[55] Hinten wurde der Vorhang aufgezogen. Man sieht die Synagoge. Eine Erhöhung von wenig Stufen führt auf das Tabernakel, von wo herab man in den durch Kron- und Wandleuchter erhellten Raum sieht. Auf dem Tabernakel sitzen: Santos, Embden und zwei Rabbinen mit Taleds (Gebetschleiern) auf dem Haupte. Die Vorigen
SANTOS.
Ich lade dich vor diese Schranken, Uriel
Acosta! Israel harrt deiner Buße!
RUBEN kämpft mit sich, die Wahrheit zu sagen.
Nein, Bruder!
Judith – wird –
URIEL.
Du sprichst ihn aus
Den Namen, der mein Schicksal werden muß!
Jetzt gib dir Mut, du feiger Fuß! Ich schreite
Nicht rechts, nicht links, nach Christus, Sokrates,
Nach Hussens Feuertod nicht neidisch schielend,
Empor zum dreimal blut'gern Tod der Schande!
Er geht entschlossen die Stufen hinan.
RUBEN.
O schaudervolle Wendung des Geschicks –!
Noch weiß er nicht, was sich jetzt eben
Im Hause Vanderstratens muß entscheiden![55]
Er widerruft um eine Mutter, die
Ihm stirbt! Um eine Braut, die – jetzt vielleicht
Für immer, immer ihm verloren ist!
SANTOS hinaussprechend.
Hör' Israel, und jauchzet alle Lande!
URIEL liest aus dem Pergament, unter ferner Begleitung einer Musik.
»Ich Uriel Acosta, von Geburt
Ein Portugiese, Jude meines Glaubens,
Gestehe hier vor Gottes Auge, daß
Ich seiner Gnade mich unwürdig fühle.
Als Knabe schon bekannten meine Lippen
Den Christenglauben, den mein Herz verwarf;
Dann Jakobs Glauben wiederum bekennend
Mit äußerm Schein und heuchelnder Verstellung
War ich nicht Christ, nicht Jude, haßte beide,
Insonders aber haßte ich mein Volk.
Was ihm nur heilig ist, hab' ich verhöhnt,
Mit Lust getan, was das Gesetz verbietet.
Wo des Verstandes Kraft den Missetaten
Den Schein der Überzeugung nicht verlieh,
Nahm ich den Spott zu Hilfe, schrieb ein Buch,
Das Belial mir eingegeben hat –
O Fluch der Hand, die dieses Buch geschrieben.
Die Mutter zu ermorden war sie fähig –«
RUBEN für sich.
Die Lüge trifft dich nicht.
URIEL.
»In Blut getaucht
Hab' ich die Feder, die es schrieb. Gelogen
Ist alles, was in meinem Denken mir
Mit unserm Glauben nicht vereinbar schien,
Und was die Quelle der Vernunft genannt,
Wo ich euch riet, die Dürstenden zu tränken,
Das war nur Wasser aus dem Trog des Tiers,
Das wir verachten seit der Väter Tagen.
Das eigne Wort des höchsten Gottes hab' ich,
Die Offenbarung, fälschlich mir verändert,
Den Sinn entstellt mit frevelnder Erfindung,
Gefälscht hab' ich die Worte der Propheten
Mit schadenfroher Lust an meiner Lüge –
Er kann kaum noch weiter und sinkt schon ohnmächtig. Die beiden Rabbinen halten ihn.
Und nunmehr – fühl' ich mich – so tief verworfen
In dieser Eitelkeit auf meine Meinung,
Daß ich die Strafe, die gerecht mich traf,
Des Bannes Fluch durch Reue will versöhnen![56]
Und daß ich demutsvollen Sinns mich zeige,
Hoffärtig nicht vor meinen Brüdern wandle,
So will ich mich an dieses Tempels Ausgang,
Am Tor der Synagoge auf die – Erde
Als – Büßer – legen! Jedermann von euch
Erhebe seinen Fuß, – um – über – mich
Hinweg – –«
Er sinkt nieder.
RUBEN nimmt die Rolle und liest.
Was hör' ich?
SANTOS.
»An des Tempels Ausgang,
Am Tor der Synagoge auf die Erde
Als Büßer legen! Jedermann von Euch
Erhebe seinen Fuß, um über mich
Hinwegzuschreiten an des Tores Schwelle!«
RUBEN außer sich.
Ihr schändet keinen oder mich mit ihm!
Er stürzt davon. Uriel wurde inzwischen bewußtlos vom Tabernakel nach hinten hinuntergetragen. Die Priester folgen.
Statt der Musik hört man fortdauerndes Gebetmurmeln.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro