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Die tragische Ode fängt im höchsten Feuer an, der reine Geist, die reine Innigkeit hat ihre Grenze überschritten, sie hat diejenigen Verbindungen des Lebens, die notwendig, also gleichsam ohnedies zum Kontakt geneigt sind, und durch die ganze innige Stimmung dazu übermäßig geneigt werden, das Bewußtsein, das Nachdenken, oder die physische Sinnlichkeit nicht mäßig genug gehalten, und so ist, durch Übermaß der Innigkeit, der Zwist entstanden, den die tragische Ode gleich zu Anfang fingiert, um das Reine darzustellen. Sie gehet dann weiter durch einen natürlichen Akt aus dem Extrem des Unterscheidens und der Not in das Extrem des Nichtunterscheidens des Reinen, des Übersinnlichen, das gar keine Not anzuerkennen scheint, von da fällt sie in eine reine Sinnlichkeit, in eine bescheidenere Innigkeit, denn die ursprünglich höhere göttlichere kühnere Innigkeit ist ihr als Extrem erschienen, auch kann sie nicht mehr in jenen Grad von übermäßiger Innigkeit fallen, mit dem sie auf ihren Anfangston ausging, denn sie hat gleichsam erfahren, wohin dies führte, sie muß aus den Extremen des Unterscheidens und Nicht-unterscheidens in jene stille Besonnenheit und Empfindung übergehen, wo sie freilich den Kampf der einen angestrengteren Besonnenheit notwendig, also ihren Anfangston und eigenen Charakter als Gegensatz empfinden, und in ihn übergehen muß, wenn sie nicht in dieser Bescheidenheit tragisch enden soll, aber weil sie ihn als Gegensatz empfindet, gehet dann das Idealische, das diese beeden Gegensätze vereiniget, reiner hervor, der Urton ist wieder und mit Besonnenheit gefunden und so gehet sie wieder von da aus durch eine mäßige freiere Reflexion oder Empfindung sicherer freier gründlicher[155] (d.h. aus der Erfahrung und Erkenntnis des Heterogenen) in den Anfangston zurück.
Allgemeiner Grund.
Es ist die tiefste Innigkeit, die sich im tragischen dramatischen Gedichte ausdrückt. Die tragische Ode stellt das Innige auch in den positivsten Unterscheidungen dar, in wirklichen Gegensätzen, aber diese Gegensätze sind doch mehr bloß in der Form und als unmittelbare Sprache der Empfindung vorhanden. Das tragische Gedicht verhüllt die Innigkeit in der Darstellung noch mehr, drückt sie in stärkeren Unterscheidungen aus, weil es eine tiefere Innigkeit, ein unendlicheres Göttliche ausdrückt. Die Empfindung drückt sich nicht mehr unmittelbar aus, es ist nicht mehr der Dichter und seine eigene Erfahrung, was erscheint, wenn schon jedes Gedicht, so auch das tragische aus poetischem Leben und Wirklichkeit, aus des Dichters eigener Welt und Seele hervorgegangen sein muß, weil sonst überall die rechte Wahrheit fehlt, und überhaupt nichts verstanden und belebt werden kann, wenn wir nicht das eigene Gemüt und die eigene Erfahrung in einen fremden analogischen Stoff übertragen können. Auch im tragisch dramatischen Gedichte spricht sich also das Göttliche aus, das der Dichter in seiner Welt empfindet und erfährt, auch das tragisch dramatische Gedicht ist ihm ein Bild des Lebendigen, das ihm in seinem Leben gegenwärtig ist und war; aber wie dieses Bild der Innigkeit überall seinen letzten Grund in eben dem Grade mehr verleugnet und verleugnen muß, wie es überall mehr dem Symbol sich nähern muß, je unendlicher, je unaussprechlicher, je näher dem nefas die Innigkeit ist, je strenger und kälter das Bild den Menschen und sein empfundenes Element unterscheiden muß, um die Empfindung in ihrer Grenze festzuhalten, um so weniger kann das Bild die Empfindung unmittelbar aussprechen, es muß sie sowohl der Form als dem Stoffe nach verleugnen, der Stoff muß ein kühneres fremderes Gleichnis und Beispiel von ihr sein, die Form muß mehr den Charakter[156] der Entgegensetzung und Trennung tragen. Eine andre Welt, fremde Begebenheiten, fremde Charaktere, doch wie jedes kühneres Gleichnis, dem Grundstoff um so inniger anpassendes, bloß in der äußeren Gestalt heterogenes, denn wäre diese innige Verwandtschaft des Gleichnisses mit dem Stoffe, die charakteristische Innigkeit, die dem Bilde zum Grunde liegt, nicht sichtbar, so wäre seine Entlegenheit, seine fremde Gestalt, nicht erklärlich. Die fremden Formen müssen um so lebendiger sein, je fremder sie sind, und je weniger der sichtbare Stoff des Gedichts dem Stoffe, der zum Grunde liegt, dem Gemüt und der Welt des Dichters gleicht, um so weniger darf sich der Geist, das Göttliche, wie es der Dichter in seiner Welt empfand, in dem künstlichen fremden Stoffe verleugnen. Aber auch in diesem fremden künstlichen Stoffe darf und kann sich das Innige, Göttliche, nicht anders aussprechen, als durch einen um so größern Grad des Unterscheidens, je inniger die zum Grunde liegende Empfindung ist. Daher ist 1) das Trauerspiel seinem Stoffe und seiner Form nach dramatisch, d.h. a) es enthält einen dritten von des Dichters eigenem Gemüt und eigener Welt verschiedenen fremderen Stoff, den er wählte, weil er ihn analog genug fand, um seine Totalempfindung in ihn hineinzutragen, und in ihm, wie in einem Gefäße, zu bewahren, und zwar um so sicherer, je fremder bei der Analogie dieser Stoff ist, denn die innigste Empfindung ist der Vergänglichkeit in eben dem Grade ausgesetzt, in welchem sie die wahren zeitlichen und sinnlichen Beziehungen nicht verleugnet (und es ist deswegen ja auch lyrisches Gesetz, wenn die Innigkeit dort an sich weniger tief, also leichter zu halten ist, den physischen und intellektualen Zusammenhang zu verleugnen). Eben darum verleugnet der tragische Dichter, weil er die tiefste Innigkeit ausdrückt, seine Person, seine Subjektivität ganz, so auch das ihm gegenwärtige Objekt, er trägt sie in fremde Personalität, in fremde Objektivität über (und selbst, wo die zum Grunde liegende Totalempfindung am meisten sich verrät, in der Hauptperson, die den Ton des Dramas angibt, und in der[157] Hauptsituation, wo das Objekt des Dramas, das Schicksal sein Geheimnis am deutlichsten ausspricht, wo es die Gestalt der Homogenität gegen seinen Helden am meisten annimmt (eben die ihn am stärksten ergreift), selbst da und schlimme Erfolg, den die falschen Versuche zu einer hergestellten reinen Innigkeit im Gemüte haben, nicht wieder durch das Leidende selbsttätig durch einen neuen angemessen unangemessenen Versuch behandelt, sondern von einem Andern zuvorkommenderweise gemacht wird, das auf eben dem Wege geht, nur eine Stufe höher oder niedriger steht, so daß das durch falsche Verbesserungsversuche angefochtene Gemüt nicht bloß durch die eigene Selbsttätigkeit gestört, sondern durch das Zuvorkommen einer fremden gleich falschen noch mehr alteriert, und zu einer heftigern Reaktion gestimmt wird.
Grund zum Empedokles.
Natur und Kunst sind sich im reinen Leben nur harmonisch entgegengesetzt. Die Kunst ist die Blüte, die Vollendung der Natur, Natur wird erst göttlich durch die Verbindung mit der verschiedenartigen aber harmonischen Kunst, wenn jedes ganz ist, was es sein kann, und eines verbindet sich mit dem andern, ersetzt den Mangel des andern, den es notwendig haben muß, um ganz das zu sein, was es als besonderes sein kann, dann ist die Vollendung da, und das Göttliche ist in der Mitte von beiden. Der organischere künstlichere Mensch ist die Blüte der Natur, die aorgischere Natur, wenn sie rein[158] gefühlt wird, vom rein organisierten, rein in seiner Art gebildeten Menschen, gibt ihm das Gefühl der Vollendung. Aber dieses Leben ist nur im Gefühle und nicht für die Erkenntnis vorhanden. Soll es erkennbar sein, so muß es dadurch sich darstellen, daß es im Übermaße der Innigkeit, wo sich die Entgegengesetzten verwechseln, sich trennt, daß das Organische, das sich zu sehr der Natur überließ und sein Wesen und Bewußtsein vergaß, in das Extrem der Selbsttätigkeit und Kunst und Reflexion, die Natur hingegen, wenigstens in ihren Wirkungen auf den reflektierenden Menschen, in das Extrem des Aorgischen, des Unbegreiflichen, des Unfühlbaren, des Unbegrenzten übergeht, bis durch den Fortgang der entgegengesetzten Wechselwirkungen die beiden ursprünglich einigen sich wie anfangs begegnen, nur daß die Natur organischer durch den bildenden kultivierenden Menschen, überhaupt die Bildungstriebe und Bildungskräfte, hingegen der Mensch aorgischer, allgemeiner, unendlicher geworden ist. Dies Gefühl gehört vielleicht zum höchsten, was gefühlt werden kann, wenn beide Entgegengesetzte, der verallgemeinerte geistig lebendige künstlich rein aorgische Mensch und die Wohlgestalt der Natur sich begegnen. Dies Gefühl gehört vielleicht zum höchsten, was der Mensch erfahren kann, denn die jetzige Harmonie mahnt ihn an das vormalige umgekehrte reine Verhältnis, und er fühlt sich und die Natur zweifach, und die Verbindung ist unendlicher.
In der Mitte liegt der Kampf, und der Tod des Einzelnen, derjenige Moment, wo das Organische seine Ichheit, sein besonderes Dasein, das zum Extreme geworden war; das Aorgische seine Allgemeinheit nicht wie zu Anfang in idealer Vermischung, sondern in realem höchstem Kampf ablegt, indem das Besondere auf seinem Extrem gegen das Extrem des Aorgischen sich tätig immer mehr verallgemeinern, immer mehr von seinem Mittelpunkte sich reißen muß, das Aorgische gegen das Extrem des Besondern sich immer mehr konzentrieren und immer mehr einen Mittelpunkt gewinnen und zum[159] Besondersten werden muß, wo dann das aorgisch gewordene Organische sich selber wieder zu finden und zu sich selber zurückzukehren scheint, indem es an die Individualität des Aorgischen sich hält, und das Objekt, das Aorgische sich selbst zu finden scheint, indem es in demselben Moment, wo es Individualität annimmt, auch zugleich das Organische auf dem höchsten Extreme des Aorgischen findet, so daß in diesem Moment, in dieser Geburt der höchsten Feindseligkeit die höchste Versöhnung wirklich zu sein scheint. Aber die Individualität dieses Moments ist nur ein Erzeugnis des höchsten Streits, seine Allgemeinheit nur ein Erzeugnis des höchsten Streits, so wie also die Versöhnung da zu sein scheint, und das Organische nun wieder auf seine Art, das Aorgische auf die seinige auf diesen Moment hin wirkt, so wird auf die Eindrücke des Organischen die in dem Moment enthaltene aorgischentsprungene Individualität wieder aorgischer, auf die Eindrücke des Aorgischen wird die in dem Moment enthaltene organischentsprungene Allgemeinheit wieder besonderer, so daß der vereinende Moment, wie ein Trugbild, sich immer mehr auflöst, sich dadurch, daß er aorgisch gegen das Organische reagiert, immer mehr von diesem sich entfernt, dadurch aber und durch seinen Tod die kämpfenden Extreme, aus denen er hervorging, schöner versöhnt und vereiniget, als in seinem Leben, indem die Vereinigung nun nicht in einem Einzelnen und deswegen zu innig ist, indem das Göttliche nicht mehr sinnlich erscheint, indem der glückliche Betrug der Vereinigung in eben dem Grade aufhört, als er zu innig und einzig war, so daß die beiden Extreme, wovon das eine, das organische durch den vergehenden Moment zurückgeschreckt und dadurch in eine reinere Allgemeinheit erhoben, das aorgische, indem es zu diesem übergeht, für das organische ein Gegenstand der ruhigern Betrachtung werden muß, und die Innigkeit des vergangenen Moments nun allgemeiner gehaltner unterscheidender, klarer hervorgeht.[160]
So ist Empedokles ein Sohn seines Himmels und seiner Periode, seines Vaterlandes, ein Sohn der gewaltigen Entgegensetzungen von Natur und Kunst, in denen die Welt vor seinen Augen erschien. Ein Mensch, in dem sich jene Gegensätze so innig vereinigen, daß sie zu Einem in ihm werden, daß sie ihre ursprüngliche unterscheidende Form ablegen und umkehren, daß das, was in seiner Welt für subjektiver gilt und mehr in Besonderheit vorhanden ist, das Unterscheiden, das Denken, das Vergleichen, das Bilden, das Organisieren und Organisiertsein, in ihm selber objektiver ist, so daß er, um es so stark wie möglich zu benennen, unterscheidender, denkender, vergleichender, bildender, organisierender und organisierter ist, wenn er weniger bei sich selber ist, und in so fern er sich weniger bewußt ist, daß bei ihm und für ihn das Sprachlose Sprache, und bei ihm und für ihn das Allgemeine, das Unbewußtere, die Form des Bewußtseins und der Besonderheit gewinnt, daß hingegen dasjenige, was bei andern in seiner Welt für objektiver gilt, und in allgemeinerer Form vorhanden ist, das weniger Unterscheidende, und Unterscheidbare, das Gedankenlosere, Unvergleichbarere, Unbildlichere, Unorganisiertere und Desorganisierende bei ihm und für ihn subjektiver ist, so daß er ununterschiedener und ununterscheidender gedankenloser in der Wirkung, unvergleichbarer unbildlicher, aorgischer und desorganischer ist, wenn er mehr bei sich selber ist, und wenn und in so fern er sich mehr bewußt, daß bei ihm und für ihn das Sprechende unaussprechlich oder unauszusprechend wird, daß bei ihm und für ihn das Besondere und Bewußtere die Form des Unbewußten und Allgemeinen annimmt, daß also jene beeden Gegensätze in ihm zu einem werden, weil sie in ihm ihre unterscheidende Form umkehren und sich auch in so weit vereinigen, als sie im ursprünglichen Gefühle verschieden sind –
ein solcher Mensch kann nur aus der höchsten Entgegensetzung von Natur und Kunst erwachsen, und so wie (ideal) das Übermaß der Innigkeit aus Innigkeit hervorgeht, so geht dieses reale Übermaß[161] der Innigkeit aus Feindseligkeit und höchstem Zwist hervor, wo das Aorgische nur deswegen die bescheidene Gestalt des Besondern annimmt, und sich so zu versöhnen scheint mit dem Überorganischen, das Organische nur deswegen die bescheidene Gestalt des Allgemeinen annimmt, und sich zu versöhnen scheint mit dem Überaorgischen Überlebendigen, weil beide sich auf dem höchsten Extremen am tiefsten durchdringen und berühren, und hiemit in ihrer äußern Form die Gestalt, den Schein des Entgegengesetzten annehmen müssen.
So ist Empedokles, wie gesagt, das Resultat seiner Periode, und sein Charakter weist auf diese zurück, so wie er aus dieser hervorging. Sein Schicksal stellt sich in ihm dar, als in einer augenblicklichen Vereinigung, die aber sich auflösen muß, um mehr zu werden.
Er scheint nach allem zum Dichter geboren, scheint also in seiner subjektiven tätigern Natur schon jene ungewöhnliche Tendenz zur Allgemeinheit zu haben, die unter andern Umständen, oder durch Einsicht und Vermeidung ihres zu starken Einflusses, zu jener ruhigen Betrachtung, zu jener Vollständigkeit und durchgängiger Bestimmtheit des Bewußtseins wird, womit der Dichter auf ein Ganzes blickt, ebenso scheint in seiner objektiven Natur, in seiner Passivität, jene glückliche Gabe zu liegen, die auch ohne geflissentliches und wissentliches Ordnen und Denken und Bilden zum Ordnen und Denken und Bilden geneigt ist, jene Bildsamkeit der Sinne und des Gemüts, die alles solche leicht und schnell in seiner Ganzheit lebendig aufnimmt, und die der künstlichen Tätigkeit mehr zu sprechen, als zu tun gibt. Aber diese Anlage sollte nicht in ihrer eigentümlichen Sphäre wirken und bleiben, er sollte nicht in seiner Art und seinem Maß, in seiner eigentümlichen Beschränktheit und Reinheit, wirken und diese Stimmung durch den freien Ausdruck derselben zur allgemeineren Stimmung, die zugleich die Bestimmung seines Volks war, werden lassen, das Schicksal seiner Zeit, die gewaltigen Extreme, in denen er erwuchs, forderten nicht Gesang, wo das Reine in einer idealischen Darstellung, die zwischen der Gestalt des Schicksals[162] und des Ursprünglichen liegt, noch leicht wieder aufgefaßt wird, wenn sich die Zeit noch nicht zu sehr davon entfernt hat; das Schicksal seiner Zeit erforderte auch nicht eigentliche Tat, die zwar unmittelbar wirkt und hilft, aber auch einseitiger, und um so mehr, je weniger sie den ganzen Menschen exponiert, es erforderte ein Opfer, wo der ganze Mensch das wirklich und sichtbar wird, worin das Schicksal seiner Zeit sich aufzulösen scheint, wo die Extreme sich in Einem wirklich und sichtbar zu vereinigen scheinen, aber eben deswegen zu innig vereiniget sind, und in einer idealischen Tat das Individuum deswegen untergeht und untergehen muß, weil an ihm sich die vorzeitige aus Not und Zwist hervorgegangene, sinnliche Vereinigung zeigte, welche das Problem des Schicksals auflöste, das sich aber niemals sichtbar und individuell auflösen kann, weil sonst das Allgemeine im Individuum sich verlöre, und (was noch schlimmer, als alle großen Bewegungen des Schicksals, und allein unmöglich ist) das Leben einer Welt in einer Einzelnheit abstürbe; da hingegen, wenn diese Einzelnheit, als vorzeitiges Resultat des Schicksals, sich auflöst, weil es zu innig und wirklich und sichtbar war, das Problem des Schicksals zwar materialiter sich auf dieselbe Art auflöst, aber formaliter anders, indem eben das Übermaß der Innigkeit, das aus Glück, ursprünglich aber nur ideal und als Versuch hervorgegangen war, nun durch den höchsten Zwist wirklich geworden, sich insofern, eben darum, und in den Graden, Kräften und Werkzeugen sich wirklich aufhebt, in welchen das ursprüngliche Übermaß der Innigkeit, die Ursache alles Zwists sich aufhob, so daß die Kraft des innigen Übermaßes sich wirklich verliert, und eine reifere wahrhafte reine allgemeine Innigkeit übrig bleibt.
So sollte also Empedokles ein Opfer seiner Zeit werden. Die Probleme des Schicksals, in dem er erwuchs, sollten in ihm sich scheinbar lösen, und diese Lösung sollte sich als eine scheinbare temporäre zeigen, wie mehr oder weniger bei allen tragischen Personen, die alle in ihren Charakteren und Äußerungen[163] mehr oder weniger Versuche sind, die Probleme des Schicksals zu lösen, und alle sich insofern und in dem Grade aufheben, in welchem sie nicht allgemein gültig sind, wenn nicht anders ihre Rolle, ihr Charakter und seine Äußerungen sich von selbst als etwas Vorübergehendes und Augenblickliches darstellen, so daß also derjenige, der scheinbar das Schicksal am vollständigsten löst, auch sich am meisten in seiner Vergänglichkeit und im Fortschritte seiner Versuche am auffallendsten als Opfer darstellt.
Wie ist nun dies bei Empedokles der Fall?
Je mächtiger das Schicksal, die Gegensätze von Kunst und Natur waren, um so mehr lag es in ihnen, sich immer mehr zu individualisieren, einen festen Punkt, einen Halt zu gewinnen, und eine solche Zeit ergreift alle Individuen so lange, fodert sie zur Lösung auf, bis sie eines findet, in dem sich ihr unbekanntes Bedürfnis und ihre geheime Tendenz sichtbar und erreicht darstellt, von dem aus dann erst die gefundene Auflösung ins Allgemeine übergehen muß.
So individualisiert sich seine Zeit in Empedokles, und jemehr sie sich in ihm individualisiert, je glänzender und wirklicher und sichtbarer in ihm das Rätsel aufgelöst erscheint, um so notwendiger wird sein Untergang.
1) Schon der lebhafte allesversuchende Kunstgeist seines Volks überhaupt mußte in ihm sich aorgischer kühner unbegrenzter erfinderisch wiederholen, so wie von der andern Seite der glühende Himmelsstrich und die üppige Sicilianische Natur gefühlter, sprechender für ihn und in ihm sich darstellen mußte, und wenn er einmal von beiden Seiten ergriffen war, so mußte immer die eine Seite, die tätigere Kraft seines Wesens, die andere als Gegenwirkung verstärken, so wie sich von dem empfindenden Teile seines Gemüts der Kunstgeist nähren und weiter treiben mußte. – 2) Unter seinen hyperpolitischen, immer rechtenden und berechnenden Agrigentinern, unter den fortstrebenden immer sich erneuernden gesellschaftlichen Formen seiner Stadt mußte ein Geist, wie der seinige[164] war, der immer nach Erfindung eines vollständigen Ganzen strebte, nur zu sehr zum Reformatorsgeiste werden, so wie die anarchische Ungebundenheit, wo jeder seiner Originalität folgte, ohne sich um die Eigentümlichkeit der andern zu kümmern, ihn mehr, als andre, bei seiner reichen selbgenügsamen Natur und Lebensfülle, ungeselliger einsamer, stolzer und eigner machen mußte, und auch diese beiden Seiten seines Charakters mußten sich wechselseitig erheben und übertreiben. 3) Eine freigeisterische Kühnheit, die sich dem Unbekannten, außerhalb des menschlichen Bewußtseins und Handelns liegenden, immer mehr entgegensetzt, je inniger ursprünglich die Menschen sich im Gefühle mit jenem vereiniget fanden und durch einen natürlichen Instinkt getrieben wurden, sich gegen den zu mächtigen, zu tiefen freundlichen Einfluß des Elements, vor Selbstvergessenheit und gänzlicher Entäußerung zu verwahren, die freigeisterische Kühnheit, dieses negative Räsonieren, Nichtdenken des Unbekannten, das bei einem übermütigen Volke so natürlich ist, mußte bei Empedokles, der in keinem Falle zur Negation gemacht war, um einen Schritt weiter gehen, er mußte des Unbekannten Meister zu werden suchen, er mußte sich seiner versichern wollen, sein Geist mußte der Dienstbarkeit so sehr entgegenstreben, daß er die überwältigende Natur zu umfassen, durch und durch zu verstehen, und ihrer bewußt zu werden suchen mußte, wie er seiner selbst bewußt und gewiß sein konnte, er mußte nach Identität mit ihr ringen, so mußte also sein Geist im höchsten Sinne aorgische Gestalt annehmen, von sich selbst und seinem Mittelpunkte sich reißen, immer sein Objekt so übermäßig penetrieren, daß er in ihm, wie in einem Abgrund, sich verlor, wo dann hingegen das ganze Leben des Gegenstandes das verlaßne durch die grenzenlose Tätigkeit des Geistes nur unendlicher empfänglich gewordene Gemüt ergreifen, und bei ihm zu Individualität werden mußte, ihm seine Besonderheit geben, und diese in eben dem Grade durchgängiger nach sich stimmen mußte, als er sich geistig tätig dem Objekte hingegeben[165] hatte, und so erschien das Objekt in ihm in subjektiver Gestalt, wie er die objektive Gestalt des Objekts angenommen hatte. Er war das Allgemeine, das Unbekannte, das Objekt das Besondere. Und so schien der Widerstreit der Kunst, des Denkens, des Ordnens des bildenden Menschencharakters und der bewußtloseren Natur gelöst, in den höchsten Extremen zu Einem und bis zum Tauschen der gegenseitigen unterscheidenden Form vereiniget. Dies war der Zauber, womit Empedokles in seiner Welt erschien. Die Natur, welche seine freigeisterischen Zeitgenossen mit ihrer Macht und ihrem Reize nur um so gewaltiger beherrschte, je unerkenntlicher sie von ihr abstrahierten, sie erschien mit allen ihren Melodien im Geiste und Munde dieses Mannes und so innig und warm und persönlich, wie wenn sein Herz das ihre wäre, und der Geist des Elements in menschlicher Gestalt unter den Sterblichen wohnte. Dies gab ihm seine Anmut, seine Furchtbarkeit, seine Göttlichkeit, und alle Herzen, die der Sturm des Schicksals bewegte, und Geister, die in der rätselhaften Nacht der Zeit unstät und ohne Leiter hin und wieder irrten, flogen ihm zu, und je menschlicher, näher ihrem eignen Wesen er sich ihnen zugesellte, je mehr er, mit dieser Seele, ihre Sache zu seiner machte, und nachdem sie einmal in seiner Göttergestalt erschienen war, nun wieder in ihrer eigenern Weise ihnen wiedergegeben wurde, um so mehr war er der Angebetete. Dieser Grundton seines Charakters zeigte sich in allen seinen Verhältnissen. Sie nahmen ihn alle an. So lebte er in seiner höchsten Unabhängigkeit, in dem Verhältnisse, das ihm, auch ohne die objektiveren, und geschichtlichern, seinen Gang vorzeichnete, so daß die äußeren Umstände, die ihn denselben Weg führten, so wesentlich und unentbehrlich sie sind, um das zum Vorschein und zur Handlung zu bringen, was vielleicht nur Gedanke bei ihm geblieben wäre, dennoch, trotz alles Widerstreits, in dem er in der Folge mit ihnen zu stehen scheint, doch seiner freiesten Stimmung und Seele begegnen, was denn auch kein Wunder ist, da eben diese Stimmung auch der innerste Geist der Umstände ist, da alle Extreme in diesen[166] Umständen von eben diesem Geiste aus und wieder auf ihn zurückgingen. In seinem unabhängigsten Verhältnis löst sich das Schicksal seiner Zeit im ersten und letzten Problem auf. So wie diese scheinbare Lösung von hier aus wieder sich aufzuheben anfängt, und damit endet.
In diesem unabhängigen Verhältnisse lebt er, in jener höchsten Innigkeit, die den Grundton seines Charakters macht, mit den Elementen, indes die Welt um ihn hierin gerade im höchsten Gegensatze lebt, in jenem freigeisterischen Nichtdenken, Nichtanerkennen des Lebendigen von einer Seite, von der andern in der höchsten Dienstbarkeit gegen die Einflüsse der Natur. In diesem Verhältnisse lebt er 1) überhaupt als fühlender Mensch, 2) als Philosoph und Dichter, 3) als ein Einsamer, der seine Gärten pflegt. Aber so wäre er noch keine dramatische Person, also muß er das Schicksal nicht bloß in allgemeinen Verhältnissen, und durch seinen unabhängigen Charakter, er muß es in besonderen Verhältnissen und in der besondersten Veranlassung und Aufgabe lösen. Aber in so innigem Verhältnisse, wie er mit dem Lebendigen der Elemente steht, stehet er auch mit seinem Volke. Er war des negativen gewaltsamen Neuerungsgeistes nicht fähig, der gegen das trotzige anarchische Leben, das keinen Einfluß, keine Kunst dulden will, nur durch Gegensatz anstrebt, er mußte um einen Schritt weiter gehen, er mußte, um das Lebendige zu ordnen, es mit seinem Wesen im Innersten zu ergreifen streben, er mußte mit seinem Geiste des menschlichen Elements und aller Neigungen und Triebe, er mußte ihrer Seele, er mußte des Unbegreiflichen, des Unbewußten, des Unwillkürlichen in ihnen mächtig zu werden suchen, eben dadurch mußte sein Wille, sein Bewußtsein, sein Geist, indem er über die gewöhnliche und menschliche Grenze des Wissens und Wirkens ging, sich selber verlieren, und objektiv werden, und was er geben wollte, das mußte er finden, da hingegen das Objektive desto reiner tiefer in ihm widerklang, je offener sein Gemüt eben dadurch stand, daß der geistig tätige Mensch sich hingegeben hatte, und dies im Besonderen, wie im Allgemeinen.[167]
So verhielt er sich als religiöser Reformator, als politischer Mensch, und in allen Handlungen, die er um ihrer willen tat gegen sie, mit dieser stolzen schwärmerischen Ergebenheit, und löste sich, dem Scheine nach, schon durch den Ausdruck dieser Vertauschung des Objekts und Subjekts, alles Schicksal auf. Aber worin kann dieser Ausdruck bestehen? welches ist derjenige, der, in einem solchen Verhältnisse, demjenigen Teile genügt, der zuerst der unglaubige ist? und an diesem Ausdruck liegt alles, denn, darum muß das Einigende untergehen, weil es zu sichtbar und sinnlich erschien, und dies kann es nur dadurch, daß es in irgend einem bestimmtesten Punkte und Falle sich ausdrückt. Sie müssen das Einige, das zwischen ihnen und dem Manne ist, sehen, wie können sie das? dadurch, daß er ihnen bis ins Äußerste gehorcht? aber worin? in einem Punkte, wo sie über die Vereinigung der Extreme, in denen sie leben, im zweifelhaftesten sind. Bestehen nun diese Extreme aber im Zwiste von Kunst und Natur, so muß er die Natur gerade darin, wo sie der Kunst am unerreichbarsten ist, vor ihren Augen mit der Kunst versöhnen. – Von hier aus entspinnt sich die Fabel. Er tut es mit Liebe und Widerwillen,1 legt seine Probe ab, nun glauben sie alles vollendet. Er erkennt sie daran. Die Täuschung, in der er lebte, als wäre er Eines mit ihnen, hört nun auf. Er zieht sich zurück, und sie erkalten gegen ihn. Sein Gegner benützt dies, bewirkt die Verbannung. Sein Gegner, groß in natürlichen Anlagen, wie Empedokles, sucht die Probleme der Zeit auf andere, auf negativere Art zu lösen. Zum Helden geboren, ist er nicht sowohl geneigt, die Extreme zu vereinigen, als sie zu bändigen, und ihre Wechselwirkung an ein Bleibendes und Festes zu knüpfen, das zwischen sie gestellt ist, und jedes in seiner Grenze hält, indem es jedes sich zu eigen macht. Seine Tugend ist der Verstand, seine Göttin die Notwendigkeit. Er ist das Schicksal selber,[168] nur mit dem Unterschiede, daß die streitenden Kräfte in ihm an ein Bewußtsein, an einen Scheidepunkt festgeknüpft sind, der sie klar und sicher gegenüberhält, der sie an einer (negativen) Idealität befestiget und ihnen eine Richtung gibt. Wie sich Kunst und Natur bei Empedokles im Extreme des Widerstreits dadurch vereinigen, daß das Tätige im Übermaß objektiv wird, und die verlorene Subjektivität durch die tiefe Einwirkung des Objekts ersetzt wird: so vereinigen sich Kunst und Natur in seinem Gegner dadurch, daß ein Übermaß von Objektivität und Außer-sich-sein, und Realität, (in solchem Klima, in solchem Getümmel von Leidenschaften und Wechsel der Originalität, in solcher herrischer Furcht des Unbekannten) bei einem mutig offnen Gemüte, die Stelle des Tätigen und Bildenden vertreten muß, da hingegen das Subjektive mehr die passive Gestalt des Duldens, des Ausdauerns, der Festigkeit, der Sicherheit gewinnt, und wenn die Extreme entweder durch die Fertigkeit im Ausdauern derselben, oder auch von außen die Gestalt der Ruhe und des Organischen annehmen, so muß das Subjektivtätige nun das Organisierende, es muß zum Elemente werden, so auch hierin das Subjektive und Objektive ihre Gestalt verwechseln, und Eines werden in einem.[169]
1 denn die Furcht, positiv zu werden, muß seine größte, natürlicherweise, sein, aus dem Gefühle, daß Er, je wirklicher er das Innige ausdrückt, desto sicherer untergeht.
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