An die Nachtigall

[21] Dir flüsterts leise – Nachtigall! dir allein,

Dir, süße Tränenweckerin! sagt es nur

Die Saite. – Stellas wehmutsvoller

Seufzer – er raubte mein Herz – dein Kehlchen –


Es klagte – o! es klagte – wie Stella ists.

Starr sah ich hin beim Seufzer, wie, als dein Lied

Am liebevollsten schlug, am schönsten

Aus der melodischen Kehle strömte.


Dann sah ich auf, sah bebend, ob Stellas Blick

Mir lächle – ach! ich suche dich, Nachtigall!

Und du verbirgst dich. – Wem, o Stella!

Seufztest du? Sangest du mir, du süße?


Doch nein! doch nein! ich will es ja nicht, dein Lied,

Von ferne will ich lauschen – o! singe dann!

Die Seele schläft – und plötzlich schlägt die

Brust mir empor zum erhabnen Lorbeer.


O Stella! sag es! sag es! – ich bebe nicht! –

Es tötete die Wonne, geliebt zu sein,

Den Schwärmer. – Aber tränend will ich

Deinen beglückten Geliebten segnen.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 21-22.
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