[57] Als Wally mit ihrem Manne nach Paris gekommen war, atmete sie auf. Sie war froh, sich von einer ganz verfehlten Stellung befreit zu sehen. Sie wußte, daß sie in Paris noch immer den stürmischen Bewegungen irgendeiner Neigung ausgesetzt sein konnte, daß ihre eheliche Treue mit weit gefährlicheren Lockungen wie in der Heimat würde herausgefordert werden; allein sicher war sie jetzt vor den Zumutungen der Genialität, vor dem verwirrenden Benehmen Cäsars, vor Männern, welche zu poetisch sind, um ganz nach der Mode, und zu modisch, um ganz nach[57] der Poesie zu leben. In Paris siegte sie, wenn sie wollte, noch immer durch die sehr einfachen Künste der Koketterie. Nur die Situationen sind es, welche dem Leben der Pariser Frauen eine besondere Originalität geben.
Die Zeit, in welcher Wally mit ihrem Manne nach Paris kam, war bei Anfang des Aprilprozesses.
Wenn man glauben wollte, daß die Julirevolution in den Sitten der höhern Pariser Welt eine Änderung veranlaßt hätte, welche gleichsam dem Ernste der Zeit hätte entsprechen sollen, so verkennt man den Charakter der Franzosen. Die alte Revolution, welche eine Strafe der Frivolität zu sein schien, rottete die Frivolität doch selbst nicht aus. Die alte politische und gesellschaftliche Verfassung wurde gestürzt, aber die Manieren erhielten sich. An dem Besitztume klebte etwas, was sich nicht von ihm trennen ließ; in den Reichtümern, welche kaum den Tod der einen veranlaßt hatten, lag ein Zauber, der auch die wieder verwirrte, welche die neuen Herren derselben wurden. Den Leichtsinn tilgte die Guillotine nicht.
Die neueste Revolution hatte zu den alten Elementen des Pariser Lebens neue, zu zwei Aristokratien, der bourbonischen und bonapartistischen, noch eine dritte gesellt, die Aristokratie der Banquiers. Mehr als je wurde das Geld der Hebel des gesellschaftlichen Mechanismus, seitdem eine Klasse in den Vorgrund trat, mit der es in dieser Rücksicht schwer war zu wetteifern. Weil die Pariser das Geld nicht anhäufen, sondern es als Mahlschatz immer wieder aufschütten und von dem Winde umtreiben lassen, so wird jede Lebensäußerung dort in den metallischen Strom mit hineingerissen. Dieser Strom ist es, welcher die entsetzlichsten Verheerungen in der Moralität und Freundschaft anrichtet. Sein Ebben und Fluten macht Leben und Tod. Er ergießt sich frei, offen, vor allen Augen, nicht einmal unterirdisch. Er wälzt seine goldschäumenden Wogen durch die Säle und kleinsten Gemächer. Man ist in Paris immer in der Nähe des Geldes, weniger dessen, was man besitzt, als dessen, wovon man[58] nicht genug haben kann und das man unter allen Umständen sich zu verschaffen sucht. Daraus entstehen die meisten tragischen und komischen Konflikte der Pariser Gesellschaft.
Wally hatte keine Meditationen nötig, um über diese Dinge ins reine zu kommen. Sie verstand sie bald, da die Begegnisse selbst zu deutlich sprachen und dichterische Erfindungen, Schriften wie die von Balzac, sie hinreichend bestätigten. Wally philosophiert nicht, das wissen wir längst. Sie wird Paris nicht wie ein Phänomen nehmen, sondern wie eine Erfahrung, über die man erst reflektiert, nachdem sie erlebt ist. Sie wird sich in den dichtesten Strudel der Vergnügungen werfen. Sie wird den Becher der Lust und der Gedankenlosigkeit bis tief auf die Neige leeren. Sie wird jede Minute Leben benutzen, die sie nur verwenden kann, und käme sie einst zurück von Paris, wird sie von Paris nichts zu erzählen wissen. Wally gehörte bald zu den glänzendsten Erscheinungen auf dem Theater des Tages und der Nachrede.
Wenn wir im folgenden mehr ein Verhältnis schildern wollen, das in Wallys Hause und in ihrer Verwandtschaft sich entwickelte, so ist es deshalb, um einesteils über ihren Mann eine Ansicht zu haben, andernteils, um nichts zu unterlassen, was zuletzt doch berichtet werden müßte, weil es eine entscheidende Folge hatte. Wally beherrschte andere Kreise mit derselben siegreichen Gewandtheit. Sie hatte ein großes Stück an dem Netz zu weben übernommen, welches über Paris ausgebreitet ist und so viel Ehrgeiz, Eifersucht, Tragödie und Idylle in seinen Maschen festhält. Sie war eine fleißige Bundesgenossin des großen Feldzuges gegen Natur, Wahrheit, Tugend und Völkerfreiheit, welcher mit dem Leben der Großen fast immer zusammenfällt; ein Feldzug, dessen Gefahr von den Freuden seiner kleinen Siege im Ernst doch überboten wird.
Je weniger diese Katastrophe zunächst mit der Seelenrichtung in Wally zusammenhängt, die uns veranlaßte, sie[59] zum Gegenstand einer poetischen Darstellung zu machen, desto mehr trägt sie bei, die Draperien zu bestimmen, auf deren Grunde sich die wahrhafte Originalität Wallys sprechender zeichnete. Indem Wally Szenen erlebt, welche mit ihrer Krankheit nicht in der entferntesten Berührung liegen, indem sie von einem Gedankenreiche losgetrennt ist, das sie selbst in sich aufgeregt hatte; muß auch der Kontrast desselben später nur desto tiefer in ihr Herz schlagen. Wally wandelt sorglos am Rande eines Abgrundes.
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Wally, die Zweiflerin
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