter tot? Tot unsre Mutter? Tot?
RUBEN.
Den Brief, den ich dir schrieb, empfingst du nicht –
So macht' ich mir gewaltsam Bahn zu dir –
Ja, Bruder, unsre Mutter ist nicht mehr,
Wo Menschenfluch uns schaden kann!
URIEL.
Ist tot! – –
Und doch – kann sich durch solchen Schmerz ein Trost,
Ein Lächeln noch durch solche Tränen stehlen,
So möcht' ich danken dem Geschick, daß sie
Gesühnt mich glaubte, eh' ich's wirklich bin.
Und starb, eh' ich gelitten, was ich leide –
RUBEN.
Laß ab! Wir ziehen nach dem Haag und suchen
Uns dort ein neues Glück –
URIEL.
Was sprichst du –? Wie
Vermag ich abzulassen! Weißt du doch,
Mein Herz gehört nicht mir in beiden Hälften;
Die Mutter gab die eine mir zurück –
Die andre –
Es erschallt der Widderhörnerton.
RUBEN will ihn zurückhalten.
Judith?
URIEL.
Laß mich, Bruder! Sieh,
Der stumme Blick der Liebe Judiths winkt – –!
Er stürzt nach hinten. Der Choral hört auf.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
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