Der Zeitgeist

[296] Zu lang schon waltest über dem Haupte mir,

Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit!

Zu wild, zu bang ists ringsum, und es

Trümmert und wankt ja, wohin ich blicke.


Ach! wie ein Knabe, seh ich zu Boden oft,

Such in der Höhle Rettung von dir, und möcht,

Ich Blöder, eine Stelle finden,

Alleserschüttrer! wo du nicht wärest.


Laß endlich, Vater! offenen Augs mich dir

Begegnen! hast denn du nicht zuerst den Geist

Mit deinem Strahl aus mir geweckt? mich

Herrlich ans Leben gebracht, o Vater! –


Wohl keimt aus jungen Reben uns heilge Kraft;

In milder Luft begegnet den Sterblichen,

Und wenn sie still im Haine wandeln,

Heiternd ein Gott; doch allmächtger weckst du


Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst

Die Alten weise Künste; der Schlimme nur

Wird schlimmer, daß er bälder ende,

Wenn du, Erschütterer! ihn ergreifest.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 296-297.
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